John N. Darby über die „Arminianer“ (Deutsch)

Der anglo-irische Bibellehrer John N. Darby (1800–1882), einer der einflussreichsten Theologen der frühen „Brüderbewegung“ (sog. „Plymouth Brethren“), hatte in seiner Zeit wiederholt mit Vertretern der Denkschule der „Arminianer“ zu tun. Vor allem in der uralten Diskussion über den „freien Willen“ und der Zu- und Aneignung des ewigen Heils gab es zahlreiche Auseinandersetzungen, die größtenteils in seinen Collected Writings und seinen Letters erhalten geblieben sind.

Am 9. Mai 1879 schrieb Darby aus Pau einen Brief in italienischer Sprache an G. Biava, der einen Artikel über den „freien Willen“ verfasst und wohl Darby zur Beurteilung vorgelegt hatte. Darbys Antwort ist in den Letters in englischer Sprache erhalten geblieben. Hier einige Auszüge in eigener Übersetzung ins Deutsche (englisches Original hier):

»LIEBER BRUDER, – Der Artikel über den freien Willen hat mir sehr gefallen; ich finde nicht, dass es viel hinzuzufügen gibt. Alles hängt von der Tiefe der Überzeugung ab, die wir von unserem sündigen Zustand haben; und unsere Sicherheit und Freude hängen ebenfalls davon ab. Verlorensein oder Gerettetsein sind jene beiden Gegensätze, die unserer Stellung (Zustand) in Christus und unserer Stellung (Zustand) im alten Menschen entsprechen. Aber in der Argumentation der Arminianer gibt es einen völlig falschen Grundsatz, nämlich dass unsere Verantwortung von unserer Macht abhänge. Wenn ich jemandem 100.000 Pfund geliehen habe und er alles verschwendet hat, kann er das natürlich nicht zurückzahlen, aber ist seine Verantwortung deswegen beendet? Sicherlich nicht. Die Verantwortung hängt vom Recht desjenigen ab, der ihm das Geld geliehen hat, nicht von der Fähigkeit desjenigen, der das Geld zu Unrecht verschwendet hat. …

Alle Menschen haben seit dem Sündenfall ein Gewissen, das Wissen um Gut und Böse; sie wissen zu unterscheiden, aber das sagt nichts über den Willen aus; da also das Gesetz Gehorsam verlangt und das Fleisch nicht unterworfen werden kann, ist es tatsächlich unmöglich, das Gesetz anzunehmen – nicht weil Gott ihn daran hindert, wie ich bereits gesagt habe, sondern weil der Mensch es nicht will. Außerdem verbietet das Gesetz die Begierde, aber der gefallene Mensch hat Begierde in seinem Fleisch [sündigen Wesen]; und auf diese Weise erkannte der Apostel die Sünde. Der Mensch muss sein sündiges Wesen verlieren, bevor er bereit ist, dem Gesetz zu gehorchen: Es ist daher notwendig, von neuem geboren zu werden. Nun kann der Mensch sich selbst kein göttliches und ewiges Leben geben. Warum dann das Gesetz? Damit die Übertretung überhandnimmt. Durch das Gesetz wird die Sünde „überaus sündig“; „das Gesetz erwirkt“ den gerechten „Zorn“ Gottes gegen uns, es erwirkt nicht die Furcht Gottes in uns. Das Gesetz gibt kein neues Leben. Alles, was wir haben, ist Feindschaft gegen Gott. Der Mensch im Fleisch kann das Gesetz nicht in sein Herz aufnehmen. …

Kann das Fleisch [unser sündiges Wesen]) Christus empfangen – seine Freude am Sohn Gottes finden? Dann wäre es nicht mehr das Fleisch, es hätte den Geist des Vaters selbst. Wenn es im Menschen etwas anderes als Fleisch gibt, dann ist jener Mensch bereits aus Gott geboren, denn was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch. Wenn das Fleisch seine Freude an Christus finden könnte, besäße das Fleisch das Erhabenste, was es auf Erden und im Himmel gibt; es fände seine Freude dort, wo auch der Vater seine Freude findet. Dann wäre es nicht notwendig, aus Gott geboren zu sein, denn das Erhabenste, was er jetzt durch Gnade als Christ besitzt, besaß er bereits vor dem Empfang des Lebens, als er Christus empfing. Die Gewissheit der Erlösung wäre aber gleichzeitig dahin: Wenn die Erlösung die Frucht meines eigenen Willens wäre, hängte sie von meinem Willen ab. Wenn sie so leicht hervorgebracht werden könnte, könnte man nicht sagen: „Weil ich lebe, werdet auch ihr leben.“ …

Es heißt, der Glaube sei nur die Hand, die die Erlösung empfängt, aber was veranlasst uns, die Hand auszustrecken? Es ist die Gnade, die in uns wirkt.«

Quelle: John N. Darby, Letters, Vol. 2 (1868–1879), Nachdr., Kingston-on-Thames: Stow Hill Bible and Tract Depot, o. J., S. 501–503. Fett- und Farbdruck hinzugefügt. 
Textquelle (englisch) online auch hier: https://www.stempublishing.com/authors/darby/letters/52346I.html

Die pelagische Gefangenschaft der Kirche (R.C. Sproul)

Kurz nach Beginn der Reformation, in den ersten Jahren nachdem Martin Luther die 95 Thesen an die Kirchentür in Wittenberg angeschlagen hatte, veröffentlichte er einige kurze Broschüren zu verschiedenen Themen. Eine der provokantesten trug den Titel »Die babylonische Gefangenschaft der Kirche«. In diesem Buch blickte Luther auf jene Zeit in der Geschichte des Alten Testaments zurück, als Jerusalem von den einfallenden babylonischen Armeen zerstört und die Elite des Volkes in die Gefangenschaft verschleppt wurde. Luther übertrug im 16. Jahrhundert das Bild der historischen babylonischen Gefangenschaft auf seine Zeit und sprach von der neuen babylonischen Gefangenschaft der Kirche. Er bezeichnete Rom (die Römisch-katholische Kirche) als das moderne Babylon, das das Evangelium als Geisel hielt, indem es das biblische Verständnis der Rechtfertigung ablehnte. Man kann sich vorstellen, wie heftig die Kontroverse war und wie polemisch dieser Titel in dieser Zeit war, wenn man sagt, dass die Kirche nicht einfach nur geirrt oder vom Weg abgekommen sei, sondern gefallen sei – dass sie jetzt tatsächlich babylonisch sei, dass sie jetzt in heidnischer Gefangenschaft sei.

Ich habe mich oft gefragt, was Luther wohl sagen würde, wenn er heute leben und in unsere Kultur kommen würde und sich nicht die liberale Kirchengemeinschaften, sondern die evangelikalen Kirchen ansehen würde. Natürlich kann ich diese Frage nicht mit endgültiger Autorität beantworten, aber ich vermute Folgendes: Wenn Martin Luther heute leben und seinen Stift zur Hand nehmen würde, um zu schreiben, würde das Buch, das er in unserer Zeit schreiben würde, den Titel Die pelagische Gefangenschaft der evangelikalen Kirche tragen. Luther sah, dass die Rechtfertigungslehre durch ein viel tieferes theologisches Problem angegriffen wurde. Er schreibt ausführlich darüber in Von der Freiheit eines Christenmenschen. Wenn wir uns die Reformation ansehen und die Soli der Reformation betrachten – sola scriptura • sola fide • sola gratia • solus Christus • soli Deo gloria – war Luther davon überzeugt, dass das eigentliche Thema der Reformation die Frage der Gnade war; und dass der Lehre von sola fide, der Rechtfertigung durch den Glauben allein, die vorherige Verpflichtung zu sola gratia, dem Konzept der Rechtfertigung durch Gnade allein, zugrunde lag.

In der Fleming-Revell-Ausgabe von »The Bondage of the Will« [orig.: De Servo Arbitrio; dtsch.: Vom unfreien Willen, oder: Über den geknechteten Willen, 1525] fügten die Übersetzer J. I. Packer und O. R. Johnston eine etwas provokative historische und theologische Einführung in das Buch selbst ein. So lautet der Schluss dieser Einführung:

Über diese Dinge müssen Protestanten heute nachdenken. Mit welchem Recht können wir uns Kinder der Reformation nennen? Vieles im modernen Protestantismus würde von den Reformatoren der ersten Stunde weder anerkannt noch gutgeheißen werden. Das Buch Vom unfreien Willen zeigt uns ziemlich genau, was sie über die Erlösung der verlorenen Menschheit glaubten. 

Im Lichte dessen sind wir gezwungen zu fragen, ob das protestantische Christentum zwischen Luthers Zeit und unserer Zeit nicht auf tragische Weise sein Geburtsrecht verkauft hat. Ist der Protestantismus heute nicht eher erasmisch als lutherisch geworden? Versuchen wir nicht zu oft, Lehrunterschiede zu minimieren und zu beschönigen, um des Friedens zwischen den Parteien willen? Sind wir unschuldig, was die Gleichgültigkeit gegenüber der Lehre, die Luther Erasmus vorwarf, angeht? Glauben wir immer noch, dass die biblische Lehre wichtig ist? [1]

Historisch gesehen ist es eine einfache Tatsache, dass Luther, Calvin, Zwingli und alle führenden protestantischen Theologen der ersten Epoche der Reformation hier genau auf dem gleichen Standpunkt standen. In anderen Punkten hatten sie ihre Differenzen. Sie waren sich jedoch völlig einig, was die Hilflosigkeit des Menschen in der Sünde und die Souveränität Gottes in der Gnade betraf. Für jeden von ihnen waren diese Lehren das Herzblut des christlichen Glaubens. Ein moderner Herausgeber von Luthers Werken sagt dazu:

Wer dieses Buch aus der Hand legt, ohne erkannt zu haben, dass die evangelische Theologie mit der Lehre von der Unfreiheit des Willens steht oder fällt, hat es vergeblich gelesen. Die Lehre von der freien Rechtfertigung allein durch den Glauben, die während der Reformationszeit zum Zentrum so vieler Kontroversen wurde, wird oft als das Herzstück der Theologie der Reformatoren angesehen, aber das ist nicht richtig. Die Wahrheit ist, dass ihr Denken sich wirklich auf die Behauptung des Paulus konzentrierte, die von Augustinus und anderen aufgegriffen wurde, dass die gesamte Erlösung des Sünders nur durch freie und souveräne Gnade geschieht, und dass die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben für sie wichtig war, weil sie das Prinzip der souveränen Gnade sicherte. Diese Souveränität der Gnade fand in ihrem Denken auf einer noch tieferen Ebene in der Lehre von der monergistischen [allein von Gott gewirkten] Wiedergeburt Ausdruck. [2]

Das heißt, dass der Glaube, der Christus zur Rechtfertigung annimmt, selbst das freie Geschenk eines souveränen Gottes ist. Das Prinzip des sola fide wird erst dann richtig verstanden, wenn es als im umfassenderen Prinzip des sola gratia verankert betrachtet wird. Was ist die Quelle des Glaubens? Ist es das von Gott gegebene Mittel, durch das die von Gott gegebene Rechtfertigung empfangen wird, oder ist es eine Bedingung der Rechtfertigung, die der Mensch erfüllen muss? Hören Sie den Unterschied? Ich möchte es in einfachen Worten ausdrücken. Ich hörte kürzlich einen Evangelisten sagen: »Wenn Gott tausend Schritte unternimmt, um dich für deine Erlösung zu erreichen, musst du letztendlich immer noch den entscheidenden Schritt tun, um gerettet zu werden.« Denken Sie an die Aussage von Amerikas beliebtestem und führendem Evangelisten des 20. Jahrhunderts, Billy Graham, der mit großer Leidenschaft sagte: »Gott erledigt neunundneunzig Prozent, aber du musst immer noch das letzte Prozent tun.«

Was ist Pelagianismus?

Kommen wir nun kurz auf meinen Titel »Die pelagianische Gefangenschaft der Kirche« zurück. Worüber sprechen wir? Pelagius war ein Mönch, der im fünften Jahrhundert in Großbritannien lebte (um 350–420). Er war ein Zeitgenosse des größten Theologen des ersten Jahrtausends der Kirchengeschichte, wenn nicht aller Zeiten, Aurelius Augustinus (354–430), Bischof von Hippo in Nordafrika. Wir haben vom heiligen Augustinus gehört, von seinen großen theologischen Werken, von seinem »Gottesstaat« (De civitate Dei contra Paganos), von seinen »Bekenntnissen« (Confessiones) und so weiter, die nach wie vor zu den Klassikern der christlichen Literatur gehören.

Augustinus war nicht nur ein herausragender Theologe und ein erstaunlicher Intellektueller, sondern auch ein Mann von tiefer Spiritualität und Gebet. In einem seiner berühmten Gebete machte Augustinus eine scheinbar harmlose und unschuldige Aussage in dem Gebet zu Gott, in dem er sagte: »O Gott, befehle, was du willst, und gewähre, was du befiehlst.« Nun, würde Sie es in Rage versetzen, wenn Sie ein solches Gebet hörten? Jedenfalls versetzte es Pelagius, diesen britischen Mönch, ordentlich in Aufruhr. Er protestierte lautstark und appellierte sogar an Rom, dieses grässliche Gebet aus der Feder des Augustinus zu verbannen. Was war der Grund seiner Empörtheit? Er sagte: »Willst du damit sagen, Augustinus, dass Gott das angeborene Recht hat, seinen Geschöpfen alles zu befehlen, was er will? Niemand wird das bestreiten. Gott hat als Schöpfer von Himmel und Erde von Natur aus das Recht, seinen Geschöpfen Verpflichtungen aufzuerlegen und zu sagen: ‚Du sollst dies tun und du sollst das nicht tun.‘ ‚Befiehl, was du willst‘ – das ist ein vollkommen legitimes Gebet.«

Es ist der zweite Teil des Gebets, den Pelagius verabscheute, als Augustinus sagte: »und gewähre, was du befiehlst.« Er sagte: »Wovon redest du? Wenn Gott gerecht ist, wenn Gott rechtschaffen ist und Gott heilig ist und wenn Gott dem Geschöpf befiehlt, etwas zu tun, dann muss dieses Geschöpf sicherlich die Kraft in sich haben, die moralische Fähigkeit in sich haben, es auszuführen, sonst würde Gott es gar nicht erst verlangen.« Klingt logisch, oder? Pelagius wollte damit sagen, dass moralische Verantwortung immer und überall moralische Fähigkeit oder einfach moralische Befähigung impliziert. Warum sollten wir also beten müssen: »Gott, gib mir die Gabe, das zu tun, was du mir befiehlst«? Pelagius sah in dieser Aussage einen Schatten, der auf die Integrität Gottes selbst geworfen wurde, der die Menschen für etwas verantwortlich machen würde, das sie nicht tun können.

In der anschließenden Debatte machte Augustinus deutlich, dass Gott Adam und Eva bei der Schöpfung nichts befohlen hatte, was sie nicht hätten ausführen können. Aber als die Sünde Einzug hielt und die Menschheit fiel, wurde Gottes Gesetz nicht aufgehoben, noch passte Gott seine heiligen Anforderungen nach unten an, um dem geschwächten, gefallenen Zustand seiner Schöpfung Rechnung zu tragen. Gott bestrafte seine Schöpfung, indem er das Urteil der Erbsünde über sie verhängte, sodass jeder, der nach Adam und Eva in diese Welt geboren wurde, bereits tot in Sünde geboren wurde. Die Erbsünde ist nicht die erste Sünder, sie ist das Ergebnis der ersten Sünde. Sie bezieht sich auf unsere angeborene Verderbtheit, durch die wir in Sünde geboren werden: in Sünde haben uns unsere Mütter empfangen. Wir werden nicht in einem neutralen Zustand der Unschuld geboren, sondern in einem sündigen, gefallenen Zustand. Praktisch jede Kirche im historischen Ökumenischen Rat der Kirchen artikulierte zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer Geschichte und in ihrer Bekenntnisentwicklung eine Lehre von der Erbsünde. Denn diese geht so klar aus der biblischen Offenbarung hervor, dass es einer Ablehnung der biblischen Sichtweise vom Menschen bedürfte, um die Erbsünde gänzlich zu leugnen.

Genau darum ging es im Streit zwischen Augustinus und Pelagius im fünften Jahrhundert. Pelagius sagte, dass es so etwas wie Erbsünde nicht gebe. Adams Sünde beträfe Adam, und nur Adam. Es gebe keine Übertragung oder Weitergabe von Schuld, Sündenfall oder Verderbtheit an die Nachkommen Adams und Evas. Jeder Mensch werde in demselben Zustand der Unschuld geboren, in dem Adam erschaffen wurde. Pelagius sagte, dass es für einen Menschen durchaus möglich sei, ein Leben im Gehorsam gegenüber Gott, ein Leben in moralischer Vollkommenheit, zu führen, ohne irgendeine Hilfe von Jesus oder irgendeine Hilfe durch die Gnade Gottes dafür zu benötigen. Pelagius sagte damit, dass die Gnade – und hier liegt der entscheidende Unterschied – die Gerechtigkeit erleichtert.

Was bedeutet aber in diesem Zusammenhang »erleichtern«? Die Gnade hilft, macht es einfacher, macht es leichter. Aber man muss diese Gnade nicht haben, man kann auch ohne Gnade vollkommen sein. Pelagius erklärte weiter, dass es für manche Menschen nicht nur theoretisch möglich sei, ein vollkommenes Leben ohne jegliche Hilfe durch göttliche Gnade zu führen, sondern dass es tatsächlich Menschen gebe, die dies tun. Augustinus reagierte darauf mit einem: »Nein, nein, nein, nein … wir sind von Natur aus bis in die Tiefen und den Kern unseres Seins von der Sünde infiziert – so sehr, dass kein Mensch die moralische Kraft hat, sich der Gnade Gottes zuzuwenden.« Der menschliche Wille hat aufgrund der Erbsünde zwar immer noch die Macht zu wählen, ist aber seinen bösen Wünschen und Neigungen verfallen. Der Zustand der gefallenen Menschheit ist einer, den Augustinus als die Unfähigkeit, nicht zu sündigen, beschreiben würde. Einfach gefasst sagte Augustinus damit, dass der Mensch durch den Sündenfall die moralische Fähigkeit verloren habe, das zu tun, was Gott will, und dass er von seinen eigenen bösen Neigungen gefangen gehalten werde.

Im fünften Jahrhundert verurteilte die Kirche Pelagius als Ketzer. Der Pelagianismus wurde auf dem Konzil von Orange (529, ehemals Arausio genannt, in Südfrankreich) verurteilt und erneut auf dem Konzil von Florenz (1437–1447), dem Konzil von Karthago (418) und ironischerweise auch auf dem Konzil von Trient (1545–1563) im 16. Jahrhundert in den ersten drei Anathemas der Kanones der sechsten Sitzung. Die Kirche hat also den Pelagianismus durchweg in der gesamten Kirchengeschichte rundheraus und entschieden verurteilt – weil der Pelagianismus die Gefallenheit unserer Natur leugnet; er leugnet die Lehre von der Erbsünde.

Nun war das, was man als Semi-Pelagianismus bezeichnet, wie das Präfix „semi“ andeutet, eine Art Mittelweg zwischen dem voll ausgebildeten Augustinianismus und dem voll ausgebildeten Pelagianismus. Der Semi-Pelagianismus besagt Folgendes: Ja, es gab einen Sündenfall; ja, es gibt so etwas wie Erbsünde; ja, die grundlegende Natur des Menschen wurde durch diesen Zustand der Verderbtheit verändert und alle Teile unserer Menschlichkeit wurden durch den Sündenfall erheblich geschwächt, so sehr, dass ohne die Hilfe der göttlichen Gnade niemand erlöst werden kann, sodass die Gnade nicht nur hilfreich, sondern für die Erlösung absolut notwendig ist. Wir sind zwar so tief gesunken, dass wir ohne Gnade nicht gerettet werden können, aber wir sind nicht so tief gesunken, dass wir nicht die Fähigkeit hätten, die Gnade anzunehmen oder abzulehnen, wenn sie uns angeboten wird. Der Wille ist geschwächt, aber nicht versklavt. Im Kern unseres Wesens gibt es eine Insel der Rechtschaffenheit, die vom Sündenfall unberührt bleibt. Ausgehend von dieser kleinen Insel der Rechtschaffenheit, diesem kleinen Stückchen Güte, das in der Seele oder im Willen noch intakt ist, liegt der entscheidende Unterschied zwischen Himmel und Hölle. Es ist diese kleine Insel, die genutzt werden muss, wenn Gott seine tausend Schritte unternimmt, um uns zu erreichen, aber letztendlich ist es der eine Schritt, den wir tun, der darüber entscheidet, ob wir in den Himmel oder in die Hölle kommen – ob wir diese kleine Gerechtigkeit, die im Kern unseres Wesens liegt, ausüben oder nicht. Diese kleine Insel würde Augustinus nicht einmal als Atoll im Südpazifik erkennen. Er sagte, es sei eine Insel der Phantasie (wörtlich.: »mythische Insel«), vielmehr sei der Wille versklavt und der Mensch tot in seinen Sünden und Verfehlungen.

Ironischerweise verurteilte die Kirche den Semi-Pelagianismus genauso vehement, wie den ursprünglichen Pelagianismus. Doch als man im 16. Jahrhundert das katholische Verständnis dessen las, was bei der Erlösung geschieht, wies die Kirche im Grunde genommen das zurück, was Augustinus und auch Aquin gelehrt hatten. Die Kirche kam zu dem Schluss, dass es immer noch diese Freiheit gebe, dass etwas im menschlichen Willen noch intakt sei, und dass der Mensch mit der »vorauslaufenden« Gnade, die Gott ihm anbietet, kooperieren und ihr zustimmen müsse (und könne). Wenn wir diesen Willen ausüben, wenn wir mit den Kräften, die uns noch bleiben, kooperieren, werden wir gerettet. Und so kehrte die Kirche im 16. Jahrhundert zum Semi-Pelagianismus zurück.

Zur Zeit der Reformation waren sich alle Reformatoren in einem Punkt einig: dass der gefallene Mensch unfähig sei, sich den Dingen Gottes zuzuwenden; dass alle Menschen, um gerettet zu werden, völlig, nicht zu neunundneunzig Prozent, sondern zu hundert Prozent von der monergistischen Arbeit der Erneuerung abhängig seien, um zum Glauben zu gelangen, und dass der (rettende) Glaube selbst ein Geschenk Gottes sei. Es ist nicht so, dass uns die Erlösung angeboten wird und wir wiedergeboren werden, wenn wir uns für den Glauben entscheiden. Wir können vielmehr nicht einmal (rettend) glauben, bis Gott in seiner Gnade und Barmherzigkeit zuerst die Neigungen unserer Seelen durch sein souveränes Werk der Erneuerung verändert. Mit anderen Worten: Die Reformatoren waren sich alle einig, dass ein Mensch, der nicht wiedergeboren ist, das Reich Gottes nicht einmal sehen kann, geschweige denn in es eintreten kann (Johannes 3,3.5). Wie Jesus im sechsten Kapitel des Johannesevangeliums sagt: »Niemand kann zu mir kommen, wenn der Vater, der mich gesandt hat, ihn nicht zieht« (6,44). Die notwendige Bedingung für den Glauben und die Erlösung eines jeden Menschen ist seine Erneuerung durch »Geburt von oben«.

Evangelikale und Glaube

Der moderne Evangelikalismus lehrt fast einheitlich und allgemein, dass ein Mensch, um wiedergeboren zu werden, zuerst Glauben ausüben muss. Man muss sich dafür entscheiden, wiedergeboren zu werden. Ist es nicht das, was Sie hören? In einer Umfrage von George Barna[3] äußerten mehr als siebzig Prozent der »bekennenden evangelikalen Christen« in Amerika die Überzeugung, dass der Mensch im Grunde gut ist. Und mehr als achtzig Prozent vertraten die Ansicht, dass Gott denen hilft, die sich selbst helfen. Diese Positionen – oder lassen Sie es mich negativ ausdrücken – keine dieser Positionen ist semi-pelagianisch. Sie sind beide pelagianisch. Zu sagen, dass wir im Grunde gut sind, ist die pelagianische Ansicht. Ich würde davon ausgehen, dass in mindestens dreißig Prozent der Menschen, die diesen Artikel lesen, und wahrscheinlich mehr, wenn wir ihr Denken wirklich eingehend untersuchen, wir Herzen finden würden, die für den Pelagianismus schlagen. Wir sind davon überwältigt. Wir sind davon umgeben. Wir sind darin versunken. Wir hören es jeden Tag. Wir hören es jeden Tag in der säkularen Kultur. Und wir hören es nicht nur jeden Tag in der säkularen Kultur, sondern auch jeden Tag im christlichen Fernsehen und im christlichen Radio.

Im 19. Jahrhundert gab es einen Prediger, der in Amerika sehr populär wurde und ein Buch über Theologie schrieb, das aus seiner eigenen juristischen Ausbildung hervorging und in dem er keinen Hehl aus seinem Pelagianismus machte. Er lehnte nicht nur den Augustinianismus ab, sondern auch den Semi-Pelagianismus, und bezog klar Stellung zum vollen Pelagianismus, indem er ohne Umschweife und ohne jegliche Zweideutigkeit sagte, dass es keinen Sündenfall gab und dass es so etwas wie Erbsünde nicht gebe. Dieser Mann griff die Lehre von der stellvertretenden Sühne Christi heftig an und lehnte darüber hinaus die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben allein durch die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi so laut und deutlich wie möglich ab. Die Grundthese dieses Mannes lautete: Wir brauchen die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi nicht, weil wir aus uns selbst heraus die Fähigkeit haben, gerecht zu werden. Sein Name ist Charles Finney, einer der am meisten verehrten Evangelisten Amerikas [4]. Wenn Luther nun Recht hatte mit seiner Aussage, dass »sola fide« der Artikel ist, auf dem die Kirche steht oder fällt, und wenn die Reformatoren sagten, dass die Rechtfertigung durch den Glauben allein eine wesentliche Wahrheit des Christentums ist, die auch argumentierten, dass die stellvertretende Sühne eine wesentliche Wahrheit des Christentums ist; wenn sie mit ihrer Einschätzung, dass diese Lehren wesentliche Wahrheiten des Christentums sind, Recht haben, dann können wir nur zu dem Schluss kommen, dass Charles Finney kein Christ war. Ich habe seine Schriften gelesen und sage: »Ich verstehe nicht, wie ein Christ so etwas schreiben kann.« Und doch ist er in der Ruhmeshalle des evangelikalen Christentums in Amerika. Er ist der Schutzpatron des Evangelikalismus des 20. Jahrhunderts. Und er ist kein Semi-Pelagianer; er vertrat vielmehr ungeschminkt den Pelagianismus.

Die Insel der Rechtschaffenen

Eines ist klar: Man kann rein pelagianisch und trotzdem in der heutigen evangelikalen Bewegung vollkommen willkommen sein. Es ist nicht einfach so, dass das Kamel seine Nase in das Zelt steckt; es kommt nicht nur in das Zelt – es wirft den Besitzer des Zeltes hinaus. Der moderne Evangelikalismus betrachtet die reformierte Theologie, die zu einer Art drittklassigem Bürger des Evangelikalismus geworden ist, heute mit Argwohn. Jetzt sagen Sie: »Moment mal, R. C.! Wir sollten nicht alle mit dem extremen Pelagianismus in einen Topf werfen, denn schließlich sagen Billy Graham und der Rest dieser Leute, dass es einen Sündenfall gab, dass man Gnade braucht, dass es so etwas wie Erbsünde gibt und dass Semi-Pelagianer nicht mit Pelagius‘ oberflächlicher und zuversichtlicher Sichtweise der ungefallenen menschlichen Natur übereinstimmen.« Und das ist wahr, keine Frage. Aber es ist diese Behauptung von einer kleinen Insel der Rechtschaffenheit, auf der der Mensch immer noch die Fähigkeit habe, aus sich selbst heraus sich zu bekehren, zu ändern, sich zu neigen, zu entscheiden, das Angebot der Gnade anzunehmen, das offenbart, warum der Semi-Pelagianismus historisch gesehen nicht Semi-Augustinianismus, sondern Semi-Pelagianismus genannt wird.

Ich habe gehört, wie ein Evangelist zwei Analogien verwendete, um zu beschreiben, was bei unserer Erlösung geschehe. (1) Er sagte, dass die Sünde uns so stark im Würgegriff habe, dass es wie bei einer Person sei, die nicht schwimmen kann und in einem tobenden Meer über Bord gehe. Sie gehe zum dritten Mal unter und nur noch die Fingerspitzen seien über dem Wasser zu sehen. Wenn niemand eingreift, um sie zu retten, habe sie keine Überlebenschance, ihr Tod sei gewiss. Und wenn Gott dieser Person keinen Rettungsring zuwerfe, könne sie unmöglich gerettet werden. Und Gott müsse ihm nicht nur einen Rettungsring in die ungefähre Richtung zuwerfen, in der er sich befindet, sondern dieser Rettungsring müsse ihn genau dort treffen, wo seine Finger noch aus dem Wasser ragten, und ihn so treffen, dass er ihn greifen könne. Er müsse also perfekt geworfen werden. Aber dennoch würde diese Person ertrinken, es sei denn, sie nehme ihre Finger und schließe sie um den Rettungsring. So rette Gott sie. Wenn aber diese winzige menschliche Handlung nicht ausgeführt würde, werde sie mit Sicherheit zugrunde gehen.

(2) Die andere Analogie ist folgende: Ein Mann sei todkrank und liege mit seiner tödlichen Krankheit in seinem Krankenhausbett. Es gebe keine Möglichkeit, ihn zu heilen, es sei denn, jemand von außerhalb käme mit einem Heilmittel, einem Medikament, das diese tödliche Krankheit heilen könne. Und Gott habe dieses Heilmittel und käme in das Krankenzimmer mit diesem rettenden Medikament. Aber der Mann sei so schwach, dass er sich nicht einmal selbst das Medikament geben könne, Gott müsse es selbst auf einen Löffel gießen. Der Mann sei aber so krank, dass er fast im Koma liege. Er könne nicht einmal den Mund öffnen, Gott müsse sich vorbeugen und seinen Mund für ihn öffnen. Gott müsse den Löffel an die Lippen des Mannes bringen. Aber der Mann müsse die Medizin trotzdem schlucken.

Wenn wir schon Analogien verwenden, dann sollten wir auch (biblisch) genau sein. Der Mann geht nicht zum dritten Mal unter, vielmehr liegt er in Leichenstarre tot auf dem Meeresgrund. Dort wart ihr einst, als ihr tot wart in Sünden und Vergehen und dem Lauf dieser Welt gefolgt seid, dem Fürsten der Macht der Luft [vgl. Epheser 2,1–3]. Und Gott hat euch mit Christus lebendig gemacht, als ihr tot wart [vgl. Epheser 2,4–8]. Gott tauchte auf den Meeresgrund und nahm diesen ertrunkenen Leichnam und hauchte ihm den Atem seines Lebens ein und erweckte ihn von den Toten. Und es ist nicht so, dass wir in einem Krankenhausbett an einer bestimmten Krankheit gestorben wären, sondern vielmehr, dass wir bei unserer Geburt tot auf die Welt kamen. Die Bibel sagt, dass wir moralisch tot geboren werden.

Haben wir einen Willen? Ja, natürlich haben wir einen Willen. Calvin sagte, wenn man unter einem freien Willen eine Entscheidungsfähigkeit versteht, durch die man die Macht in sich hat, das zu wählen, was man sich wünscht, dann haben wir alle einen freien Willen. Wenn man unter einem freien Willen die Fähigkeit gefallener Menschen versteht, sich zu beugen und diesen Willen auszuüben, um die Dinge Gottes zu wählen, ohne das vorherige monergistische Werk der Erneuerung, dann, so Calvin, ist der freie Wille ein viel zu großartiger Begriff, um ihn auf einen Menschen anzuwenden.

Die semi-pelagianische Doktrin des freien Willens, die heute in der evangelikalen Welt vorherrscht, ist eine heidnische Sichtweise, die die Gefangenschaft des menschlichen Herzens in der Sünde leugnet. Sie unterschätzt den Würgegriff, den die Sünde auf uns ausübt.

Keiner von uns möchte die Dinge so schlecht sehen, wie sie wirklich sind. Die biblische Lehre von der menschlichen Verderbtheit ist düster. Wir hören den Apostel Paulus nicht sagen: »Wisst ihr, es ist traurig, dass es so etwas wie Sünde in der Welt gibt; niemand ist perfekt. Aber seid guten Mutes. Wir sind im Grunde gut.« Sehen Sie, dass selbst eine oberflächliche Lektüre der Heiligen Schrift dies leugnet?

Nun zurück zu Luther. Was ist die Quelle und der Status des Glaubens? Ist er das von Gott gegebene Mittel, durch das die von Gott gegebene Rechtfertigung empfangen wird? Oder ist er eine Bedingung der Rechtfertigung, die wir erfüllen müssen? Ist Ihr Glaube ein Werk? Ist es das eine Werk, das Gott Ihnen zu tun überlässt? Ich hatte kürzlich eine Diskussion mit einigen Leuten in Grand Rapids, Michigan. Ich sprach über sola gratia, und ein Mann war verärgert.

Er sagte: »Wollen Sie mir sagen, dass es letztendlich Gott ist, der ein Herz souverän erneuert oder nicht?«

Und ich sagte: »Ja!«, und das hat ihn sehr verärgert. Ich sagte: »Lassen Sie mich Folgendes fragen: Sind Sie Christ?«

Er sagte: »Ja.«

Ich sagte: »Haben Sie Freunde, die keine Christen sind?«

Er sagte: »Nun, natürlich.«

Ich sagte: »Warum sind Sie Christ und Ihre Freunde nicht? Ist es, weil Sie rechtschaffener sind als sie?« Er war nicht dumm, darum sagte er nun nicht: »Natürlich, weil ich rechtschaffener bin. Ich habe das Richtige getan und mein Freund nicht.« Er wusste, worauf ich mit dieser Frage hinauswollte.

So sagte er: »Oh nein, nein, nein.«

Ich sagte: »Sagen Sie mir, warum. Ist es, weil Sie klüger sind, als Ihr Freund?«

Er antwortete: »Nein.«

Aber er wollte nicht zugeben, dass der entscheidende Punkt die Gnade Gottes war. Er wollte nicht darauf eingehen. Und nachdem wir fünfzehn Minuten lang darüber diskutiert hatten, sagte er: »Okay! Ich sage es: Ich bin Christ, weil ich das Richtige getan habe, ich habe die richtige Antwort gegeben, und mein Freund nicht«

Worauf vertraute diese Person für ihre Erlösung? Nicht auf ihre Werke im Allgemeinen, sondern auf das eine Werk, das sie vollbracht hatte. Und er war Protestant, ein Evangelikaler. Aber seine Ansicht über die Erlösung unterschied sich nicht von der römisch-katholischen Ansicht.

Gottes Souveränität in der Erlösung

Es geht im Kern um Folgendes: Was entscheidet letztlich das Heil? Ist es Teil von Gottes Geschenk der Erlösung oder ist es unser eigener Beitrag zur Erlösung? Ist unsere Erlösung ganz und gar Gottes Werk oder hängt sie letztlich von etwas ab, das wir selbst tun? Diejenigen, die Letzteres sagen, dass sie letztlich von etwas abhängt, das wir selbst tun, leugnen damit die völlige Hilflosigkeit des Menschen in der Sünde und behaupten damit, dass eine Form des Semi-Pelagianismus doch wahr sei. 

Es ist daher nicht verwunderlich, dass die spätere reformierte Theologie den Arminianismus im Prinzip sowohl als Rückkehr zu Rom verurteilte, weil er den Glauben in ein Verdienstwerk verwandelte, als auch als Verrat an der Reformation, weil er die Souveränität Gottes bei der Errettung von Sündern leugnete, was das tiefste religiöse und theologische Prinzip des Denkens der Reformatoren war. Der Arminianismus war in den Augen der Reformierten in der Tat eine Abkehr vom neutestamentlichen Christentum zugunsten des neutestamentlichen Judentums. Denn sich im Glauben auf sich selbst zu verlassen, ist im Prinzip nichts anders, als sich bei Werken auf sich selbst zu verlassen, und das eine ist genauso unchristlich und antichristlich wie das andere. Angesichts dessen, was Luther zu Erasmus sagt, besteht kein Zweifel daran, dass er dieses Urteil gebilligt hätte.

Und doch ist diese Ansicht heute in bekennenden evangelikalen Kreisen die überwältigende Mehrheit. Und solange der Semi-Pelagianismus, der im Kern einfach eine kaum verhüllte Version des echten Pelagianismus ist, in der Kirche vorherrscht, weiß ich nicht, was passieren wird. Aber ich weiß, was nicht passieren wird: Es wird keine neue Reformation geben. Solange wir uns nicht demütigen und verstehen, dass kein Mensch eine Insel ist und dass kein Mensch eine Insel der Gerechtigkeit hat, dass wir für unsere Erlösung völlig von der reinen Gnade Gottes abhängig sind, werden wir nicht anfangen, uns auf die Gnade zu verlassen und uns an der Größe der Souveränität Gottes zu erfreuen, und wir werden den heidnischen Einfluss des Humanismus nicht los, der den Menschen verherrlicht und in den Mittelpunkt der Religion stellt. Solange wir uns nicht demütigen, wird es keine neue Reformation geben, denn im Mittelpunkt der reformatorischen Lehre steht die zentrale Stellung der Anbetung und Dankbarkeit gegenüber Gott und Gott allein. Soli Deo gloria, Gott allein sei die Ehre.

Anmerkungen

  • [1] J. I. Packer und O. R. Johnston, „Introduction“ zu The Bondage of the Will (Old Tappan, NJ: Fleming Revell, 1957), S. 59–60. Deutsch: Vom unfreien Willen (orig.: De servo arbitrio, 1523). Digitalquelle: https://www.theology.de/downloads/deservoarbitrio.pdf [abgerufen 25.03.2025]. – Siehe auch: Scott Clark, Luther über die Freiheit und Knechtschaft des Willens. 6. November 2017. Digitalquelle: https://www.evangelium21.net/media/781/luther-ueber-die-freiheit-und-knechtschaft-des-willens [abgerufen 25.03.2025] .
  • [2] ders.
  • [3] George Barna (geb. 1954) ist der Gründer von The Barna Group, einem Unternehmen für Marktforschung, das sich auf die Untersuchung der religiösen Überzeugungen und Verhaltensweisen von Amerikanern sowie auf die Schnittstelle zwischen Glauben und Kultur spezialisiert hat.
  • [4] »Charles Grandison Finney (* 29. August 1792 in Warren, Litchfield County, Connecticut; † 16. August1875 in Oberlin, Ohio) war ein US-amerikanischer Jurist, evangelikaler Erweckungsprediger, Hochschullehrer und Rektor des Oberlin Collegiate Institute und wichtiger Vertreter der Heiligungsbewegung und des Oberlin Perfektionismus.« (https://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Grandison_Finney, abgerufen 14.04.2025).


Ein Einwand gegen Gottes Souveränität, der sie beweist (Mike Riccardi)

In Römer 9 erörtert Paulus Gottes absolute Freiheit in seinen Heilsplänen. Er verwendet das Beispiel der Zwillinge Jakob und Esau und erklärt, dass Gottes Entscheidung für Jakob und gegen Esau nichts mit den beiden zu tun hatte. Vielmehr wählte Gott, „damit [sein] Vorsatz nach seiner Wahl bestehen bleibe“ (Römer 9,11b). Diese Wahl wurde „nicht aufgrund von Werken, sondern aufgrund dessen getroffen, der berufen hat“ (Römer 9,12a). Er fährt fort, dass die Erlösung „nicht von dem abhängt, der will oder der läuft, sondern von Gott, der Erbarmen hat“ (Römer 9,16), und untermauert diese Behauptung dann mit dem Hinweis, dass Gott das Herz des Pharaos verhärtet habe, um seine Macht zu demonstrieren und seinen Namen durch die folgenden Ereignisse zu verkünden (Römer 9,17; vgl. 2. Mose 9,16). Paulus fasst seinen Standpunkt dann zusammen, indem er erklärt: „So denn, wen er will, begnadigt er, und wen er will, verhärtet er.“ (Römer 9,18).

Dann nimmt Paulus einen Einwand vorweg: „Du wirst nun zu mir sagen: Warum tadelt er denn noch? Denn wer hat seinem Willen widerstanden?“ (Römer 9,19).

Zunächst wollen wir den Einwand selbst verstehen. Der imaginäre (oder vielleicht nicht so imaginäre) Gesprächspartner des Paulus hat alles verstanden, was Paulus bis zu diesem Punkt über Gott gesagt hat:

  • Er versteht, dass die Erlösung ganz und gar ein Werk der Gnade Gottes ist und gar nichts davon dem Menschen zu verdanken ist.
  • Er versteht auch, dass es Gottes Wille, nicht der Wille des Menschen, ist, der für die Erlösung bestimmend und entscheidend ist (siehe auch Römer 9,16; vgl. Johannes 1,13). Er stellt eine rhetorische Frage, um genau diesen Punkt zu unterstreichen: „Wer widersetzt sich seinem Willen?“ Die Antwort auf diese rhetorische Frage lautet: „Niemand widersetzt sich Gottes Willen!“ „Aber unser Gott ist in den Himmeln; alles, was ihm wohlgefällt, tut er“ (Psalm 115,3). Er spricht: „all mein Wohlgefallen werde ich tun“ (Jesaja 46,10), und „kein Vorhaben [kann ihm] verwehrt werden“ (Hiob 42,2).
  • Er versteht auch, dass Gott den Menschen stets verantwortlich hält, ihn zur Rechenschaft zieht: „Warum tadelt er denn noch?“ (Römer 9,19b).

Die Frage ist also: „Da niemand Gottes Willen widerstehen kann [, sondern diesem völlig ausgeliefert ist], wie kann es dann von Gott gerecht („fair“) sein, dass er immer noch tadelt?“.

Den Einwand verstehen

Dieser Einwand ist für jeden Christen sehr hilfreich, um das Wesen der Souveränität Gottes in der Errettung besser zu verstehen. Denn wie auch immer wir zu den Lehren der Gnade stehen mögen, so müssen unsere Schlussfolgerungen jedenfalls dergestalt sein, dass der Einwand von Römer 9,19 Sinn macht.

Tatsache ist: Dieser Einwand macht nur dann Sinn, wenn drei Dinge wahr sind: (1) Der Mensch muss Buße tun und gerettet werden, wie es Gott befohlen hat. (2) Dem Menschen fehlt die moralische Fähigkeit, Buße zu tun und gerettet zu werden, und: (3) Gott macht den Menschen weiterhin dafür verantwortlich, Buße zu tun und gerettet zu werden, und wird ihn bestrafen, wenn er diesem Befehl nicht folgt.

Philosophisch gesehen macht dieser Einwand nur dann Sinn, wenn „Sollen“ nicht gleichbedeutend mit „Können/Vermögen“ ist – das heißt, wenn ein Befehl nicht unbedingt (implizit) bedeutet, dass der Angesprochene auch in der Lage ist, das zu tun, was ihm befohlen ist. Theologisch gesehen ergibt dieser Einwand nur dann Sinn, wenn die Lehren von der totalen Verdorbenheit des Menschen, der bedingungslosen Erwählung durch Gott und der unwiderstehlichen Gnade im Heil wahr sind.

Es ist für den natürlichen Verstand abstoßend, wenn wir für etwas zur Rechenschaft gezogen werden, das wir nicht fähig sind zu tuninsbesondere, wenn wir festhalten, dass es ein liebender Gott ist, der das verlangt. Und so entwickelten verschiedene Denkschulen alternative Auffassungen von Gottes Souveränität, um Gott vor dem zu bewahren, was sie für ungerecht („unfair“) halten. Keine dieser Alternativen macht jedoch den Einwand in Römer 9,19 verständlich. Betrachten wir kurz drei dieser Alternativen.

Universalismus

Eine dieser alternativen Vorstellungen ist der Universalismus (alle Menschen werden ohne Unterschied gerettet). Gott hat etwas von den Menschen gefordert, das sie nicht in der Lage sind zu erbringen, also kehrt er ihre Sünden unter den Teppich – schließlich sind Kinder Kinder, oder? – und lässt sie vom Haken. Abgesehen davon, dass diese Position offensichtlich im Widerspruch zur Bibel ist, würde sie bedeuten, dass Gott die Menschheit „immer noch tadelt“. Niemand kann seinem Willen widerstehen, also findet er einfach keine Fehler an ihnen. [Anm. d. Üb.: Gott wendet also das Heilswerk auf alle an, ohne diese zu fragen und ohne etwas von irgendjemand zu erwarten und ohne die Ursache des Tadels zu beseitigen.]

Bedingte Erwählung auf der Grundlage vorhergesehenen Glaubens

Eine andere Alternative besteht darin, zu leugnen, dass Gottes Erwählung bedingungslos ist, und stattdessen zu behaupten, dass sie vom Glauben abhängig sei, den Gott in einer bestimmten Person vorausgesehen hat. Anders gesagt: Gott hat Menschen erwählt, weil er im Voraus sah, dass diese ihn eines Tages erwählen würden. Da es für unseren natürlichen Verstand unfair ist, dass Menschen zur Rechenschaft gezogen werden, weil sie etwas nicht getan haben, das sie gar nicht tun können, behauptet diese theologische Position, dass wir vielmehr in der Lage seien, etwas zu tun – nämlich zu glauben –, wobei dieser Glaube dann zur Folge habe, dass Gott uns Gnade gewähre.

Aber wenn diese Ansicht richtig wäre, hätte Paulus‘ imaginärer Gegenredner in Römer 9,19 sicher nicht seinen Einwand gegen Gottes Erwählung erhoben. Es wäre ja kein Rätsel, warum jene, die nicht glauben, „immer noch getadelt werden“. Sie hatten einfach aus freien Stücken nicht den Glauben gefasst, der notwendig ist, um zum Heil erwählt zu werden. (Also geschah Ihnen mit der Nichterwählung völlige Gerechtigkeit – kein Einspruch nötig.)

Unbedingt freier Wille

Eine weitere Alternative, die der vorherigen ähnelt, besteht darin, zu behaupten, dass Gott zwar („absolut“) souverän ist, sich aber in seiner Souveränität dafür entschieden habe, dem Menschen (auch) eine gewisse Art von Souveränität in Form eines völlig freien Willens zu gewähren. Gott gebiete Buße und Glauben, und er werde diejenigen tadeln, die dann nicht Buße tun und glauben. Nach dieser Ansicht tun diejenigen, die nicht Buße tun und glauben, dies, weil sie den freien Willen haben, Gott anzunehmen oder abzulehnen. Gott habe sein Bestes getan und würde jeden retten, wenn er dies könnte, aber er hat die endgültige Entscheidung über die Erlösung völlig dem (freien Willen des) Menschen überlassen. Mit anderen Worten, sie können durchaus mit ihrem freien Willen „seinem Willen widerstehen“.

Auch bei dieser Ansicht ergibt sich, dass der Einwand in Römer 9,19 keinen Sinn ergibt. Es wäre kein Geheimnis, warum Gott diejenigen tadeln würde, die ihn ablehnen. Doch der Gesprächspartner des Paulus behauptet (durch seine rhetorische Frage), dass sich niemand dem Willen Gottes widersetzt.

Die geniale Gnade

Wenn wir also den Einwand, den Paulus in Römer 9,19 rhetorisch erhebt, verstehen wollen, können wir Gottes Souveränität und die Unfähigkeit des Menschen (zu Buße und Glauben) nicht durch eine Berufung auf die bedingte Erwählung seitens Gottes oder den völlig freien Willen des Menschen erklären. Der Einwand von Römer 9,19 ergibt nur dann einen Sinn, wenn die Lehren von der totalen Verderbtheit des Menschen, der bedingungslosen Erwählung seitens Gottes und der unwiderstehlichen Gnade im Heilswirken Gottes biblisch wahr sind.

Aber wie kann das gerecht (o. „fair“) sein? Wie kann Gott dem Menschen etwas ihm Unmögliches befehlen und ihn dennoch zur Rechenschaft für das Nichtbefolgen ziehen? Wie kann er Menschen befehlen, (mittels Buße und Glauben) wiedergeboren zu werden, wenn doch die Rettung und Wiedergeburt vollständig „an dem begnadigenden Gott“ liegt (Römer 9,16; vgl. Johannes 1,12)? Nun, Paulus‘ Antwort ist, den Fragesteller scharf zu tadeln, der versucht, die Gerechtigkeit Gottes in Frage zu stellen: „Wer bist du denn, o Mensch, der du das Wort nimmst gegen Gott?“ (Römer 9,20). Wenn jemand unterfängt, so Gottes Charakter zu kritisieren, hat er ein völlig verbogenes Verständnis davon, was Gerechtigkeit ist („Ist etwa Ungerechtigkeit bei Gott? Das sei ferne!“; Römer 9,14; vgl. 3,5b–6), und sollte sich besser schnell die Hand vor den Mund halten.

Aber es gibt eine Möglichkeit, diese Frage aus dem aufrichtigen Wunsch heraus zu stellen, Gott besser zu verstehen und ihn dafür anzubeten, wie er sich offenbart hat. Und wenn die Frage in diesem Geist gestellt wird, glaube ich, dass es eine klare Antwort gibt. Und die lautet: Gott schenkt seinem Volk das, was er von ihm verlangt.

Das ist das Geniale an der Gnade Gottes: Indem Gott von jedem Menschen etwas fordert, das für diesen unmöglich ist, zeigt er unübersehbar, wie wirklich hilflos und unvermögend der Mensch in Bezug auf seinen geistlichen Zustand ist. Und weil er etwas vom Menschen fordert, das nur Gott selbst vollbringen kann, stellt er unübersehbar seine eigene Fähigkeit und die Fülle seiner Herrlichkeit zur Schau. Wie Paulus dann weiter erklärt, tut er dies, „damit er kundtäte den Reichtum seiner Herrlichkeit an den Gefäßen der Begnadigung, die er zuvor zur Herrlichkeit bereitet hat“ (Römer 9,23).

Indem Gott gewährt, was er verlangt, zeigt er sich als das A und O, der alles in Allem ist. Er weist dem Menschen die ihm angemessene Position zu: Er ist ein armer Bettler, der völlig auf das angewiesen ist, was er aus Gottes Hand empfängt. Dann schenkt er uns als unser Wohltäter das, was er von uns verlangt, und gewinnt so unsere Zuneigung, sodass wir ihn als überaus liebenswert, überaus würdig und überaus wunderbar begreifen und ergreifen.

Quellen

Der Artikel wurde adaptiert von: Michael Riccardi: An Objection to God‘s Sovereignty that Proves It, The Cripplegate (March 16, 2012), https://thecripplegate.com/an-objection-to-gods-sovereignty-that-proves-it [abgerufen 30.08.2024]. Eigene Übersetzung (grace@logikos.club).

John F. MacArthur und Richard Mayhue, Biblische Lehre: Eine systematische Zusammenfassung biblischer Wahrheit. EBTC, 3. Aufl. 2023, geb., 1.360 Seiten | ISBN: 978-3947196500. Insbes. Kap. VII Die Errettung und Abschnitt 2 Der Plan der Errettung (S. 648–678).

Concursus Dei – Die Souveränität Gottes und die Verantwortung des Menschen (auf logikos.club).

John F. MacArthur, Göttliche Unveränderlichkeit und die Lehren der Gnade (Orig.: Divine Immutability and the Doctrines of Grace, Übersetzung ins Deutsche auf logikos.club).

Von Gefühlen getäuscht (Burk Parsons)

Als Gott uns nach seinem Ebenbild schuf, gab er uns die Fähigkeit zu fühlen und zu denken. Unsere Fähigkeit, Gefühle, Wünsche und Emotionen zu haben, stammt von Gott, daher sind unsere Gefühle, Wünsche und Emotionen bedeutsam für unser Menschsein. Gleichzeitig hat Gott uns auch mit der Fähigkeit zu denken, zu beurteilen und zu entscheiden gesegnet.

Ein Problem entsteht jedoch, wenn wir Denken und Fühlen verwechseln. Viele Menschen scheinen heute den Unterschied zwischen Denken und Fühlen nicht zu verstehen. Darüber hinaus sind viele im Unklaren, wie sie im Leben die richtigen Entscheidungen treffen und die richtigen Schlüsse ziehen können. In früheren Generationen wurde gesagt: „Tu, was recht ist!“ Seit Jahrzehnten jedoch fordert unsere Kultur die Menschen auf: „Tu, was sich gut anfühlt!“ Den Menschen wird dabei vermittelt, dass wahre Freiheit darin bestünde, das zu tun, was sich richtig anfühlt. Anstatt dessen sollten sie gelernt haben, dass wahre Freiheit die Fähigkeit ist, das zu tun, was wir als richtig erkennen.

Es überrascht nicht, dass viele Menschen in unserer Zeit ihre Identität, Sexualität und ihr Geschlecht aufgrund bloßen Fühlens in Frage stellen. Dies sollte uns zutiefst traurig stimmen und uns dazu veranlassen, allen Menschen mit Mitgefühl und Fürsorge das Evangelium zu verkünden. Menschen, die auf solche Weise verwirrt sind, müssen die Gnade Gottes in der Guten Nachricht von Jesus Christus erkennen lernen.

Wenn Ungläubige die Wahrheit über Gott gegen eine Lüge eintauschen, werden sie natürlich das, was sie wissen, gegen das eintauschen, was sie fühlen. Sie werden ihr Wissen über das, was sie für wahr und richtig halten, gegen ihre niedrigsten Gefühle eintauschen, von denen sie erhoffen, dass diese ihnen den besten Genuss bereiten. Am Ende werden Menschen, die von Christus getrennt sind, das tun, was ihnen die angenehmsten Gefühle hervorruft. Der Zeitgeist ermutigt sie darin mit dem verrückten Rat, dass sie ihre Gefühle nicht mit der Realität in Einklang bringen müssten, sondern die Realität mit ihren Gefühlen.

Selbst wir Christen können manchmal von unseren Gefühlen getäuscht werden. Wir können in tiefe Unzufriedenheit, Einsamkeit, Verzweiflung oder Scham verfallen und das Gefühl haben, nicht wirklich gerettet zu sein. Dies kann besonders dann geschehen, wenn wir uns von unserer Sünde erdrückt fühlen und wenn unser Feind uns anklagt. Wir müssen uns dann daran erinnern, dass unsere Gefühle manchmal die größten Lügner sind. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Gefühle das, was wir [aus Gottes Wort] als wahr und recht erkannt haben, außer Kraft setzen. Wir müssen unseren Gefühlen das Evangelium predigen und den Herrn bitten, uns zu helfen, nie zu vergessen, dass wir in Christus sind. Wir dürfen niemals zulassen, dass sich unsere Lehre unseren Gefühlen beugt, sondern müssen vielmehr mit Sorgfalt darauf achten, dass unsere Gefühle der biblischen Wahrheit entsprechen.

Ein Beitrag von Burk Parsons in Tabletalk Vol. 48, Nr. 6 (Juni 2024), S. 2. Dr. Burk Parsons ist Herausgeber des Magazins Tabletalk und leitender Pastor der Saint Andrew’s Chapel in Sanford, Florida (USA). Eigene Adaptierung und Übertragung ins Deutsche.

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Was drei para-Wörter über das Wesen der Sünde lehren

Über das Wesen der Sünde muss viel und bibelgründlich nachgedacht werden, sonst begreift man weder den mieslichen Stand des gefallenen Menschen, noch die Größe des Opfers des menschgewordenen Sohnes Gottes, noch die Genialität und den Gnadenreichtum der Erlösung.

Einen hilfreichen Blick auf das Wesen der Sünde liefert der Apostel Paulus in seinem Brief an die christliche Gemeinde in Rom. Er gebraucht dort im fünften Kapitel drei Wörter mit der griech. Vorsilbe para:

»14Aber der Tod herrschte von Adam bis auf Mose, selbst über die, die nicht gesündigt hatten in der Gleichheit der Übertretung [παράβασις parabasis] Adams, der ein Vorbild des Zukünftigen ist.
15Ist nicht aber wie die Übertretung so auch die Gnadengabe? Denn wenn durch die Übertretung [παράπτωμα paraptōma] des einen die vielen gestorben sind, so ist viel mehr die Gnade Gottes und die Gabe in Gnade, die durch den einen Menschen, Jesus Christus, ist, zu den vielen überströmend geworden.
19Denn so wie durch den Ungehorsam [παρακοή parakoē] des einen Menschen die vielen in die Stellung von Sündern gesetzt worden sind, so werden auch durch den Gehorsam des einen die vielen in die Stellung von Gerechten gesetzt werden.«

Römer 5,14.15.19 (ELBCSV 2003)

Sünde war dem Geschöpf (hier: dem Menschen) nur möglich, weil es ihm geschöpflich möglich war, aus seinem früheren Stand herauszufallen. Nur Gott Selbst ist im Wesen unwandelbar und vollkommen. Der Mensch war gut (sogar »sehr gut«; 1.Mose 1,31) erschaffen worden, aber nicht unveränderlich gut geschaffen worden. Die Möglichkeit zur Veränderung in beide Richtungen war also durch seine Wandelbarkeit möglich, mithin auch das Fallen aus der ursprünglichen Unschuld.

Zum Fallen bedarf es des Anstoßes, einer herabziehenden Kraft und einer dieser Kraft unterliegenden Schwäche. Der Mensch fiel durch den Anstoß, den der Mensch am (einzigen!) Gebot Gottes nahm, und wodurch er den Segensraum, den Gott ihm in Verbindung mit dem einzigen Verbot errichtet hatte, verließ. Dergestalt sich selbst des Haltes entledigt habend, wirkte als Zweitursache für den Fall die verführerische Kraft der Schlange, in der der Satan, der Ur-Lügner und Ur-Menschenmörder (Johannes 8,44), wirksam war.

Folglich bezeichnet die Bibel Sünde mit Begriffen wie »das Ziel verfehlen, fehlschießen, von der Bahn abirren« (Hebr.) oder »Herauslaufen aus einer bisher eingehalten Bahn« (Griech.). Andere griech. Schreiber und die LXX verwenden auch den Begriff »aus der Melodie fallend, falsch singend« (πλημμέλεια), also Sünde/Schuld als »Misston«.

»Das Hinausgehen, das Abweichen aus dem Worte oder Gebote Gottes und der daraus folgende Bruch mit Gott ist der Sünde Anfang, und im Beharren auf diesem Weg vollendet sich die Sünde.« (Eduard Böhl, Dogmatik [Bonn/Hamburg, 2004], S. 208).

Paulus betont in der lehrhaften Interpretation des historischen Sündenfalls in Römer 5 dieses »Hinausgehen« mit einem Dreiklang von para-Wörtern.

  • παράβασις parabasis – von para = (hin-)über/daneben und baino = gehen/(ein-)treten, also Übertretung, Überschreiten einer gezogenen Linie, meist im juristischen Sinn: Gesetz, Statuten, Vertragsbestimmung nicht einhalten; der biblische Gebrauch folgt dem juristischen Sinn (vgl. Römer 2,23; 4,15; Galater 3,19; 1.Timotheus 2,14; Hebräer 2,2; 9,15)
  • παράπτωμα paraptōma – von para = (hin-)über/daneben und pipto = fallen, also Fehltritt, ein Fallen aus der rechten Bahn. Stets als Sünde verstanden, daher meist wiedergegeben mit: Übertretung, aber auch mit: Verfehlung, Fehltritt, Fall, Sünde, Vergehung (Römer 4,25; 5,15.16.17.18.20; 11,11.12; 2.Korinther 5,19; Galater 6,1; Epheser 1,7; 2,1.5; Kolosser 2,13).
  • παρακοή parakoē – von para = (hin-)über/daneben und akouo = hören, also danebenhören, weghören, sich weigern zu hören: Ungehorsam (2.Korinther 10,6; Hebräer 2,2). Im AT parallel mit der »Weigerung, auf meine Worte zu hören« (Jeremia 11,10; 35,17).

Der Apostel verweist auf die historischen Tatsachen der Schöpfungsgeschichte und des »Sünden-Falls«, dem Geschehnis der Ur-Sünde. In 1.Mose 3 werden die einzelnen Schritte des Fallens in die Sünde deutlich markiert. Paulus macht in Römer 5,12 deutlich, dass dies der Ausgangspunkt für das Verstehen der Sünde ist. Folgen wir also in groben Zügen dem Geschehen dort, um Paulus in Römer 5 (und wo er sonst Schöpfung und Sündenfall heranzieht) besser zu verstehen.

Die Verführungsmacht des Bösen demonstriert an der Ur-Sünde

Die Verführung des als Schlange auftretenden Satans beginnt mit dem taktisch listigen ersten Schritt, die Frau des ersten Paares anzusprechen, also unter Umgehung Adams, der für das Paar verantwortlich war und der das Gebot Gottes höchstpersönlich empfangen hatte, bevor Eva erschaffen worden war (2.Mose 2,16–17). Es sollte uns nicht verwundern, dass Satan dabei die Hauptschaft des Mannes und mithin die Schöpfungsordnung Gottes missachtet, aber es sollte uns demütigen, dass wir Menschen in Adam und Eva diese Übertretung (parabasis) der Ordnung Gottes ohne Widerspruch hinnehmen.

Der zweite Schritt ist eine listige Frage, in der der Keim der Verführung durch Lüge insofern schon enthalten ist, als das Gebot Gottes in verfälschter Weise zitiert und in eine bewusste Infragestellung gegossen wird: »Hat Gott wirklich gesagt: Ihr sollt nicht essen von jedem Baum des Gartens?« (1.Mose 3,1). Das Gebot Gottes war ja in Hauptsache positiv formuliert worden: »Von jedem Baum des Gartens darfst du nach Belieben essen« (1.Mose 2,16), bevor ein einzelner (!) Baum ausgenommen und zum verbotenen Baum erklärt wurde: »aber vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, davon sollst du nicht essen; denn an dem Tag, da du davon isst, wirst du gewisslich sterben« (1.Mose 2,17; ELB1905, vgl. SCHL2000). Bei Satan liegt der Schwerpunkt auf dem Verbot, das wie ein Verbot für alle Bäume klingt: »nicht essen von jedem Baum des Gartens«. Dies ist eine Testfrage, ob Eva das Gebot Gottes exakt kennt und verführerische Verdrehungen in der Formulierung samt der unterschwelligen Anklage (Gott sei restriktiv, anstelle im Überfluss segnend) sofort erkennt. Dafür aber muss man das ganze Gegenteil von „Danebenhören“ tun: Man muss der Stimme Gottes aufmerken zuhören und dieses Wort Gottes im Herzen glaubend aufnehmen (vgl. 1.Mose 22,18; 1.Samuel 15,22; 2.Könige 18,12; Sprüche 2,1–8; 15,31–33; 28,9; Kolosser 1,23; Hebräer 2,1–3; Offenbarung 2,7.11.17.29; 3,6.13.22; 13,9).

Der dritte Schritt wird getan, indem Eva überhaupt der Schlange zuhört und sich nicht abrupt abwendet. Denn gegenüber den Worten der Schlange ist parakoē (Weghören, Ungehorsam) Pflicht. Mit der Entscheidung, wem man das Ohr leiht, trifft man Vorentscheidungen.

Der vierte Schritt ist, dass Eva die Worte und den Gedanken Satans aufnimmt und antwortet. Nun ist der Dialog mit dem Satan begonnen. Welchen sinnvollen Grund könnte es je geben, mit dem obersten Feind Gottes und der Menschen Gedanken auszutauschen? Zumal in ihrer Antwort deutlich wird, dass sie die Fakten nicht klar parat hat: Eva kennt das (bisher einzige!) Gebot Gottes nicht exakt, nur so ungefähr: »Von der Frucht der Bäume des Gartens essen wir; aber von der Frucht des Baumes, der in der Mitte des Gartens ist, hat Gott gesagt: Davon sollt ihr nicht essen und sie nicht anrühren, damit ihr nicht sterbt.« (1.Mose 3,2–4). Sie vergisst zwei entscheidende Wörter des göttlichen Segens- und Gebotsspruches: »nach Belieben« und »gewisslich«. Wenn Gott redet, ist „Danebenhören“ gefährlich. Denn mit dem ersten Wort betonte Gott den Überfluss und die freie Verfügbarkeit seines Segens, und mit dem zweiten Wort betonte Er die Ernsthaftigkeit der Sanktion/Strafe bei Übertretung. Gott schenkt im Überfluss, aber nur im von Ihm gesetzten Rahmen; wird dieser überschritten, ist absolut sicher mit den angekündigten Folgen zu rechnen. Und ob dieser »verbotene Baum« wirklich »in der Mitte des Gartens« stand, oder nun listig zum Zentrum der Diskussion gemacht wird, wissen wir nicht. – Evas Antwort schaltet jedenfalls für Satan das Signal auf »Grün«, um seine Verführung nun noch offener und noch direkter fortzusetzen.

Der fünfte Schritt ist ein offener Angriff der Schlange auf Gottes moralisches Wesen von Licht/Wahrheit und Liebe: »Ihr werdet durchaus nicht sterben, sondern Gott weiß, dass an dem Tag, da ihr davon esst, eure Augen aufgetan werden und ihr sein werdet wie Gott, erkennend Gutes und Böses.« (1.Mose 3,4-5). Mit frechem »durchaus nicht« wird Gottes Wahrheit geleugnet, mit dem Rest wird Gottes Liebe in Frage gestellt, werden Gott schlechte Motive unterstellt: »Gott enthält euch etwas Wunderbares vor. Habt den Mut, es euch einfach zu nehmen!«. Und wie bei fast jeder Verführung wird nicht nur durch offenes Reden Wesentliches verleugnet, sondern auch durch Umdeutungen und Verschweigen. »Sein wie Gott« ist dem Geschöpf prinzipiell unmöglich: Der Schöpfer wird immer höher als sein Geschöpf sein. Was geschöpfliche Realität des Menschseins war, ist das Gleichnishafte und Bildhafte des Menschen gegenüber Gott. Diese unter allen Geschöpfen einzigartige Wesenszuweisung befähigt den Menschen zum Gegenüber Gottes. Sie ist Befähigung zu größten göttlichen Segnungen, macht den Menschen aber nicht zu Gott. Niemals wird ein Mensch über den Weg eigener und autonom verschaffter Erkenntnis des Guten und Bösen so werden können »wie Gott«[1]. Die Schöpfungsordnung war eine klare: Gott setzte souverän das Gebot ein und legte die Strafe fest, der Mensch stand unter dem Gebot. Dies war unumkehrbar, offensichtlich und nicht in Frage zu stellen. Leider war diese Täuschung und Verführung des Menschen schon beim ersten Versuch im Garten Eden erfolgreich, und so verwendet Satan sie seitdem immer wieder – und mit großem Erfolg. Um sich selbst drehend und um sich selbst tanzend verbohrt und erniedrigt sich der narzistische und sich zum Gott erklärende Mensch in immer hoffnungslosere Tiefen der Gottesfinsternis.

Der sechste Schritt offenbart, dass der Biss der Schlange das Gift ihrer Lüge erfolgreich Eva injiziert hat. Die Verführung durchdringt lähmend die Schaltzentrale ihres Seins: ihren Geist, ihre Seele, ihr Herz. Man kann diesen inneren Prozess des selbstständigen Denkens, Empfindens und Bilden einer persönlichen Entscheidung am Wort »sah« und an den wertenden Wörtern »gut«, »eine Lust« sowie »begehrenswert« verfolgen. Wir müssen rückblickend feststellen, dass hiermit der »Sündenfall« bereits geschehen ist, denn jede Sünde beginnt im Denken und Begehren, im Herzen (der Persönlichkeitsmitte), sagt der Sohn Gottes (Matthäus 5,22.28; 15,19–20). Die Lust zur Sünde hat die Augen verblendet, die klare Linie, die Gott gezogen hatte, ist ausgeblendet. Das Übertreten (parabasis) ist bei Eva im Denken, im Herzen, im Zentrum also, getan, ihr Fallen im nächsten Schritt ist unausweichlich (Jakobus 1,15).

Der siebte Schritt: Nicht jeder Gedanke, nicht jedes Begehren, nicht jedes Entscheiden führt heute den Glaubenden zwingend auch zur bösen Tat, da Gottes Gnade oft zurückhält. Aber hier im Garten Eden beobachten wir, dass den sündigen Gedanken, Gefühlen, Bewertungen, Entscheidungen Evas – ihrem Übertreten im Herzen – nun auch konsequent die sündigen Taten folgen, und Eva andere (ja: alle anderen!) in die sündige Tat mit hineinzieht, hinein in den großen Fall (paraptōma). Rätselnd fragen wir: Hat hier beim ersten Paar nur Eine gedacht?! Waren da nicht Zwei?! Warum hört man von Adam nichts? Männer: Schweigen zur Unzeit kann große Schuld ermöglichen und zu größtem Übel führen.

»Und die Frau sah, dass der Baum gut zur Speise und dass er eine Lust für die Augen und dass der Baum begehrenswert wäre, um Einsicht zu geben; und sie nahm von seiner Frucht und , und sie gab auch ihrem Mann bei ihr, und er aß.«

1. Mose/Genesis 3,6 (ELBCSV 2003)

Und so sehen wir, wie die Sünde »funktioniert«, und wie selbst das erste und beste Menschenpaar miteinander in die Sünde »fällt«. Wie sollen wir Gefallenen, mit jenem Sünderwesen bereits Geborenen, es je besser machen können? Das ist unmöglich.

Der reformierte deutsche Theologe Eduard Böhl (1836–1903) lieferte in seiner Dogmatik eine scharfsinnige Analyse des »Sündenfalls«:

»Der Mensch leiht sein Ohr dem Verführer; er weicht, angelockt durch die Worte des Satans und Gott misstrauend, aus der anfänglich guten, vom Gebot vorgezeichneten Richtung. Also zunächst sündigt der Mensch wider die Gebote der ersten Tafel. Nachdem die nunmehr haltlose Begierde empfangen hat, gebiert sie die Sünde (vgl. Jak 1,14.15); der Bruch mit Gott vollzieht sich mit der bösen Tat, und der Übertretung der Gebote der zweiten Tafel ist Tür und Tor geöffnet. … Die Sünde ist also nach dieser Darstellung nicht anfänglich in der Selbstsucht und noch weniger in der concupiscentia, der sinnlichen Begierde, zu suchen! … Die Zweige tragen nicht die Wurzel, sondern die Wurzel trägt die Zweige. Erfassen wir die Sünde bei ihrer Wurzel, wie sie bei Adam erscheint, so müssen wir sagen: Sünde ist das Abweichen von dem lebendigen Gott und dessen Wort aus mutwilligem Ungehorsam und Mißtrauen gegen Gott. Soweit geht die negative Beschreibung. Die positive, das Vorige ergänzende Beschreibung lautet: Sünde ist die Übergabe des Menschen (Adams) an den Teufel, um dessen Willen zu tun, anstatt zu verharren bei dem Worte und Gebote, das aus Gottes Mund gegangen.«

Eduard Böhl, Dogmatik [Bonn/Hamburg, 2004]. S. 208–209.

Damit ist auch eine Antwort auf die Frage: Woher kommt die Sünde? Woher kommt das Böse? gegeben. Es ist keine Sache oder eine Person, die Ursache und Motiv des Bösen ist. Es ist vielmehr ein Mangel, ein Fehlen des Guten, welches unausweichbar ins Böse und in die Sünde führt. Wer Gott und Sein Wort aufgibt, erwirbt damit einen so schweren Mangel, dass das Fallen in Sünde mit Todesfolge unausweichlich ist. Dies ist in der Schrift gut beobachtbar: Zuerst bei Satan und später bei dem ersten Menschenpaar in deren aktiver Rebellion gegen die Ordnungen und Gebote des Schöpfer-Gottes. Wer das Licht verstößt, dem bleibt nur die Finsternis und die Leere des auf sich selbst geworfenen und damit vom Leben abgeschnittenen Geschöpfs.

Rettung aus der Finsternis der Verführung

Für Gott ist die Lage der Verführten und Gefallenen nicht hoffnungslos. Sein Wesen und sein Name ist ja »Retter-Gott« – Jesus. Daher gibt Er dem ersten Menschenpaar in 1.Mose 3,15 einen Hoffnungsfunken, der der erste Zeuge von der kommenden »Sonne der Gerechtigkeit« ist, die aufgehen wird »mit Heilung in ihren Flügeln« (Maleachi 3,20). Vor 2.000 Jahren kam dieser Heiland-Gott im menschgewordenen Sohn Jesus Christus auf unsere Erde, »um seinem Volk Erkenntnis des Heils zu geben in Vergebung ihrer Sünden, durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, in der uns besucht hat der Aufgang aus der Höhe, um denen zu leuchten, die in Finsternis und Todesschatten sitzen, um unsere Füße auf den Weg des Friedens zu richten.« (Lukas 1,77-79). Und dieser dort begonnene Weg steht für jeden Glaubenden auch heute noch offen. Er führt den Glaubenden in lichte Höhen, die zu erfassen uns noch nicht völlig möglich ist (1.Korinther 2,9; Epheser 3,14–21).

Wo Gottes Licht und Leben in einem Menschen Raum greift, wird dieser hell und heil. Im Anschauen Gottes weichen alle Schatten und der Mensch hat seinen Lebensraum wieder da, wo Gott ihn segnen kann:

Denn bei dir ist der Quell des Lebens, in deinem Licht werden wir das Licht sehen.

Psalm 36,10 (ELBCSV 2003)

Dies aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.

Johannes 17,3 (ELBCSV 2003)

[Jesus Christus spricht:] Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben. … Ich bin als Licht in die Welt gekommen, damit jeder, der an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe.

Johannes 8,12; 12,46 (ELBCSV 2003)

Vor dem Herrn …, um seine Wege zu bereiten, um seinem Volk Erkenntnis des Heils zu geben in Vergebung ihrer Sünden, durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, in der uns besucht hat der Aufgang aus [der] Höhe, um denen zu leuchten, die in Finsternis und Todesschatten sitzen, um unsere Füße auf den Weg des Friedens zu richten.

Lukas 1,76b-79 (ELBCSV 2003)

Denn der Gott, der sprach: Aus Finsternis leuchte Licht, ist es, der in unsere Herzen geleuchtet hat zum Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi.

1.Korintherbrief 4,6 (ELBCSV 2003)

Denn einst wart ihr Finsternis, jetzt aber seid ihr Licht in dem Herrn.

Epheserbrief 5,8a (ELBCSV 2003)

Anerkennung. Auf die drei para-Wörter, und damit der auslösenden Idee dieser Kurzstudie, wurde ich in einem Gespräch mit dem Bibellehrer Dr. Benedikt Peters (Arbon, CH) aufmerksam gemacht.

[1] Anhang: Das Erkenntnisvermögen des Menschen

Die Philosophen haben um »objektive« Erkenntnis gerungen, indem sie versuchten, das Erkenntnis-Subjekt (den Erkenntnissuchenden) so weit wie möglich vom Erkenntnis-Objekt (dem Gegenstand des Erkennens) zu entfernen. Erkenntnisse sollten insofern allgemeingültig sein, als eine quasi-göttliche Perspektive eingenommen wird. Man bemüht sich also um eine Ort-Losigkeit und Beziehungslosigkeit des Erkenntnis-Subjekts. Alle individuellen Bezüge seien als »Vorurteil« zu vermeiden.

Biblische Erkenntnis geschieht beim Menschen jedoch weder autonom noch abstrakt, sondern stets in Beziehung zu Gott und dessen Wahrheitsbekundung (Offenbarung). »Objektive Erkenntnis« ist insofern nur dort möglich, wo sich das Erkenntnis-Subjekt nicht als Quelle, sondern als Empfänger der göttlichen Offenbarung (per def. Wahrheit) und als Teilhaber einer Beziehung zum Schöpfer versteht.

»Aus biblischer Sicht stellt sich gerade der philosophische Versuch, einen autonomen, unbedingten Standpunkt einzunehmen, als ›Sündenfall‹ schlechthin dar: Der Mensch tritt aus dem Umsorgt-Sein durch Gott, der für ihn bestimmt, was gut ist (1Mo 2,18), heraus. Er will sein wie Gott (3,5), d.h.: er will ›Gutes und Böses erkennen‹. Gemeint ist nicht eine Erweiterung der kognitiven Erkenntnisfähigkeit, sondern das Eintreten in eine Eigenmächtigkeit…, in der der einzelne Mensch sich selbst Gesetz ist, d.h. selbst bestimmt, womit er Umgang hat und womit nicht, was er tut und was nicht. Dieses Sich-Herauslösen aus der geschöpflichen Beziehung zu Gott und die Beanspruchung einer auto-nomen, göttlichen, unbedingten Position steht in schärfstem Kontrast zu der gemessen an bibl. Maßstäben allein möglichen Erkenntnishaltung.«

»Luther bestimmt den ›natürlichen‹ Menschen als ein auf sich selbst bezogenes Wesen (homo incurvatus in se…). Rein anthropologisch steht der Mensch damit immer in der Gefahr, die Welt nach seinen Begriffen zu ›erklären‹, sie aber nicht zu verstehen, sich seinen Reim auf sie zu machen, ohne ihr wirklich zu begegnen. … Aus geistlicher Sicht kann diesem Drang zu erkenntnistheoretischer Verabsolutierung letztlich wirkungsvoll nicht durch einen Pluralismus miteinander wetteifernder Erkenntnisansprüche begegnet werden, sondern nur durch die Wiedereingliederung des Menschen als Erkenntnis-Subjekt in die ihn allein bewahrende und tragende Relation zu Gott. Im Gegenüber zu Gott erfährt der Mensch die eigene Endlichkeit, wird er demütig und identifiziert die Verabsolutierung der eigenen Begriffe und Vorstellungen über Wirklichkeit als eine gegen Gott gerichtete Hybris

»Dem natürlichen Menschen ist freilich die Beziehung der Demut gegenüber Gott und der Offenheit gegenüber der Welt selbst nicht erreichbar. Bedingung der Möglichkeit eigener Welt- und Gotteserkenntnis ist darum die unser Erkennen freisetzende, uns zuvor erkennende und damit das Scheitern unserer erkenntnistheoretischen Autonomieansprüche aufdeckende Liebe Gottes (Gal 4,9; 1Kor 8,3).«

Aber damals freilich, als ihr Gott nicht kanntet, dientet ihr denen, die von Natur nicht Götter sind; jetzt aber, da ihr Gott erkannt habt, vielmehr aber von Gott erkannt worden seid, wie wendet ihr euch wieder um zu den schwachen und armseligen Elementen, denen ihr wieder von neuem dienen wollt?

Galater 4,8-9 (Fettdruck hinzugefügt)

Wenn jemand meint, etwas erkannt zu haben, so hat er noch nicht erkannt, wie man erkennen soll; wenn aber jemand Gott liebt, der ist von ihm erkannt –

1.Korinther 8,2-3

Quelle: Die Gedanken und Zitate dieses Kapitels stammen von: H. Hempelmann, Erkennen, Erkenntnis, in: Das große Bibellexikon, 1. Taschenbuchauflage (Wuppertal, Gießen: Brockhaus, Brunnen, 1996), Sp. 490–491 (Bd. 2). Fett- und Farbdruck hinzugefügt.

Ohne Glauben aber…

Ohne Glauben aber ist es unmöglich, ihm wohlzugefallen;
denn wer Gott naht, muss glauben, dass er ist
und denen, die ihn suchen, ein Belohner ist.

Hebräerbrief 11,6

Du sagst: Es ist unmöglich.
Gott sagt: Alle Dinge sind möglich! (Lukas 18,27)

Du sagst: Ich bin zu müde.
Gott sagt: Ich will Dir Ruhe geben! (Matthäus 11,28–30)

Du sagst: Niemand mag mich.
Gott sagt: Ich liebe Dich! (Johannes 3,16; 13,34)

Du sagst: Ich kann nicht mehr.
Gott sagt: Meine Gnade genügt Dir! (2. Korinther 12,9; Psalm 91,15)

Du sagst: Ich komme hier nicht mehr raus.
Gott sagt: Ich werde Deine Schritte leiten! (Sprüche 3,5f)

Du sagst: Ich kann das nicht.
Gott sagt: Du kannst alles! (Philipper 4,13)

Du sagst: Ich bin dazu nicht fähig.
Gott sagt: Du bist sehr wohl dazu befähigt! (2. Korinther 9,8)

Du sagst: Es ist die Sache nicht wert.
Gott sagt: Sie ist es doch wert! (Römer 8,28)

Du sagst: Ich kann mir selbst nicht vergeben.
Gott sagt: Ich vergebe Dir! (1. Johannes 1,9; Römer 8,1)

Du sagst: Ich kriege es nicht geregelt.
Gott sagt: Ich werde mich um alle Deine Bedürfnisse kümmern! (Philipper 4,19)

Du sagst: Ich habe Angst.
Gott sagt: Ich habe Dir nicht einen Geist der Furchtsamkeit gegeben! (2. Timotheus 1,7)

Du sagst: Ich fühle mich besorgt und frustriert.
Gott sagt: Wirf alle Deine Sorgen auf mich! (1. Petrus 5,7)

Du sagst: Ich habe nicht genug Glauben.
Gott sagt: Ich habe jedem sein Maß an Glauben gegeben! (Römer 12,3)

Du sagst: Ich verstehe nicht genug.
Gott sagt: Ich werde Dir Weisheit geben! (1. Korinther 1,30)

Du sagst: Ich fühle mich allein.
Gott sagt: Ich werde Dich niemals versäumen noch verlassen! (Hebräer 13,5)


Nach einem Artikel (o. V.) in: Bode von het Heil in Christus (Vaassen, NL), Jg. 143, Nr. 6/7 (Juni/Juli 2000).

Christliche Technik – Gibt es so etwas? (2001)

Ein Vortrag von Prof. Dr.-Ing. Uwe A. Seidel in Böblingen am 17.3.2001[1]

Der Ausdruck »christliche Technik« erscheint manchem Zeitgenossen als Widerspruch. Kann Technik überhaupt christlich sein? Technologien sind doch wohl wertfrei, allenfalls ambivalent, können also gute und schlechte Werte tragen.

Begriffsklärung

Der Begriff der Technik ist jedem Ingenieur geläufig. In einer bekannten Richtlinie des VDI (RL 3780[2]) werden mit „Technik“ einerseits Geräte und Sachsysteme bezeichnet, andererseits auch das menschliche Handeln zum Entstehen solcher Sachsysteme und das Handeln unter Verwendung dieser Sachsysteme. Was aber könnte »christliche Technik« genannt werden? Vielleicht kann man darunter eine Technik verstehen, wenn

  1. die Planer, Gestalter und Erzeuger von Technik Christen sind,
  2. die Benutzer Christen sind, sie also für Christen betrieben wird,
  3. diese Technik mit christlichen Wertvorstellungen verträglich ist, oder
  4. die Technik christlichen Zielen dient.

Diese vier Definitionen fügen sich sinnvoll aneinander, wenn man »christliche Technik« teleologisch versteht, also vom Ziel oder Ende her, das erreicht werden will. Während also die Technik selbst noch kein Maßstab für Christlichkeit ist, ließe sich vom Ziel her, auf das eine Technik hinführt, entscheiden, ob sie christlich ist oder nicht. Zum Beispiel könnte jemand das Telefon verwenden, um üble Nachrede zu verbreiten oder aber, um seelsorgerliche Gespräche zu führen. Der technisch Handelnde muss gefragt werden: Welches Ziel verfolgst Du? Worauf sollte alles hinauslaufen? Darum lautet eine mögliche Definition, die wir hier als Arbeitsdefinition verwenden wollen:

Technik ist dann christlich, wenn ihr Einsatz christlichen Werten entspricht, christlich vertretbare Ziele anstrebt und Christen sie mit dieser Kenntnis entwerfen, gestalten und einsetzen.

Um urteilen zu können, benötigt man abgestufte Werte für gut und böse, wahr und unwahr. Woher kommen diese, wer setzt die Normen? Gott tut es. Er setzt als letzte Autorität Gebote und Verbote. Darüber hinaus verpackt er seine Aussagen meistens in Geschichte. Ein großer Teil der Bibel (ca. 40 %) ist Erzählung und Lebensbeschreibung – von einzelnen Menschen, von Völkern und ihrer Geschichte. Dabei sollten die Werte des Gesetzes Gottes (5. Mose 4f) von einer Generation zur anderen weitergegeben werden. Das Neue Testament beginnt mit vier Porträts, die zusammen die Lebensbeschreibung Jesu ergeben. Auch die Apostelgeschichte ist historisch und geistliche Erzählung der Ausbreitung des Christentums. Und dann kommen Lehrbriefe, die teilweise zwar recht abstrakt über Lehre und christliche Normen sprechen, aber auch wieder sehr persönliche Briefe sind, die in geschichtlich relevante Situationen sehr praktisch hineinsprechen. Im Folgenden sollen einige Bibeltexte zum Nachdenken über christliche Technik vorgelegt werden.

Das Ebenbild

Am Anfang beschreibt das erste Buch Mose, die »Genesis«, den Menschen als Geschöpf Gottes, hineingesetzt in eine Schöpfung. Diese Glaubensaussagen setzen Ereignisse voraus, die niemand beobachtet hat. Woher verstehen wir dann aber, dass Gott die Welt gemacht hat?

Erstens durch die Schöpfung selbst; an ihr sehen wir Gottes unendliche Kraft und Weisheit (Römer 1,20). Zweitensdurch den Glauben, dass Gott sprach und es dann da war (Hebräer 11,3). Das kann man weder naturwissenschaftlich durch Wiederholung im Versuch beweisen noch juristisch, etwa durch Zeugen. Aber es gibt manche Hinweise, nämlich Forschungsaussagen von Biologen und Paläontologen. Die Genesis erklärt also: Der Mensch ist zuerst einmal nicht selber Gott. Die Renaissance hat das Gegenteil behauptet. Sie redete den Menschen ein, sie könnten durch Ausnutzung der Technik Götter werden, nach dem Motto: »Es gibt keinen Gott außer dir – du musst zu dir selbst finden.« Davon muss ein christliches Weltbild Abstand nehmen.

Aber was ist dann der Mensch? Er ist »Ebenbild« Gottes und dessen Stellvertreter auf Erden. Der Ausdruck »zum Bilde Gottes und in seinem Gleichnis« (1. Mose 1,27) beinhaltet zwei Aspekte: eine gewisse Ähnlichkeit mit Gott und eine repräsentative Aufgabenstellung von ihm. So hat der Mensch moralische Ähnlichkeit mit Gott und weiß ausnahmslos von Gut und Böse. Er ist zudem ein vernunftbegabtes, kreatives Wesen. Forscher beobachten die Natur und versuchen zu verstehen, was Gott gemacht hat und wie es »funktioniert«, Ingenieure versuchen dies dann in technischen Systemen umzusetzen. Das ist besonders im Bereich der Bionik und Biotechnik beeindruckend belegt: Das Fliegen hat man sich von den Vögeln und Insekten abgeschaut. Von der Haifischhaut profitieren Flugzeuge, Skiflieger und Schwimmer, denn eine entsprechend rauhe Außenhaut besitzt geringe Reibungswiderstände als eine glatte Haut. Seit man erforschte, warum die Lotusblüten nie schmutzig werden, gibt es Fassaden, Bekleidungsstoffe und Werkzeuge, von denen Wasser oder Schmutz abperlt. So lernen die kleinen, kreatürlichen »Kreativen« von ihrem ganz großen Schöpfer.

Aber »Bild« meint auch Repräsentation. Wir vertreten Gott in seiner irdischen Schöpfung. So sind wir Menschen Verwalter, aber nicht Eigentümer der Dinge. Das heißt, wir sind in Verantwortung gesetzt. Dies begrenzt und orientiert unseren Umgang mit Gottes Gaben in Natur, Kultur und Technik. Damit, dass alle Menschen aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen und nicht durch blinden Zufall da sind, wird ihnen allen ohne Unterschied auch Würde zugesprochen. Alle Menschen sind von Würde und Wert, weil sie von Gott gewollt sind und nicht, wie Jacques Monod sagt, von den Göttern der Evolution, »Zufall und Notwendigkeit«, abstammen. Zusammen mit der göttlich verliehenen Würde als Bilder Gottes möchte Gott auch eine Beziehung zu uns aufbauen und durch Kommunikation pflegen. Er selbst möchte mit den Menschen kommunizieren und will, dass sie es miteinander tun. Deswegen hat er ihnen »Geist« und differenzierte Sprachfähigkeit gegeben, im Gegensatz zu Tieren.

Diese Erklärungen sind für die Praxis bedeutsam. Technologie, die die Gemeinschaft der Menschen oder ihre Kommunikationsfähigkeit untergräbt oder hindert, ist mit christlichen Werten unvereinbar. Technologie, die Menschen minderwertig macht und versklavt, darf nicht eingesetzt werden. Hier besteht eine riesige Herausforderung für Christen, nämlich mit den technischen Möglichkeiten richtig umzugehen, sowie die entsprechende Bildung zu fördern.

Der Kulturauftrag

Gott erteilte dem Menschen den sog. Kulturauftrag: »Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, ihn zu bebauen und ihn zu bewahren« (1. Mose 2,15). Damit setzt Gott den Menschen in Verantwortung zu sich, dem Schöpfer. Der Mensch ist von der Natur und dem Mitmenschen abhängig; denn die Natur hat er sich nicht selbst gemacht, sondern er wird in diese göttliche Schöpfung hinein »gesetzt«. Adam kam hinzu, nachdem fünfeinhalb Tage lang schon einiges geschehen war, auf das er keinen Einfluss und von dem er nichts beobachtet hatte. Erst recht nicht war er Gottes Berater. Diesen kategorialen Unterschied zwischen dem Schöpfergott und allen geschaffenen Wesen und Dingen zu bedenken, wird schon Hiob aufgefordert: »Wo warst du, als ich die Erde gründete? Tu es kund, wenn du Einsicht besitzt!« (Hiob 38,4).

Die Grenze

Wir sind also in Vorgegebenes hineingeboren und darauf angewiesen. Dazu zählt auch, dass Gott den Menschen zur Gemeinschaft mit seinesgleichen verpflichtet, indem er Adam mit Eva verbindet. Auch ist der Mensch endlich, denn indem er in den Garten Eden gesetzt wird, sind ihm zugleich Grenzen gesetzt. Offensichtlich war Eden ein umzäunter Garten (Garten als intelligent gestaltete Natur), jedenfalls bestand eine deutliche Markierung. Diese trug geistig-moralische Bedeutung, nämlich sinngemäß: »Ich gebe dir Grenzen, um dir zu zeigen, dass du Verwalter bist, aber kein souveräner Herrscher. Denn der Schöpfer bin ich. Aber dich setze ich als mein Bild, meinen Repräsentanten, ein, um alles zu gestalten, zu verwalten und zu bewahren.«

Die Grenze zeigt Gott auch mit dem »du sollst…« und »du sollst nicht…« auf. Er erteilt Gebote. Fast 100 % aller Baumfrüchte durfte gegessen werden, nur von einem Baum sollte nicht gegessen werden. Dieser stand im Mittelpunkt des Gartens (1. Mose 3,3). Die Grenze war, richtig verstanden, nicht dazu da, um den Menschen zu ärgern, ihm Gottes Segen zu schmälern oder irgendwie Glück zu verhindern. Vielmehr sollte dem Menschen stets bewusst sein, dass über ihm der steht, der absolute Grenzen setzen kann. Das Misstrauen zu Gott als dem Grenzenzieher hat dann die Schlange gesät. Wir kennen den Ausgang der Geschichte. Sie ist unser aller Geschichte. Aber mit den Grenzen, die Gott gezogen hat, hat er einen Segensraum aufgerichtet. Wer diesen durch »Übertretung« verlässt, tritt ins Elend (Römer 5,14).

Wenn man mit diesem Wissen um die Gebote Gottes an das Thema »Christliche Technik« herangeht, sieht man, dass Gott uns durch diese Eingrenzung einen Entfaltungsraum gibt. Der Zeitgeist behauptet dagegen: »Du brauchst genau die Dinge, die Gott dir verbietet.« Doch im Glauben antworten wir: »Nein, wir brauchen sie nicht.« Denn durch die Gebote werden wir zu Menschen, die sich unter Gottes Segen entfalten können. In technologischen und anderen Bereichen gibt es viele verbotene Früchte. Jesus Christus hat viel von Sünde, Hölle und Verderben als von Realitäten gesprochen. Ein Christ lässt sich das sagen und macht auch andere Menschen darauf aufmerksam, dass etwas Schlimmes auf sie wartet. Dies zu tun ist etwas sehr Positives; denn wer andere nicht vor einer Gefahr warnt, macht sich schuldig. Wer über Gebote und Grenzen spricht, muss auch über Sünde und ewiges Gericht sprechen. Damit macht er klar, dass ein bestimmtes Verhalten oder ein bestimmter Umgang zur Belohnung oder Bestrafung führen, zum ultimativen Segen oder zum ewigen Fluch. Im Gegensatz zu Gott sind dem Menschen also Grenzen gesetzt, vor deren Übertretung Gott ernsthaft warnt.

Der Gescheiterte

Wer über den Zusammenhang von Technik und Christ spricht, muss auch über das Geschehnis des Sündenfalls reden. Der Mensch ist nicht mehr so gut, wie er aus Gottes Hand hervorgekommen ist. Nach meiner Überzeugung ist der Sündenfallbericht (1. Mose 3) genauso wie der Schöpfungsbericht historischer Fakt und kein Mythos. Er ist historisch und heilsgeschichtlich Wahrheit.

Was ist daraus zu lernen? Daraus ist vor allem zu lernen, dass menschliches Handeln misslingen kann, sowohl willentlich als auch versehentlich. Vielleicht lässt sich auch urteilen anhand von Ziel und Motivation. Doch immer besteht die Möglichkeit, dass auch ein Ingenieur mit bestem Willen handelt und trotzdem schuldig wird. Die Wirklichkeit des Bösen, die Erfahrung des Scheiterns und der Zerstörung von Beziehungen, ist genauso gegenwärtig wie bei Eva die Schlange. Vermutlich stand Adam neben Eva, und damit erhebt sich der Vorwurf: »Adam, warum warst du so still?« Sein Schweigen war verantwortungslos und verhängnisvoll, ebenso wie das vieler anderer Männer in entscheidenden Momenten der Weltgeschichte. Dazu ein Beispiel: Eine Frau namens Sarah sagt ihrem Mann: »Du, ich kann dir kein Kind gebären. Da du aber einen Erben brauchst, geh doch zu meiner Magd Hagar ein!« Darauf schweigt Abraham und tut es (1. Mose 16,2). Wer heute nach Nahost schaut, weiß, welche Folgen das Schweigen dieses Mannes hatte – die jahrtausendalte Fortsetzung des bitteren Bruderstreits zwischen Ismael und Isaak.

Seit dem Sündenfall lebt der Mensch mit der Erfahrung des Scheiterns und der (Ohn-) Macht des Zerstörerischen in seiner Hand. Er kann sich aus dieser verfahrenen Situation nicht selber herausziehen. Aber Gott hat Vorsorge getroffen, dass es weitergehen kann, was jedoch mit Schmerzen verbunden ist. Er legt dem Mann die Mühsal der Arbeit auf, den Schweiß, die Disteln und Dornen, und der Frau die Mühsal der Schwangerschaft und Geburt sowie den Versuch, den Mann zu kontrollieren (1. Mose 3,16), was entsprechende Beziehungsstörungen der Eheleute entstehen lässt. Auch bekleidet Gott das erste Menschenpaar mit Tierfellen, wofür einige unschuldige Tiere sterben mussten. Von daher will christliches Handeln kein romantisch verbrämtes Zurück in das Paradies und dieses mit menschlichen – gar technologischen – Mitteln erobern. Sondern der Christ weiß, dass der Weg in die Gemeinschaft mit Gott über einen sehr mühseligen und schmerzhaften Weg führt. Auch Gottes Wort an die Schlange drückt größten Schmerz aus: »Und ich werde Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zermalmen, und du wirst ihm die Ferse zermalmen.« (1. Mose 3,15). Diese göttliche Verfügung der Hoffnung auf eine Welt ohne den Bösen und das Böse ist letztlich durch das Sterben von Jesus Christus Wirklichkeit geworden. Jetzt ist der Weg zur neuen Schöpfung frei. Christen wissen: Gott wird die heile Welt heraufführen. Jesus kündigt an: »Siehe, ich mache alles neu!« (Offenbarung 21,5).

Der Heilsbedürftige

Wir Menschen sind unfähig, eine heile Welt selbst zu realisieren, sondern sind darin vollständig auf Gott angewiesen. Wir stecken in großer Not und sind überaus heilsbedürftig. Darum können wir heilfroh sein, dass uns die frohe Botschaft eröffnet wird: Gott bietet Vergebung an. Wer zum Beispiel im beruflichen Umgang mit der Technik Fehler gemacht hat, kann darüber mit Gott sprechen. Gott gibt in seiner Liebe dem Erlösung suchenden Menschen Vergebung. Jedem, der es will, wird die Möglichkeit der Versöhnung zugesprochen. Wer diese annimmt, dem sichert Gott das Heil zu. Zwar soll nach gemachten Fehlern das Bestmögliche getan werden, um herauszukommen, aber Jesus Christus gibt das Einzige, was wirklich rettet. Er trägt nicht nur den Titel »Heiland« (d. i. »Retter«), sondern ist es wesenhaft. In ihm neigt sich Gottherzlich zu den Gefallenen herab. Das nennen wir »Erbarmen«, oder mit Martin Luther trefflich »Barmherzigkeit«.

An dem, der dieses Heilsangebot annimmt, arbeitet Gott heilsam und heiligend weiter. Ein Christ weiß, dass Gott sein gutes Werk in ihm angefangen hat und es auch vollenden wird (Philipper 1,6). Er weiß, dass Gott alles, was passiert, so verwendet, wie es »zum Guten mitwirkt« (Römer 8,28). Dieses Gute ist die Einprägung des Charakters Jesu im Christen, dergestalt, dass dieser dem Sohn Gottes »gleichförmig« wird. Einprägen ist mit Druck verbunden, ähnlich wie es des Druckes bedarf, wenn man auf einer Münze etwas einprägt. Wenn also Christen auch druckvolle Situationen erleben, ändert das nichts an der Sicherheit ihres Heils, sondern es soll ihr Wesen positiv, d. h. christusoffenbarend, verändern.

Die Ewigkeitsperspektive

Als Christ weiß ich also, wo ich ankommen werde. Wüsste ich dieses nicht, bliebe mir nichts übrig, als Technologie so einzusetzen, dass die Entwicklung irgendwie in Richtung Garten Eden zurückläuft. Dieser Weg zurück wurde aber vom Mensch verwirkt und von Gott versperrt. Wenn dieses begrenzte Erdenleben mein einziges Leben wäre, wäre es das einzige »Paradies«, das ich erleben würde. Es ist verständlich, wenn Menschen ohne Gott und Glauben in ihr Leben alles Mögliche hineinzustecken versuchen. Und so wachsen am stärksten eben die Vergnügungsanbieter und die Entertainment-Industrie. In diesen spielt Musik und Technologie eine große Rolle, um die seelische Leere der Gottesentfremdung irgendwie aufzufüllen. Das war ein beliebter Technologieeinsatz schon bei denen, die »vom Angesicht Gottes wegliefen« (s. 1. Mose 4,16.21.22). Auch heute finden Menschen ihre Idole (d. i. »Abgötter«) oft unter Musikern. Das Schöne beim Glauben an Jesus Christus ist also: In Heilssicherheit weiß ich, wohin es einmal gehen wird, und darum muss ich die Technik nicht dazu einsetzen, um mir ein ersehntes »Paradies« zu erringen. Denn der Glaube befreit von Sorge um mich selbst, so dass ich mich zukunftsorientiert dem Dienst für Gott und am Nächsten zuwenden kann. Auch so kann man einmal Technik beurteilen: Sie soll nicht mir dienen, sondern Verstärkungsfaktor sein, dass ich anderen besser dienen kann. Hat Jesus Christus im Gebot der Nächstenliebe nicht genau dieses verlangt?

Wenn der erlöste Mensch also Christus ähnlicher wird, geht er auch ethisch verantwortlicher mit den Dingen um. Denn Jesus Christus wäre mit unserer Technik nicht negativ umgegangen; in ihm will Gott uns ja den idealen Menschen zeigen. Wenn sich sein Wesen in uns ausprägt, wird auch unser Technikeinsatz christlicher. Und weil Gott die Zukunft eröffnet, erwartet der christliche Glaube die Vervollkommnung und damit auch den wirklich perfekten Technikeinsatz weder vom Menschen noch hier auf der Erde, sondern von Gott und in der von ihm geschaffenen Zukunft. Nun ist zwar jeder Ingenieur vom »Bazillus der Technik-Faszination« infiziert. Sonst würde keiner ein solches Studium beginnen. Trotzdem erwartet ein Ingenieur, der zuerst und vor allem Christ ist, das Vollkommene nur von Gott, nicht von Menschen, noch von Anwendungen der Technologie.

Christen wissen auch vom Leben nach dem Tod. Diese Glaubensaussage hilft zu verstehen, was menschliches Leben hier soll. »So lehre uns denn zählen unsere Tage, damit wir ein weises Herz erlangen!« (Psalm 90,12). Wenn ich mein Leben vom Ende her beurteile, also mit Ewigkeitsperspektive (die mir nur die Offenbarung Gottes in der Bibel geben kann), dann gibt es in manchen Dingen einen anderen Wert, als es Politik, Zeitgeist oder Werbung zu vermitteln suchen. Auch brauche ich dann nicht jede Modeströmung mitzumachen, jede aktuelle Mode ist morgen sowieso schon wieder veraltet.

Von daher unterscheiden Christen zwischen einem »Schon jetzt« und einem »Noch nicht«. Durch den Glauben an Christus leben sie in diesem Spannungsfeld. Von dieser Ewigkeitsperspektive her kann ich zum Beispiel Erfüllungsaufschub ertragen, dass ich jetzt nicht alles erfüllt bekomme, wie ich es mir vorstelle. Durch das Wissen um die zukünftige Herrlichkeit kann ich auch etwas erleiden. »Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, nachdem ihr eine kurze Zeit gelitten habt, er selbst wird euch vollkommen machen, befestigen, kräftigen, gründen« (1. Petrus 5,10). Dieses Leiden kann bezüglich des Glaubens geschehen, aber auch einfach darin bestehen, dass ich wie alle Menschen den Ereignissen dieser Welt ausgesetzt bin, den Katastrophen und Unfällen, den Wettereinflüssen oder Ernährungsbedingungen.

Ebenso kann die Entwicklung der Gentechnik, nachdem jetzt das menschliche Genom entschlüsselt worden ist, weiteres Leiden nach sich ziehen. Auch Christen werden vielleicht unter kommenden Verhältnissen leiden müssen. Aber sie können es, weil sie wissen: Es gibt ein »Schon jetzt«. Darin besteht die Sinnerfüllung.

Allerdings können Christen auch gerade an der Sinnerfüllungsfrage leiden, wenn etwas misslingt. Das Wissen jedoch, was am Ende der Tage durch Gott kommen wird, trägt hindurch.

Dass Christen mit diesem Ewigkeitsblick und Erfüllungsaufschub leben können, daran ändert sich nichts, wenn viele dieses nur als Ideologie bezeichnen. Der Glaube wird allerdings auf Belastbarkeit erprobt, wenn diese Fähigkeit, Spannung zu ertragen, von »geschäftstüchtigen« Arbeitgebern zum Eigennutz missbraucht wird. Es kann vorkommen, dass solch einer beschließt: Diesen Christen gebe ich weniger Lohn und mute ihnen trotzdem mehr Überstunden zu.

Die christliche Grundnorm

Christen erwarten von der »Technik« lediglich, dass das Menschenmögliche getan wird. Dadurch ist der Blick geschärft für manche Vertröstungen der Welt, die im Grunde nur Ausreden für Passivität sind. Wenn Gottes Auftrag an Menschen lautet, in der Welt, in die uns Gott gesetzt hat, als Techniker, Ingenieur oder Architekt zu arbeiten, dann erkennen Gläubige ihre Verantwortung. Sie sollen sich nicht zurückziehen und alle technischen Neuerungen bekämpfen, sollen sich weder passiv hinter Klostermauern zurückziehen noch aktiv in die falsche Richtung, also falsche Ziele verfolgend, arbeiten.

Christen können sich für Passivität in der Welt nicht entschuldigen. Sie sind befähigt, mit dieser noch nicht endgültigen Wirklichkeit umzugehen und im Glauben aktiv zu arbeiten, auch technisch, und nicht angesichts des Scheitern-Könnens zu verzweifeln.

Doch welches ist die Norm? Was lehrte Jesus? Für was steht er? Seine Zeitgenossen haben das zu erforschen versucht. Verschiedene religiöse und politische Gruppen haben Beauftragte zu Jesus gesandt und ihm Fragen gestellt, vorrangig Fangfragen. Entscheidend war die Frage nach der Maxime: »Welche oberste Norm soll unser Handeln kennzeichnen?« Jesus antwortete darauf: »Das erste [Gebot] ist: ›Höre, Israel: Der Herr, unser Gott, ist ein Herr; und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und aus deiner ganzen Seele und aus deinem ganzen Verstand und aus deiner ganzen Kraft‹« (Markus 12,29f). Das Wort »Herz« bezeichnet das Zentrum der Persönlichkeit, von dem aus alles andere gesteuert wird: die intellektuelle Fähigkeit, den Willen, die Liebesfähigkeit u. a. Alle Lebensmodi (o. Fakultäten des Lebens) hängen von der Grundeinstellung des Herzens ab: Ist das Herz klar, sind es auch die daraus folgenden Handlungen. Jesus sagte: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen«, also nicht oberflächlich, nicht rituell, nicht aufgesetzt oder manchmal, sondern stets mit allem. Gott ist nie oberflächlich, er geht stets gezielt zur Schaltzentrale, hinunter zur Wurzel (also radikal), greift immersiv zum »Herzen« des Menschen.

Was hat das mit Technik zu tun? Das Gebot, Gott zu lieben, hat Jesus Christus oft wiederholt, und darum sollte es auch für Christen die oberste ethische Norm sein. Darauf folgt das zweite Gebot, das der Liebe zum Nächsten: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (Markus 12,31a). In beiden Geboten ist laut Jesus Christus der ganze Dekalog, das, was Gott vom Menschen will, zusammengefasst. Ich bezeichne dies als »christliche Grundnorm«. Die Christen haben sich immer daran orientiert. Aus dem Gebot der Nächstenliebe lässt sich Weiteres ableiten, zum Beispiel, dass die Bedürftigkeit meines Nächsten vor meiner eigenen Vorrang hat. Welch ein Anspruch!

Darüber hinaus zeigt Jesu Gebot der Feindesliebe, dass dem anderen zumindest ein Recht zusteht, anders zu sein. Dieses kleine Stückchen Liebe, den anderen anders sein zu lassen, auch wenn er eine ganz andere Kultur in unsere Gesellschaft bringt, sollten Christen zeigen.

Was das im verantwortlichen Umgang mit Technik zu bedeuten hat, ist nicht schwer zu folgern. Denn zum Teil leben wir davon, dass wir anderen bestimmte Techniken vorenthalten, so in der Kriegstechnologie und der zivilen Technologie. Auch ist logisch, dass Reiche die besseren Technologien besitzen. Ist nicht im Wirtschaftlichen überall das Geld entscheidend? Wer viel Geld hat (oder erzeugen kann), bekommt alles, wer wenig hat, kriegt nichts. Ist das alles mit dem Liebesgebot in Übereinstimmung zu bringen? Nur wenige Christen haben Gegenzeichen im Bereich der Wirtschaft und Gesellschaft gesetzt, etwa durch Streben nach Gerechtigkeit und Wohltätigkeit. Manche Unternehmer versuchen, die Verantwortung, die ihre Angestellten tragen, zu honorieren und zu fördern, indem sie sie zu Mitunternehmern machen, sei es durch organisierte Mitsprache oder indirekt durch Kapitalbeteiligungen. Es gibt einige interessante Modelle, wie man diese Grundnormen in kreativer Art umsetzen kann, Mitarbeiter zu führen sowie Nutzen und Risiko miteinander zu tragen.

Zusammenfassung

Fassen wir unsere Betrachtung in Form einiger Leitaussagen zusammen, über die man ins Gespräch kommen sollte:

  • Der Mensch wurde im Bild und Gleichnis Gottes erschaffen, hat mithin unveräußerliche Würde und Wert.
  • Der Mensch ist Mitmensch. Er darf mit jemandem in Beziehung treten, der genauso ein Recht auf Fehler und Schwachheiten wie er selbst hat. Er ist mit Begabungen, demselben Wert, aber auch mit denselben Schwachheiten versehen, er ist Sünder.
  • Der Mensch ist Teilhaber. Er muss darauf achten, dass die Teilhabe gerecht geschieht.
  • Christen können unterscheiden zwischen dem, was jetzt möglich ist, und dem, was erst unter der Herrschaft Jesu Christi möglich sein wird. Sie dürfen nicht das Recht des Relativen verachten, indem sie denen Schwierigkeiten machen, die keine perfekten Lösungen erreichen.
  • Christen akzeptieren, dass es verschiedene berechtigte Ansprüche gibt, dass manche ihr Leben eben anders leben, auch als Ingenieure. Christliche Technik fragt danach, was moralisch vertretbar ist oder nicht.
  • Dabei bindet sich der Christ an Gottes Wort, an die Lehre Jesu Christi. Dieser hat sich in verschiedenen Fragen der Lebensführung immer auf die Genesis bezogen. Er geht also immer auf die Ursprünge zurück, wo er als Schöpfer gehandelt hat.
  • Somit und letztlich ist Jesus das immer verpflichtende Vorbild für christliche Ethik, auch und gerade im Erschaffen, Gestalten, Einsetzen und Nutzen von Technik.

Christliche Technik – Gibt es so etwas?

Nein, an sich nicht. Schon eher von einer »christlichen Technikfolgenabschätzung«, einer Bewertung von Technik anhand christlicher Werte, Maximen und Normen. Es ist zu beurteilen, welche Werte und Ziele beim Erschaffen und Betreiben gesetzt werden und wirksam sind. Von »christlicher« Technik kann man nur reden, wenn sie wertverträglich mit christlichen Werten ist. Dazu bedarf es der Ausrichtung an dem, was Jesus Christus gesagt hat und in der Bibel schriftlich aufzeichnen ließ. Das wird auch den Blick für den Unterschied zwischen dem, was ist, und dem, was noch nicht ist, schärfen und die Geduld mit dem Unvollkommenen im anderen und in mir selbst fördern. Gelebtes Christsein macht genügsam beim Entzug und im Verzicht und geduldig im Leiden.

Jesus fordert im Blick auf die Ewigkeit auf: »Wenn aber dein rechtes Auge dir Anstoß gibt, so reiß es aus und wirf es von dir…« (Matthäus 5,29). Er rät in dieser Bildsprache also zu entschiedener Vorgehensweise: Weg mit dem, das dich auf deinem Weg zur Ewigkeit, zu Gott hin, hindert, selbst wenn es ein geliebter, faszinierender Technikeinsatz ist! Technik hingegen mit Ewigkeitsperspektive einzusetzen, mag an ein gutes Ziel führen. Ein Ingenieur oder Techniker, der Christ ist, muss sich immer fragen, ob er einmal vor Jesus stehend ähnlich dem Knecht des bekannten Gleichnisses (vgl. Matthäus 25,14–30; Lukas 19,16–27) sagen kann: »Herr, ich habe gehandelt, auch unter verstärkendem Einsatz der Technik, um das, was ich von dir bekommen habe, zu vermehren.« Er muss fragen, ob dann Jesus wohl antworten wird: »Wohl, du guter und treuer Knecht! Über weniges warst du treu, über vieles werde ich dich setzen; geh ein in die Freude deines Herrn!« und den Betreffenden dann in größere Verantwortung setzt. Die hier genannten Leitlinien können eine praktische Hilfe für die Realisierung verantwortlicher, »christlicher Technik« sein.


[1]     Vortrag von Prof. Dr.-Ing. Uwe A. Seidel beim DCTB-Regionaltreffen in Böblingen am 17.3.2001. Verkürzte Wiedergabe (s. Das Fundamentum, Nr. 5/2001, DCTB e.V.), Überarbeitung vom Vortragenden autorisiert. – Angesichts der Entwicklungen der letzten beiden Jahrzehnte (Big Data, automatisierte Überwachung und Predictive Profiling, AI, Transhumanismus, Homo deus etc. nebst Zivilreligion, Carbonkult u.a.) erweisen sich die hier skizzierten Überlegungen weiter als äußerst relevant.

[2]     o. V.: Technikbewertung – Begriffe und Grundlage (Technology assessment – Concepts and foundation), VDI 3780. Erscheinungsdatum 2000-09.

2024: Ein Jahr der Heiligung durch Gottes Wort

von Robb Brunansky, 3. Januar 2024

Das neue Jahr steht vor der Tür, und ich hoffe, dass wir uns für 2024 vorgenommen haben, uns in Gottes Wort zu vertiefen. In der gesamten Kirchengeschichte haben Christen, die der Heiligen Schrift mächtig waren, systematisch Jahr für Jahr in der Heiligen Schrift gelesen. Ein neues Jahr ist eine großartige Gelegenheit für einen Neuanfang, und deshalb sollten wir alle ermutigt werden, fleißig und diszipliniert in der Bibel zu lesen.

Zunächst sollten wir zwei falsche Beweggründe für das Lesen des Wortes Gottes bedenken. Wir dürfen die Bibel nicht einfach nur lesen, um Informationen anzuhäufen. Es gibt Millionen von unerweckten Menschen in Bibelstudien, Kirchen, Universitäten und Seminaren, die Gott nicht kennen und durch ihr Studium nicht im Geringsten verändert worden sind. Wir sollten die Bibel auch nicht einfach als eine weitere Aufgabe auf unserer täglichen Aufgabenliste lesen. 

Wenn wir über das Bibelstudium und das Bibellesen im Jahr 2024 nachdenken, müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass wir zwar jeden Tag die Lektüre abhaken, aber keinen Nutzen aus unserer Zeit im Wort Gottes ziehen können. Deshalb müssen wir an die Bibel herangehen, nicht als ob wir etwas für Gott tun, indem wir sein Wort lesen, sondern als Menschen, die danach hungern, dass er etwas in uns tut. Das Ziel des Bibellesens ist Heiligung, Verwandlung und Wachstum in der Heiligkeit.

Die Worte Jesu in Johannes 17,17 helfen, diese Wahrheiten in unserem Bewusstsein zu festigen. Hier betete Jesus: »Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist Wahrheit«. Dies ist eine wunderbare Bitte, die Jesus an den Vater richtet. Er bittet den Vater, alle Gläubigen in der Wahrheit zu heiligen, welche er mit dem Wort Gottes gleichsetzt. Es gibt drei Dinge, über die wir nachdenken sollten, wenn wir diese Bitte unseres Herrn betrachten.

1  Zunächst sollten wir die Bedeutung der Heiligung betrachten

Auf der grundlegendsten Ebene bedeutet Heiligung, abgetrennt und heilig gemacht zu werden. Zum Beispiel sollte der Sabbat im Alten Testament heilig sein. Auch Menschen konnten heilig sein, wie wir in Jeremia 1,5 lesen: »Bevor ich dich im Mutterleib bildete, habe ich dich erkannt, und bevor du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt: Zum Propheten an die Nationen habe ich dich bestellt«. Das Wort »geheiligt« hat die Bedeutung von „abgesondert sein“. Jeremia war für den Dienst an Gott als Prophet für die Völker bestimmt und abgesondert, bevor er überhaupt geboren wurde. 

Die Bedeutung von Heiligung macht deutlich, dass es sich sowohl um eine feste Stellung als auch um einen fortschreitenden Prozess handelt. Man kann sagen, dass ein Mensch geheiligt ist, während er gleichzeitig noch geheiligt wird. Gott sondert Menschen für seinen eigenen Gebrauch aus und diese Menschen wachsen allmählich in ihrer Nützlichkeit für Gott, wenn sie lernen, seinen Charakter nachzuahmen, indem sie zeigen, dass sie Gott gehören. Sie tun dies durch den Glauben, der sich in einem durch Liebe motivierten Gehorsam ausdrückt. Wenn wir die Heilige Schrift studieren, stellen wir fest, dass Heiligung auf diese Weise beschrieben wird. 

Heiligung ist nicht etwas, das nur äußerlich ist, und ist auch nicht nur eine Veränderung unseres Verhaltens. Menschen, die nicht für Gott ausgesondert sind – Ungläubige – erfüllen die Begierden ihres alten Wesens und leben für ihre eigenen egoistischen Wünsche. Glaubende hingegen lassen ihr Leben nicht von denselben Begierden beherrschen. Sie kämpfen immer noch mit den ungöttlichen Begierden, die wir verleugnen sollen. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass im Glaubenden neue Begierden auftauchen und wachsen, nämlich Gott zu gefallen, den Willen Gottes zu tun, die Ehre unseres Herrn Jesus Christus zu suchen und zum Wohl anderer zu leben und die Gnade unseres Gottes zu verherrlichen.

2  Zweitens: Verstehen Sie den Prozess der Heiligung.

Heiligung ist Gottes gnädiges Wirken in unserem Leben. Keiner verdient es, von Gott geheiligt zu werden. Wir haben in uns selbst keinen Anspruch Gott gegenüber, mit dem wir zu ihm kommen und verlangen könnten, dass er uns heilige. 

Die Tatsache, dass die Heiligung ein Werk Gottes ist, wird im gesamten Neuen Testament hervorgehoben und allen drei Personen des dreieinigen Gottes zugeschrieben. In 1. Thessalonicher 5,23 heißt es: »Er selbst aber, der Gott des Friedens, heilige euch völlig; und euer ganzer Geist und Seele und Leib werde untadelig bewahrt bei der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus.« Die Heiligung wird in Epheser 5,26 auch Jesus Christus zugeschrieben, wo es heißt: »damit er sie heiligte, sie reinigend durch die Waschung mit Wasser durch das Wort«. Außerdem sehen wir in 2. Thessalonicher 2,13, dass der Heilige Geist uns heiligt. Paulus schreibt: »Wir aber sind schuldig, Gott allezeit für euch zu danken, vom Herrn geliebte Brüder, dass Gott euch von Anfang erwählt hat zur Errettung in Heiligung des Geistes und im Glauben an die Wahrheit«. Der dreieinige Gott ist bei unserer Heiligung am Werk. 

Das bedeutet nicht, dass wir bei unserer Heiligung rein passiv bleiben dürften. Die Heilige Schrift ist voll von Geboten, Gott zu gehorchen, uns zu reinigen, uns der Ungerechtigkeit zu enthalten, die Unzucht zu fliehen, gottlose Begierden zu verleugnen, der Gerechtigkeit und der Frömmigkeit nachzujagen. Uns wird gesagt, dass wir unser Heil mit Furcht und Zittern bewirken (o. hervorbringen; Philipper 2,13) sollen. Wir müssen jedoch immer daran denken, dass wir, selbst wenn wir uns mehr als alle anderen anstrengen und eine Heiligkeit erlangen, die alle anderen Sünder übertrifft, dies nur der Gnade und Macht Gottes in unserem Leben zu verdanken ist und nicht unserer Kraft, Macht oder Anstrengung. 

Wie heiligt Gott uns? Heiligung hat zwei Bedeutungen: die eine geschieht bei der Bekehrung und ist ein einmaliges Ereignis, die andere schreitet im Laufe unseres Lebens voran. Beide Aspekte der Heiligung geschehen durch die Wahrheit von Gottes Wort

Gott heiligt uns zunächst durch die Wahrheit seines Wortes, setzt uns für sich selbst zur Seite. Wir wissen, dass der Glaube durch das Hören der Verkündigung kommt und die Verkündigung durch das Wort Gottes (Römer 10,17). Oder wie Jakobus es ausdrückt: »Nach seinem eigenen Willen hat er uns durch das Wort der Wahrheit gezeugt, damit wir eine gewisse Erstlingsfrucht seiner Geschöpfe seien« (Jakobus 1,18). Petrus sagt dasselbe in 1. Petrus 1,23, wo er schreibt: »die ihr nicht wiedergeboren seid aus verweslichem Samen, sondern aus unverweslichem, durch das lebendige und bleibende Wort Gottes«.

Die fortschreitende Heiligung geschieht auf dieselbe Weise wie unsere Bekehrung: durch Gottes Wort. Der Geist Gottes benutzt das Wort Gottes, um uns heiliger zu machen. Neben Johannes 17,17 steht eine der klarsten Aussagen in diesem Sinne in Apostelgeschichte 20,32, wo Paulus, als er die Ältesten von Ephesus zum letzten Mal verließ, sagte: »Apostelgeschichte 20:32 (ELB03) Und nun befehle ich euch Gott und dem Wort seiner Gnade an, das vermag, aufzuerbauen und das Erbe zu geben unter allen Geheiligten«. Paulus war sich sicher, dass die Epheser im Wort Gottes alles hatten, was sie brauchten, um den Wettlauf stark zu beenden.

Einige der beliebtesten Verse zu diesem Thema finden sich im Psalm 119, wo uns ein wunderbares Zeugnis für die Macht des Wortes Gottes bei der Heiligung gegeben wird. In Versen 104f sagt der Psalmist: »Aus deinen Vorschriften empfange ich Einsicht; darum hasse ich jeden Lügenpfad. Dein Wort ist Leuchte meinem Fuß und Licht für meinen Pfad.« Beachten Sie, dass der Mensch, der im Glauben zu Gottes Wort kommt, Verständnis für Wahrheit, Gerechtigkeit, Recht, Weisheit, Heiligkeit, Sünde und Errettung erlangt. Das Wort Gottes zieht uns zu sich, indem es uns die Wahrheit offenbart, und der Geist Gottes wirkt in unseren Herzen. Wir wollen keine Lügen, keine Philosophien der Welt und keine Ratschläge der Gottlosen; wir wollen nur die Wahrheit.

3  Schließlich müssen wir den Prozess der Heiligung anwenden. 

Wie lesen wir die Bibel so, dass Gottes Kraft uns durch sein Wort verwandelt? Fünf Hinweise:

Erstens: Wertschätzen Sie das Wort Gottes. Wenn wir durch Gottes Wort verändert werden wollen, müssen wir es lieben und uns daran erfreuen. Es ist ein Wunder, dass der ewige Gott uns überhaupt etwas offenbart, geschweige denn eine so vollständige und umfassende Offenbarung seiner selbst in seinem Wort gibt!

Zweitens: Lesen Sie Gottes Wort unter Gebet. Beim Lesen sollten wir in einem Geist des Gebets sein und den Heiligen Geist bitten, unsere Herzen zu prüfen, unsere Sünde aufzudecken und uns in unseren Entmutigungen und Nöten zu trösten. 

Drittens: Lesen Sie Gottes Wort im Glauben. Die Verheißungen Gottes gehören uns alle in Christus Jesus, so dass wir glauben, vertrauen und in seinen Worten ruhen können.

Viertens: Lesen Sie Gottes Wort in Demut. Wir können Gottes Wort nicht so verändern, dass es das sagt, was wir wollen. Vielmehr wir müssen das, was es sagt, ohne Rücksicht auf unsere eigenen vorgefassten Meinungen annehmen. 

Fünftens: Lesen Sie das Wort Gottes mit dem Wunsch, ihm zu gehorchen. Wir kommen nicht zum Wort, um bloß Informationen zu erhalten, sondern vielmehr, um verwandelt zu werden! Wir müssen das Wort Gottes mit dem Willen lesen, es zu befolgen. 

Wenn wir das Wort mit diesen Prinzipien im Hinterkopf lesen, wird Gott treu in uns wirken und uns durch sein Wort heiligen. Werden wir treu sein und jeden Tag demütig und treu zu Gottes Wort kommen, mit einem Herzen, das nach Heiligkeit verlangt? Ich bete, dass dies unser Herzenswunsch ist, während wir ein weiteres Jahr beginnen, das der Herr uns so gnädig geschenkt hat. 

Ein frohes neues Jahr!

Denn sowohl der, der heiligt, als auch die, die geheiligt werden, sind alle von einem ; um welcher Ursache willen er sich nicht schämt, sie Brüder zu nennen. (Hebräer 2,11 ELBCSV)

Quellen & Disclaimer

Text adaptiert von: Robb Brunansky: 2024: A Year of Sanctification Through God’s Word, thecripplegate.com, 3. Januar 2024 (https://thecripplegate.com/2024-a-year-of-sanctification-through-gods-word/; 03.01.2024); übersetzt von Grace@logikos.club.

Bild BiZkettE1 auf Freepik, adaptiert und modifiziert durch logikos.club.
#sanctify+[godly]fear+[new]year = #sanctifyear

Wer Dank opfert, der preiset mich (Andacht)

Wer Lob [o. Dank] opfert, verherrlicht mich,
und wer seinen Weg einrichtet,
ihn werde ich das Heil Gottes sehen lassen.

Psalm 50,23

Wenn wir als Kinder etwas geschenkt bekamen, wurden wir immer wieder von den Eltern gefragt: „Und wie sagt man?“ – Ja, und dann erwarteten sie, dass wir artig „Danke!“ sagten. Wenn wir etwas haben wollten, dann hieß es manchmal: „Und wie heißt das Zauberwort?“ Dann wussten wir, dass wir das entscheidende Wörtlein „Bitte!“ vergessen hatten. Bitten und Danken – das wollten uns unsere Eltern schon ganz früh beibringen. Dafür bin ich ihnen heute noch dankbar.

Manche Leute können nicht danken. Sie nehmen alles als selbstverständlich hin: Selbstverständlich sind sie zu beschenken und zu bedienen! Und so verarmen sie immer weiter. Wenn wir jemandem danken, dann realisieren wir, dass wir etwas empfangen haben, dass ein anderer uns etwas gegeben hat. Im Danken anerkennen wir, dass wir Empfangende sind und dass es einen Geber gibt, dem wir Dank schulden. Danken macht froh! 

Das hat auch die Psychologie entdeckt. Ein amerikanischer Forscher[1] bat Menschen in einer Studie darum, jeden Abend drei Dinge aufzuschreiben, für die sie dankbar sein konnten. Sechs Monate später waren diese Personen nachweislich fröhlicher und weniger gestresst und niedergeschlagen als die der Kontrollgruppe. Bibelleser wissen dies schon lange! Hoffentlich! Wenn wir im Abendgebet nicht mindestens drei Sachen anführen können, für die wir Gott dankbar sind, dann kranken wir. Dankbarkeit kann man erlernen.

Meine Eltern wussten aus Gottes Wort auch, dass Undankbarkeit Sünde gegen Gott ist. Im Römerbrief Kapitel 1 erklärt der Apostel Paulus, dass die Menschen im Gericht Gottes „ohne Entschuldigung [sind/seien], weil sie, Gott kennend, ihn weder als Gott verherrlichten noch ihm Dank darbrachten“ (1:20-21). Gott hat als Schöpfer jedem Menschen das Leben und viele weitere Zusatzgaben geschenkt, also höchste Gaben. Er hat zudem jedem Glaubenden als Retter die Errettung und ewiges Leben geschenkt. Das ist unfassbar viel und wertvoll.

Gegenüber diesem Gott je undankbar zu sein, kann sich kein Glaubender und keine Gemeinde Gottes denken oder erlauben, denn sie kennen die Gabe(n) Gottes! Schon vor über 3.000 Jahren rief der Levit Asaph, ein Chorleiter unter David (1. Chronik 15,17ff; 16,7–36), das Volk Gottes auf, Gott Lob und Dank zu bringen. Er erklärt ihnen, dass sie Gott mit all ihren Opfertieren nicht reicher machen könnten, weil Gott sowieso „alles Getier des Waldes, das Vieh auf tausend Bergen“ (Psalm 50,10) gehört. Dann ruft er ihnen zu: „Opfere Gott Lob!“ (Psalm 50,14). Im Schlussvers dieses Psalms erklärt er, warum. Da steht: „Wer Lob opfert, verherrlicht mich“ (50,23a). Das ist das Thema dieser Besinnung.

Gemeinsam Dank opfern in der christlichen Gemeinde

Der Schreiber des Hebräerbriefes fordert 1.000 Jahre nach dem Chorleiter Asaph die Christusglaubenden auf: „Durch ihn [das ist Christus, s. V. 12] nun lasst uns Gott stets ein Opfer des Lobes darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen.“ (Hebräer 13,15). Eine gesunde, vom Geist Gottes bewegte Gemeinde ist davon gekennzeichnet, dass sie beständig („stets“) Gott Lob- und Dankopfer bringt, Ihn also durch ihr gemeinsames Gebet und Lied erhebt und verherrlichtEs möge keine Woche vergehen, ohne dass die Gemeinde sich versammelt zum Namen Jesu und durch Jesus Gott Opfer des Lobes darbringt. Und genau das wollen Glaubende als reich Beschenkte doch! Wir brennen darauf, miteinander Gott zu erheben im Lied und Gebet. Unser Herz ist voller Dankbarkeit. Und so erheben wir den Herrn miteinander. Und gehen nach dem Gottesdienst beglückt hinaus, weil unsere Seelen im Lob Gottes fröhlich geworden sind.

Gerettetsein macht dankbar

Asaph schrieb im Psalm 50 in genialer Kürze und Trefflichkeit auf, wie wir zu Anbetern Gottes wurden, siehe Vers 15: „Rufe mich an am Tag der Bedrängnis: Ich will dich erretten, und du wirst mich verherrlichen!“ Drei Dinge sind es, die er hier sagt: (1) Du erkennst, dass Du in einer großen Not, einem „Tag der Bedrängnis“, steckst. Du wendest Dich im Glauben an Gott und rufst zu Ihm in der Not. Das ist das Beste, was Du tun kannst. Und dann folgt (2): Gott sagt: „Ich will dich erretten!“ Er will es! Glaubst Du dies? Ja, wir werden aus manch großer Not gerettet, vor allem aus der größten Not des Menschen: dass Gottes Zorn wegen unserer Sünden über uns schwebt und das ewige Verderben auf uns wartet. Viele von uns haben daher zum Herrn gerufen und Er hat uns gerettet. Aber wie sieht es dann mit dem Punkt (3) aus: „Und du wirst mich verherrlichen“?

Das ist das Ziel aller Bedrängnisse, die wir hier auf Erden erleben: Wir sollen unsere Not erkennen, zugeben und Gott um Rettung anrufen – und dann nicht stehenbleiben, sondern im Glauben Gott aus ganzem Herzen danken und Ihn im Lob erheben.

Wer weiß, von was er gerettet wurde, kann nicht anders, als den Retter anzubeten

Vor ca. 300 Jahren (1726) schrieb Johann Sebastian Bach eine Kirchenmusik für den 14. Sonntag nach Trinitatis (22.09.1726), und zwar die Kantate „Wer Dank opfert, der preist mich“ (BWV 17). Zur Lesung an jenem Sonntag im Kirchenjahr gehörte die Begebenheit in Lukas 17,11–19, die Heilung der 10 Aussätzigen. Der Herr Jesus hatte alle 10 geheilt, aber nur einer war zurückgekommen:

Einer aber von ihnen, als er sah, dass er geheilt war, kehrte zurück und verherrlichte Gott mit lauter Stimme; und er fiel aufs Angesicht zu seinen Füßen und dankte ihm; und er war ein Samariter. 
Jesus aber antwortete und sprach: Sind nicht die zehn gereinigt worden? Wo sind aber die neun? Sind keine gefunden worden, die zurückkehrten, um Gott Ehre zu geben, außer diesem Fremden? Und er sprach zu ihm: Steh auf und geh hin; dein Glaube hat dich gerettet.“ (Lukas 17,15-19). 

Diese 10 Männer hatten alle Aussatz, vielleicht Lepra. Aussatz ist eine schlimme Krankheit. Aussätzige waren gesellschaftsunfähigin beständiger Quarantäne, da ihre Krankheit ansteckend und tödlich war, ihr Leib verfaulte nach und nach, der Tod kam in Raten, aber er kam sicher. Sie mussten „Unrein, unrein!“ ausrufen, wenn andere Menschen ihnen begegneten, damit diese einen großen Bogen um sie machen konnten. „Social distancing“ gab es auch damals schon! Es gab keine Medizin dagegen. Ihr Fall war hoffnungslos

Aber dann kam der Herr Jesus und heilte die Zehn. Von dieser Seuche geheilt zu werden, war das größte Glück. Aber nur einer kommt zurück. Warum nur einer? Und dann auch noch ein von den Juden verachteter Samaritaner? Vers 19 deutet es an: Er hatte Glauben. Es ging nämlich nicht nur um diese schreckliche äußerliche Krankheit, es ging um die viel schrecklichere innere Krankheit jedes Menschen: die Sünde. Auch die macht gesellschaftsunfähig, ist ansteckend und bringt uns Stück um Stück unausweichlich in den ewigen Tod.

Der Herr Jesus reinigte diese 10 Aussätzigen und so wurden sie geheilt. Einer von Ihnen geht zum Retter zurück. Wir lesen: Er „verherrlichte Gott mit lauter Stimme“, „er fiel aufs Angesicht zu seinen [Jesu] Füßen und dankte ihm“. Der Herr Jesus sagt, was das bedeutete: Er hatte Gott Ehre gegeben, Ihn auf den Knien verehrt, d. h.: angebetet. Ein von der Sünde Geretteter kann gar nicht anders, als vor seinem Retter auf die Knie zu fallen und ihm Lobpreis, Dank und Anbetung zu bringen. Es ist unsere ewige Pflicht und unserer äußerstes Vergnügen, dies als Glaubende und Gerettete miteinander tun zu dürfen!

Im zweiten Teil der erwähnten Bachschen Kantate für den gemeinsamen Gottesdienst singt der Tenor von allen Streichern unterstützt eine dreiteilige Aria mit folgendem Text:

Welch Übermaß der Güte / Schenkst du mir!
Doch was gibt mein Gemüte / Dir dafür?
Herr, ich weiß sonst nichts zu bringen, 
Als dir Dank und Lob zu singen.

Nie soll der Dank, das Lob und die Verherrlichung Gottes in den Häusern und Versammlungsstätten der an Christus Glaubenden verarmen oder verstummen! Nie soll er an zweite oder dritte Stelle zurückgedrängt werden! Lasst uns mit frisch gereinigten und wohl gestimmten Herzen miteinander Gott dieses Opfer unserer Lippen geben, das Er verdient hat (Hebräer 13,15; vgl. Hosea 14,(2)3; Psalm 107,1.8.15.21f.31f; 116,17).

Durch ihn nun lasst uns Gott stets ein Opfer des Lobes darbringen,
das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen. (Hebräer 13,15)

Ihm danken wir, Ihn erheben wir! Mit Blick auf den Herrn Jesus, unseren großen Herrn und Retter, lasst uns miteinander wie Paulus beten:

Gott sei Dank für seine unaussprechliche Gabe! (2. Korinther 9,15).

Das muss man besingen!

Ach, wer kann Dich würdig loben,
Großer Gott von Ewigkeit!
Was auf Erden und was droben,
Zeugt von Deiner Gütigkeit.
Du, Du bist des Lobes wert;
Selig, wer Dich preist und ehrt!

Wer kann Deine Lieb‘ ergründen,
Deine Gnade, Deine Huld!
Gabst den Sohn für unsre Sünden,
Sprachst uns frei von aller Schuld.
Du, Du bist des Lobes wert;
Selig, wer Dich preist und ehrt!

Wer kann Deine Größe nennen
Und Dein Wundertun verstehn!
Wer kann, wie Du bist, Dich kennen
Und in Deine Tiefen sehn!
Ja, Du bist des Lobes wert;
Selig, wer Dich preist und ehrt!

(Autor unbekannt)


[1] Martin E. P. Seligman (*1942) lehrt an der University of Pennsylvania, Philadelphia. Seine Forschungsschwerpunkte sind Depression, Optimismus, Positive Psychologie. Vgl. auch: Harvard Health Publishing (Harvard Medical School): Giving thanks can make you happier (14. August 2021) [20.12.0223].

Schlafen und Leben | Eine kurze Besinnung zur Theologie des Schlafens

Von wenigen Ausnahmen abgesehen, müssen alle Lebewesen schlafen. Manchen sieht man es nicht an: Fische schließen im Schlaf keine Augenlider, Zugvögel fliegen im Schlaf weiter: Mauersegler ununterbrochen bis 300 Tage, in denen sie jedoch wiederholt zehnsekundige Tiefschlafphasen durchlaufen. Delfine, Enten und Flamingos „schlafen“ nur mit einer Gehirnhälfte, die andere bleibt währenddessen wach. Andere Tiere hingegen scheinen immer zu schlafen: Der Koala schläft bis zu 22 Stunden pro Tag, das ist mehr als doppelt so viel, wie das sprichwörtliche Faultier im Urwald. Konkurrenz als Schlafweltmeister bietet der Siebenschläfer, der große Teile des Herbstes, den Winter und sogar den Frühling verschläft.

Wir Menschen brauchen unverzichtbar und in der Regel täglich Schlaf: Rund ein Drittel unserer Lebenszeit schlafen wir. Tun wir das eine Weile nicht, geschehen seltsame Dinge in unserem Körper, unserer Seele, unserem Geist – üble, gefährliche, krankmachende Dinge. Schlafentzug ist unmenschlich, ist Misshandlung und wird tatsächlich als Teil von Folter- und Brain Washing-Methoden (Mind Control, Mentizid, psychologische Manipulation) angewandt. Aber auch in der Burn-Out-Kultur der Erfolgssüchtigen und Gestressten führt dies immer wieder zu entsprechenden tragischen Folgen. (Dass man es aus Faulheit mit dem Schlafen und Schlummern auch übertreiben kann, soll hier nicht vertieft werden; siehe dazu Sprüche Salomons 6,6–11; 10,4–5; 23,19–21; 24,32-34.)

Ausreichender Schlaf gehört also zum gesunden Menschsein, wie Essen und Trinken, Arbeiten und Bewegen. Der Körper fährt im Schlaf hormongesteuert (und dies wiederum naturlichtgesteuert) Reparaturarbeiten, Erregerbekämpfung und Energiespeicherung hoch, damit in der folgenden Wach- und Aktivzeit wieder genügend Kraft, Motivation und Energie vorhanden sind. Vereinfacht gesagt kann man beobachten: Wer zu wenig schläft, begeht mehr Unfälle, fällt häufiger falsche Entscheidungen (daher: „Erst einmal drüber schlafen!“), bekommt eher Infektionen und sogar Krebs. Präsident Bill Clinton sagte einmal, dass jeder größere Fehler, den er machte, mit Schlafmangel einherging. Das sollte uns ausreichend warnen und zum Nachdenken bringen.

Schlaf und Glaube

Unser regelmäßig wiederkehrendes Schlafbegehren erinnert uns daran, dass wir begrenzte Kräfte haben – im Körper, in der Seele, im Geist. Es erinnert uns täglich, dass wir Geschöpfe sind, begrenzte Wesen – und nicht Gott. So zu tun, zu leben oder anzustreben, als brauche man (fast) keinen Schlaf, ist damit ein weiterer zum Scheitern verdammter Versuch der Selbstvergottung, »zu sein wie Gott« (vgl. 1Mose 3,5). Denn der Schöpfer-Gott hat nie Bedarf für Schlummer oder Schlaf, er ist nie müde, er ermüdet niemals, er lebt aus sich selbst, versehen mit unbegrenzter Kraft und unerschöpflicher Energie:

Weißt du es nicht? Oder hast du es nicht gehört? Ein ewiger Gott ist Jahwe, der Schöpfer der Enden der Erde; er ermüdet nicht und ermattet nicht, unergründlich ist sein Verstand. (Jesaja 40,28)

Daher darf der Glaubende sich mit Ruhe und Entspanntheit niederlegen, seine Augen schließen und alle (noch) ungelösten Probleme an Den abgeben, der sowieso beständig über ihm wacht:

Siehe, der Hüter Israels, er schlummert nicht und schläft nicht. (Psalm 121,4)

Der Glaubende hat eine einfache, biblische, praktisch wirksame »Theologie des Schlafens«:

Ich legte mich nieder und schlief. Ich erwachte, denn Jahwe stützt mich. (Psalm 3,6)

In Frieden werde ich sowohl mich niederlegen als auch schlafen; 
denn du, Jahwe, allein lässt mich in Sicherheit wohnen. (Psalm 4,9)

Bei allem Fleiß am Tag, aller Arbeit und allem Mühen, weiß der Glaubende, dass Arbeit nicht alles ist, dass Erfolg mit Abmühen nicht beliebig vermehrbar ist, sondern dass es vielmehr um den Segen des Herrn geht:

Vergeblich ist es für euch, dass ihr früh aufsteht, spät aufbleibt, das Brot der Mühsal esst; so gibt er seinem Geliebten im Schlaf. (Psalm 127,2)

Schlaf und Zweifel

Besonders gefährliche Wirkungen erzeugt Schlafmangel in unserem Denken, Fühlen und Glauben. In einem Kapitel über Zweifel (dort speziell an der Auferstehung Jesu, Johannes 20,24–31) nennt D. A. Carson mehrere Ursachen für Zweifel. Als fünfte Ursache nennt er Schlafentzug:

»Zweifel können auch durch Schlafentzug begünstigt werden. Wer beständig mit seiner Gesundheit Raubbau betreibt, verfällt früher oder später immer mehr in Zynismus – und die Grenze zwischen Zynismus und Zweifel ist sehr schmal. Natürlich benötigt jeder Mensch eine unterschiedliche Menge Schlaf. Manche kommen mit ein wenig Müdigkeit besser zurecht als andere. Wenn Sie jedoch zu den Menschen gehören, die bei Schlafmangel böse, zynisch oder sogar voller Zweifel werden, dann sind Sie moralisch verpflichtet, sich um den nötigen Schlaf zu bemühen. Wir sind ganzheitliche, komplizierte Wesen: Unser körperlicher Zustand ist an unser geistliches Wohlbefinden, an unsere geistige Einstellung, an unsere Beziehungen zu anderen, einschließlich unserer Beziehung zu Gott, gebunden. Manchmal ist das Gottseligste, was man überhaupt tun kann, gut zu schlafen – nicht, um die ganze Nacht zu beten, sondern um zu schlafen. Ich bestreite bestimmt nicht, dass es Gelegenheiten gibt, wo man eine Nacht hindurch betet. Ich möchte nur betonen, dass es zu den guten geistlichen Disziplinen gehört, seinem Körper jene Menge Schlaf zu geben, die er braucht.«

D. A. Carson, Scandalous: The Cross and Resurrection of Jesus (Wheaton, IL: Crossway, 2010), S. 147. (eig. Übers. von grace@logikos.club, 2023; Fettdruck hinzugefügt)

Jeder Mensch braucht für seine ganzheitliche Gesundheit von Körper, Seele und Geist genügend Schlaf – und er braucht diesen offenbar auch für ein gesundes Glaubensleben. Schlafen ist daher (wie bei so vielen Dingen des Glaubens) zugleich moralische Pflicht und süßes Gnadengeschenk Gottes.

Daher, um Gottes Willen: Schlafen Sie gut!