»Es ist vollbracht!« – Was denn?

Als der Herr Jesus Christus am Karfreitag am Kreuz hängend sieben bedeutsame Worte aussprach, lautete das vorletzte: »Es ist vollbracht!« (Johannes 19,30 ELBCSV; vgl. Mt 27,50; Mk 15,37; Lk 23,46). Nur der Apostel Johannes berichtet es uns im Wortlaut. Danach neigte Christus sein Haupt und übergab mit dem siebten Ausruf seinen Geist Gott: Das Lamm Gottes, »das die Sünde der Welt wegnimmt« (Joh 1,29), starb in aktiver, völliger Hingabe an Gott. Der Mensch gewordene Sohn Gottes neigte sein Haupt, nicht in Resignation oder Schwäche, sondern wie zum Schlummer[1], um es am dritten Tag in eigener Autorität wieder zu erheben (Joh 10,18).

Was heißt »vollbracht«?

Jesus sprach tatsächlich nur ein Wort: » tetélestai «[2]. Schon zwei Verse vorher gebrauchte Johannes dieses Wort in identischer Form: »Danach, da Jesus wusste, dass alles schon vollbracht war[2], spricht er, damit die Schrift erfüllt würde[3]: Mich dürstet!« (Joh 19,28). Das Wort und seine Zeitform hier bedeuten, dass eine Tat oder ein Werk zum erfolgreichen Ziel gebracht wurde und nun bleibende Auswirkungen hat. Man schrieb tetélestai auf eine bezahlte Rechnung, auf eine abgesessene Gefängnisstrafe usw., also: „Bezahlt!“, „Abgeleistet!“, „Fertig!“: Nichts ist mehr zu bezahlen, keine Forderung besteht mehr, alles ist erledigt. – Hier wurde nicht nur „eine Tür zum Heil aufgestoßen“ oder „dem Sünder eine Chance geboten“ oder „dem Menschen ein großes Vorbild gegeben“ –alles Vorstellungen des bloß Potentiellen, im Prinzip also Unvollkommenen– , sondern etwas komplett fertiggestellt! »Welches Wort enthielt jemals so viel?« (William Kelly, An Exposition of the Gospel of John ).

»Es« – Was wurde vollbracht?

Auch hier gibt uns Johannes den Schlüssel zum Verständnis in die Hand. (1) Christi Gehorsam. Er berichtet, dass die Werke, die Christus tat, seine Sendung bezeugten: »die Werke, die der Vater mir gegeben hat, dass ich sie vollbringe, die Werke selbst, die ich tue, zeugen von mir, dass der Vater mich gesandt hat« (Joh 5,36). Christi Gehorsam und Widmung wurden auf dem Kreuzesaltar völlig offenbar. (2) Offenbarung des Vaters. Der Apostel Johannes berichtet ferner, dass Christus kurz vor seiner Passion rückblickend zum Vater sagte: »Ich habe dich verherrlicht[4] auf der Erde; das Werk habe ich vollbracht[5], das du mir gegeben hast, dass ich es tun sollte.« (Joh 17,4). Als Jesus ausrief: »Es ist vollbracht!«, war jenes Werk, das ihm der Vater aufgetragen hatte, erfolgreich fertiggestellt. Bei diesem Werk des Sohnes Gottes ging es letztlich darum, den Vater auf der Erde zu verherrlichen, also die Herrlichkeit Seines wunderbaren Wesens und einzigartigen Heilswerks bekannt zu machen, denn: »Niemand hat Gott jemals gesehen; der eingeborene Sohn, der im Schoß des Vaters ist, der hat ihn kundgemacht[6]« (Joh 1,18). (3) Vollkommene Sühnung. Und letztlich sagt uns der Apostel Johannes, dass Christus »das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt«, ist (Joh 1,29.36; vgl. Offb 5,6ff; 21,22–27). Der Apostel Petrus äußert sich in ähnlicher Weise, fokussiert sich jedoch auf das Volk Gottes. Er verbindet die vollkommene Erlösung der »Kinder des Gehorsams« mit ihrem vollkommenen Erlöser: »[Ihr seid] erlöst worden … mit dem kostbaren Blut Christi, als eines Lammes ohne Fehl und ohne Flecken« (1Pet 1,18–19). In Summa: »Denn mit einem Opfer hat er auf immerdar die vollkommen gemacht[7], die geheiligt werden.« (Hebr 10,14).

Ad (2): Am deutlichsten wurde das Kundtun (Darlegen, Erklären) des Vaters durch den Sohn im Sterben Jesu am Kreuz: Jeder kann am Kreuz Jesu nun sehen, dass Gott Liebe ist (1Joh 4,7–12) und dass Gott Licht ist (1Joh 1,5), gerecht und heilig:

  • Liebe: »Denn so hat Gott die Welt geliebt«
  • Licht: »dass er seinen eingeborenen Sohn [als Opfer] gab«
  • Liebe: »damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe.« (Joh 3,16).

Wer auf Christus im Glauben schaut, wer Sein Opfer am Kreuz für sich persönlich in Anspruch nimmt, sich für seine ewige Erlösung und Rettung alleine auf Jesu Person und Werk verlässt, der ist für immer gerettet, ist ein Kind Gottes, das zeitlebens Grund zum Jubeln hat, denn: »Es ist vollbracht!«

»Es ist vollbracht!« – Das muss man besingen!

Jacques Erné (1825–1883) hat den Siegesruf des Sohnes Gottes im 19. Jhdt. (1883?) in ein schönes Loblied gefasst:

Es ist vollbracht,
das große Werk, das schwere.
Gott ist gerecht, Ihm ward nun Seine Ehre
durch Seinen Sohn, der laut verkündet hat;
„Es ist vollbracht!“, „Es ist vollbracht!“

Es ist vollbracht!
Was Gottes Liebe wollte,
was für den Sünder, den verlornen, sollte
zur Rettung und zum ew’gen Heile sein,
das ist vollbracht, das ist vollbracht.

„Es ist vollbracht!“,
durchtönt’s die Ewigkeiten
zu Gottes Lob, zu der Erlösten Freuden;
sie danken Gott, sie beten Jesus an,
dass Er’s vollbracht, dass Er’s vollbracht.

Sprachliche Notizen

[1] κλίνας – Aorist Partizip Aktiv von κλίνω = neigen, beugen. »What is indicated in the statement “He bowed His head,” is not the helpless dropping of the head after death, but the deliberate putting of His head into a position of rest, John 19:30. The verb is deeply significant here. The Lord reversed the natural order. The same verb is used in His statement in Matt. 8:20 and Luke 9:58, “the Son of Man hath not where to lay His head.”« (Vine, W. E. ; Unger, Merrill F. ; White, William, Jr.: Vine’s Complete Expository Dictionary of Old and New Testament Words, 2, s. v. »bow, bowed (Verb)«. Vgl.: Walter Bauer, Das Johannes-Evangelium, 3. Aufl. (Tübingen, 1933), S. 218.
[2] τετέλεσται – Perfekt Passiv Indikativ 3.Pers. Sing. von τελέω = vollenden (nicht nur zum Ende, sondern zur Vollendung führen). Das Verb kommt im NT 28mal vor, in dieser Form nur 2mal im Johannesevangelium (Joh 19,28.30). Die ELBCSV gibt es wieder als: vollenden, zu Ende sein, bezahlen/entrichten (!), vollbringen, erfüllen.
[3] τελειωθῇ – Aorist Passiv Konjunktiv 3.Pers.Sing. von τελειόω = vollkommen machen; »bedeutet die abschließende Erfüllung des gesamten Schriftinhaltes« (Rienecker, Sprachlicher Schlüssel, S. 246). Das Verb kommt im NT 23mal vor, und wird in der ELBCSV auch mit vollenden, vollbringen, vollkommen machen wiedergegeben. Im Vergleich zum verwandten Verb τελέω (s. o.) betont es über die Vollendung hinaus den Aspekt der erzielten Perfektion (Vollkommenheit). Das Verb ist Kennzeichenverb des Hebräerbriefes (9mal: 2,10; 5,9; 7,19.28; 9,9; 10,1.14; 11,40; 12,23). Vgl. die Verwendung bei Johannes in Joh 4,34; 5,36; 17,4.23; 19,28; 1Joh 2,5; 4,12.17.18, sowie in Apg 20,24; Php 3,12; Jak 2,22.
[4] ἐδόξασα – Aorist Aktiv Indikativ von δοξάζω = verherrlichen, erheben, preisen, Ehre geben. Es ist also Feststellung einer bestehenden Tatsache. In dieser Form nur in Joh 12,28 »Ich habe ihn verherrlicht« und hier in 17,4 »Ich habe dich verherrlicht auf der Erde«.
[5] τελειώσας – Aorist Partizip Aktiv von τελειόω = ans Ziel bringen, vollenden. Versteht man dieses Partizip periphrastisch, dann war das Vollenden der Werke (punktueller Aspekt) der Begleitumstand oder die Art und Weise, mit dem bzw. der der Sohn Gottes seinen Vater verherrlichte (= Haupthandlung). Die ESV hat: »having accomplished the work that you gave me«. Das Vollenden war jedenfalls der Zielpunkt der Sendung des Sohnes, vgl. Johannes 5,36: »die Werke, die der Vater mir gegeben hat, damit ich sie vollbringe [τελειώσω – Aorist Konjunktiv Aktiv von τελειόω; Aspekt: punktuell, also feststellend, zusammenfassend betreffs der Absicht des Handelns]«.
[6] ἐξηγήσατο – Aorist Medium Indikativ 3.Pers Sing. von ἐξηγέομαι = darlegen, auseinandersetzen, auslegen, berichten; »etwas völlig bekannt machen durch sorgfältige Erklärung oder durch klare Offenbarung« (Louw, Johannes P., Nida, Eugene Albert: Greek-English Lexicon of the New Testament: Based on Semantic Domains (New York: United Bible Societies, 1996), 28.41; Üb.d.A.).
[7] τετελείωκεν – Perfekt Aktiv Indikativ von τελειόω = ans Ziel bringen, vollenden; mit expliziter Anfügung von εἰς τὸ διηνεκὲς = »auf immerdar«, »ununterbrochen«. Die von Gott Geheiligten sind durch Christi Opfer in einen Zustand versetzt worden, in dem sie ein für allemal und ohne jegliche Unterbrechung vollkommen sind (was Auswirkungen bis heute hat). Da das Opfer Christi für immer und stets vollwirksam gilt, besteht dieser vollkommene Zustand der »Geheiligten« in gleicher Weise immer und stets vollwirksam.


Ad impossibilia nemo obligatur – Zu Unmöglichem ist niemand verpflichtet (?)

Beim Studium der Heiligen Schrift biegt man immer wieder einmal quietschend in Sackgassen falscher Vorannahmen und Denkvoraussetzungen (Presuppositionen), Interpretationsgrundsätzen (Hermeneutik) und Denkweisen (Logik) ab. Dies gilt besonders betreffs der Lehren der Schrift, die uns im Wort beschrieben, aber unserer normalen Erfahrung und „Logik  nicht vertraut, rätselhaft oder unserem menschlich-fleischlichen Denken und Empfinden sogar zuwider sind.

Heilslehre (Soteriologie) – „Logisch“ und/oder biblisch?

Dazu ein fast „klassisches  Beispiel aus der Heilslehre (Soteriologie). Peter Streitenberger schreibt –wie einige lange vor ihm– in seinem Buch Die Fünf Punkte des Calvinismus – Eine Antwort (CMD, 2007) Folgendes: »Es ist ein Fehlschluss menschlicher Logik und in sich widersprüchlich, zu unterstellen, dass das, was Gott dem sündigen Menschen eindeutig und immer wieder befiehlt, eigentlich unmöglich wäre.« (S. 26). Er kritisiert damit Theologen, die er wohl im Widerspruch zu seiner eigenen arminianischen Heilsauffassung sieht. Dank der Vernetztheit der Heilslehre mit anderen Wahrheiten der Schrift verursacht er damit allerdings auch Kollateralschäden an anderer Stelle.

Streitenberger wendet sich in der Vorrede seines Buchs noch gegen die „menschliche Logik, was ihn jedoch im Hauptteil nicht davon abhält, selbst Argumente der Logik anstelle von Aussagen der Heiligen Schrift einzusetzen, siehe Zitat. Dies ist klassische Selbstzerstörung eines vermeintlichen Arguments. Der Irrtum hier ist sogar doppelt, denn (1) beurteilt Streitenberger hier etwas als »Fehlschluss menschlicher Logik und in sich widersprüchlich«, was (2) in der Heiligen Schrift schon an anderer Stelle eindeutig und affirmativ vorkommt. Zum Ersten: Wenn es logisch (richtig) wäre, dann wäre es nicht widersprüchlich und wenn es widersprüchlich wäre, dann wäre es logisch nicht richtig. Was also meint er konkret? Kann man das auch klar sagen?

Streitenbergers Argument lautet: Wenn Gott dem Menschen etwas gebietet, dann bedeute dies, dass der Mensch auch in der Lage sei, dieses Gebot(ene) zu halten. Ein göttlich verordnetes Sollen sei mithin unmoralisch, wenn es das Können/Vermögen des Menschen überschreite. Daher beurteilt er die Aussage als falsch, dass der Mensch etwas, was ihm göttlich geboten ist (z. B. die Buße oder der rettende Glaube; Mk 1,15; Apg 17,30), nicht aus sich selbst heraus tun bzw. erbringen könne. Hier irrt Streitenberger, denn Römer 8,6-7 bezeugt diese Unfähigkeit und Unwilligkeit ausdrücklich: »Denn die Gesinnung des Fleisches ist der Tod, die Gesinnung des Geistes aber Leben und Frieden, weil die Gesinnung des Fleisches Feindschaft ist gegen Gott, denn sie ist dem Gesetz Gottes nicht untertan, denn sie vermag es auch nicht«. Noch klarer kann man wesenhaftes Unvermögen bei gleichzeitigem Verpflichtetsein kaum ausdrücken. Andere Stellen wären dem hinzuzufügen.

Streitenbergers Argument kann auch daran als fehlerhaft erkannt werden, dass uns in der Schrift anhand des Gesetzes das Gegenteil gelehrt wird. Gott hatte eindeutig und unter klarer, scharfer Androhung der ewigen Todesstrafe geboten, dass das Gebot Gottes zu halten sei (z. B. 5. Mose 28,15ff). Er meint es also absolut ernst. Aber er lässt ebenfalls als Wahrheit aufschreiben, dass (außer Jesus Christus) kein Mensch das Gesetz gehalten hat noch je hätte halten können (z. B. Apg 15,10; Römer 3,20–23; 5,20–21). Damit ist gezeigt, dass Gott sehr wohl vom Menschen etwas absolut verlangt (nämlich die Perfektion; z. B. Matthäus 5,48; Jakobus 2,10–11; Römer 3,10), was kein Mensch aus sich heraus zu erbringen vermag. Dieses Beispiel zeigt schon, dass das Argument Streitenbergers (das er mit manchem vor und mit ihm teilt) nicht aus dem Wort der Wahrheit stammen kann, denn dieses Wort ist durchgehend widerspruchsfrei.

Das falsche Argument ist ein alter Hut – aus falschen Quellen gefischt

Dem Kenner der Kirchengeschichte ist nicht verborgen, dass diese Art der Argumentation schon in der Denktradition der „Arminianer” (frühes 16 Jhdt.) oder auch später in der amerikanischen „New Haven-Theology” nach Nathaniel W. Taylor (frühes 19. Jhdt.) auftaucht. Berüchtigt ist auch der angebliche „Erweckungsprediger“ Charles Grandison Finney (1792–1875) und das Bibelseminar in Oberlin (OH, USA, gegr. 1833), dessen zweiter Präsident er war, die die selben falschen Behauptungen vertraten und verbreiteten (jeder könne völlig frei und aus eigenen Kräften das Heil erwerben und absolute Heiligung erreichen).

Die Behauptung »Sollen impliziert Können« ist jedoch als weltlich-heidnisches Rechtsprinzip um einiges älter. Als Grundsatz taucht sie schon in den Digesten (lat. digesta = Geordnetes; didaktische Zusammenstellung von Rechtssätzen) des römischen Rechts auf. Sinnverwandte Prinzipien und Rechtsgrundsätze lauten: »Ad impossibilia nemo obligatur/tenetur« (»Zu Unmöglichem ist niemand verpflichtet«; vgl. BGB § 275 Abs. 2-3); »Lex cogit neminem ad impossibilia« (»Das Gesetz zwingt niemand zu Unmöglichem«); »Ultra posse nemo obligatur« (»Über sein Können hinaus wird niemand verpflichtet«).

Der ungläubige Philosoph Immanuel Kant (1724–1804) schreibt Ähnliches in seiner Critik der praktischen Vernunft (1788): »Denn, da sie [die reine Vernunft] gebietet, dass solche [Handlungen nach sittlicher Vorschrift] geschehen sollen, so müssen sie auch geschehen können.« (A807, B835). Autonomie ist damit bei Kant Bedingung dafür, dass Moral möglich ist. Autonomie in diesem Sinne ist die Freiheit, nach einem selbst bestimmten Willen zu handeln. Die Absolutsetzung der Autonomie müssen wir aber als Vergottung des Menschen als ethischem Wesen sehen. Kant selbst sagte: »Gott ist also keine ausser mir befindliche Substanz sondern blos ein moralisch Verhältnis in Mir.« ([sic!] Akademie-Ausgabe XXI, S. 149). Damit wird aber die widergöttliche Denkbasis und Denkrichtung schon bloßgelegt. Wo ist Kantsche Philosophie, wo biblische Wahrheit im Argument von Streitenberger?

Dieses im menschlichen Recht gerechterweise oft anzuwendende Prinzip ist aber weder kausale noch logische Implikation: Das Sollen garantiert niemals das Können. Und der Bibelleser weiß zudem sicher: Wenn Gott etwas als Sollen (oder Sein) fordert, ist es stets »heilig, gerecht und gut« (Römer 7,12)!

Es gibt bessere Erklärungen, biblische nämlich

Einige Bibellehrer haben den biblischen Sachverhalt besser ergriffen und mit Begriffen und Metaphern der Bibel erklärt (Schuld, Erlösung, Zurechnung usw.): Nehmen wir an, ein Mensch bekäme für eine gewisse Zeit eine größere Geldsumme anvertraut. Er nimmt hocherfreut die große Summe an, verprasst aber das ganze Geld in Saus und Braus. Zur vereinbarten Zeit kommt der Geber wieder zu ihm und fordert sein Geld zurück. Der Mensch kann aber nichts zurückgeben, ganz einfach deswegen, weil er nichts mehr hat. Außerdem will er gar nichts zurückgeben und streitet jede Forderung ab. Es ist aber völlig klar, dass er die geliehene Summe zurückzahlen muss, denn es war geliehenes Vermögen, es gehört einem anderen. Das faktische Unvermögen liefert hier nicht die Freistellung aus der moralischen Schuld, sondern begründet und vertieft diese zusätzlich. Anders gesagt: Die Forderung des Gläubigers besteht weiter und ist völlig rechtens, auch wenn dem Schuldner die Erfüllung der Forderung faktisch unmöglich ist.

To the Point: Die Forderung nach Rückzahlung der Schuld bedeutet eben nicht, dass diese dem Schuldner faktisch möglich sei. Trotz der Unfähigkeit des Schuldners ist die Forderung des Eigentümers juristisch unanfechtbar und gerecht. – Nun, dies gilt übertragen auch im diskutierten Kontext der biblischen Heilslehre mit Blick auf das menschliche Elend, die Gerechtigkeit Gottes und die Notwendigkeit eines freien Gnadengeschenks vonseiten des Heiland-Gottes. (Das Metapher der Schuld und des Schuldners ist direkt biblisch.)

Ein wesentlicher Denkfehler scheint mir zu sein, dass man die Situation des Sünders, die zu seiner faktischen Unfähigkeit und Unwilligkeit zur Umkehr geführt hat, moralfrei beurteilt, während doch die Heilige Schrift lehrt, dass die Unfähigkeit und Unwilligkeit des in Sünde gefallenen Menschen eine selbstverschuldete ist. Buße und Glauben oder anderen Aktivitäten des Herzens (Willen, Entscheidungen) oder der Hand (Werke) sind nach göttlichem Zeugnis einem Menschen innerlich erst möglich, wenn er diese vorher von außen her empfangen hat. Münchhausen funktioniert auch hier nicht.

Mit Empfang der göttlichen Rettungsgaben ändert sich alles: Es ist alles »aus Gott«, aber durch die freie Gabe Gottes sind im beschenkten Menschen nun Fähigkeit, Wille und gute Tat vorhanden und sein eigen: Es ist dann seine Fähigkeit (Vermögen), sein Wille (Motivation) und seine Tat (Vollbringen). Solange aber das Herz geistlich tot und in der Sklaverei der Sünde verkettet ist, gilt ohne göttliche „Operation am Herzen” (Hesekiel 11,19; 36,26) weiter: »Ihr wollt nicht zu mir kommen, damit ihr Leben habt«, und: »Ihr seid aus dem Vater, dem Teufel, und die Begierden eures Vaters wollt ihr tun« (Johannes 5,40; 8,44). Der ganze Vorgang wird in den Texten von den Segnungen des Neuen Bundes beeindruckend für Israel vorschattend beschrieben (s. z.B. Hesekiel 36,25–36) und im Johannesevangelium vom Sohn Gottes ausgelegt und auf den Glaubenden des NT angewandt. Im Heil kommt es danach nicht zuerst auf die Fähigkeit des Sünders an, sondern auf die Fähigkeit des rettenden Gottes. Er fordert – aber er gibt auch das, was er fordert. Glauben wir das? Dann werden und können wir zugreifen und dann sind wir ewig gerettet.

Gott aber sei Dank, dass ihr Sklaven der Sünde wart, aber von Herzen gehorsam geworden seid dem Bild der Lehre, dem ihr übergeben worden seid! Freigemacht aber von der Sünde, seid ihr Sklaven der Gerechtigkeit geworden.

Römer 6,17-18 (ELB03)


Bekehre mich, damit ich mich bekehre, denn du bist der Jahwe, mein Gott.

Jeremia 31,18b

Auch kleine Wörter der Schrift sind wichtige

Fritz Rienecker (1897–1965), evangelischer Theologe, Pfarrer und Publizist, wird das Zitat der Überschrift zugeschrieben. Sein Anliegen war es, dass jene »die mit Ernst Christen sein wollen«, ein »heißes Ringen um tieferes Verständnis des Wortes Gottes« kennzeichne. Dies zu unterstützen erarbeitete er neben Bibelstudierkursen, der Wuppertaler Studienbibel und dem Lexikon zur Bibel auch sog. „Schlüssel” zum Aufschließen und besseren Verstehens des Bibeltextes in seinen Ursprachen. Der „Sprachliche[r] Schlüssel zum Griechischen Neuen Testament” ist legendär (Brunnen-Verlag, Gießen-Basel, 22. Auflage 2015, 672 Seiten, ISBN 978-3-7655-5733-0).

»Wo finden wir nun die Ganzrüstung Gottes? Nicht in der Polemik, nicht in der Apologetik, nicht in der Spekulation, nicht in Mystik und Philosophie, sondern im Wort der Heiligen Schrift ganz allein. Dort hat Gott sich offenbart. Dort gilt es noch heimischer zu werden als bisher. Dort gilt es das Wort in seiner ganzen Wucht und Wirklichkeit zu erfassen und zu erlernen.«

Fritz Rienecker, Vorwort zur 1. Auflage von Sprachlicher Schlüssel zum Griechischen Neuen Testament

Beim Erfassen eines Textes spielen auch die „kleinen Wörter” eine wichtige Rolle. Kleine Wörter, auch Funktionswörter genannt, umfassen die Wortarten Präposition, Konjunktion bzw. Subjunktion, Pronomen, Artikel, Artikelwort, Adverb sowie Partikel. Sie treten im Text sehr häufig auf, leisten Bedeutsames für die Satz- und Textbildung und sind daher vom Leser besonders zu beachten, um den Textsinn erfassen zu können.

Die angebliche Sensation des Ken Wilson

Eine Rezension von: War Augustinus der erste Calvinist?

Vor einiger Zeit wurden Nachrichten und Vorträge verbreitet, dass ein gewisser Ken Wilson eine Sensation entdeckt hätte, nämlich dass der Kirchenvater Augustinus der erste „Calvinist“ gewesen sei. Eine deutsche Kurzfassung der „bahnbrechenden Dissertation“ von Wilson (2012 in Oxford), die im Jahr 2018 veröffentlich wurde, trägt tatsächlich den Titel: „War Augustinus der erste Calvinist?“ (CMV-Hagedorn, Pb., ca. 156 Seiten, ISBN: 978-3-96190-062-6). Die Doktorarbeit lautet hingegen inhaltlich anders: „Augustine’s Conversion from Traditional Free Choice to “Non-free Free Will“: A Comprehensive Methodology“ (Tübingen: Mohr Siebeck, 2018, 388 Seiten, ISBN 978-3-16-155753-8). Es ist also zu vermuten, dass mit der deutschen Ausgabe tatsächlich eher reißerische Zwecke verfolgt werden, als denn seriöse und aufklärende.

Leider hat der Schweizer Bibellehrer Roger Liebi das Vorwort der CMV-Ausgabe geschrieben und aktiv Werbung für dieses Buch gemacht (Liebi leugnet auch die Erwählungslehre der Bibel).

Autor: Kenneth M. Wilson wurde 1956 geboren. 1981 wurde er Doktor der Medizin (!) an The University of Texas Medical School. 1989–95 war er Assistant Professor of Orthopaedic Surgery an der Oregon Health Sciences University. 2003 errang er den Titel Master of Divinity, 2006 den Titel Master of Theology und 2012 den Titel D. Phil. in Theologie von der University of Oxford. Gegenwärtig ist er ein zertifizierter Orthopaedic Hand Surgeon in Salem, Oregon und zugleich Professor für Kirchengeschichte und Systematische Theologie an der Grace School of Theology in The Woodlands, Texas, der Ausbildungsstätte einer christlichen Sondergruppe (Glaubensbekenntnis; bemerkenswert ist folgende schriftwidrige Behauptung dieser Bibelschule in ihrem Doctrinal Statement: »Initial faith resulting in justification and regeneration is not a gift of God.«).

Inhalt: Diskussion und Beurteilung der Behauptungen der Doktorarbeit von Ken Wilson findet sich an mancher Stelle. Eine davon fertigt(e) Mario Tafferner an (Abdruck auf Evangelium 21), eine tiefergehendere Chris Whisonant (hier veröffentlicht). Beide sind sehr lesenswert. Die Inhaltsangabe der Analyse von Whisonant mit kurzen Zusammenfassungen wird unten abgedruckt. Die Überschriften enthalten Links zu den vollen Artikeln. Vorsicht: das zugrundeliegende Studium ist nichts für Anfänger.

Allerdings könnte selbst ein Laie mit etwas Bildung erkennen, dass Augustinus (354–430) rein zeitlich niemals ein „Anhänger Calvins“ (1509–1564) oder dessen Lehren gewesen sein konnte. Ob diese Behauptung Geschichtsklitterung, Dummheit oder Effekthascherei ist, mag jeder selbst beurteilen. Man beachte auch folgende zwei Tatsachen:

(1) Gegen eine Erstentdeckung mit entsprechender Sensation seitens Ken Wilson (wie es die reisserische Bewerbung des Buches erwarten lässt) spricht jedenfalls, dass schon vor Kenneth Wilsons Veröffentlichung (2018) wissenschaftlich und ausführlich nachgewiesen worden war, dass Augustinus die „Lehren der Gnade“ vertrat, z. B. im Rahmen der Doktorarbeit von C. Matthew McMahon, Augustine’s Calvinism: The Doctrines of Grace in Augustine’s Writings, die bereits 2012 veröffentlicht wurde.

(2) Dass Augustinus der erste „Calvinist“ gewesen sei, die Kirchenväter vor ihm die Inhalte und Lehren der „Fünf Punkte des Calvinismus“ also noch nicht gelehrt hätten, muss anhand der Quellenlage zurückgewiesen werden (s. z. B. Artikel: Calvinism in the Early Church. The Doctrines of Grace Taught by the Early Church Fathers). Eine umfassende Arbeit mit Originalzitaten von den älteren Kirchenvätern hat bereits der Theologe und Sprachgelehrte John Gill vorgelegt (The Cause of God and Truth, 4. Band, 1738).

Man sollte sich aufgrund der Tatsachen wohl eher zu folgender Aussage reduzieren, wie sie McMahon in der Einleitung seiner Ausarbeitung trifft (op cit): „Der heilige Augustinus war ein Calvinist und Johannes Calvin war ein Augustiner. Das heißt, sowohl Augustinus als auch Calvin hielten sich an das Evangelium von Jesus Christus, das in der Bibel zu finden ist, obwohl sie über ein Jahrtausend auseinander lebten“ (weiter erhellende Fortsetzung des Zitats s. unten).

Fazit: Nach Einschätzung von Kennern der Materie ist zu befürchten, dass sich am Ende der 388 Seiten (des Originals) die Sensation des Ken Wilson als lahme Ente erweist, oder – wie der alte Goethe es sagen würde–: „Getretener Quark wird breit, nicht stark.(Westöstlicher Divan, 1819/1827).

Chris Whisonant: Discussing Ken Wilson’s Work – A Table of Contents

»Below you will find a Table of Contents with all of my posts in this current series. I will link to each post and provide a brief synopsis of its argument, typically a summary of each post’s conclusion.

Part 1 – Clement and Free Will

Dr. Wilson argues that when Clement stirred up the believers in Corinth to good works that the implicit logical consequence must only be libertarian free will. If this is clear through implication, what of  the explicit statements relating God’s will to our calling, justification, and opening of the eyes of our hearts that Clement understood believers are predestined and elected by God? By simply looking at the actual writing of Clement, there would be more data demonstrating that he was on the “traditional” belief in election as it relates to God’s purpose of salvation.

Part 2 – Augustine, 412, and Original Sin

Upon hearing that infants should be baptized not to remit original sin but simply to sanctify them, Augustine realized that this was not part of what he understood as the Christian faith handed down through the ages. He understood that the Church “guarded with utmost constancy” the doctrine that children were sinners due to their inheriting original sin from Adam. Therefore, his immediate argument was that the Church was against this novel doctrine of Pelagius and that infants should have always been baptized to cleanse them of their sin. If there was a side that Augustine would have understood as “traditional”, it was that side guarded by the Church that believed the transmission of original sin from Adam needed to be washed away in infants so that they could be clean and free from sin until such a time as they committed their own personal sin.

Part 3 – Some Earlier Comments from Augustine on Original Sin

Augustine spoke about the inherited sin nature by the sin of the first man very early in his Christian life in the year 393. And then in 401 we could see Augustine discussing the need for remission of sins by baptism in infants. The remission of sins was to renovate them from the sins of the old man. Augustine was saying something that the “traditional” advocate would not be able to say while being consistent with their own writings. Could a Provisionist say that “the custom of sinning has been turned into a nature of sinning according to mortal generation, by the sin of Adam”? That’s the language of Augustine before he explicitly wrote lengthy treatises on Original Sin.

Part 4 – Athanasius and Original Sin

Athanasius spoke of an origin of death from Adam, a curse of sin, and death being removed through regeneration from above and a quickening in Christ. At the very least, Athanasius shows that the church before Augustine was talking in ways that sound less “traditional” than the Provisionist would like.

Part 5 – Using Equal Scales in the Discussion

Wilson has also asserted that Biblical calls to repent or wake up must mean that man has that capability within himself to fulfill that call. In this post we see a similar statement by Mani where one is told to awaken. The “traditionalist” would read these statements in Scripture as meaning that man has moral ability to heed the call himself and wake up, but the same person will read some type of determinism into a statement by Mani. I would urge that we try to be consistent with regards to how we interpret passages based off of our presuppositions. I am in no way trying to defend the statement by Mani – he was, as we have seen, not even talking about the Christ of the Bible as the Redeemer but rather was talking about Zoroaster! What I am trying to do is to urge you to consider whether you are using the same criteria when you read traditional libertarian free will into early church fathers but not into what Mani was saying.

[Part 6 –] The Depths of Augustine’s Manichaeism

This foundational part of “faith” (a “Redeemer” known as Zoroaster,who Wilson equated with Christ, commanding one to awake from their slumber and that Redeemer gave the grace for someone to even be able to awaken) that Augustine supposedly snuck into Christianity was approved by Augustine, per Wilson. Yet it does not take into account that Augustine was quite explicit that the “faith” he had as a Manichaean was disapproved of by him. Certainly this “faith” would include such non-catholic beliefs in astrology and the false god along with Zoroaster the Redeemer in Manichaeism.

Part 7 – What If We Rewrite the Stars?

After reading this post, does it sound to you like Augustine was still under the influence of Stoic Providence guided by the stars in 388 and 398 (as well as from 393 and 397 in quotes below) when he explicitly denied the influence of stars over the birth of any man? As Augustine stated in Confessions, he had abandoned any type of atrological determinism by 386 – even before he was converted! When you have direct and explicit denials by Augustine of the assertions that Wilson is making, you have to ask yourself why Dr. Wilson is treating Augustine the way that he is. Augustine, in writings from 388-401 categorically denied any assertion that he continued to worship the heavenly bodies.

Part 8 – Council of Carthage

As this post demonstrates, the statements that Dr. Wilson made regarding the Council of Carthage do not hold water when we look at the actual document. They did believe that the church universal was baptizing infants and that it was to remit the sin that was in them as a result of generation from Adam.

Part 9 – Breaking The Silence of Augustine

Even excluding Ad Simplicianum we can see that Augustine spoke with similar language in the 10 years surrounding that letter. We see that what Dr. Wilson has conceded as non-traditional language in Ad Simplicianum is echoed by further non-traditional language in other works around that time (and the quotes that I have posted above are not exhaustive). If Augustine believed in 396 what he wrote in Ad Simplicianum, then Wilson’s entire thesis is a house of cards. But Dr. Wilson has stacked this house of cards on a single card at the bottom in order to serve as the firm foundation for this flimsy house. That single card is the fact that the word “reatus” is never found to be used prior to 412. This means that nobody believed that there was damnable guilt associated with original sin. But I have clearly just shown that Augustine, at least in 401, did believe in the inherited guilt of original sin such that he would recommend that children must be baptized to cleanse and regenerate them.

Part 10 – On The Magnitude of The Soul

When Augustine’s own words are read he appears to have spoken in a “non-traditional” way. I simply ask, yet again, if the things that Augustine wrote in this work are statements that the provisionists could agree with. Can they say that man cannot even begin or complete the renovation of spirit without God helping him to do that? Can they say that our use of free will “does not disturb any portion of the divine order and law”? These are serious questions that undermine much of Dr. Wilson’s thesis.

Part 11 – On Psalm 51 and Original Sin

After reading through some of Augustine yourself, it should be clear that it is anything but Wilsonian “Traditionalism”. As I have shown, Augustine not only says that children are born guilty (with a lack of innocence) but that they are further born with punishment upon them which makes them need the washing of regeneration in baptism. Guilty persons (infants) in need of regeneration, according to Augustine’s understanding of the catholic faith, would face the punishment of damnation.

Part 12 – On Psalm 51 and Concupiscence

This post is yet another that demonstrates the extreme prejudice employed by Wilson in his reading and assessment of Augustine. As a committed Protestant Baptist in the 21st Century, when I began reading Augustine in 2017 I approached it with no agenda. I knew that there would be many things that Augustine wrote with which I would agree and many with which I would disagree. But I have not approached my reading looking for a way to either assimilate Augustine into my tradition or accuse him of heresy from the start. My reading has been fruitful and a blessing. Dr. Wilson’s approach to Augustine appears to have been started with a bias and an effort to make Augustine someone that he was not.

Stay tuned for further posts…«

McMahon über „Calvinismus“ und „Augustinismus“ (2012)

„Der Inhalt ihrer [Calvin, Augustinus] Gedankensysteme über Rechtfertigung, Sühne, Souveränität, Gnade, Ausharren der Heiligen und dergleichen war derselbe. Sie lehrten dieselben Lehren von der Souveränität Gottes und der freien Gnade, die der „Calvinismus“ seit Hunderten von Jahren, nein, Tausenden von Jahren gelehrt hat. Und warum? Die Begriffe „augustinisch“ oder „calvinistisch“ beziehen sich einfach auf ein Denksystem, in dessen Mittelpunkt die vollständige und uneingeschränkte Souveränität Gottes in der Errettung steht. Das bedeutet, dass die Erlösung monergistisch ist. Sie wird von Gott im Namen des Menschen vollzogen. Wie der Psalmist so wortreich sagt: „Aber unser Gott ist in den Himmeln; alles, was ihm wohlgefällt, tut er“ (Psalm 115,3). Gott ist der Urheber und Vollender des Glaubens für diejenigen, für die Christus gestorben ist und sein Leben als Lösegeld gegeben hat. Gott initiiert das Heil, gibt die Gabe des Heils und bewahrt den Christen in der Erlösung. Er ist das Alles in Allem.

Dies ist kein neues Konzept oder eine neumodische Idee. Es ist die alte Religion des Evangeliums Jesu Christi, die seit dem Garten Eden in Genesis 3,15 gelehrt wird, durch die ganze Geschichte von Gottes auserwähltem Volk, durch das Wirken des menschgewordenen Wortes Jesus Christus, das Wirken der Apostel, das Wirken der frühen Kirchenväter und ja, das Wirken und die umfangreichen Lehren von St. Augustin.

Das augustinische oder calvinistische System bezieht sich nicht nur auf das, was gemeinhin als „Die Lehren der Gnade“ bekannt geworden ist. Diese biblischen Systeme des theologischen Denkens erstrecken sich auf alle Facetten der biblischen und systematischen Theologie. Wer nur an den „Lehren der Gnade“ festhält, kann nicht mit Fug und Recht behaupten, ein „Calvinist“ sein. […]

Die überarbeitete Systematisierung der fünf Punkte des Calvinismus, die als als „Die Lehren der Gnade“ in die moderne Kirche Eingang gefunden haben, wurde ursprünglich nicht von Calvin, sondern von Augustinus systematisiert und ausführlich beschrieben. Aus diesem Grund zitiert Johannes Calvin alle vier Seiten in seiner Institutio Christianae Religionis (deutsch: Unterricht/Unterweisung in der christlichen Religion) Augustinus. Aus diesem Grund würde sich Calvin nicht als Calvinist, sondern als Augustiner bezeichnen. Und sowohl Augustinus als auch Calvin würden sich wirklich als Kinder zu Füßen Jesu Christi und der Lehren der Bibel betrachten, vor allem, wenn sie ihre Lieblingspassagen des Apostels Paulus immer wieder zitieren. Sie sind paulinisch und bibeltreu, zur Ehre Jesu Christi.

C. Matthew McMahon, Augustine’s Calvinism: The Doctrines of Grace in Augustine’s Writings. (Coconut Creek, FL: Puritanischer Publications, 2012), Introduction. (eigene Übersetzung; typograf. Betonungen durch Übersetzer)

Sonnenfinsternis – Wo Phantasie die Wahrheit verdunkelt

Eine Rezension und biblische Kurzbeurteilung von:

Thomas Jettel, Herbert Jantzen
Kann ein Christ zu einem Nichtchristen werden?
CMV – Christlicher Missions-Verlag Bielefeld, 2010. Brosch., 109 Seiten | ISBN 978-3867015028

Der Herausgeber ist ein kleiner Verlag (e. V.), der von Mitgliedern der Mennoniten-Gemeinde Bielefeld ins Leben gerufen wurde (Webseite). Diese christliche Gruppe pflegt traditionell ein arminianisches Verständnis der Heilslehre und geht von der Unsicherheit und Verlierbarkeit des Heils in Christus aus. Das besprochene Werk ist Teil der CMV-Aufklärungsreihe. In dieser Reihe werden aus Sicht der Mennoniten wichtige Themen aufgegriffen, wie Gender, Erwählung, Heilssicherheit oder „das Äußere” (Kleidung).

Die beiden Autoren kommen aus unterschiedlichen Hintergründen, arbeiten jedoch seit einigen Jahrzehnten zusammen. Der Kanadier Herbert Jantzen (1922–2022) studierte am Canadian Mennonite Bible College in Winnipeg Theologie und Erziehungswissenschaften und war 1971–1981 Professor für Dogmatik an der FETA Gießen. 1999 kehrte er nach Kanada zurück. Der Österreicher Thomas Jettel (*1959) studierte an der STH Basel und wurde nach einer vorübergehenden Mitarbeit in Gemeinden im Salzburger Land (A) in den 80er und 90er Jahren und einer Umkehr zu einer anderen Heilslehre freier Prediger, dann Ältester einer Gemeinde in Hohentengen. Er arbeitete seit 1997 mit Herbert Jantzen zusammen.

Zum Inhalt. Die Autoren gehen davon aus, dass jemand, der an Jesus Christus glaubt, das Ewige Leben hat. Soweit biblisch richtig. Dann stellen sie die unbelegte und recht steile These auf, dass ein solcher mit Ewigem Leben beschenkte und „von-oben-geborene” Mensch seinen Glauben wieder restlos aufgeben könne, so dass alle Verheißungen und Folgen der Wiedergeburt von oben wieder genommen würden und so dieser Mensch auf dem Weg ins sichere Verderben der Hölle sei. Die biblische Lehre von der ewigen Heilssicherheit der Glaubenden schließe die Möglichkeit des Abfalls Wiedergeborener nicht aus. Die Heilssicherheit des Gläubigen einerseits, und die Möglichkeit, aufzuhören zu glauben, andererseits, seien biblische Lehren, die nicht im Widerspruch zu einander lägen. Platt gesagt wird hier die Meinung vertreten, dass der Mensch mittels des (eigenständigen) An- und Ausschaltens seines Glaubens sein ewiges Heil (eigenständig) an- bzw. ausschalte, der Heilsprozess mithin voll umkehrbar und voll in exklusiver Verfügung des betreffenden Menschen sei.

Beurteilung. Erstens werden in dieser Sicht der ewige Wille Gottes und seine ewigen und festen Besitzansprüche an die durch das Blut Jesu Erworbenen völlig außer (biblischer) Acht gelassen. Die Heilige Schrift lehrt als Wahrheit vielmehr, dass mit der Verleihung des Ewigen Lebens durch Gott unumkehrbare Dinge bei einem Menschen geschehen, denn Gott verändert ihn und Seine Beziehung zu ihm radikal (bis ins Zentrum des Wesens) und pervasiv (alles umfassend und durchdringend), sowohl initial (Stellung) als auch beständig (Glaubensleben). Die entsprechenden Gnadenhandlungen Gottes (d. h. einseitige Geschenke Gottes, beachte das betonte »ICH werde«) werden z. B. in Hesekiel 36 prophetisch vorausschauend bzgl. Israel und dem Neuen Bund im Alten Testament aufgezählt. Diese Segnungen des Neuen Bundes gehören zum Hintergrund des Gespräches Jesu Christi mit dem jüdischen Obertheologen Nikodemus (Johannes 3) zur Erklärung der Möglichkeit und Weise der geistlichen Neugeburt (Wiedergeburt, Geburt-von-oben-her):

»Und ich werde reines Wasser auf euch sprengen, und ihr werdet rein sein; von allen euren Unreinheiten und von allen euren Götzen werde ich euch reinigen. Und ich werde euch ein neues Herz geben und einen neuen Geist in euer Inneres geben; und ich werde das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben. Und ich werde meinen Geist in euer Inneres geben; und ich werde bewirken, dass ihr in meinen Satzungen wandelt und meine Rechte bewahrt und tut.«

Hesekiel 36,25-27 (ELBCSV)

Beachtenswert ist, dass auch das Bleiben eines Wiedergeborenen in einem Gott wohlgefälligen Leben in praktischer Heiligung zu diesen gnädigen Wirkungen gehört und mithin sicheres und bleibendes Gottesgeschenk und nicht fragwürdige menschlich-volatile Entscheidung ist. Es geht um Segnung und nicht um Verdienst. Dass dies so göttlich-sicher geschieht und bleibt, ist verbunden mit dem bleibend hochgelobten Namen und der Ehre Gottes (Hesekiel 36,32; vgl. Römer 3,21–28; Epheser 2,4–10).

Zweitens stellen die Autoren mit ihrer Lehre den Dienst Jesu Christi als Hoherpriester als fehlbar hin. Dieser ist jedoch vollkommen und wirksam: »Ich habe gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre« sagt Jesus zu Petrus nach dessen größter Sünde in dreimal wiederholter Leugnung Jesu (Lukas 22,31f). Jesu Blick (Lukas 22, 61–62) und seine Wiederherstellung und Indienststellung des Petrus (Johannes 21,15–19) reden, vor allem im Vergleich zum lange vorher in der Schrift angekündigten Verräter Judas Iskariot, Bände. Petrus gehörte zu denen, die durch Jesu Wort rein waren (Johannes 15,3), Judas hingegen war nie etwas anderes als ein Verräter und Teufel (vgl. Johannes 6,70; 13,2): »Als ich bei ihnen war, bewahrte ich sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast; und ich habe sie behütet, und keiner von ihnen ist verloren gegangen – als nur der Sohn des Verderbens, damit die Schrift erfüllt würde.« (Johannes 17,12).

Drittens wird der Dienst Jesu als Großer Hirte Seiner Schafe als unvollkommen verleumdet. Johannes 10 und 17 (u. a.) machen sehr klar, dass Jesus keinen der „Seinen” verliert, die Ihm der Vater anvertraut hat, sondern allen ewiges Leben gibt: »Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen ewiges Leben, und sie gehen nicht verloren in Ewigkeit, und niemand wird sie aus meiner Hand rauben.« (Johannes 10,27-28). Wer wie die Autoren das Gegenteil einräumt, verleumdet Jesu Hirtentreue und Seine Macht als Gott, der Sohn.

Viertens: Bei der Rettung bekommt der Glaubende unwiderrufliche Rechtstitel zuerkannt. Dazu gehören: das Recht, Kind Gottes zu heißen; die Adoptionsurkunde als „an Sohnes statt Angenommener”; die Rechtfertigungsurkunde des Obersten Weltenrichters, ohne Revisionsmöglichkeit; den Erbschein als Miterbe Christi, (usw.). Dies ist alles im NT klar bezeugt. Keiner dieser Titel wird als „Leihtitel” oder „Bewährungstitel” ausgeteilt, sondern als göttlich feste Zusage im Indikativ des unwiderruflich Faktischen.

Der Beweis, dass kein Mensch sich durch Treue, Werke, Entschiedenheit (o. ä.) den Weg in den Himmel selbstständig bahnen oder erhalten kann, ist längst erbracht. Daher baut Gott Sein Heil auch nicht auf den Willen und die Tat eines sündigen oder „bekehrten” Menschen, sondern auf den Willen, die Tat und das Sterben und Auferstehen Jesu Christi, Seines Sohnes, auf: »Aus ihm aber seid ihr in Christus Jesus, der uns geworden ist Weisheit von Gott und Gerechtigkeit und Heiligkeit und Erlösung; damit, wie geschrieben steht: „Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn.”« (1. Korinther 1,30-31).

Fünftens: Es wäre ein Anfängerfehler, davon auszugehen, dass jede Art des Glaubens (als Tugend verstanden) rettend sei, dass es keine kategorisch unterschiedlichen Glaubensarten gäbe. Auch Dämonen glauben (Jakobus 2,19) –und zwar beständig–, aber sie waren und sind nie gerettet. Menschen glauben, solange sie spektakuläre Wunder sehen, die ihnen nützen (Brotglaube, Zeichenglaube). Weiterhin ist biblisch belegt, vorausgesagt und evident, dass Menschen biblische Glaubensinhalte mit falschen Inhalten und Lehren vertauschen (z. B. dem religiösen Asketismus, 1. Timotheus 4,1–3). Der rettende Glaube hingegen (manchmal als echter oder lebendiger Glauben bezeichnet) rettet, und zwar 100 Prozent sicher. Der Apostel Johannes lehrt unmissverständlich: Wer „den Glauben aufgibt” und die Gemeinde dauerhaft verlässt, fällt nicht vom sicheren Heil ab, verliert nicht das ewige Leben (usw.), sondern war nie gerettet, war nie „von uns” (1. Johannes 2,19).

Die Autoren gehen von einem in der Schrift nie vorkommenden, konstruierten Fall aus und bauen davon ausgehend Schlussfolgerungen auf. Wenn aber Prämissen falsch sind, werden die Schlussfolgerungen notwendigerweise auch falsch. Die Autoren verletzen das Auslegungsprinzip, dass sog. „schwierige Stellen” stets anhand klarer Stellen (s. z. T. o.) zu beleuchten sind. Durch Missverständnisse über die Treue und Macht Gottes und dem Werk Jesu besteht die Gefahr, dass sie Gott klein machen und zu einem ohnmächtig vor dem autonomen Menschen stehenden Retter degradieren. Die Ermahnungen und Drohungen Gottes sind trotzdem ernst zu nehmen, da die Heiligung das Mitwirken des Glaubenden einbezieht (Philipper 2,12–13). Für die Schar der nichtglaubenden Bekenner und der Mitläufer (vgl. Hebräer 6: »diejenigen« versus »euch, Geliebte«) haben alle mahnenden Stellen eine unsagbar wichtige Funktion: aufzurütteln, zu prüfen, ob man wirklich im Glauben steht (wie Paulus den Korinthern schreibt; 2. Korinther 13,5).

Fazit: Wer durch die Brille des Jettel-Jantzenschen Buches und damit durch die Brille der mennonitischen Sonderlehren auf die Lehre des Wortes Gottes über das Heil Gottes schaut, bekommt leider eine verzerrte und verfinsterte Sicht auf Gottes strahlende Größe und Herrlichkeit im Rettungswerk. Hier offenbart sich letztlich das Unheil schräger Theologie und „heiliger Lehrtraditionen”. Eine angemessene biblische Widerlegung der falschen und der lückenhaft einseitigen Aussagen der Autoren würde wieder ein Buch noch größeren Umfangs fordern. Dann lese man besser gleich ein gutes, biblisch richtiges Werk über die Heilslehre der Schrift und lasse die Sonne und das Licht der Wahrheit in die Seele und den Verstand leuchten. Denn diesseits der Ewigkeit sind wir alle noch Unvollkommene und Lernende und Erkennende. Das Sonnenlicht des Wortes der Wahrheit ist in diesem Wachstumsprozess hilfreicher als die Dunkelheit menschlicher Sonderlehren.

»Die Vorschriften des HERRN sind richtig und erfreuen das Herz; das Gebot des HERRN ist lauter und erleuchtet die Augen.« (Psalm 19,9)

Dünnes Brett: Streitenberger gegen Strohmänner (Rezension)

Peter Streitenberger
Die fünf Punkte des Calvinismus aus biblischer Perspektive
VTR, 2012, Pb., 67 Seiten | ISBN: 978-3941750425

Der Herausgeber, der Nürnberger Verlag für Theologie und Religionswissenschaft (VTR) veröffentlichte 2012 dieses 67-seitige Büchlein Streitenbergers in der Reihe „Zur Diskussion gestellt”. Beworben wird es hingegen nicht als Diskussionsbeitrag, sondern als Buch, das den Leser von der Bibel her überzeugen will: »Die vorliegende Abhandlung befasst sich mit dem unter Christen durchaus umstrittenen Thema der Erwählungslehre, insbesondere mit den so genannten fünf Punkten des Calvinismus und versucht, den interessierten Leser zu einer eigenen, von der Bibel her begründeten Überzeugung zu verhelfen.« (Buchrückseite).

Das Vorwort wurde von Franz Graf-Stuhlhofer, einem Historiker aus Wien, verfasst. Stuhlhofer studierte in Wien Geschichte und Naturwissenschaften und promovierte 1980 dort zum Dr. phil. mit einer Untersuchung zu Astronomie und Humanismus nach 1500. Er versucht in seinem über 6-seitigen Vorwort Gründe zu finden, warum Christen in manchen Fragen des Heils unterschiedliche Antworten vertreten. Überdies deutet er auch eigene Positionen an, die meist dem arminianischen Theologiesystem entsprechen (z. B. anonym-kollektive Erwählung) und daher gut zu der Position des Autors passen. Stuhlhofer karikiert abschließend in herabwürdigender Weise Gottes Heilswirken zusammenfassend so: »Alle jene Menschen, die sich von Gott ein JA abringen lassen, gehören zu diesem Überrest – damals wie heute.« (S. 11).

Der Autor, Peter Streitenberger (*1979), ist Diplom-Sozialpädagoge (FH). Er hat im Zweitstudium Germanistik und Philosophie studiert. Dieses kleine Buch gründet sich auf die Magisterarbeit des Verfassers, die 2010 von der Universität Eichstätt-Ingolstadt angenommen wurde. Er „recycelte” und verkürzte dabei eine längere Ausarbeitung, die schon etliche Jahre vorher in PDF-Form oder als E-Book im Internet herumgeisterte und 2007 im Christlichen Mediendienst Hünfeld (CMD) von Wilfried Plock unter dem Titel Die Fünf [sic!] Punkte des Calvinismus – Eine Antwort– 2007 herausgebracht wurde (159 Seiten, ISBN 978-3-939833-08-6; Rezension hier). Ein dort ca. 60-seitiger bibelorientierter Abschnitt zu „Umkämpfte Schriftstellen“ fehlt indessen in dem hier besprochenen, wesentlich kürzeren Werk; umso mehr befremdet der Titel dieser Magisterarbeit. Streitenberger ist auch wegen seiner anti-calvinistischen Beiträge (und deren Stil) auf der Webseite bibelkreis.ch bekannt geworden.

Zum Inhalt: Die Heilige Schrift stellt das Heilsangebot Gottes an uns Menschen in Jesus Christus überzeugend, klar und einladend vor. Streitenberger bezieht in dem Spannungsfeld zwischen der Souveränität Gottes und der Verantwortung des Menschen in der Frage der Heilsaneignung Stellung. Er geht dieser Frage indes nicht „evangelikal” nur aufgrund der Offenbarung Gottes –der Heiligen Schrift– nach (wie es der Titel vermuten lässt), sondern liefert seine persönliche Meinung, gezielt auf einen einige Jahrhunderte alten Lehrstreit zwischen sog. „Calvinisten” und „Arminianern”. Er nimmt dabei im Wesentlichen gegen die calvinistische (und hyper-calvinistische) Sicht Partei und greift „Die Fünf Punkte” eines größeren Kirchenkonzils gegen einige Protestler („Remonstranten”) in den Niederlanden an. Das ist an und für sich schon nicht sehr originell; viele haben dazu Lesbareres, Systematischeres, Biblischeres und Überzeugenderes geschrieben. Zudem besteht „der Calvinismus” nicht und bestand niemals aus nur und genau diesen fünf Punkten. Diesen historischen und dogmengeschichtlichen Irrtum sollten Vorwortschreiber und Herausgeber VTR eigentlich erkannt haben. Dem Versprechen im Titel „aus biblischer Perspektive” wird der Autor mangels sorgfältiger exegetischer Arbeit am Text der Heiligen Schrift leider nicht gerecht. Warum solches „Noch-einmal-bekannte-Argumente-aufzählen”, verkürzt entnommen aus schon längst Veröffentlichtem, die Anerkennung einer Magisterarbeit bekommen konnte, entzieht sich meiner Kenntnis.

Zum Stil: Eine Magisterarbeit muss auch in einem (zugegeben) kontroversen Thema beide Seiten sachlich richtig zitieren und ausgewogen darstellen. Sie entspricht heute einer Master-Arbeit, soll also gehobenen Ansprüchen an Form und Inhalt genügen. Wissenschaftliche Sachlichkeit und Korrektheit ist akademisches Muss. Wohltuend ist, dass Streitenberger seine öffentlichen Formulierungen, wie »das calvinistische Übergehungs- und Vergewaltigungsevangelium«, »die Sekte der Calvinisten« u. ä., in diesem Büchlein nicht wiederholt. Einige Rezensenten haben öffentlich kritisch angemerkt, dass Streitenberger unversöhnlich, reißerisch und unsachlich gegen Calvin und die reformatorische Heilslehre schreibt. Der Stil der Jesuiten der Gegenreformation findet heute wieder ein Echo in den Romanisierungsbestrebungen innerhalb des (ehemaligen ) Protestantismus. Das Werk des Autors Streitenberger hätte mit Wahl eines sachlicheren Stils und gründlicherer Erarbeitung sicher leicht Respekt gewinnen können.

Calvinismus”: Damit wird dehnbar alles das bezeichnet, was nicht in das Theologiesystem des „Arminianismus” passt und/oder in dieser Theologie verachtet wird. Leider liefert die Lektüre des Büchleins von Streitenberger keine Klärungen, die für die Diskussion fruchtbar oder für die Interessierten und die Gemeinde Gottes sachlich oder geistlich hilfreich wären. Die Bibel hat offenbar für uns auch einige unbequeme Aussagen, „links” wie „rechts”. Sie klärt auch nicht alle Spannungen, die sich dem menschlichen Intellekt und der menschlichen Erwartungshaltung angesichts des göttlichen Wesens, Entscheidens und Handelns stellen. Erschreckend ist der Mangel, Gott Gott sein zu lassen, IHN anstelle dessen lieber in die Schublade (Super-) Mensch eigener Vorstellungen zu pressen: „er” muss so klein sein, dass er in unsere Vorstellungen vom lieben Gott passt und so uns gefällt. Psalm 135,6 sagt: »Alles, was dem HERRN gefällt, tut er in den Himmeln und auf der Erde…« (ELBCSV). Ergo: Sein Wille und Sein Wohlgefallen (inkl. Vorsehung) sind der Urgrund alles Seienden und Geschehenden.

FAZIT: Ein Sozialpädagoge wünscht sich vielleicht lieber einen „menschlicheren” Gott, einen Partner auf Augenhöhe, oder –wie Stuhlhofer– einen Sanitäter, der fast verzweifelt um die Aufmerksamkeit und das zustimmende Kopfnicken des Sünders ringt, weil Ihm sonst etwas fehle. Aber Gott ist schon so, wie ER ist, absolut perfekt. Schon immer. Auch für Sein im Wort und in Christus geoffenbartes Heilshandeln gilt unumschränkt: »Denn von ihm und durch ihn und für ihn sind alle Dinge; ihm sei die Herrlichkeit in Ewigkeit! Amen.« (Römer 11,36 ELBCSV). Wer das verstanden hat, hat angefangen zu verstehen, was es bedeutet, „durch die Gnade”, also als reine Gottesgabe, errettet zu sein (vgl. Epheser 2,8–9). Gott ist –nach der Heiligen Schrift– dann Gott und nicht Ab-Gott, wenn gilt: Soli Deo Gloria.

Es gibt schon lange viel Besseres, und –leider– auch noch viel Schlechteres, als diese Magisterarbeit von Streitenberger. Das Büchlein ist die Mühe des Lesens nicht wert.

Enthält die Heilige Schrift „Paradoxa“? Was meinen wir damit?

Viele gebrauchen die Wörter „Paradoxon“ oder „paradox“, um Widersprüchliches zu bezeichnen. Das kann gefährlich werden, wenn man nicht angibt, was man mit diesem Wort meint. Für den einen bedeutet es Unsinn, für den anderen (logisch) Widersprüchliches. Entweder, weil es (beweisbar) so ist, oder aber, weil es dem Redenden so scheint. Letzteres ist ein großer Unterschied, der vor allem dann, wenn wir über die Heilige Schrift und die Lehre des Wortes Gottes reden, bedeutsam ist.

Was ist ein Paradoxon?

Der Duden liefert folgende Kurzdefinition:

»scheinbar unsinnige, falsche Behauptung, Aussage, die aber bei genauerer Analyse auf eine höhere Wahrheit hinweist«

https://www.duden.de/rechtschreibung/Paradoxon [08.08.2020] Fettdruck hinzugefügt

Wikipedia bietet eine etwas ausführlichere Worterklärung:

»Ein Paradoxon (sächlich; Plural Paradoxa; auch das Paradox oder die Paradoxie, Plural Paradoxe bzw. Paradoxien; vom altgriechischen Adjektiv παράδοξος parádoxos „wider Erwarten, wider die gewöhnliche Meinung, unerwartet, unglaublich“) ist ein Befund, eine Aussage oder Erscheinung, die dem allgemein Erwarteten, der herrschenden Meinung oder Ähnlichem auf unerwartete Weise zuwiderläuft oder beim üblichen Verständnis der betroffenen Gegenstände bzw. Begriffe zu einem Widerspruch führt. Die Analyse von Paradoxien kann zu einem tieferen Verständnis der betreffenden Gegenstände bzw. Begriffe oder Situationen führen, was den Widerspruch im besten Fall auflöst.«

https://de.wikipedia.org/wiki/Paradoxon [08.08.2020] Fettschrift im letzten Satz hinzugefügt.

James Anderson widmet sich in einem über 300-seitigen Buch dem Thema der Paradoxa in der christlichen Theologie. Er schreibt einleitend zum Begriff:

… es ist gleichbedeutend mit einem scheinbaren Widerspruch. Ein „Paradoxon“ ist also eine Reihe von Behauptungen, die zusammengenommen logisch widersprüchlich zu sein scheinen. Man beachte, dass nach dieser Definition Paradoxie nicht logische Inkonsistenz an sich bedeutet, sondern lediglich den Anschein von logischer Inkonsistenz.

James Anderson, Paradox in Christian Theology: An Analysis of Its Presence, Character, and Epistemic Status, Reihe: Paternoster Theological Monographs (Paternoster, 2007), S. 5–6. Übersetzt von Grace@logikos.club.

Phil Johnson, Bibellehrer und Pastor an der Grace Community Church in Sun Valley, CA, erklärt Vorkommnisse oxymoroner Sprache (die auf Paradoxa hinweist) im Predigttext von Galater 2,20 wie folgt:

»Unsere Sprache ist voller Oxymora. Wir lieben die Gegenüberstellung von Wörtern und Ideen, die normalerweise nicht zusammenpassen, weil sie die eigentliche Pointe vielleicht noch deutlicher hervortreten lassen, und das ist es, was Paulus hier tut. Er spielt mit Ideen, nicht nur mit Worten, sondern mit Ideen, und tatsächlich lassen sich viele Wahrheiten im christlichen Leben am besten in Oxymora, in paradoxer Sprache, ausdrücken, und in unserem Text verwendet Paulus ein Trio von Paradoxen, um die Realität und die Fülle unserer Erlösung in Christus zusammenzufassen. Schaut sie euch an. Er sagt: „Ich bin gekreuzigt und lebe doch. Doch nicht ich, sondern Christus. Und das Leben, das ich im Fleisch lebe, ist geistlich und wird durch den Glauben angetrieben.“ Ich möchte diese drei Paradoxa einzeln betrachten und versuchen, einige der Wahrheiten über unsere Erlösung auszupacken, die Paulus in dieser unglaublich reichen Aussage zusammengefasst hat.«

Phil Johnson, A Trio of Paradoxes (www.sermonaudio.com/sermon/49172032184), Mitschrift einer Predigt über Galater 2,20. Fettdruck hinzugefügt. Übersetzt von Grace@logikos.club.

Der oben schon zitierte James Anderson weiter:

»Indem ich für das Paradoxe plädiere, möchte ich nicht den Eindruck erwecken, dass ich einen Freibrief dafür gebe, nicht philosophisch zu denken, nicht tiefgründig über diese Lehren nachzudenken. Ganz im Gegenteil. … Ich vertrete den Standpunkt, dass wir über jede dieser Lehren so intensiv wie möglich nachdenken, sie so gut wie möglich auf der Grundlage der uns zur Verfügung stehenden biblischen Daten durchdringen, aber wir erkennen auch an, dass es Grenzen geben wird, und dass diese Grenzen eigentlich etwas Positives sind und nicht ein Ausdruck eines inhärenten Problems in den Lehren oder im Prozess der theologischen Reflexion. … Ich denke, wir können Fortschritte machen, beträchtliche Fortschritte, um diese Lehren zu verstehen und einige der … anfänglichen Schwierigkeiten, die wir mit ihnen haben, zu lösen, aber gleichzeitig erkennen wir, dass wir immer nur begrenzt weit kommen werden, und wenn wir an die Grenzen unserer Fähigkeit stoßen, sie auf bestimmte Weise zu formulieren oder bestimmte Schwierigkeiten in ihnen zu lösen, sollten wir uns darüber nicht zu sehr Sorgen machen. Wir sollten sicher nicht sagen: „Okay, wir müssen zugeben, dass Christen letztlich Irrationalisten sind.“ Nein. Das brauchen wir überhaupt nicht zu sagen. … Es ist eine biblisch eingeschränkte Rationalität. Es ist ein Mittelweg zwischen dem Rationalismus, für den ich denke, dass [Gordon H.] Clark ein Vertreter war, und dem Irrationalismus, für den, um ein Beispiel zu nehmen, ich denke, der neo-orthodoxe Karl Barth ein Beispiel wäre, wo man sagt, dass es tatsächlich Widersprüche gibt. Ich denke also, es geht darum, einen biblischen Mittelweg zwischen diesen beiden Extremen zu finden: einer Überbewertung des menschlichen Intellekts und vielleicht einer Unterbewertung des Intellekts, unserer Fähigkeit, die Dinge Gottes zu erkennen

Dr. James Anderson (extracted from James Anderson’s interview on the Reformed Forum radio program in 2010). Quelle: http://theoparadox.blogspot.com Fettdruck hinzugefügt. Übersetzt von Grace@logikos.club.

In seinem o. g. Buch widmet sich Anderson den beiden Fragen:

  • (1) Sind irgendwelche zentralen christlichen Lehren grundlegend paradoxal?
  • (2) Kann man vernünftiger Weise eine paradoxe Lehre glauben?

Er beantwortet im ersten Teil seines Buches (a. a. O.) die erste Frage bejahend mit Untersuchungen der Lehre von der Trinität und der Inkarnation. Im zweiten Teil des Buches beschäftigt er sich mit der zweiten Frage und stellt fest, dass ein Christ, der solche Lehren glaubt und bekennt, deswegen nicht irrational ist. Häufig handelt sich um scheinbare Widersprüche, die durch nicht-offenbare Äquivokation entstehen oder ihre Ursache in unserer menschlich begrenzten Fähigkeit des Wissens, Begreifens, Erlebens und Formulierens haben. Ein Konflikt unserer Glaubensinhalte mit der üblichen (menschlichen) Logik ist nicht notwendigerweise ein Kennzeichen von Falschheit oder Irrationalismus. Wir können weiterhin auch über paradoxale Glaubensinhalte vernünftig reden und diese als Wahrheit bekennen. Vernunft und Rationalismus sind nicht dasselbe. Göttliche Offenbarung und gelehrte Schlussfolgerungen ebensowenig.

John Caldwell über das »Auf dass jeder…« (Joh 3,16)

Ein Leser der Zeitschrift The Witness stellte dem Herausgeber John Caldwell (1839–1917) folgende Frage:

»Hat Gott verordnet, dass einige gerettet werden und andere verloren gehen, wenn Er doch in Seinem Wort so klar gesagt hat: Wer auch immer an mich glaubt, hat ewiges Leben“?« (»Has God ordained some to be saved and some to be lost, when He has so clearly said in His Word [Joh 3:16], whosoever believeth in Me hath everlasting life”? «)

Caldwell veröffentlichte einige auf diese Frage eingesandte Antworten und fügte dann in Übereinstimmung mit diesen selbst hinzu:

»Scripture [demonstrates] that God has ordained some to eternal life. Their names have been in the book of life “from the foundation of the world” (Rev 17:8, 13:8). They are chosen in Christ “before the foundation of the world” (Eph 1:4).
But we fail to find any such predestination of individuals to destruction. Certain scriptures may be adduced as apparently giving countenance to such a doctrine, but rightly understood they teach nothing of the kind.
It is evident that not only are all men lost, dead in sins by nature, but also that every man’s “free will” would decide for sin and against God. “The carnal mind is enmity against God.” The “free will” that is directed by such a mind and motive must be directed against God, against Christ, against the truth, against even the Gospel, seeing the Gospel reveals the righteousness of God as well as the grace of God, and can only be received by such as become subject to that righteousness (Rom 10:3) and confess themselves guilty before God (Rom 3:19).
In such a scene, where there is “none that understandeth”, “none that seeketh after God”, what does God do? He retires into His own sovereignty, and looking from that infinite majesty upon a world in which all were guilty, lost sinners, He says in His heart, “I will have mercy upon whom I will have mercy; and I will have compassion on whom I will have compassion” (Rom 9:15).
What about the rest? They are “endured with much long-suffering” (Rom 9:22). They are invited (Lk 14:17), they are besought (2Cor 5:20), they are commanded (Rom 16:26) to believe the Gospel, to accept salvation, to receive Christ, and in Him pardon and life. If, after all, they reject the gift of love, the responsibility is with them. God has abundantly proved that the obstacle lies not with Him, or in any doctrine of reprobation, but in the rebel will of man.
But … we must ever bear in mind that the Christian’s true place is that of the “little child”. Many problems there are that we are not, in our present infant state, capable of comprehending. It is ours to believe what God has said, whether we can reconcile the apparent discrepancies or not. Faith can rest in the assurance that God can and will cause to harmonize all apparent discrepancies and paradoxes in His own time. Many things that we know not, and cannot know now, we shall know hereafter.«

John R. Caldwell, The Witness, Oktober 1888, S. 159–160. Fettdruck hinzugefügt. Anmerkung: Mit equal ultimacy“ wird das präziser beschrieben, was viele missverständlich (und oft missverstanden!) mit Doppelte Prädestination“ bezeichnen.

Theologische Einordnung

Caldwell vertrat eine gemäßigte calvinistische“ Sicht (moderated Calvinistic view) auf die Reichweite des Werkes Christi, wie wir sie auch bei den führenden Theologen der frühen Plymouth Brethren (englische Brüderbewegung“), wie John N. Darby (1800–1882) und William Kelly (1882–1906), finden: universelle Sühnung und persönliche Stellvertretung (universal propitiation und particular substitution). Diese Sicht lässt sich nicht in die weitverbreitet vorherrschende Dichotomie von unlimited vs. limited atonement pressen. (Literatur: Mark R. Stevenson, Die Brüder und die Lehren der Gnade. Wie stand die Brüderbewegung des 19. Jahrhunderts zur calvinistischen Heilslehre? Bielefeld: CLV, 2019.)

Diese Sicht der frühen Brüderbewegung“ auf das Erlösungs- und Sühnungswerk Christi liegt zwischen der Ansicht des Moses Amyraut (1596–1664), die analytisch (amyrautscher) hypothetischer Universalismus“, nach dem Erfinder Amyraultismus“ (meist nur engl. Amyraldism) oder einfach vulgo 4-Punkt-Calvinismus“ genannt wird, und der Sicht des strikten Partikularismus“ oder vulgo 5-Punkt-Calvinismus“, bei der nicht nur die Wirksamkeit, sondern auch die Intention des Erlösung-/Sühnungswerkes Christi als strikt auf die Erwählten begrenzt gesehen wird, also auf jene, die ihm der Vater gegeben hat“ (vgl. Joh 6 und 17).

Manche bezeichnen diese Zwischenposition, die neben J. N. Darby und Wm. Kelly auch Caldwell einnahm, zur Unterscheidung als calvinistischer Universalismus“. Es ist der Glaube, dass Christus in einem gewissen Sinn für alle Personen ohne Ausnahme gestorben sei (meist im Aspekt der gottgewandten Sühnung), dass sein Tod jedoch nur für jene und alle jene rettend wirksam sei, welche von Gott zur Rettung zuvorbestimmt (prädestiniert) wurden (rechtlich möglich aufgrund der persönlichen Stellvertretung, wirksam durch den Ruf und die Wiedergeburt durch den Heiligen Geist) und daher alles Heilsnotwendige (aus Gnade) frei geschenkt bekommen, inklusive Buße, Glauben und Neues Leben. Das Opfergeschehen am Großen Sühnungstag“ (Yom Hakippurim; Leviticus 16) dient hier mit seinen beiden Ziegenböcken als Typus –und insofern als Erklärung– dieser beiden Aspekte des Opfers Jesu am Kreuz. (Literatur: http://plymouthbrethren.org/series/6172)

Der sog. englische hypothetische Universalismus“, für den John Preston, John Davenant und James Ussher stehen, lehrt, dass Gott ineffektiv (nicht zwingend wirksam) verordnet, dass alle Menschen gerettet werden. Weil Gott aber wusste, dass nicht alle Menschen glauben werden, verordnet er in einem zweiten Beschluss, alle jene effektiv (voll wirksam) zu retten, die er zur Rettung zuvorbestimmt (prädestiniert) hat. [http://calvinandcalvinism.com/?p=284]

Der sog. amyrautsche hypothetische Universalismus“, für den John Cameron und Moses Amyraut stehen, lehrt, dass Gott zuerst beschlossen habe, allgemein Errettung durch Christus zu ermöglichen (bereitzustellen), und dann diesem Beschluss folgend weiter beschlossen habe, einige zum Heil zu erwählen. Dies war eine Umkehrung der infralapsarischen Ordnung der Beschlüsse Gottes vor aller Zeit, wie sie von vielen als biblisch geglaubt wurde: dass Gott zuerst beschlossen habe, einige zu retten und darauf (logisch) folgend dann die Rettung beschloss. Spannend war diese Umkehr im amyrautschen Verständnis, weil sie oberflächlich gesehen jener Ordnung entsprach, die Jakob Arminius und seine Nachfolger (Arminianer“) vertraten. Bei Amyraut war das Verständnis aber so, dass der Beschluss Gottes in zwei Phasen unterteilt war (s. o.) und beide sich auf die Errettung einiger bezogen.

Über den Autor

John R. Caldwell (1839–1917) stammt aus Dublin. Er war erfolgreicher Unternehmer (Caldwell, Young and Co., Silk Manufacturers) und fleißiger Verkündiger der biblischen Botschaft. Kirchlich lebte er in stürmischen Zeiten, in der die liberale Theologie Eingang fand in ehemals biblisch gegründete Gemeinden. Dies zwang ihn zu manchem Protest und Wechsel (u. a. Independent Church, Scottish Baptists, Brüderbewegung“). Er war von 1876 bis 1914 Editor der Zeitschrift The Witness, die vor allem in der sog. Brüderbewegung“ gelesen wurde. Er verwendete diese Zeitschrift zur Verkündigung der Grundlagen des biblischen christlichen Glaubens.

Gott liebt alle Menschen gleich – Wirklich?

Verwirrung über die Art und den Wirkungskreis der Liebe Gottes

Ein Prediger malte seiner Gemeinde vor Augen, welche besondere Liebe ihr himmlischer Vater gegenüber seinen Kindern hat. Der Predigttext war 1. Johannes 3,1:

Seht, welch eine Liebe uns der Vater gegeben hat, dass wir Kinder Gottes heißen sollen! Und wir sind es. Deswegen erkennt uns die Welt nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat.

1. Johannes 3,1 (ELBCSV) Fettdruck hinzugefügt.

Es ging also nicht um die allgemeine Liebe Gottes zu allen seinen Geschöpfen und auch nicht um die Unparteilichkeit Gottes im Gericht, sondern um die besondere Liebe des Vaters, die Er zu seinen eigenen Kindern, den „Kindern Gottes“ hat. 

Das ist unschwer zu erkennen. Im ersten Satz in Vers 1 lenkt der „Apostel der Liebe“, Johannes, die Aufmerksamkeit seiner Leser auf jene besondere Liebe des Vaters, die Gott der Vater nur „uns“, also seinen Kindern, gegeben hat. Sie wird insbesondere darin deutlich, dass „wir“ „Kinder Gottes heißen sollen“. „Kind Gottes heißen zu sollen“ ist aber nach der Belehrung des Apostels Johannes und dem Gesamtzeugnis der Schrift weder Vorrecht noch Tatsache aller Menschen. Mithin ist hier die Rede von einer besonderen Liebe, die auf eine spezifizierte Teilmenge der Menschen exklusiv gerichtet ist. Gott liebt nach dieser Stelle mit einer besonderen Liebe, die nur seinen Kindern gilt. Das ist kein fremder Gedanke. Dass es eine spezielle Liebe auch zwischen den Gliedern einer irdischen Familie gibt, sollten Väter, Mütter und Kinder aus eigener Erfahrung kennen.

Nach der Predigt steht der Gemeindeleiter auf und sagt der Gemeinde, dass dies nicht stimmen würde. Eine Begründung wurde nicht gegeben, später aber wurde konkretisiert, dass es falsch sei, etwas zu sagen, das im Widerspruch zur Aussage „Gott liebt alle Menschen gleich.“ stehe. Hier ist also das Problem. Es dürfte eigentlich nicht bestehen, wenn man Gottes Wort kennt und insbesondere den Bibeltext der Predigt aufmerksam studiert. Beides wollen wir hier ansatzweise tun.

Ein kurzer Streifzug durch die Bibel

Fragen wir uns mit der offenen Bibel: Liebt Gott alle Menschen gleich? Ist dies eine biblisch richtige Behauptung? Schauen wir uns eine Reihe von Stellen quer durch die Bibel an, die von der Liebe Gottes, oder vom Gegenteil, dem Hass Gottes, reden:

  1. »Nicht werden die Toren bestehen vor deinen Augen; du hasst alle, die Frevel tun. Du wirst die Lügenredner vertilgen; den Mann des Blutes und des Truges verabscheut der Herr.« (Psalm 5,6-7; vgl. Psalm 11,5 u.a.)
    Gott hasst alle Menschen, die Frevel tun. Aber man behauptet: „Gott liebt alle Menschen gleich!“. (Die Stellen vom Hass und Zorn Gottes zeigen auch auf, dass der Slogan: „Gott hasst die Sünde, aber Er liebt den Sünder“ wesentliche Aussagen der Schrift unterdrückt und daher falsch ist.)
  2. »Der Herr liebt die Tore Zions mehr als alle Wohnungen Jakobs.« (Psalmen 87,2)
    Gott liebt die Tore Zions (Jerusalems) mehr, als alle Wohnungen Jakobs (in ganz Israel). Aber man behauptet: „Gott liebt alle Menschen gleich!“
  3. »Nicht weil ihr mehr wäret als alle Völker, hat der Herr sich euch zugeneigt und euch erwählt; denn ihr seid das geringste unter allen Völkern; sondern wegen der Liebe des Herrn zu euch und weil er den Eid hielt, den er euren Vätern geschworen hat, hat der Herr euch mit starker Hand herausgeführt und dich erlöst aus dem Haus der Knechtschaft, aus der Hand des Pharaos, des Königs von Ägypten.« (5. Mose 7,7-8)
    Gott liebt das Volk Israel mehr, als alle anderen Völker. Aber man behauptet: „Gott liebt alle Menschen gleich!“
  4. »So spricht der Herr: Das Volk der dem Schwert Entronnenen hat Gnade gefunden in der Wüste. Ich will gehen, um Israel zur Ruhe zu bringen. Der Herr ist mir von fern erschienen: Ja, mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt; darum habe ich dir fortdauern lassen [meine] Güte.« (Jeremia 31,2-3)
    Gott liebt Israel mit ewiger Liebe, was von den anderen Völkern nicht gesagt wird. Aber man behauptet: „Gott liebt alle Menschen gleich!“
  5. »Sechs sind es, die der Herr hasst, und sieben sind seiner Seele ein Gräuel, hohe Augen, eine Lügenzunge, und Hände, die unschuldiges Blut vergießen; ein Herz, das böse Pläne schmiedet, Füße, die schnell zum Bösen hinlaufen; wer Lügen ausspricht als falscher Zeuge, und wer Zwietracht ausstreut zwischen Brüdern.« (Sprichwörter 6,16-19)
    Gott hasst Menschen, die bestimmte Gräuelsünden tun. Aber man behauptet, „Gott liebt alle Menschen gleich!“
  6. »Ich habe euch geliebt, spricht der Herr; … Und ich habe Jakob geliebt, Esau aber habe ich gehasst…« (Maleachi 1,2-3; vgl. Römer 9,13)
    Gott liebt Jakob, aber Er hasst Esau. Egal, ob man in der Auslegung hier Individualpersonen und/oder die daraus entstandenen Völker sehen will, egal, ob man das als Hebraismus sehen will, der in „hassen“ nur eine Liebe geringerer Klasse sehen will, jedenfalls wird hier ein deutlicher Unterschied in der Liebe Gottes markiert. Aber man behauptet: „Gott liebt alle Menschen gleich!“
  7. »An jenem Tag wird zu Jerusalem gesagt werden: Fürchte dich nicht! Zion, lass deine Hände nicht erschlaffen! Der Herr, dein Gott, ist in deiner Mitte, ein rettender Held. Er freut sich über dich mit Wonne, er schweigt in seiner Liebe, frohlockt über dich mit Jubel.« (Zefanja 3,16-17)
    Gott liebt Jerusalem/Zion, also sein Volk Israel. Er ist in ihrer Mitte. Für sie ist Er Retter. Sie liebt er. Über sie frohlockt Er. Aber man behauptet: „Gott liebt alle Menschen gleich!“
  8. [Jesus Christus spricht:] »Wie der Vater mich geliebt hat, habe auch ich euch geliebt; bleibt in meiner Liebe.« (Johannes 15,9)
    Der Sohn Gottes sagt, dass er seine Jünger mit jener besonderen Liebe liebt, mit der Gott Vater den Sohn liebt. Das ist eine spezielle Liebe. Christus liebt damit ausdrücklich seine Jünger, also nicht jedermann. Aber man behauptet: „Gott liebt alle Menschen gleich!“
  9. »Wenn ihr meine Gebote haltet, so werdet ihr in meiner Liebe bleiben, wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe.« (Johannes 15,10)
    Christus sagt hier zu jenen, die seine Gebote halten, dass sie in Christi Liebe bleiben. Er ist das große Vorbild, denn der Sohn hat ebenfalls die Gebote des Vaters gehalten. Es ist also eine bedingte, eine spezielle Liebe. Von Menschen, die die Gebote Christi nicht halten, wird dies nicht gesagt. Es aus dem Schweigen der Stelle zu behaupten, raubte der Stelle ihren ganzen Sinn. Aber man behauptet: „Gott liebt alle Menschen gleich!“
  10. [Jesus Christus spricht:] »Größere Liebe hat niemand als diese, dass jemand sein Leben lässt für seine FreundeIhr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete.« (Johannes 15,13–14)
    Christus sagt hier ausdrücklich, dass seine „allergrößte Liebe“ jenen gilt, für die er sein Leben lässt. Sind das alle Menschen? Nein, es sind speziell „seine Freunde“. Wer sind diese? Es sind jene Jünger, die Christus nachfolgten. Aber man behauptet: „Gott liebt alle Menschen gleich!“
  11. »Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen sei und ich in ihnen.« (Johannes 17,26)
    Christus hat „ihnen“ den Namen Gottes kundgetan. Das bedeutet in der Sprache der Schrift, dass sie durch das Wort Christi eine (ewige) Lebensbeziehung zu Gott Vater bekommen haben. Als Folge dieser Lebensbeziehung (Neugeburt) wohnt auch die Liebe Gottes in den Neugeborenen, nur in ihnen, also nicht in jedermann. Aber man behauptet: „Gott liebt alle Menschen gleich!“
  12. »…die Hoffnung aber beschämt nicht, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben worden ist.« (Römer 5,5)
    Die Liebe Gottes ist nur in jenen, denen der Heilige Geist gegeben wurde, in denen also der Heilige Geist Wohnung gemacht hat. Dies sind nicht alle Menschen. Aber man behauptet: „Gott liebt alle Menschen gleich!“
  13. »Gott aber erweist seine Liebe zu uns [darin], dass Christus, da wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist.« (Römer 5,8)
    Gott erweist jenen seine Liebe, für die sein Sohn stellvertretend gestorben ist, die also genauso sicher gerettet sind, wie Christus „gerettet“ zur Rechten Gottes auf dem Thron sitzt. Das sind aber nicht alle Menschen, denn nicht alle werden –nach Christi eigener Aussage!– gerettet werden. Aber man behauptet: „Gott liebt alle Menschen gleich!“
  14. »Denn ich bin überzeugt, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch Gewalten, weder Höhe noch Tiefe, noch irgendein anderes Geschöpf uns zu scheiden vermögen wird von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.« (Römer 8,38-39)
    Die von Gott kommende Liebe, von der hier zum Trost der Glaubenden die Rede ist, gilt nur „uns“, die Christus Jesus als Herrn bekennen. Das „uns“ des Apostels Paulus im Brief an die Glaubenden in Rom also sind nicht alle Menschen. Aber man behauptet: „Gott liebt alle Menschen gleich!“
  15. »Gott aber, der reich ist an Barmherzigkeit, wegen seiner vielen Liebe, womit er uns geliebt hat, hat auch uns, als wir in den Vergehungen tot waren, mit dem Christus lebendig gemacht – durch Gnade seid ihr errettet –,und hat [uns] mitauferweckt und mitsitzen lassen in den himmlischen [Örtern] in Christus Jesus, damit er in den kommenden Zeitaltern den überragenden Reichtum seiner Gnade in Güte an uns erwiese in Christus Jesus.« (Epheser 2,4-7)
    Gott liebt mit vieler Liebe (also: sehr) „uns“, die neugeborenen Menschen, die einst in Sünden tot waren, aber lebendig gemacht wurden und schon im Geiste in den himmlischen Örtern ihren sicheren Platz haben. Dies sind aber klar nicht alle Menschen. Aber man behauptet: „Gott liebt alle Menschen gleich!“
  16. »Seid nun Nachahmer Gottes, als geliebte Kinder, und wandelt in Liebe, wie auch der Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch. (Epheser 5,1-2)«
    Christus hat die Kinder Gottes geliebt und zwar so, dass Er sich sogar für sie in den stellvertretenden Opfertod hingegeben hat. Das „uns“ des Apostels beschreibt aber nicht alle Menschen, sondern nur die Glaubenden. Aber man behauptet: „Gott liebt alle Menschen gleich!“
  17. »Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie auch der Christus die Versammlung geliebt und sich selbst für sie hingegebenhat…« (Epheser 5,25)
    Christus liebt die Gemeinde, die Schar der tatsächlich Geretteten. Nur für sie hat er sich selbst hingegeben. Wie ein Ehemann exklusiv seine erwählte und mit Bundesschluss verbundene Ehefrau aufopfernd lieben soll, und nicht alle anderen Frauen auf diese Art und Weise lieben soll, so ist auch die Liebe Christi gegenüber den von Gott zur Braut Christi Erwählten. Das sind nicht alle Menschen. Aber man behauptet: „Gott liebt alle Menschen gleich!“
  18. »Ein jeder, wie er [es] sich im Herzen vorgenommen hat: nicht mit Verdruss oder aus Zwang, denn einen fröhlichen Geber liebt Gott.« (2. Korinther 9,7)
    Gott liebt Geber, die „fröhlich“ Gaben (Opfer für andere) geben. Das bedeutet, dass dies für jene, die „mit Verdruss oder aus Zwang“ geben, nicht gilt, sonst wäre die Stelle sinnlos. Den fröhlichen Gebenden gilt diese hier gemeinte, besondere Liebe Gottes. Nur ihnen. Aber man behauptet: „Gott liebt alle Menschen gleich!“
  19. »Wer aber irgend sein Wort hält, in diesem ist wahrhaftig die Liebe Gottes vollendet. Hieran wissen wir, dass wir in ihm sind.« (1. Johannes 2,5)
    Gott liebt in vollkommener Weise jene, die Gottes Wort halten (indem sie es tun). Wer sein Wort nicht hält, dem gilt diese Liebe Gottes nicht, sonst macht diese Stelle keinen Sinn. Aber man behauptet: „Gott liebt alle Menschen gleich!“
  20. »Wer aber irgend irdischen Besitz hat und sieht seinen Bruder Mangel leiden und verschließt sein Herz vor ihm, wie bleibt die Liebe Gottes in ihm?« (1. Johannes 3,17)
    Gott liebt in vollkommener Weise jene, die dem Mangel leidenden Glaubensbruder aus ihrem irdischen Besitz Hilfe leisten. Wer dies nicht tut, sondern sein Herz verschließt, dem gilt diese Liebe Gottes nicht, sonst macht diese Stelle keinen Sinn. Aber man behauptet: „Gott liebt alle Menschen gleich!“
  21. »Hierin ist die Liebe Gottes zu uns offenbart worden, dass Gott seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben möchten. Hierin ist die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er unsgeliebt und seinen Sohn gesandt hat als Sühnung für unsere Sünden.« (1. Johannes 4,9-10)
    Gottes Liebe wird „uns“ geoffenbart, jenen also, die Kinder Gottes werden sollten. Diese liebt Er so, dass er sogar seinen Sohn für sie als Sühnung für ihre Sünden gesandt hat, so dass sie nun durch Ihn leben. Dies gilt aber nicht für unbekehrte Sünder, denn sie leben nicht, deren Sünde wurde nicht gesühnt. Aber man behauptet: „Gott liebt alle Menschen gleich!“
  22. »Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir einander lieben, [so] bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollendet.« (1. Johannes 4,12)
    Auch hier: Gottes Liebe ist nur in „uns“ vollendet, nicht in jedermann. Aber man behauptet: „Gott liebt alle Menschen gleich!“
  23. »Hierin ist die Liebe mit uns vollendet worden, damit wir Freimütigkeit haben an dem Tag des Gerichts, dass, wie er ist, auch wir sind in dieser Welt. Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus, denn die Furcht hat Pein. Wer sich aber fürchtet, ist nicht vollendet in der Liebe. Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat.« (1. Johannes 4,17-19)
    Auch hier: Gottes Liebe ist nur mit „uns“ vollendet worden, nicht mit jedermann. Die Liebe der Kinder Gottes ist eine Liebe, die ihren Grund und Ursprung in der ewigen Liebe Gottes ihnen gegenüber hat. Dies gilt also nicht für alle Menschen, sondern nur für die Kinder Gottes. Aber man behauptet: „Gott liebt alle Menschen gleich!“

Ein erstes Resümee

Die Behauptung: „Gott liebt alle Menschen gleich!“ muss an mindestens drei Stellen hinterfragt werden:

  • „liebt“: Ist mit dem „Lieben“ Gottes immer genau dasselbe und das Gleiche gemeint? 
  • „alle Menschen“: Sind immer alle Menschen aller Zeiten und Gegenden gemeint, oder beschränkt sich die Liebe Gottes bei einigen biblischen Aussagen auch auf eine Untermenge? 
  • „gleich“: Gibt es in der Liebe Gottes unterschiedliche Qualitäten und Intensitäten, oder ist sie immer gleich stark und gleichartig? Anders gefragt: Gibt es qualitative und/oder quantitative Unterschiede in der Liebe Gottes?

So wie die Bibel redet, macht sie deutlich, dass z. B. die innertrinitarische Liebe (zwischen Vater, Sohn und Heiligen Geist) eine besondere Liebe ist: sie ist ewig und vollkommen und hat nie etwas mit der Bedürftigkeit oder dem Mangel des anderen zu tun; sie ist also nie barmherzig oder gnädig oder zeitlich (usw.). Diese Liebe Gottes richtet sich erst einmal nicht an Menschen.

Die Liebe des Vaters zum Sohn und die Liebe des Sohns zum Vater werden ganz besonders herausgehoben als etwas Besonderes (s. insbes. die Schriften des Apostels Johannes). Auch diese Liebe richtet sich erst einmal nicht an Menschen.

Die Liebe des Vaters zu seinen Kindern, den Kindern Gottes, die Gott durch den Heiligen Geist und Sein Wort gezeugt hat, ist besonders herausgehoben. Sie richtet sich auf erlöste Menschen, auf die Kinder Gottes. Christus sagt, dass diese Liebe mit der Liebe zu vergleichen ist, mit der Er, der Sohn, vom Vater geliebt wurde. Es ist also eine besondere, spezielleLiebe! Um diese Liebe geht es in der eingangs erwähnten Bibelstelle in 1. Johannes 3,1! Sie gilt also nicht allen Menschen!

Die Liebe Gottes zum erwählten Volk im alten Bund, Israel, war eine Liebe, die einzigartig für Israel galt, nicht für die anderen Völker der Erde. Auch sie ist besonders und einzigartig. Sie ist eine Bundesliebe, die nach der Scheidungszeit eines Tages im erneuerten Bund wiederhergestellt wird (s. Prophet Hosea u.a.).

Es gibt einige Stellen, die von einer besonderen Liebe Gottes gegenüber Menschen sprechen, diese Liebe jedoch an Bedingungen geknüpft wird, sei es Treue, Gehorsam oder Spendenfreudigkeit. Auch hier handelt es sich also nicht um eine allgemeine, gleiche Liebe Gottes für alle Menschen, sondern um eine Liebe, die auf einen entsprechend beschränkten Personenkreis gerichtet ist.

Schon jetzt können wir festhalten, dass es unterschiedliche Arten besonderer Liebe Gottes gibt gegenüber Personen oder Personengruppen (also Teilmengen), die Gott auserwählt hat, die besondere Bedingungen erfüllen oder zu denen Er in besonderer Beziehung steht. Die Aussage „Gott liebt alle Menschen gleich!“ steht also im Widerstreit mit der Heiligen Schrift. Es ist zu vermuten, dass die Vielfalt und Komplexität des biblischen Zeugnisses der Liebe Gottes unzulässig durch Slogans vereinfacht, das heißt verfälscht, wurde. Wer seine Bibel nicht kennt, fällt auf solche Slogans herein. Dabei sollte uns schon die Lebenserfahrung mit menschlicher Liebe lehren, dass Liebe nicht so flach und eindimensional ist, wie der Slogan vortäuscht.

Wie ist das mit der menschlichen Liebe?

Wir begreifen aus Gottes Wort, dass die Liebesfähigkeit des Menschen eine Gabe Gottes an den Menschen ist, ein Stück seiner Gottesebenbildlichkeit ausmacht. Auch der Mensch liebt mit unterschiedlicher Qualität und Intensität unterschiedliche Personen und Personengruppen. Gott schreibt dem Menschen diesbezüglich z. B. vor:

  • Jesus antwortete: [Das] erste ist: „Höre, Israel: [Der] Herr, unser Gott, ist ein Herr; und du sollst [den] Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und aus deiner ganzen Seele und aus deinem ganzen Verstand und aus deiner ganzen Kraft.“ (Markus 12,29-30)
  • Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen,… (Matthäus 5,44; vgl. Lukas 6,27.35)
  • Du sollst … deinen Nächsten lieben wie dich selbst. (3. Mose 19,18; vgl. Matthäus 19:19; Markus 12,33; Lukas 10,27)
  • Seid niemand irgendetwas schuldig, als nur einander zu lieben; denn wer den anderen liebt, hat [das] Gesetz erfüllt. (Römer 13,8)
  • Geliebte, lasst uns einander lieben, denn die Liebe ist aus Gott; und jeder, der liebt, ist aus Gott geboren und erkennt Gott. Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt, denn Gott ist Liebe. (1. Johannes 4,7-8)
  • Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie auch der Christus die Versammlung geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat,… (Epheser 5,25; vgl. Kolosser 3,19)

Auch hier erkennen wir unterschiedliche, begrenzte Personenkreise, die wir lieben sollen, und dass die Art und Weise und Intensität der jeweiligen Liebe unterschiedlich ist und sein soll. Auch bei uns Menschen und Christen gilt nicht: „Liebt alle Menschen gleich!“

Wer wollte mit der Bibel in der Hand behaupten, dass ein Ehemann alle Frauen der Welt mit der gleichen Liebe lieben solle, wie er seine eigene Ehefrau lieben soll? Ist hier durch die Erwählung in Liebe nicht eine Exklusivität und Besonderheit der Liebe zwingend geboten? Wer will behaupten, dass ein Vater alle Kinder der Welt so lieben solle, wie seine eigenen Kinder, die er gezeugt hat? Wer will behaupten, dass wir unseren Nächsten so lieben sollen, wie wir Gott lieben sollen? (Usw.) Schon hier erkennen wir, dass wir zwar nur eine Liebe haben, aber diese unterschiedlich in Umfang, Maß und Qualität zur Geltung kommen soll. Bei Gott ist das nicht anders: Er hat eine Liebe, aber diese kommt unterschiedlich bzgl. Umfang, Maß und Qualität zur Geltung.

Fazit: Aufgrund der Offenbarung des Wortes Gottes über das Wesen Gottes und über seine Gebote an den Menschen ist es falsch zu behaupten: „Gott liebt alle Menschen gleich!“

Wie kommen wir zu einem biblischen Verständnis von der Liebe Gottes?

Drei Antworten gibt es auf diese wesentliche Frage: Lesen, lesen, lesen! Denn Jesus Christus sagte mehrfach „Habt ihr nicht gelesen…?“ und „Irrt ihr nicht deshalb, weil ihr die Schriften nicht kennt noch die Kraft Gottes?“ (Markus 12,24).

Wo wir meinen, Spannungen oder Widersprüche in den biblischen Aussagen zu finden, müssen wir uns daran erinnern, dass die Worte des HERRN „reine Worte … siebenmal gereinigt“ (Psalm 12,7) und daher widerspruchsfrei sind. Probleme entstehen also nur durch unser mangelhaftes Lesen, Studieren und Verstehen. [Eine Studienhilfe wird am Ende des Artikels angegeben.]

Ein Problem machen uns dabei auch falsche oder schriftwidrig verkürzte Aussagen über die Liebe Gottes. Jeder, der meint, Johannes 3,16 verstanden zu haben, weil er diesen Vers schon so oft gehört hat, dass er ihn auswendig kennt, und zusätzlich davon ausgeht, dass dieser Vers die einzige Offenbarung Gottes über Seine Liebe sei, muss wohl notwendiger Weise in die Irre gehen, denn keine Weissagung der Schrift ist „von eigener Auslegung“ (2. Petrus 1,20). Alle Schrift muss zusammengenommen und in ihrer heilgeschichtlichen Entwicklung berücksichtigt werden, denn es gilt: „Die Summe deines Wortes ist Wahrheit“ (Psalm 119,160).

Wo gilt, dass Gott alle Menschen gleich liebt?

Am Ende dieser Untersuchung muss klar sein, dass die Behauptung einer allgemeinen Liebe Gottes zu allen Menschen nur in einem begrenzten Sinn stimmen kann, sonst geraten wir in Widerspruch mit anderen Aussagen der Schrift, wie oben gezeigt.

Die Bibellehrer der Gemeinde Jesu haben auf Liebesbezeugungen Gottes hingewiesen, die für alle Menschen zeitweilig gelten, weil sie alle unterschiedslos seine Geschöpfe sind. Man zählt diese allgemeinen Liebesbezeugungen und Gaben zur sog. „allgemeinen Gnade“. Wir zählen zur allgemeinen Gnade Gottes (engl. common grace) Folgendes:

  • »…eures Vaters …, der in [den] Himmeln ist; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.« (Matthäus 5,45)
    Da die beiden Merismen jeweils die gesamte Menschheit überdecken, haben wir es hier mit „allgemeiner Gnade“ Gottes zu tun. Man muss diese zeitweiligen Geschenke des natürlichen Lebens und der Lebenserhaltung der allgemeinen Liebe Gottes gegenüber allen seinen Geschöpfen, hier den Menschen, zuschreiben. Daher gebührt Gott beständiger Dank dafür, der Ihm aber meist verweigert wird: »weil sie, Gott kennend, [ihn] weder als Gott verherrlichten noch [ihm] Dank darbrachten« (Römer 1,21).
  • Dies gilt auch gegenüber allen Tieren: »Wer bereitet dem Raben sein Futter, wenn seine Jungen zu Gott schreien, umherirren ohne Nahrung?« (Hiob 38,41); »Die jungen Löwen brüllen nach Raub und fordern von Gott ihre Nahrung.« (Psalmen 104,21); »Seht hin auf die Vögel des Himmels, dass sie nicht säen noch ernten, noch in Scheunen sammeln, und euer himmlischer Vater ernährt sie [doch].« (Matthäus 6,26) usw. Dadurch wird auch der Mensch indirekt beschenkt.
  • Dies gilt auch gegenüber der gesamten Schöpfung, die nur deswegen erhalten bliebt, weil der Sohn Gottes sie beständig mit seinem Machtwort erhält: im Sohn, »den er gesetzt hat zum Erben aller [Dinge], durch den er auch die Welten gemacht hat; welcher, [die] Ausstrahlung seiner Herrlichkeit und [der] Abdruck seines Wesens seiend und alle [Dinge] durch das Wort seiner Macht tragend…« (Hebräer 1,2-3). Dadurch wird auch der Mensch indirekt beschenkt.
  • »… einen lebendigen Gott …, der ein Erhalter aller Menschen ist, besonders [der] Gläubigen« (1. Timotheus 4,10b). – Auch hier wird deutlich, dass das Erhalter-sein Gottes allen Menschen gilt, also allgemein ist, aber das „besondere Erhalten/Retten“ nur den Gläubigen gilt, also nicht allgemein, sondern speziell ist.
  • Gott lässt Sünder i.d.R. nach ihrer ersten Sünde weiterhin (für eine Zeit) am Leben, obwohl er schon am Anfang klar gesagt hatte: »…an dem Tag, da du davon isst, musst du sterben.« (1. Mose 2,17) und »Der Lohn der Sünde ist der Tod.« (Römer 6,23). Dass Gott Rebellen gegen seine Majestät eine Zeitlang die guten Gaben des Geschöpfseins genießen lässt, ist eine großartige Demonstration seiner allgemeinen Gnade, Geduld, Langmütigkeit, Sanftmut, Barmherzigkeit und Menschenliebe.

Wer diese Dinge nicht auseinander halten kann, versteht die Lehre der Schrift nicht, und kann sich in viele Irrtümer verwickeln lassen.
Zurück zu 1. Johannes 3,1. Wovon ist hier hier die Rede? 

Von welcher Liebe Gottes wird in 1. Johannes 3,1 gesprochen?

Seht, welch eine Liebe uns der Vater gegeben hat, dass wir Kinder Gottes heißen sollen! 

Die direkt vorhergehende Aussage des Apostels: »aus ihm geboren ist« führt ihn im nächsten Vers zum Ausruf: »Sehet, welch eine Liebe… dass wir Kinder Gottes heißen sollen!«. Niemand hat sich selbst zum Kind Gottes gemacht, Gott der Vater hat dies getan und damit jedem Kind Gottes alle Rechte und Segnungen und Lebensqualitäten des Kindesstandes geschenkt. (Wir sind nicht „Kinder Jesu“ oder „Jesu Kinder“, sondern Kinder Gottes und Kinder des Vaters.) Diese Kindschaft ist so real, dass man ihre Wirklichkeit im Wandeln und Handeln (in ihrer Lebensführung und in ihren Taten) der Kinder Gottes sehen kann: Es ist dem Sohn Gottes gleichartig, denn sie haben dasselbe Leben in sich (Johannes 17,23.26; vgl. Galater 2,20). Die Kinder Gottes offenbaren also ihre „Echtheit“ als Kinder Gottes, indem sie »die Gerechtigkeit tun« (1. Johannes 2:29b), also die Gebote Gottes halten, vor allem das Gebot der Liebe. Ein gerechter Wandel ist also die Frucht (Ergebnis, Folge) der Neugeburt, nicht eine Vorbedingung derselben. Diese Aussage wird hier nicht als Ermahnung ausgesprochen, sondern als Ermunterung an die wahren Kinder Gottes: Sie sollten wieder einmal jene übergroße Gnade betrachten, die sie von Gott darin erhalten hatten, dass Er sie zu Kindern Gottes gemacht hatte! – Davon versteht die nichtglaubende Welt überhaupt nichts, denn diese Welt kennt Gott nicht (vgl. Johannes 5,37; 7,28; 16,3). Sie ist noch in der Finsternis. Und sie hassen das Licht. Die Finsternis und damit den Tod zu wählen, ist ihre bewusste Wahl.

Das Wort, das hier mit »welch eine« wiedergegeben wird, ist potapos (ποταπός). Die Wörterbücher erklären es so: 

  • Vine: bedeutet eigentlich: „aus welchem Land“, „von welcher Sorte/Art“. 
  • Kassühlke: „was für ein“, „welcher Art“, „wie beschaffen“. 
  • Lange: Es geht um Abstammung und Qualität, nicht Menge (Quantität) oder Größe. 
  • Vincent: »What manner of (ποταπὴν). The word is of infrequent occurrence in the New Testament, but is found in all the Synoptists and in 2 Pet. 3:11. Only here in John’s writings. Originally it means from what country or race; then, of what sort or quality. It is used of the quality of both persons and things.«

Die Kinder Gottes sollen also die besondere Qualität dieser Liebe ihres Vaters wahrnehmen. Es ist eine Liebe, die von Gott dem Vater ausgeht (nicht vom Menschen). Es ist eine Liebe, die göttlich ist (nicht menschlich). Es ist eine ewige Liebe, die mithin weder Anfang noch Ende kennt, die das Irdische und das Zeitliche überschreitet. Diese Liebe findet ihren Ursprung in der Ewigkeit vor der Zeit und wird auch in der Ewigkeit nach der Zeit noch sein. Das macht es aus, ein Kind Gottes heißen zu dürfen. Dass eine solche Liebe durch unser menschliches Begreifen nicht völlig fassbar ist, ist offenbar. Der Kontext sagt uns, dass diese Liebe untrennbar mit dem neuen Leben aus Gott, das in der Neugeburt von Gott empfangen wurde (Johannes 1,12), verbunden ist, und dass dieses neue Leben sich in sichtbaren, charakteristischen Lebenszeichen offenbart im Leben (Reden und Tun) und Bewegen und Sein des Kindes Gottes. Die Wahrheit und Hoffnung der zukünftigen Gleichheit mit Christi Wesen (der das Leben des Glaubenden geworden ist) hat unausweichlich als Konsequenz die persönliche Heiligung, das Sichreinigenlassen gemäß der Reinheit Christi (1. Johannes 3,3).

Fazit

Schriftgemäßes Predigen muss festhalten, dass die Liebe Gottes sich unterschiedlich erweist in Qualität und Quantität und Zeit und Ewigkeit. Ohne weiteres zu behaupten: „Gott liebt alle Menschen gleich“ ist am Wort der Wahrheit gemessen eindeutig falsch.

Dies zeigt auch der Text in 1. Johannes 3,1. Wenn die o.g. falsche Aussage dazu führt, dass man verkennt, dass es in diesem Text um eine besondere Liebe des Vaters gegenüber seinen Kindern geht, die eben nicht allen Menschen gilt, weil nicht alle Menschen im dort gemeinten Sinn Kinder Gottes sind, –ja, dass es gerade um ein Unterscheidungs- und Kennzeichen der Kinder Gottes im Kontrast zu den anderen Menschen geht– dann ist dies sehr zu bedauern.

Wichtigste Maßnahme: Lesen, lesen, lesen. Denn Jesus sagt: „Habt ihr nicht gelesen…?“. „Glückselig der Mann, der … seine Lust hat am Gesetz des Ewigen und über sein Gesetz sinnt Tag und Nacht!

Weiterführende Literatur

D.A. Carson, The Difficult Doctrine of the Love of God (Crossway, 1999).
Kostenloser Download: http://s3.amazonaws.com/tgc-documents/carson/2000_difficult_doctrine_of_the_love_of_God.pdf [28.07.2020];
Backup: Carson_The_difficult_doctrine_of_the_love_of_God.pdf

Was für eine Theologie ist denn das? – Dave Hunts Falschdarstellung von Gott und Calvinismus (deutsch)

Diese Rezension des Originals des links abgebildeten, übersetzten Buches von Dave Hunt (1926–2013) stammt von Steven J. Cole. Dies ist eine adaptierte Übertragung dieser Rezension ins Deutsche.
Das Buch von Hunt wurde 2011 ins Deutsche übersetzt und von „Bible Baptist Ministries“ herausgegeben unter dem Titel: »Eine Frage der Liebe: Wird Gott im Calvinismus falsch dargestellt?« [Die Frage des Titels ist keine Frage, sondern Hauptthese des Buchs.] Cole schreibt:

»Als ich Dave Hunts neuestes Buch „What Love is This?“ mit dem Untertitel „Calvinism’s Misrepresentation of God“ [Titel der deutschen Ausgabe: „Eine Frage der Liebe: Wird Gott im Calvinismus falsch dargestellt?“] las, empfand ich sowohl tiefe Traurigkeit als auch gerechten Zorn. Ich war traurig, weil viele ahnungslose und ungebildete Christen glauben werden, dass Hunt Recht hat, und dadurch eine der reichsten geistlichen Goldminen verpassen, die es gibt, nämlich das Leben und die Schriften von Johannes Calvin und seinen Erben im Glauben. Ich war wütend, weil Hunt sowohl Calvin als auch den Calvinismus absichtlich falsch darstellt und verleumdet und dabei auch Gott selbst grob falsch darstellt. Ich weiß, dass seine Falschdarstellung Absicht ist, weil viele Calvinisten, darunter auch ich, während der Entstehung des Buches wiederholt an Hunt geschrieben haben, um ihn auf seine Fehler hinzuweisen und ihn zu bitten, mit der Falschdarstellung unseres Glaubens aufzuhören. Aber leider ignorierte er hartnäckig unsere Korrekturen und machte mit Volldampf weiter.

Das daraus resultierende Buch ist ein theologisches und geistliches Desaster ersten Ranges. Wenn Sie sich auf die Boulevardpresse als verlässliche Nachrichtenquelle verlassen, werden Sie wahrscheinlich feststellen, dass Hunt für Ihre Theologie zufriedenstellend ist. Er wird Ihnen dieselbe Art von sensationellen Verleumdungen liefern wie die Boulevardpresse, nur dass sie so präsentiert werden, als ob sie biblisch und historisch begründet wären. Aber wenn Sie in Ihrer Erkenntnis des lebendigen Gottes wachsen wollen, rate ich Ihnen, diese Boulevardtheologie ungelesen stehen zu lassen.

Ich musste mich mit dem Buch befassen, weil ein ehemaliger Ältester es an einige meiner Ältesten und andere weitergibt und ihnen sagt, es sei eine ausgewogene Kritik an der reformierten Theologie. Auf der Rückseite des Buches finden sich glühende Befürwortungen von Chuck Smith, Elmer Towns, Tim LaHaye und anderen. LaHaye sagt sogar: „Der Calvinismus … kommt der Blasphemie gefährlich nahe“ (Auslassungszeichen im Zitat). Mehrere Familien haben meine Kirche wegen dieser Frage verlassen, weil ich lehre, was die Heilige Schrift eindeutig bestätigt, nämlich dass Gott souverän beschließt, einige zu retten, aber nicht alle. Unsere Errettung beruht auf der Grundlage von Gottes souveräner Entscheidung für uns. Seine Entscheidung für uns ist der Grund dafür, dass wir uns für den Glauben entscheiden. Daher kann sich niemand seiner Errettung rühmen, sondern nur des Herrn (1. Korinther 1,26-31; Galater 1,15; Epheser 1,3-12).

Hunts Hauptkritikpunkt am Calvinismus ist dessen Ansicht, dass Gott nicht jedem Menschen gegenüber vollkommen liebevoll ist. Er argumentiert, dass Gott unmoralisch und ungerecht sei, wenn er alle Menschen retten könnte, sich aber dafür entscheidet, nur einige zu retten. So wie jemand, der einen Ertrinkenden retten könnte, es aber nicht tut, unmoralisch wäre (S. 111–112, 114–115). Hunt vertritt die Ansicht, dass Gott möchte, dass alle Menschen gerettet werden, und dass er allen die Rettung ermöglicht habe. Nun liegt es am Einzelnen, darauf zu reagieren, und jeder Mensch sei aus sich selbst in der Lage, darauf zu reagieren. Wenn die Menschen nicht in der Lage wären, aus freiem Willen auf das Evangelium zu antworten, dann wäre das Heilsangebot Gottes nicht echt, sondern eine Verhöhnung. Es wäre so, als ob Gott einem Menschen, der in einem tiefen Brunnen gefangen ist, ein Seil außerhalb dessen Reichweite hielte und sagte: „Nimm das Seil.“ Das sind die Argumente von Hunt.

Diese Argumente entsprechen durchaus der menschlichen Denkweise, aber die entscheidende Frage ist, ob sie mit der biblischen Offenbarung übereinstimmen. Hunt geht fälschlicherweise davon aus, dass das freie Angebot des Evangeliums an alle voraussetze, dass diejenigen, denen es angeboten wird, auch in der Lage seien, darauf [heilsergreifend] zu antworten. Es gibt jedoch viele Bibelstellen, die direkt auf die Unfähigkeit des Sünders hinweisen, auf die geistliche Wahrheit [heilsergreifend] zu antworten (Johannes 6,44.65; 8,43; Römer 3,10–18; 8,6–8; 1. Korinther 2,14; 2. Korinther 4,4; Epheser 2,1–3 usw.). Hunt verwirft oder verwässert all diese Texte, indem er sagt, dass sie nicht das bedeuten könnten, was die Calvinisten behaupten, denn wenn sie das bedeuten würden, könnten die Sünder nicht auf das Evangelium reagieren und somit wäre das Angebot des Evangeliums nicht gültig. Mit anderen Worten, er argumentiert im Kreis und nimmt an, was er später „beweist“. Aber er akzeptiert nicht die klare Lehre von Gottes Wort, dass der Mensch wegen des Sündenfalls unfähig ist, nach Gott zu suchen. Damit zieht Hunt Gott in seiner absoluten Heiligkeit herab auf das Niveau des gefallenen Menschen und macht ihn so für den gefallenen Menschen greifbar. Gleichzeitig erhebt er den sündigen, stolzen Menschen, indem er ihm behauptet, er könne sich jederzeit für Gott entscheiden.

Nach der Verwerfung der biblischen Lehre der Verderbtheit (Unfähigkeit) des gefallenen Menschen, fährt er fort, auch alle anderen der so genannten Fünf Punkte des Calvinismus zu verwerfen. Hunt behauptet, dass Gott unmöglich einige Menschen souverän zum Heil erwählt haben könne, denn dann wäre er lieblos und ungerecht. Dabei ist es ihm offenbar völlig egal, dass Gott in einer seiner frühesten Selbstoffenbarungen klar und deutlich sagt: »[I]ch werde begnadigen, wen ich begnadigen werde, und werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarmen werde« (2. Mose 33,19). Diese Aussage verliert jeden Sinn, wenn Gott jedem einzelnen Menschen gegenüber gleichermaßen gnädig und barmherzig ist. Von Anfang an begründet Gott sein Recht als heiliger Gott, einige auszuwählen und andere abzulehnen, nicht aufgrund menschlicher Verdienste (die es nicht gibt), sondern aufgrund seines souveränen Willens. Doch Hunt spricht Gott dieses Vorrecht ab, obwohl die Heilige Schrift dieses überaus häugfig offenbart.

Während er seine humanistische (und unbiblische) Sicht von Gott darlegt und verteidigt, zerreißt Hunt Calvin und den Calvinismus – oder zumindest glaubt er, dass er das tut. In Wirklichkeit versteht Hunt nicht einmal einige der grundlegenden Lehren des Calvinismus, obwohl er glaubt, dass er sie versteht. So stellt Hunt von Anfang an und auf praktisch jeder Seite falsch dar, was Calvinisten glauben. Auch wenn er nicht mit dem übereinstimmt, was sie wirklich glauben, so stellt er doch größtenteils eine Karikatur auf und greift sie an, die manchmal eine gewisse Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit hat, aber meistens so weit davon entfernt ist, dass biblisch informierte Calvinisten sie ebenfalls angreifen würden. Sie würden es nur nicht als Calvinismus bezeichnen, wie Hunt es fälschlicherweise tut. Hier sind ein paar (von vielen) Beispielen:

  • Hunt sagt, dass der Calvinismus die rettende Gnade Gottes auf einige wenige Auserwählte beschränke und die Mehrheit der Menschheit ohne Hoffnung oder Möglichkeit auf Erlösung lasse (S. 78). Das Angebot der Errettung gelte nur den Auserwählten (S. 103). In Wahrheit glauben Calvinisten, dass Gottes rettende Gnade der ganzen Welt frei angeboten wird und dass es im Himmel eine unzählige Schar aus allen Stämmen der Erde geben wird, die durch das Blut Jesu erkauft wurde (Offenbarung 5,9–12).
  • Hunt sagt, dass der Calvinismus die Schuld für die Sünde und die Verdammnis der Sünder vollständig Gott zuschreibe, der alles so vorherbestimmt habe, dass es so kommen musste (S. 84). Gott veranlasse alle Menschen zur Sünde (S. 42). Die Wahrheit ist, dass Calvinisten glauben, dass zwar alles unter Gottes souveränem Willen steht (Epheser 1,11), er aber nicht der Urheber der Sünde ist. Die Sünder sind für ihre eigene Verdammnis verantwortlich, und niemand kann Gott dafür verantwortlich machen, dass sie in die Hölle kommen. Ich habe Hunt persönlich auf das Westminster Glaubensbekenntnis, Kapitel 3, Absatz 1, verwiesen, in dem die reformierte Erklärung steht, dass Gott souverän über alles ist und dennoch nicht für die Sünde verantwortlich ist. Aber Hunt hat dies ignoriert und bleibt bei seiner verleumderischen Anschuldigung.
  • Hunt sagt, der Calvinismus leugne jede echte Wahlmöglichkeit des Menschen (S. 89). In Verbindung damit leugneten die Calvinisten, dass der Mensch einen Willen habe (S. 94). „Calvin zufolge hat die Erlösung nichts damit zu tun, ob ein Mensch an das Evangelium glaubt oder nicht“ (S. 42). Die Wahrheit ist, dass Calvin und die Calvinisten an die menschliche Wahl und den Willen glauben. Sie behaupten jedoch, dass der gefallene Mensch, wie sogar der Arminianer Wesley es ausdrückte, „fest in der Sünde und der Nacht der Natur gefangen“ sei, unfähig, sich für das Heil zu entscheiden, wenn nicht Gott souverän in ihren Herzen wirkt. Ich bin mir nicht sicher, woher Hunt die lächerliche Behauptung hat, Calvin habe die Erlösung vom Glauben getrennt. Eine einfache Lektüre seiner Kapitel über Glauben und Umkehr in der Institutio (Buch 3, Kapitel 2 und 3) zeigt, dass Hunt Calvin entweder nicht gelesen hat oder ihn absichtlich falsch darstellt.
  • Hunt sagt: „Der Calvinismus präsentiert einen Gott, der die Hölle mit denen füllt, die er retten könnte, aber stattdessen verdammt, weil er sie nicht liebt“ (S. 116). Hunt behauptet dreist, dass Gott, wenn er nicht allen Barmherzigkeit erweist, obwohl alle gleich schuldig sind, die Gerechtigkeit pervertiere (S. 115)! Die Wahrheit ist, dass Calvinisten behaupten, Gott sei mächtig, alle zu retten, die er retten will (z. B. den Apostel Paulus). Aber er ist niemandem das Heil schuldig. Aus Gründen, die nur im geheimen Ratschluss seines Willens bekannt sind, hat Gott beschlossen, sowohl in der Errettung seiner Auserwählten als auch in der gerechten Verdammnis derer, die gegen ihn rebelliert haben, verherrlicht zu werden. Das gesamte Argument des Paulus in Römer 9 lautet, dass Gott als göttlicher Töpfer das Vorrecht hat, einige Gefäße für die Barmherzigkeit und andere für den Zorn zu machen, und dass wir keinen Grund haben, sein Handeln in Frage zu stellen. Die Bibel macht auch deutlich, dass Gottes Liebe nicht allen Menschen in gleicher Weisezuteil wird. Er liebte Israel, aber er beschloss nicht, die umliegenden Völker in gleichem Maße zu lieben (5. Mose 7,6–8). In seinem unergründlichen Willen ließ er es zu, dass die Völker viele Jahrhunderte lang ihren eigenen Weg in der geistlichen Finsternis gingen. Er gab ihnen das Zeugnis seiner Güte durch die Schöpfung und die allgemeine Gnade, was ausreicht, um sie zu verdammen, aber nicht, um sie zu retten (Apostelgeschichte 14,16–17; Römer 1,18–32). Seltsamerweise argumentiert Hunt jedoch entgegen der Schrift und der Geschichte, dass Gott alle Heiden genauso liebe wie seine auserwählte Braut, die Kirche. Ich möchte von ihm wissen, wie Gott die amerikanischen Indianer, die hier [in Nordamerika] vor 3.000 Jahren lebten, in gleichem Maße geliebt hat, wie er König David liebte und sich ihm offenbarte? Ein kurzer Blick auf die heutige Welt zeigt, dass nicht alle die gleiche „Chance“ haben, das Evangelium zu hören und darauf zu reagieren.

Um den Calvinismus zu diskreditieren, muss Hunt Calvin und seine berühmte Institutio diskreditieren. Man mag es kaum glauben, aber Hunt verwirft die gesamte Institutio in einem Pauschalurteil, indem er behauptet, sie stammte aus den beiden Hauptquellen Augustinus und der lateinischen Vulgata-Bibel (S. 38)! Da Calvin ein Neubekehrter war, als er die erste Ausgabe der Institutio schrieb, könne sie „unmöglich aus einem tiefen und voll entwickelten evangelischen Verständnis der Schrift stammen“. Aber Hunt erwähnt nicht, ob sie tatsächlich ein solches Verständnis widerspiegeln oder nicht! Wenn sie so oberflächlich waren, wie Hunt behauptet, warum hatten sie dann einen so tiefgreifenden Einfluss, nicht nur auf seine Generation, sondern auch auf gottesfürchtige christliche Gelehrte durch die Jahrhunderte hindurch, bis in die heutige Zeit? Ich kann persönlich bezeugen, dass von den Hunderten von Büchern [außerhalb der Bibel], die ich je gelesen habe, keines der Institutio in Bezug auf ihre tiefe geistliche Erkenntnis das Wasser reichen kann. Calvin nutzt die Heilige Schrift, um Gott zu erheben und zu preisen und mich als Sünder zu demütigen, wie es nur wenige Autoren vermögen.

Was den Menschen Calvin betrifft, so behauptet Hunt, dass dieser so stark von Augustinus beeinflusst war, dass er sich nie wirklich von seinen römisch-katholischen Wurzeln gelöst habe. Er lehnt Augustins Schriften völlig ab, indem er behauptet: „Calvin schöpfte aus einem stark verschmutzten Strom, als er die Lehren des Augustinus annahm! Wie könnte man in eine so verunreinigende Ketzerei eintauchen, ohne verwirrt und infiziert zu werden?“ (S. 51). Ich muss mich fragen, ob Hunt Augustinus überhaupt gelesen hat! Ich habe große Teile der Werke von Augustinus gelesen, und obwohl er offensichtlich an einigen Stellen von der katholischen Kirche auf schlimme Weise verdorben wurde, hatte er auch ein solides biblisches Verständnis vieler wesentlicher christlicher Lehren. Ihn als „stark verunreinigten Strom“ und als Verfechter einer „verunreinigenden Ketzerei“ abzutun, zeugt von Hunts, nicht von Augustins Unwissenheit und Irrtum.

Auch wenn Calvin Augustinus oft positiv zitiert (weil es viel Positives zu zitieren gibt und weil Calvin nicht annähernd über die theologischen Ressourcen verfügte, auf die wir zurückgreifen können), streitet er oft mit Augustinus, wenn er meint, dass dieser die Schrift nicht richtig ausgelegt hat. Calvins einzige Quelle der Wahrheit war die Bibel, wie T. H. L. Parkers ausgezeichnetes Buch Calvin’s Preaching [Westminster/John Know Press] so gekonnt aufzeigt. Hätte Hunt entweder Augustinus oder Calvin sorgfältig gelesen, hätte er gesehen, dass diese Männer versuchten, ihre Lehren allein auf die Bibel zu stützen. Natürlich haben beide Männer Fehler gemacht. Wer tut das nicht? Aber wenn man diese Männer liest, spürt man: „Sie kannten Gott auf eine Weise, wie ich Gott nicht kenne!“

Hunt stellt Calvin als den bösen Tyrannen von Genf dar, der versuchte, dem Volk die unwiderstehliche Gnade aufzuzwingen, ganz im Einklang mit seiner Auffassung, dem Menschen jegliche Entscheidungsfreiheit abzusprechen (S. 62–63). „Calvin übte eine ähnliche Autorität aus wie das Papsttum, das er nun verachtete“ (S. 63). Hunt wirft Calvin vor, eine „diktatorische Kontrolle über die Bevölkerung“ auszuüben (S. 64). Er habe die Anwendung von Folter zur Erlangung von Geständnissen gebilligt, einschließlich der grausamen 30-tägigen Folterung eines Opfers, das dann an einen Pfahl gebunden, mit den Füßen festgenagelt und enthauptet wurde (S. 65). Und natürlich macht Hunt Calvin für die Verbrennung von Servetus verantwortlich, ohne seinen Lesern den historischen Kontext zu erläutern (S. 68–70). Hunt kommt zu dem Schluss, dass „Calvins Verhalten Tag für Tag und Jahr für Jahr das genaue Gegenteil dessen war, was er getan hätte, wenn er wirklich vom Geist Gottes geleitet worden wäre“ (S. 72). Mit all diesen Anschuldigungen knüpft Hunt an militante antichristliche Kritiker wie Voltaire, Will Durant, Erich Fromm und andere an (siehe Christian History[Bd. V, Nr. 4], S. 3).

Natürlich hatte Calvin Feinde, sogar zu seiner Zeit, die seine Schwächen aufgriffen und sie übertrieben, um ihn zu verleumden, weil ihnen seine Lehre nicht gefiel. Jeder gottesfürchtige Mensch muss damit rechnen, dass er auf die eine oder andere Weise so behandelt wird (Matthäus 5,11–12; Lukas 6,26; 2. Timotheus 3,12). Aber jeder, der T. H. L. Parkers Das Leben Calvins, sein Die Predigten Calvins oder Bezas Das Leben Calvins (Beza war Calvins Schüler und Nachfolger in Genf) gelesen hat, wird entsetzt sein, wie ein bekennender Christ einen großen Mann Gottes wie Calvin so rücksichtslos angreifen kann, wie Hunt es tut. Über Calvin sagte Beza: „Ich war sechzehn Jahre lang sein Zeuge, und ich glaube, dass ich das volle Recht habe zu sagen, dass in diesem Mann allen ein Vorbild für das Leben und Sterben eines Christen gezeigt wurde. Es wird nicht leicht sein, es herabzusetzen, und es wird schwer sein, es nachzuahmen“ (Christliche Geschichte, ebd., S. 2).

Die schlichte Tatsache der Geschichte ist, dass die gottesfürchtigen Puritaner, einschließlich John Bunyan und John Owen, sowie die geistlichen Giganten Jonathan Edwards, George Whitefield, Charles Simeon, Charles Spurgeon, die Princeton-Theologen, Martyn Lloyd-Jones, Francis Schaeffer und eine Vielzahl anderer auf Calvin nicht nur als klugen Theologen, sondern auch als großes Vorbild der Frömmigkeit geschaut haben. Ich habe die Institutio gelesen, etwa ein halbes Dutzend Calvin-Biografien, Tausende von Seiten seiner Kommentare, zahlreiche Bücher über Calvin und seine Theologie sowie mehrere Bücher mit seinen Predigten. Ich habe nie etwas aufgeschnappt, das auch nur annähernd der Karikatur von Hunt über diesen Mann entspricht. Ich stimme dem gelehrten schottischen Theologen William Cunningham zu, der sagte: „Calvin ist der Mann, der neben dem heiligen Paulus am meisten Gutes für die Menschheit getan hat“ (Christian History, ebd.). Der Angriff von Hunt ist einfach unter aller Kritik. Ein böser, grausamer Tyrann hätte keine so erhabenen Ansichten über Gott und so tiefe Einblicke in Gottes Wort schreiben können, wie sie in Calvins Schriften zu finden sind. Wenn so viele große Männer Gottes Calvin Tribut zollen, sollte Hunt dann nicht wenigstens in Betracht ziehen, dass er etwas übersehen haben könnte?

Ein weiteres großes Problem der Arbeit Hunts ist seine unwissenschaftliche Manipulation des Quellenmaterials, damit es seinen Zwecken diene. Für seine Angriffe auf Calvin zitiert er oft den militanten Gegner des Christentums Will Durant, ohne jemals zuzugeben, dass er einen Feind des Glaubens zitiert. Er zitiert oft den liberalen Frederic Farrar, ohne dessen theologische Voreingenommenheit zuzugeben. Obwohl Hunt in seinen anderen Schriften militant antikatholisch ist, beruft er sich auf den prokatholischen Führer der Oxford-Bewegung, Pusey, wenn dieser sich auf die Seite von Hunt gegen den Calvinismus stellt. Aber Hunt erwähnt nicht einmal in einer Fußnote die theologische Voreingenommenheit seiner Quellen. Unwissende Leser könnten meinen, dass er große Männer des Glaubens zitiert.

Aber viel schlimmer ist die Art und Weise, wie er Quellen benutzt, um eklatante historische Fehler zu „beweisen“! Er zitiert eine Quelle (S. 19), die behauptet, dass unter anderem Richard Baxter, John Newton und John Bunyan gegen den Calvinismus waren! Jeder, der diese Männer gelesen hat, weiß, dass sie alle starke Befürworter der souveränen Erwählung durch Gott waren. (Baxter vertrat ein universales Sühnopfer, aber er war auch ein starker Befürworter der menschlichen Verderbtheit und der souveränen Erwählung durch Gott.) Auf derselben Buchseite zieht er ein Zitat aus Spurgeons Autobiographie heran, um zu beweisen, dass Spurgeon gegen das begrenzte Sühnopfer war. Aber im ursprünglichen Kontext argumentierte Spurgeon für die begrenzte Versöhnung (Autobiographie von C. H. Spurgeon [Banner of Truth], 1:171–172)! Tatsächlich stellt Spurgeon fest (1:172), dass die Lehre, Christus sei für alle gestorben, „tausendmal abstoßender ist als irgendeine der Folgen, die man mit der calvinistischen und christlichen Lehre von der besonderen und partikulären Erlösung in Verbindung bringt.“ Später (S. 122) zitiert Hunt „einen britischen Gelehrten, der Spurgeons Schriften und Predigten gründlich kannte“, um erneut festzustellen, dass Spurgeon das begrenzte Sühnopfer definitiv ablehne und dem Menschen Willensfreiheit zuspreche. In seinem Literaturverzeichnis (S. 428) führt Hunt jedoch Spurgeons Predigt „Free-Will – A Slave“ auf, in der Spurgeon den freien Willen widerlegt [2. Dezember 1855, Text: Johannes 5,40; New Park Street Pulpit, Bd. 1]. Iain Murray (The Forgotten Spurgeon [Banner of Truth], S. 81 ff.) führt zahlreiche Referenzen an, um zu zeigen, dass Spurgeon nicht nur die „begrenzte Sühne“ bejahte; er argumentierte auch, dass diejenigen, die sie leugnen, die gesamte Lehre der stellvertretenden Sühne schwächen und untergraben. In seiner Autobiographie (1:168) bezeichnete Spurgeon den Arminianismus (was Dave Hunts Ansicht ist, auch wenn Hunt dies leugnet, da er an der ewigen Sicherheit festhält) als Irrlehre und sagte klar und deutlich: „Der Calvinismus ist das Evangelium und nichts anderes.“ Entweder ist Hunt ein sehr schlampiger Gelehrter, oder er versucht absichtlich, seinen Lesern vorzugaukeln, dass Spurgeon auf seiner Seite steht, obwohl er genau weiß, dass das nicht der Fall ist.

Auf Seite 102 zitiert Hunt erneut Spurgeon und behauptet, er „könne die Lehre nicht akzeptieren, dass die Wiedergeburt vor dem Glauben an Christus durch das Evangelium komme“. Offensichtlich zitiert er Spurgeon aus dem Zusammenhang gerissen für seine eigenen Zwecke (wie er es häufig tut), ohne irgendein Verständnis von Spurgeons Theologie zu haben. Murray (ebd., S. 90 ff.) dokumentiert ausführlich, dass Spurgeon glaubte, dass Glaube und Umkehr unmöglich sind, bevor Gott den Sünder neues Leben schenkt. Zum Beispiel zitiert Murray (S. 94) Spurgeon mit den Worten, dass Buße und Glaube „das erste offensichtliche Ergebnis der Wiedergeburt“ seien. Und: „Evangelische Reue kann niemals in einer nicht-wiedergeborenen Seele existieren.“ Murray führt viele weitere Beispiele an. Spurgeon glaubte, „dass das Werk der Wiedergeburt, der Bekehrung, der Heiligung und des Glaubens nicht ein Akt des freien Willens und der Kraft des Menschen ist, sondern der mächtigen, wirksamen und unwiderstehlichen Gnade Gottes“ (S. 104).

Auf Seite 100 findet sich ein weiteres Beispiel dafür, wie Hunt aus dem Zusammenhang gerissene Zitate verwendet, um seinen Gegner schlecht und sich selbst gut aussehen zu lassen. Er zitiert R. C. Sproul, um so zu klingen, als ob Sproul die Ansicht, dass Gott den Sündern gegenüber nicht so liebevoll ist, voll und ganz befürwortet. Aber im vorhergehenden und nachfolgenden Kontext von Sprouls Buch wirft Sproul einen Einwand auf, den ein Kritiker stellen könnte, räumt den Einwand des Kritikers um des Argumentes willen als wahr ein und wirft dann eine weitere Frage auf, um zu zeigen, dass die Frage des Kritikers fehlgeleitet ist. Hunt lässt den Kontext weg und lässt Sproul so erscheinen, als würde er etwas sagen, was er gar nicht sagt! Das ist wissenschaftlich und argumentativ unglaublich schlechtes Arbeiten von Hunt.

Auf Seite 99 offenbart Hunt seine Unkenntnis der Theologie, wenn er behauptet, dass J. I. Packer seinen calvinistischen Mitstreitern und sogar sich selbst widerspreche, wenn er erkläre, dass die Wiedergeburt dem Glauben und der Rechtfertigung folge. Hunt zitiert dann einen Satz von Packer, der von Rechtfertigung durch Glauben spricht, nicht von Wiedergeburt! Das sind unterschiedliche theologische Begriffe mit unterschiedlichen Bedeutungen, wie jeder, der auch nur ein rudimentäres Verständnis von Theologie hat, weiß! Aber egal, Hunt diskreditiert Packer gegenüber dem ahnungslosen Leser, und das ist alles, was für Hunt zählt.

Es wäre ein Leichtes, diese Rezension auf Buchlänge auszudehnen, denn die Irrtümer, die fehlerhafte Logik und die grobe Fehldarstellung des Calvinismus und des Gottes der Bibel nehmen einfach kein Ende. Sowohl in der persönlichen Korrespondenz mit Hunt vor der Veröffentlichung des Buches als auch bei der Lektüre des Buches selbst habe ich mich gefragt, wie es um Hunts persönliche Integrität bestellt ist. Wenn er wirklich nicht weiß, was Calvinisten glauben, hätte er das Buch nicht schreiben dürfen, bevor er nicht ein angemessenes Verständnis ihrer Ansichten gewonnen hat. Es ist nicht so, dass Hunt nicht vorher mit dieser Frage konfrontiert worden wäre. Außer mir haben ihn eine Reihe von Reformierten gewarnt, dass er den reformierten Glauben falsch darstelle. Aber er ignorierte diese Warnungen und stürmte weiter vor sich hin. In Kapitel 2 begründet er sein Vorgehen mit der Behauptung, dass Calvinisten elitär seien und dass der Calvinismus nicht biblisch sein könne, weil er so schwer zu verstehen sei, dass [auch] Hunt ihn nicht verstehen könne. Ich kenne jedoch viele, die jung im Glauben sind und diese Lehren sehr gut verstehen. Hunt hätte lange genug innehalten sollen, um die gegnerische Ansicht zu verstehen, damit er sie nicht falsch darstellt. Seine Angriffe auf sein selbstgebasteltes Feindbild diskreditieren ihn, er ist einfach kein seriöser Kritiker.

Obwohl Hunt energisch widersprechen würde, glaube ich, dass der Grund für seinen verleumderischen Angriff auf Calvin und die Calvinisten und seine blasphemischen Anschuldigungen gegen den Gott der Bibel in seiner Weigerung liegt, sich einer klaren biblischen Offenbarung zu fügen, die nicht in die menschliche Logik passt. Nachdem er erklärt hat, dass Gott sich erbarmt, wem er will, und verhärtet, wen er will, erhebt Paulus den Einwand: »Ihr werdet dann zu mir sagen: ‚Warum findet er noch Schuld? Denn wer widersetzt sich seinem Willen?’« (Römer 9,19). Die logische Antwort von Dave Hunt lautet: „Der Grund, warum Gott zu Recht Fehler finden kann, ist, dass er jedem Menschen einen freien Willen und die Möglichkeit zur Erlösung gegeben hat.“ Das ist logisch vollkommen einleuchtend. Aber das Problem ist, dass das nicht die biblische Antwort ist! Die biblische Antwort lautet: „Im Gegenteil, wer bist du, o Mensch, der du Gott vorwurfsvoll entgegentrittst? Das Geformte wird doch nicht zu dem, der es geformt hat, sagen: ‚Warum hast du mich so gemacht‘, oder?“ Mit anderen Worten, die Antwort Gottes lautet: „Du hast kein Recht, diese Frage zu stellen!“

Ich gebe zu, diese Antwort ist logisch nicht befriedigend! Vor Jahren, als ich Student war, habe ich mit Paulus darüber gestritten und ihm vorgeworfen, dass er sich genau dann aus dem Staub macht, wenn ich eine Antwort auf meine Frage brauche. Eines Tages, als ich mit Paulus stritt, öffnete mir der Herr die Augen und ich sah. Er sagte: „Ich habe die Frage beantwortet, weißt du! Du magst nur die Antwort nicht!“ Da wurde mir klar, dass ich mich dem unterwerfen musste, was Gott durch Paulus geschrieben hatte. An diesem Tag wurde ich zum „Calvinisten“, obwohl ich noch keine einzige Seite von Calvin gelesen hatte. Wenn Dave Hunt seine Logik der Offenbarung Gottes in der Heiligen Schrift unterwerfen würde, würde er auch das werden, was er jetzt hasst und so grob falsch darstellt: ein „Calvinist“! Verschwenden Sie Ihre Zeit nicht mit der Lektüre von Dave Hunt. Nehmen Sie sich ein Exemplar von Calvins Institutio und beginnen Sie, sich an der Majestät Gottes zu erfreuen!«

Fazit

Dieses Buch von Dave Hunt hat aufgrund der zahlreichen Strohmann-Attacken, des Beharrens von Hunt, nachgewiesene Fehler nicht einzugestehen und zu beseitigen sowie wegen seines verleumderischen Charakters einen Platz in der „Hall of Shame“ wohl verdient.

Über den Autor der Rezension

Steven J. Cole diente seit Mai 1992 der christlichen Gemeinde Flagstaff Christian Fellowship als Pastor bis zum Eintritt in den Ruhestand im Dezember 2018. Von 1977 bis 1992 war er Pastor der Lake Gregory Community Church in Crestline, Kalifornien. Er ist Absolvent des Dallas Theological Seminary (Th. M., 1976 in Bible Exposition) und der California State University in Long Beach (B. A., philosophy, 1968). Er hat Freude am Schreiben; seine Beiträge wurden in vielen unterschiedlichen Publikationen veröffentlicht. .

Textquelle

https://bible.org/article/what-theology-dave-hunt-s-misrepresentation-god-and-calvinism [03.JUN.2020]

Ergänzendes

Die große calvinistische Verschwörung. Eine Stellungnahme zu Vorwürfen von T. A. McMahon [03.JUN.2020]