Sola Scriptura: Das Fundament der Reformation

Artikel von Dr. Robert E. Brunansky (29.10.2025) | Reposted in German with kind permission by Dr. Brunansky (11.11.2025).

Am 31. Oktober 1517 schlug Martin Luther seine 95 Thesen an die Tür der Wittenberger Kirche und löste damit die protestantische Reformation aus. Luther wollte keine politische oder spirituelle Revolution anzetteln, sondern eine Diskussion über das theologische Problem der Ablässe anstoßen. 

Der Verkauf von Ablässen in der römisch-katholischen Kirche hatte seinen Ursprung nicht in geistlichen, sondern in zivilrechtlichen Gründen. Im Mittelalter war die Kirche gleichbedeutend mit dem Staat und setzte daher nicht nur theologische, sondern auch zivilrechtliche Normen durch. Ablässe wurden also zunächst für Straftäter eingeführt, um für Vergehen gegen den Staat Buße zu zahlen, wodurch dessen Einnahmen erhöht und die Ausgaben gesenkt wurden. Ursprünglich versprach die Kirche keine geistlichen Vorteile durch den Kauf von Ablässen. 

Da Kirche und Staat jedoch vereint wirkten, verschwand diese Unterscheidung zwischen der zivilen Schuld und Vergebung und der geistlichen Schuld und Vergebung. Die Kirche erkannte, wie effektiv Ablässe bei der Erzielung von Einnahmen für kriminelle Aktivitäten waren, und begann, Ablässe für geistliche Versprechen zu verkaufen. Als Martin Luther neun Jahrhunderte später auftauchte, war der Verkauf von Ablässen für geistliche Vorteile weit verbreitet. Es überrascht nicht, dass Ablässe umso »geistlich vorteilhafter« wurden, je mehr Geld Rom benötigte.

Martin Luther verstand, dass wahre Erlösung durch die Vergebung von Sünden nicht mit vergänglichen Dingen erkauft werden konnte (1Petrus 1,18–19). Luther verurteilte daher zu Recht diesen Ablasshandel und verbreitete das Evangelium von Gottes Gnade. Dies löste einen Sturm der Entrüstung aus, da Rom seine Einnahmequelle nicht verlieren wollte.

Im Mittelpunkt der Reformation stand mit Recht das reine Evangelium. Um das Evangelium deutlich zu erklären, wurden Grundsätze entwickelt – die fünf Solas der Reformation. Das erste war sola gratia, was »allein aus Gnade« bedeutet. Wir empfangen die Erlösung, weil Gott sich frei dafür entschieden hat, sie uns zu schenken. Das zweite war sola fide, was »allein der Glaube« bedeutet. Werke können Sünder vor einem heiligen Gott nicht rechtfertigen, das Heil wird ausschließlich auf der Grundlage des Glaubens geschenkt.

Wie können wir jedoch vor einem Gesetz, das uns gebietet, bestimmte Dinge nur durch den Glauben und niemals durch Werke zu tun (oder nicht zu tun), gerecht stehen? Hier finden wir den Grundsatz von solus Christus, Christus allein. Unsere Erlösung basiert auf seinem Gehorsam, nicht auf unserem. Kein Mensch kann unsere Erlösung retten oder zunichte machen, nur Christus rettet. 

Soli deo gloria folgt dann nach Logik und gemäß der Heiligen Schrift. Wenn die Erlösung allein aus Gnade, allein durch den Glauben und allein in Christus geschieht, dann haben wir keinen Grund, uns zu rühmen. verdient Gott allein alle Ehre für unsere Erlösung (Römer 11,36). Das alles ist logisch konsistent. Aber die Reformatoren schufen damit kein philosophisches System, sondern versuchten nur zu erkennen, was die Heilige Schrift über die Erlösung lehrt. Das Grundprinzip, auf dem diese solasberuhten, war sola scriptura, allein die Heilige Schrift. Die Grundlage für die Argumente der Reformatoren waren nicht menschliche Traditionen, kirchliche Dogmen oder päpstliche Erlasse, sondern die Heilige Schrift selbst. 

Das heißt nicht, dass die Reformatoren bereits in allem Recht hatten. Die Reformatoren selbst waren sich über bestimmte Lehren uneinig, wie zum Beispiel die Taufe, die Natur der göttlichen Erwählung und das Abendmahl. Ihr Grundprinzip war jedoch, dass die Heilige Schrift für alle Fragen die letzte Autorität war. 

Das Prinzip »allein die Heilige Schrift« war damals radikal, aber es war schon immer umstritten. Das Hauptproblem mit »allein die Heilige Schrift« war nicht ihre Notwendigkeit. Alle waren sich einig, dass die Heilige Schrift notwendig war. Das Problem betraf ihre Hinlänglichkeit (Genugsamkeit). Reicht die Schrift, oder brauchen wir die Heilige Schrift plus kirchliche Traditionen, päpstliche Erlasse oder etwas anderes? Reicht es, wenn wir allein (exklusiv) die Heilige Schrift haben, um Gott, die Erlösung und ein gottgefälliges Leben zu kennen? Glauben wir an die Kraft der Heiligen Schrift, das zu tun, was sie verspricht? Und vor allem: Behauptet die Heilige Schrift selbst, für alles, was zum Leben und zur Frömmigkeit notwendig ist, ausreichend zu sein? 

Der Apostel Paulus beantwortete diese Frage seinem Schützling Timotheus (2Timotheus 3,16–17) brieflich aus dem Todestrakt eines römischen Gefängnisses heraus. Für Timotheus war dies eine beängstigende Situation. Wie sollte er ohne die Weisheit des Apostels Paulus wissen, was ferner zu tun war? Paulus gibt Timotheus eine klare Antwort. Timotheus muss sich an die Heilige Schrift halten, die ihn ausreichend für seine von Gott gegebene Aufgabe ausrüsten kann. Timotheus brauchte Paulus nicht notwendigerweise; er brauchte aber Gottes Wort. Hier liegt der springende Punkt: Die Heilige Schrift reicht völlig aus, um uns für alles auszurüsten, wozu Gott uns berufen hat. Die Hinlänglichkeit der Heiligen Schrift allein war das Argument des Paulus‘ gegenüber Timotheus, und es ist auch das Argument des Heiligen Geistes gegenüber uns. Was wir brauchen, um Gott zu gefallen und ihm zu gehorchen, sowohl individuell als auch gemeinschaftlich, ist sein Wort. Um dies zu verdeutlichen, möchte ich drei Wahrheiten über die Heilige Schrift aus diesem Abschnitt betrachten.

Erstens sollten wir die Quelle der Heiligen Schrift verstehen (Vers 16a).

Paulus sagt uns, dass die gesamte Heilige Schrift von Gott inspiriert ist. Gott ist der Verfasser der gesamten Bibel – nicht nur von Teilen davon. Die Heilige Schrift wurde von Gott eingegeben und ist das Werk des Heiligen Geistes. Die Bibel, die wir in unseren Händen halten, ist nicht aus menschlicher Genialität, Meinung, Philosophie oder Kreativität entstanden. Sie ist das Produkt des Geistes des ewigen Gottes.

Allzu leicht lassen wir uns von menschlichen Ideen, Forschungen, Gedanken und Meinungen überzeugen und vernachlässigen oder lehnen Gottes Wort ab. Dabei haben wir den Geist Gottes, der mit der Bibel redet. Die Heilige Schrift steht für sich allein als von Gott gegeben und von Gott eingegeben. Alles andere ist weit abgeschlagen.

Zweitens müssen wir die Nützlichkeit der Schrift verstehen (Vers 16b).

Gott hat uns kein esoterisches, abstraktes Buch der Metaphysik gegeben. Er hat uns ein Wort gegeben, das nützlich, praktisch und hilfreich ist. Keines seiner Worte ist unpraktisch, irrelevant, veraltet oder trivial – von 1Mose 1,1 bis Offenbarung 22,21.

Paulus skizziert vier Dinge, die die Heilige Schrift bewirkt. Zunächst sagt er, dass die Heilige Schrift für die Lehre nützlich sei. Was ein Mensch glaubt, hat einen entscheidenden Einfluss darauf, was er tut und wie er lebt. Menschen, die Irrtümer glauben, empfangen keine Wahrheit. Sie haben dann falsche Lehren, die verurteilen, zur Sünde führen und Zerstörung bringen. Christen hingegen sind im Glauben an die Wahrheit von Irrtümern befreit worden. Die Heilige Schrift ist also nützlich, um ein richtiges Verständnis von Gott, dem Menschen, der Welt, Satan, der Erlösung, dem Gericht und dem Gehorsam zu fördern. 

Außerdem sagt Paulus, dass die Schrift zur Überführung nützlich ist. Gottes Wort zeigt, was wahr ist, und beweist, was falsch ist, wo wir richtig liegen, und wo wir sündigen. Die Verfasser des Neuen Testaments verwenden die Schrift oft auf diese zweischneidige Weise und berufen sich sogar innerhalb der Bibel ständig auf die Bibel! Der dritte Verwendungszweck, den Paulus erwähnt, ist die Zurechtweisung. Die Schrift ist nützlich, um uns zu zeigen, wo unser Verhalten sündig, gottlos oder böse ist, und um dann korrigierend anzuweisen, wie wir unseren Kurs ändern müssen. Abschließend sagt Paulus, dass Gottes Wort nützlich ist für die Unterweisung in der Gerechtigkeit. Wir brauchen erziehende Unterweisung, damit wir nicht nur wissen, was zu tun ist, sondern auch dazu befähigt und willig sind, es konsequent in die Tat umzusetzen.

Für diese Dinge ist die Schrift nützlich. Gottes Wort lehrt uns, Wahrheit von Irrtum zu unterscheiden, Sünde abzulegen und zu gehorchen. Es ist äußerst nützlich und praktisch.

Schließlich müssen wir den Zweck der Schrift betrachten (Vers 17).

Der Zweck der Schrift ist es, uns vollständig zu befähigen, ein gottgefälliges Leben in einer feindseligen Welt zu führen. Die Bibel reicht aus, um uns alles zu lehren, wozu Gott uns berufen hat. Wenn wir in der Schrift verwurzelt sind, werden wir gründlich darin geschult sein, Gottes Willen zu tun.

Es gibt einen Fall, in dem die Schrift der Gemeinde oder den Gläubigen keinen Nutzen bringt, nämlich wenn Menschen sie ablehnen (Hebräer 4,2). Wenn die Schrift als irrelevant, unpraktisch oder machtlos erklärt wird oder erscheint, liegt das Problem nicht bei Gottes Wort. Die Schrift bringt keinen Nutzen, wenn Menschen nicht glauben, was sie lesen. Unglaube ist die einzige Barriere, das uns daran hindert, von der Schrift zu profitieren.

Die »Evangelikalen« sind die Erben der protestantischen Reformation. Es sollte kein Zweifel daran bestehen, dass die Heilige Schrift unsere letzte Autorität in allen Fragen der Lehre und Praxis ist und sein muss. Glauben wir also an das Wort Gottes? Ist unser Hören oder Lesen der Heiligen Schrift mit Glauben verbunden? Glauben wir, dass es uns lehren, überführen, zurechtweisen und unterweisen wird, Gottes Willen zu tun? Oder schauen wir auf die Meinungen und Ideen bloßer Menschen? 

Sola scriptura ist eine wunderbare Grundlage, aber ohne Glauben ist sie nutzlos. Lasst uns in Gottes Wort eintauchen, daran glauben und uns davon verwandeln lassen.

Über Robb Brunansky

Dr. Robert E. Brunansky ist Gemeindehirte und -lehrer in der Desert Hills Bible Church (DHBC) in Glendale, Arizona (USA). Er hat einen M. Div. von The Master’s Seminary in Sun Valley, CA (USA) und einen Ph.D. für Neues Testament vom Southern Baptist Theological Seminary in in Louisville, KY (USA). Robb uns seine Frau Randi sind seit über 20 Jahren verheiratet und haben vier Kinder, zwei Töchter und zwei Söhne.

Quelle und Disclaimer

Copyright 2025 by Robert E. Brunansky. Original (Link):
https://thecripplegate.com/sola-scriptura-the-foundation-of-the-reformation/

Eigene Übersetzung von grace@logikos.club. Erlaubnis für diese Veröffentlichung wurde vom Autor am 11.11.2025 erteilt.

Das Gleichnis vom vierfachen Ackerboden im Markusevangelium

Posttraumatische Betrachtung einer missglückten Verkündigung 

10 Und als er allein war, fragten ihn die, die um ihn waren, mit den Zwölfen über die Gleichnisse.
11 Und er sprach zu ihnen: Euch ist es gegeben, das Geheimnis des Reiches Gottes [zu]erkennen]; denen aber, die draußen sind, wird alles in Gleichnissen zuteil, 12 damit »sie sehend sehen und nicht wahrnehmen, und hörend hören und nicht verstehen, damit sie sich nicht etwa bekehren und ihnen vergeben werde.« 
Markus 4,10–12 (ELBCSV)

Im September 2025 sprachen drei Redner über den oben angegebenen Text aus dem Evangelium nach Markus: der erste recht ausführlich, der zweite eher ergänzend und episodisch, der dritte versuchte eine rettende Zusammenfassung. Leider wurde von allen etwas gelehrt und gesagt, das nicht im Text steht noch dessen Lehre wiedergibt. Das reicht von einfachen Beobachtungsfehlern, über das Reden von biblisch Wahrem, das aber an anderer Stelle anders gesagt und daher keine Auslegung des vorliegenden Textes ist, bis zu Behauptungen, die im direkten Widerspruch zum Text stehen.

Zur Verarbeitung des nicht geringen Zuhörer-Schocks versuchen wir, einige analytische und einige ermahnende und einige motivierende Gedanken niederzuschreiben. Das Ziel solcher Betrachtung ist mehrfach. Wichtig wäre, daraus zu lernen, solche Fehler in Zukunft nicht mehr (so häufig) zu machen. Wir sind alle Lernende und noch nicht Vollkommene. Auch in der Verkündigung. Also: Lasst uns aus diesem menschlich peinlichen und Gott verunehrenden »Unfall« lernen!

Kontext

Kontext: Dieser Text ist Teil des Diskurses Jesu mit seinen Jüngern und weiteren (»die um ihn waren«; 4,10) über die Gleichnisse (Plural!), von denen eines in den Versen 4,3–9 (samt Appell) berichtet wird: das sog. Gleichnis vom Sämann oder Gleichnis vom vierfachen Ackerboden.

Um was geht es: Jesus sagt, dass er mit diesem Gleichnis vom »Geheimnis des Reiches Gottes« rede (4,11). Zusätzlich sagt er, dass dieses Gleichnis samt den anderen der Lehre diene (4,2).

Weiterer Kontext

(1)  Dieses Gleichnis wird in allen 3 Synoptikern wiedergegeben, allerdings mit bedeutsamen Unterschieden, die zur jeweiligen Botschaft des Evangeliums passen. Der Herr hat dieses grundlegende Gleichnis wohl oft erzählt und die Betonung unterschiedlich gelegt. Das ist zu beachten, daher ist der jeweilige Kontext wichtig. Man sollte daher nicht unbesehen den Text in Matthäus verwenden, um den Text in Markus zu erklären!

(2)  In Markus wird Jesus Christus, der Sohn Gottes, als Diener oder Knecht Gottes dargestellt, der mit mächtigen Worten und Taten Gott dient. Er ist der »Knecht Jahwes«, von dem das AT spricht (s. z.B. Jesaja 42,1; 52,12; 53,11).

(3)  Gleichzeitig berichtet Markus auch, wie der Vorbild-Diener Jesus die nächste Generation von Dienern, die Apostel und andere, ausbildet. Daher erklärt Jesus den Jüngern manches, was er tut und warum er es tut. So auch hier bei deren Fragen, warum Jesus (plötzlich) in Gleichnissen zu den Volksmengen redete.

Genre

Wir haben hier ein Gleichnis! Ein Gleichnis lehrt eine Sache, hat (zumeist) nur eine Pointe. Alles andere wird dort nicht gelehrt. Einem Gleichnis wird Gewalt angetan, wenn man – wie geschehen – die eigentliche Lehraussage nicht erkennt, sondern vorgefasste Probleme und Meinungen in das Gleichnis hereinträgt. Ein Gleichnis darf auch nicht zur Allegorie gemacht werden, bei der alles im Bildbereich Erwähnte einen geistlichen Sinn im Gegenstandsbereich haben soll.

Dass dabei die Gefahr besteht, den Geist Gottes zu beleidigen, ist offenbar. Das geschieht, wenn wir dem vom Ihm gegebenen Text etwas zuzuschreiben, was Er nicht sagt und nicht beabsichtigt hat. Zumindest ist dann das Gesagte und Behauptete nicht das betrachtete Gottes Wort und hat keine entsprechende Autorität. Das sollte man vermeiden, auch wegen der unmittelbaren Gefahren.

Was lehrt das Gleichnis? 

Jesus zeigt m.E. seinen Jüngern (und anderen) auf, warum die Predigt des Wortes, so wie Er es als treuer Knecht Gottes selbst vorlebte und wie es die Jünger in Seinem Auftrag ebenfalls tun sollten, zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führt. Diese (manchmal frustrierende) Folge ihrer treuen Predigt sollte sie nicht entmutigen, denn:

  1. Der Mangel an (nachhaltiger) Frucht liegt weder am Sämann noch am Samen. Das galt für den Herrn Jesus Christus selbst, das gilt auch für jeden seiner Nachfolger, der das Wort Gottes rein und richtig verkündigt. (Das ist die Herausforderung jedes Predigers!) – Es ist z.B. keine Nachlässigkeit des Sämanns, dass er nicht zuerst den Boden gepflügt hatte, sondern das war damals einfach so üblich. Dieses Randthema im Bildbereich des Gleichnisses ist nicht »zu vergeistlichen« (in den Gegenstandsbereich zu übertragen)!
  2. Das beobachtbare Ergebnis des Ausstreuens des Samens (=des Predigens des Reiches Gottes), die nachhaltige Frucht, hängt nach Markus davon ab, wohin der Same gesät wird: »an dem Weg, wo das Wort gesät wird«, »auf das Steinige gesät«, in die Dornen gesät« oder »auf die gute Erde gesät«. – Nicht alles, was man das Wort predigend aussät, geht auf.
  3. Vier deutlich verschiedene Wirkungen/Ergebnisse bei gleichem Samen werden damit beschrieben. Aber Markus sagt nicht, dass das »Herz« der Hörer so sei, wie der jeweilige Ackerboden. Das ist bei Matthäus 13,19 und Lukas 8,12.15 die Erklärung, aber nicht bei Markus. Die Formulierung in Markus ist eine andere, nämlich: »diese sind die, die/wo…gesät sind« (Markus 4,15–20). Das heißt, die Personen samt ihrer Reaktion auf das Wort werden im Gleichnis mit der Fruchtbarkeit der verschiedenen Ackerböden verglichen.
  4. Die Vermutung, dass dabei das Herz eine große Rolle spielt, ist biblisch wahr, aber nicht Teil des Gleichnisses noch seiner Auslegung durch den Herrn Jesus in Markus. Das Herz wird zwar in der AT-Referenz Jesaja 6,10 zweimal erwähnt, aber genau diesen Teil zitiert der Herr Jesus in Markus nicht, sondern nur den Teil mit den Augen und Ohren (Markus 4,12)! – In Matthäus und Lukas wird jeweils ein anderer Schwerpunkt gesetzt und in Matthäus wird begründend das Jesaja-Zitat inkl. der Nennung des Herzens wiedergegeben. Dieser Unterschied hat Bedeutung. Der Prediger muss in der Vorbereitung seiner Predigt klären, welche!
  5. Die Frucht ist bei Markus progressiv wachsend: 30➞60➞100. Nicht, wie der dritte Redner falsch zitierte, absteigend (so nur in Matthäus 13,8.23, was zu dessen Botschaft passt). Diese Entwicklung einiger Hörer ist also sehr ermutigend für den Prediger, ähnlich Lukas 8,15, wo solche sind, die »Frucht bringen mit Ausharren« (ohne Stufung).
  6. Das Zitat einer AT-Stelle fordert, dass man auch deren Kontext und Bedeutung erarbeitet. Schon im AT wird ermutigt, das Wort zu predigen, selbst wenn es nicht bei jedem Hörer Frucht bringt. Es kann sogar sein, dass niemand hört/gehorcht, wie bei Jeremia (Jeremia 5,20ff)! Vielleicht verdeutlicht der Herr Jesus hier Prediger 11,4ff: »Wer auf den Wind achtet, wird nicht säen, und wer auf die Wolken sieht, wird nicht ernten. Wie du nicht weißt, welches der Weg des Windes ist, wie die Gebeine im Leib der Schwangeren sich bilden, ebenso weißt du das Werk Gottes nicht, der alles wirkt. Am Morgen säe deinen Samen und am Abend zieh deine Hand nicht ab; denn du weißt nicht, welches gedeihen wird: ob dieses oder jenes, oder ob beides zugleich gut werden wird.« – Das ist m.E. auch die Botschaft dieses Gleichnisses in Markus 4, die der Herr Jesus seinen Nachfolgern lehrte.

Wird der Lehr-Punkt des Gleichnisses hier in Markus nicht erkannt oder werden weitere Gedanken (bibel-richtige oder -falsche) ins Gleichnis des vorliegenden Textes hineingelesen oder gar das Gleichnis vergewaltigend allegorisiert, wird man es nicht begreifen. Man missbraucht es letztlich, wenn auch ohne böse Absicht, sondern oft einfach mangels gründlichen Studiums des Textes. Das dann Gesagte hat keine Autorität des Textes und kann sogar verführend oder vernebelnd wirken.

Was lehrt das Gleichnis in Markus nicht? 

  1. Das Gleichnis lehrt nicht, dass ein Mensch ermahnt werden soll, seinen Ackerboden (Herzensboden) zu verändern. Es geht nicht um Ermahnung der Hörer, sondern um Ermutigung der Verkündiger (Evangelisten, Apostel u.a.). Sie sollen stets weiter säen, egal wieviel Frucht entsteht oder nicht. – Die Ermahnung, recht zu hören, wird an anderer Stelle getroffen, zum Beispiel in Lukas 8,18: »Gebt nun Acht, wie ihr hört; denn wer irgend hat, dem wird gegeben werden, und wer irgend nicht hat, von dem wird selbst das, was er zu haben meint, weggenommen werden«. Vgl. dazu auch: 5Mose 8,20; Psalm 95,7–11 mit Hebräer 3,7.15; 4,7. – Bleiben wir aber bei Markus!
  2. Das Gleichnis lehrt nicht über eine »Prädestination des Ackerbodens«. Der erste Hauptredner sagte, dass die Hauptfrage zum Text folgende sei: »Die erste Frage, wo ich Probleme hatte: Ist das Prädestination, ist das Vorherbestimmung? Können die Menschen überhaupt dafür irgendwas, dass sie der Weg, das Steinige, das Fels ist sind?« [sic].  – Mit dieser Angabe wurde sofort klar, dass die Predigt höchstwahrscheinlich ins Kraut schießen wird, denn dieses Thema wird im Text überhaupt nicht genannt noch behandelt, es ist jedenfalls nicht seine erste Frage! – Die biblische Lehre der Zuvorbestimmung (Prädestination) muss man zuerst in diesen Text hineinlegen, wenn man ihn dort finden will. Ist Prädestination das zu lehrende Thema, dann muss man aber zu Stellen im Wort Gottes gehen, wo darüber gelehrt wird, nicht zu Stellen, wo von der Verantwortung des Menschen die Rede ist. (s.u. unter »Angebliche Probleme«)
  3. Der dritte Redner meinte, vielleicht um die Verkündigung zu retten, dass die erste, wichtigste Frage des Gleichnisses vielmehr folgende sei: »Was verhindert bei dir die Frucht?« – Aber das Gleichnis spricht nicht zum Ackerboden mit der Aufforderung, er möge sich ändern! Das könnte evtl. eine weithergeholte Anwendung sein (und zwar basierend auf einer anderen Stelle der Schrift!), sie gründet aber nicht auf dem Zentralgedanken (d.h. der Lehre) des Gleichnisses. Die »erste Frage« eines Gleichnisses ist ihr Hauptpunkt, und der richtet sich in Markus m.E. an die Prediger (Sämänner) der Frucht, und nicht an den Ackerboden. Christus lehrt hier, warum das gute Wort Gottes nicht überall 100% Frucht bringt (wenn es doch göttlich, ja Gottes Kraft, ist). Die Antwort ist: Es liegt an den Hörern, wie sie das Wort Gottes aufnehmen – oder auch nicht aufnehmen. Dies aber liegt außerhalb der Verantwortung des Predigers. – Die Zuhörer der hier behandelten Verkündigungsbeiträge wurden aufgefordert, folgende Zentralfrage mit nachhause mitzunehmen: »Hat das Wort Gottes bei dir Auswirkungen, hat es in deinem Herzen Auswirkungen, kann es aufgehen, kann es wachsen?« (usw.). Es wurde also der Ackerboden ermahnt, wie es im Markus-Text nirgendwo getan wird. (Wenn das das Thema sein sollte, sollte der Prediger eher Lukas 8,18 verwenden: »Gebt nun Acht, wie ihr hört«, s.o.)
  4. Das Gleichnis in Markus erklärt auch nicht, dass der Ackerboden dem »Herzensboden« der Hörer zu vergleichen sei. Der Herr lehrt und deutet es nicht so. Das »Herz« taucht weder im Gleichnis noch in der Erklärung auf. Der dritte Redner lieferte hier leider noch eine weitere falsche Angabe, die zu Matthäus 13 gehört, was aber nicht der betrachtete Predigttext war.
  5. Der erste Redner sagte abschließend: »Dieses Gleichnis lehrt uns, dass wir selber entscheiden können, wie wir sind, welche Erde wir sind, ob wir Christen sind oder nicht.« – Nein, das lehrt dieses Gleichnis in Markus 4 sicher nicht! Es lehrt vielmehr, dass es einigen (den Jüngern) »gegeben ist, das Geheimnis des Reiches Gottes zu erkennen« (4,11), aber »denen, die draußen sind« (und das ist immer deren Schuld!) wird alles in geheimnisvoller Sprache (Gleichnissen) gesagt, »damit« sie nicht sehen, wahrnehmen, bekehren, vergeben werden! – »Es wird ihnen gegeben« heißt gerade nicht, »sie können selbst entscheiden«! Die erste Aufgabe beim Verstehen eines Textes ist: Aufmerksam Beobachten!

Angebliche Probleme im Text

Das »Problem«, das der erste Redner im Text sah und einleitend wie auch später aufgreifend besprach, war die »Prädestination«. Es ist erstaunlich, dass dieses Thema, das ja an anderer Stelle der Schrift völlig klar gelehrt wird, (1) hier gesucht wird, wo es weder mit Begriff genannt noch inhaltlich verhandelt wird, und (2) Zweifel an einer klaren Lehre der Schrift geäußert werden, zudem mit dafür völlig untauglichem Bibeltext. Da fehlt es (wohl auch) an Basics in der Heilslehre. Es tut in der Seele weh, wenn solche eklatanten Mängel in den Grundlagen des Glaubens und der Verkündigung von der Kanzel ausgebreitet werden dürfen.

Der zweite Redner stürzte sich (auch) auf Vers 12, der ihm früher »sehr viel Bauchschmerzen gemacht« habe. Dann versuchte er, das (telische»damit« umzuerklären, und ihm eine andere Deutung zu geben. (Ich denke nicht, dass diese Behauptung einer gründlichen Untersuchung des Textes entsprang.) Er behauptete, dass dies »eine typische Elberfelder Übersetzung« (i.S. des konkordanten Übersetzungsansatzes) sei. Das »damit« (gr. hina) könne vielmehr mehrere Bedeutungen haben und würde hier eine Begründung einleiten (also kausal sein): »weil sie«. Diese Behauptung einer nicht-telischen Bedeutung von hina (was aber die Hauptbedeutung  dieses Wortes ist) kommen hauptsächlich von solchen Theologen, die die Souveränität Gottes im Heil und Gericht und diese Rede Jesu als »zu hart« ablehnen. Es ist also nicht bessere Deutung, sondern Um-Deutung in Richtung der eigenen vorgefassten theologischen Meinung. Die Schwierigkeit ist auch nicht zu umgehen mit der Erklärung, dass eben einige nicht lange genug Jesus zugehört haben, sondern vorzeitig gegangen seien (und dann »draußen« waren), und daher nicht verstehen würden. Diese Leute hätten vielmehr auch tausend Stunden hören können, ohne zu verstehen. – 
Einige klärende Kommentatoren dazu: »Das Zitat wird mit der griechischen Konjunktion hina (damit) eingeleitet, die in diesem Fall keine resultierende Bedeutung haben kann, sondern einen Zweck bezeichnen muss (Alf, I, 333*)« (Pfeiffer/ Harrison). – »ἵνα wahrscheinl[ich] fin[al] damit; ein Ausweichen auf Nebenbedeutungen wie so dass (kons.) od. weil/denn (kaus.) o.ä., sprachl. zwar z. T. nicht unmögl. (vgl. B II2; BDR § 4562), erscheint forciert« (von Siebenthal). – »Das ἵνα darf nicht abgeschwächt werden, wie ita ut, wie Rosenmüller und andere behaupten. Wir müssen daran festhalten, dass diese harte Äußerung auf Jesaja 6,9 ff basiert und daher im Sinne dieser Stelle interpretiert werden muss.« (Lange/Schaff).

Viel besser, weil textgebunden, wäre es also, wenn man sich das Jesaja-Zitat, das der Herr hier (in Auszügen) verwendet, einmal genauer anschauen würde. Es steht in Jesaja 6, nach einigen Kapiteln Gerichtsworten. Daher ist es naheliegend, dass Jesus auch hier richtend über die ungläubigen Menschen redet. Und in der Tat lehrt die Schrift im Prinzip und vielen Beispielen, dass Gott aktiv mit Verhärtung Menschen bestraft, so dass sie sich nicht (mehr) bekehren können. 
(Danach schweifte dieser zweite Redner anekdotisch ab in den Gedanken, dass Gott, der Schöpfer, nicht effizient arbeite, sondern verschwenderisch sei. Das gehört aber wohl sicher nicht zum Lehrpunkt dieses Gleichnisses. Auch die misslungenen eigenen Aktivitäten, von denen er aus seinem Erleben anschließend anekdotisch berichtete, haben mit der Deutung des Gleichnisses nichts zu tun.)

Die »Problemstelle« Markus 4,12 im einzelnen

Markus 4,12 erklärt nicht, was das in Versen 3–9 gegebene Gleichnis bedeutet, sondern klärt vielmehr die Frage der Jünger (4,10), warum der Herr Jesus nun (überhaupt) in Gleichnissen redete. Das hatte er offenbar zuvor nicht gemacht. Also ging es ihnen nicht zuvorderst um den Inhalt und die Bedeutung des Gleichnisses (4,10.11 sagt: Gleichnisse; Plural!), sondern um die Tatsache, dass ihr Herr nun in Gleichnissen redete.

1.    Der Herr sagt seinen Jüngern, dass es ihnen »gegeben« war, »die Gleichnisse des Reiches Gottes zu erkennen« (4,11). – »Gegeben« spricht von Gottes Gabe und damit Gnadengeschenk – mithin Gottes Souveränität– nicht von menschlicher Verantwortung und Verdienst! (Das hat der erste Redner schon einmal völlig übersehen.)

2.    Zweitens sagt der Herr, dass »denen aber, die draußen sind« (4,11), »alles in Gleichnissen zuteil wird«, und zwar mit der Absicht, dass sie es nicht erkennen. Das ist hier Gottes Wille und Absicht, daher wählt der Herr souverän eine offenbar geheimnisvolle Lehrweise, die dazu führt, dass jene, die draußen sind, es »nicht wahrnehmen« und es »nicht verstehen« und folglich keine Vergebung empfangen (4,12).

3.    Als Begründung verweist der Herr auf einen alten Text vom Propheten Jesaja zurück. Dort heißt es wörtlich (Jesaja 6,10): »Mache das Herz dieses Volkes fett, und mache seine Ohren schwer, und verklebe seine Augen: damit es mit seinen Augen nicht sieht und mit seinen Ohren nicht hört und sein Herz nicht versteht und es nicht umkehrt und geheilt wird«. Es redet von Israel im Unglauben, dem nun im Gerichtshandeln Gottes jede Möglichkeit des Verstehens und Annehmens der guten Botschaft genommen wird. Gott Selbst nimmt diesem Volk die Heilsmöglichkeit.
Die so Gerichteten sind in dieser Sache rein passiv Empfangende, nicht Aktive. Die Vorgeschichte erklärt, warum Gott dies so tut. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Jesaja 6,9–13 eine gerichtliche Antwort Jahwes ist, die durch die gleichnishafte Verkündigung seines Propheten gegenüber dem götzendienerischen Juda erfolgt, dessen Bekenntnisse zur Treue gg. Jahwe durch die Ablehnung der Anweisungen Jahwes durch ihre Führer widerlegt werden.

4.    »damit«: Es ist falsch, wenn man die Verwendung der Stelle aus Jesaja 6 in Markus 4,12 so erklärt, dass das anbindende »damit« (gr. hina) keine Absicht angeben würde. Noch falscher ist der Versuch, die Ursache-Wirkungs-Kette umzukehren! Das »damit« muss telisch verstanden werden (telisch=auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet). Denn es ist Gottes Ziel und Absicht (im Gericht), dass diese Menschen nicht mehr verstehen, und so nimmt er ihnen die in Gnaden verliehene Fähigkeit zu verstehen wieder weg. Die Führer Israels waren zur Zeit Jesu größtenteils bereits in Ablehnung und Mordgedanken gg. Jesus verhärtet im Herzen. Darin belassen zu werden bedeutete ewiges Verderben. Aber die selektive Gnade Gottes erweichte und rettete doch einige, wie den Cheftheologen der Juden, Nikodemus, und den reichen Ratsherrn Josef von Arimathia.

  • Die Jesaja-Stelle wird auch in Johannes 12,39ff begründend und erklärend für den Unglauben des Volkes und seiner Führer angegeben: »Darum konnten sie nicht glauben, weil Jesaja wiederum gesagt hat: ›Er hat ihre Augen verblendet und ihr Herz verhärtet, damit sie nicht sehen mit den Augen und verstehen mit dem Herzen und sich bekehren und ich sie heile.‹ Dies sprach Jesaja, weil er seine Herrlichkeit sah und von ihm redete«. – Das einleitende Wort »darum« wird im Argument mit »weil« fortgesetzt. Noch klarer kann man Ursache und Wirkung, Absicht und Folge nicht darstellen: Gott verstopft Augen und Ohren im Gericht und raubt damit alle Möglichkeiten des Verstehens, des Umkehrens und damit des Heils. 
    Dass Johannes die Souveränität Gottes im Heil herausstellt (nachdem schon Jahrzehnte die Synoptiker mit den anderen Schwerpunktsetzungen bekannt waren), ist typisch für seine besondere Botschaft vom souveränen Retter-Gott.
  • Angewandt (auf Markus 4): MancheMenschen werden unserer Evangeliumspredigt nicht mit Verstehen, Umkehr und Glauben folgen, weil Gott ihre Augen und Ohren (noch) verstopft hat. – 
    Darum beten wir zu Gott, er möge gnädig und barmherzig sein, die Augen und Ohren der Verlorenen (und verbockten Gläubigen!) zu öffnen. Ob Gott das dann tut, ist Seine souveräne Sache. –
    Das muss ein Verkündiger der Guten Nachricht bedenken, wenn er auf die unterschiedlichen Reaktionen seiner Zuhörer blickt. Paulus redete von diesem Erleben als Verkündiger der Guten Botschaft so: »Denn wir sind für Gott ein Wohlgeruch Christi in denen, die errettet werden, und in denen, die verloren gehen; den einen ein Geruch vom Tod zum Tod, den anderen aber ein Geruch vom Leben zum Leben«. Er zieht daraus nicht die Schlussfolgerung, dass er nun den »Samen« seiner Verkündigung ändern müsse, sondern ganz im Gegenteil: »Denn wir verfälschen nicht, wie die Vielen, das Wort Gottes, sondern als aus Lauterkeit, sondern als aus Gott, vor Gott, reden wir in Christus« (2Korinther 3,15–17). Der Mangel liegt nicht am Wort, am Evangelium.  Daher müssen wir es so unverfälscht und genau wie möglich verkündigen. Das rechtfertigt und bedingt allen Aufwand in der Vorbereitung der Verkündigung. – 
    Bedenken wir noch dieses ergänzend: Wäre das Verstehen und das Heil allein eine Sache der Verantwortung des Menschen (Hörers), müssten wir jeden Menschen bitten, betteln, psychologisch bearbeiten. (Das kann man auch hier und da leider beobachten.) Aber wenn jemand die »Freiheit des Menschen« in der Heilswahl betont, dann wäre selbst dieses für ihn eine unzulässige Einmischung in die Souveränität und Freiheit des Menschen. Die biblische Verpflichtung lautet: Wir zwingen niemand zum Heil, weil das nicht geht und uns nicht geheißen ist, aber motiviert von der Retterliebe Jesu »überreden« wir unsere Zuhörer (2Korinther 5,11).

Weiterer Kontext der Schrift, »Parallelstellen«

  1. Jesaja 28,13 (ELB85): »Und das Wort des HERRN für sie wird sein: zaw la zaw, zaw la zaw, kaw la kaw, kaw la kaw, hier ein wenig, da ein wenig; damit sie hingehen und rückwärts stürzen und zerschmettert werden, sich verstricken lassen und gefangen werden.« – Man beachte auch hier das telische (Ziel und Absicht anzeigende) »damit«.
  2. Jesaja 29,9–10:  »Stutzt und staunt! Blendet euch und erblindet! Sie sind berauscht, doch nicht von Wein; sie schwanken, doch nicht von starkem Getränk. Denn Jahwe hat einen Geist tiefen Schlafes über euch ausgegossen und hat eure Augen geschlossen; die Propheten und eure Häupter, die Seher, hat er verhüllt.« – Es ist hier völlig klar, dass es nicht der Mensch ist, der sich berauscht hat, und daher nichts versteht, sondern Gott ist hier der ganz Aktive, der (geistlichen) Schlaf und (geistliche) Blindheit (im Gericht) sendet.
  3. 5Mose 29,3: »Aber Jahwe hat euch nicht ein Herz gegeben, zu erkennen, und Augen, zu sehen, und Ohren, zu hören, bis auf diesen Tag.« – Auch hier ist Jahwe derjenige, an dem alles Heil (Erkennen, Verstehen usw.) hängt. Nur Gott kann die Fähigkeiten (das Vermögen) zur Heilsergreifung schenken. Der Bettler, der selbständig die leere Hand ausstreckt, um die Heilsgabe zu ergreifen, ist frommer Volks-Mythos, nicht Gottes Wahrheit. Gott muss sogar schon das Verlangen, die Hand auszustrecken, geben (also das Begehren nach dem wahrhaft Rettenden) und dann der Hand die Kraft und den Willen, sie auszustrecken und das Heil zu ergreifen. Gott sei Dank tut Er dies nach freiem Ermessen gezielt hier und da!
  4. Matthäus 13,13–15: »Darum rede ich in Gleichnissen zu ihnen, weil sie sehend nicht sehen und hörend nicht hören noch verstehen; und an ihnen wird die Weissagung Jesajas erfüllt, die sagt: „Mit Gehör werdet ihr hören und doch nicht verstehen, und sehend werdet ihr sehen und doch nicht wahrnehmen; denn das Herz dieses Volkes ist dick geworden, und mit den Ohren haben sie schwer gehört, und ihre Augen haben sie geschlossen, damit sie nicht etwa mit den Augen wahrnehmen und mit den Ohren hören und mit dem Herzen verstehen und sich bekehren und ich sie heile.“« – Entsprechend der Absicht des Matthäus-Evangeliums modifiziert Matthäus unter Inspiration Gottes seine Quelle im AT so, dass die Verantwortung des Menschen (aktives »haben sie geschlossen«) umso deutlicher herausgestellt wird. Das verringert nicht die Aussage/Zitat in den anderen Stellen, noch modifiziert Matthäus diese. Jede Verwendung hat den Sinn, der aus dem Kontext jeweils hervorgeht.
    Darf Matthäus so »falsch« oder »modifiziert« Jesaja 6,9–10 zitieren? Ja natürlich, der Heilige Geist hat es ihm so diktiert! Beides lehrt die Schrift, jedes aber an seinem Ort: Gottes souveränes Handeln im Gericht und in der Erlösung, aber auch des Menschen Verantwortung in der Heilsannahme und Bewirken von Heilsfolgen. Philipper 2,12–13 liefert den Zusammenhang eindrücklich. – Und: Der Kontext der Jesaja-Stelle zeigt, dass diese »Verhärtung« eine zeitweilige ist, weil Israels Überrest durch souveräne Erwählung seitens Gottes noch Heil erfahren wird (s. Römer 11)!
  5. 2Korinther 3,14: Diese Verhärtung Israels wird im NT aufgegriffen: »Aber ihr Sinn ist verhärtet worden, denn bis auf den heutigen Tag bleibt beim Lesen des alten Bundes dieselbe Decke unaufgedeckt, die in Christus weggetan wird.« – Das Passiv ist hier das Passivum divinum[1]die Menschen sind darin (schon rein sprachlich deutlich!) nicht aktiv. Nur in Christus (und durch sein Wirken) kann und wird (!) eines Tages diese Decke weggenommen werden. Auch hier ist Gott souverän über Anfang, Art und Ende des Gerichts. – Dass wir hier von einem Ende sprechen dürfen, ist in sich eine große Gnade, die wir bejubeln.
  6. Als Paulus auf der Missionsreise nach Korinth kam, wollte er sein »Säen« einstellen aus Frustration über den widerspenstigen »harten Boden«. Zumindest kann man Apostelgeschichte 18,6ff so verstehen: Viele widerstrebten und lästerten, aber einige hörten und glaubten und wurden getauft. Der gleiche Same der Verkündigung brachte auch hier unterschiedlichste „Frucht“! 
    Wie ermutigt der Herr Jesus nun seinen frustrierten »Sämann« Paulus? Er sagt: »Fürchte dich nicht, sondern rede, und schweige nicht! Denn ich bin mit dir, und niemand soll dich angreifen, um dir etwas Böses zu tun; denn ich habe ein großes Volk in dieser Stadt.« – Der Trost und die Motivation des Sämanns ist nicht die Verantwortung des Menschen, sondern die Gegenwart und die Souveränität Gottes im Heil. (Das begreife mal ein Arminianer!)

Einige Zitate

»Die Verse 11 und 12 erklären, warum diese Wahrheit in Gleichnissen gelehrt wird. Gott offenbart die für die Seinen bestimmten Geheimnisse denen, die gehorsam und aufnahmebereit zuhören. Er enthält sie aber absichtlich denen vor, die das ihnen angebotene Licht ablehnen. Das sind die Leute, die Jesus als »jene …, die draußen sind« bezeichnet. 

Die Worte von Vers 12 mögen dem oberflächlichen Leser ungerecht und hart erscheinen: »Damit sie sehend sehen und nicht wahrnehmen und hörend hören und nicht verstehen, damit sie sich nicht etwa bekehren und ihnen vergeben werde.« Aber wir müssen uns an das enorme Vorrecht erinnern, das jene Menschen damals genossen. Der Sohn Gottes selbst hatte in ihrer Mitte gelehrt und viele mächtige Wunder getan. Statt ihn als den gottgesandten Messias anzuerkennen, lehnten sie ihn selbst dann noch ab. Weil sie das Licht der Welt abgelehnt hatten, sollte ihnen das Licht seiner Lehre nicht gegeben werden. Von nun an würden sie seine Wunder sehen, aber ihre geistliche Bedeutung nicht verstehen, und seine Worte hören, aber doch die wunderbaren Lehren hinter ihnen nicht erkennen können.

Es gibt so etwas wie die Tatsache, »dass man das Evangelium zum letzten Mal hört«. Es ist möglich, den Tag der Gnade durch fortgesetztes Sündigen zu verpassen. Es gibt Männer und Frauen, die den Retter abgelehnt haben und nie wieder die Gelegenheit zur Buße und Vergebung erhalten werden. Sie mögen das Evangelium hören, aber es trifft auf verhärtete Ohren und ein gefühlloses Herz. Wir sagen: »Wo Leben ist, da ist auch Hoffnung«, aber die Bibel spricht von Menschen, die zwar erweckt, aber jenseits jeder Hoffnung der Buße sind (z. B. in Hebr 6,4–6). (MacDonald, William ; Eichler, C. (Übers.): Kommentar zum Neuen Testament. 7. Aufl. Bielefeld: Christliche Literatur-Verbreitung, 2018.)

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»Gericht muss sein; denn auch dadurch, dass das Böse getroffen und weggetan wird, geschieht Gottes Wille. Jesus wollte Gottes Reich niemals so verkündigen, dass auch ein unbußfertiger und glaubensloser Sinn es finden kann.« (Schlatter, Adolf. Die Evangelien nach Markus und Lukas: Ausgelegt für Bibelleser. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt, 1954.)

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Markus 4,12 ἵνα wahrscheinl. fin. damit; ein Ausweichen auf Nebenbedeutungen wie so dass (kons.) od. weil/denn (kaus.) o.ä., sprachl. zwar z. T. nicht unmögl. (vgl. B II2; BDR § 4562), erscheint forciert; hier (wie typischerweise in den Schriften des AT u. NT) ist vorausgesetzt, dass Gottes Souveränität u. die Verantwortung des Menschen keine Antithesen darstellen: wenn Gott die, die nicht zu Jüngern Jesu werden, verwirft, so tragen diese die Verantwortung dafür selbst (vgl. V. 13–20); gleichzeitig steht nichts von dem, was geschieht, außerhalb des göttl. Ratschlusses u. Planes (vgl. Carson, Mt, S. 308f); im flgd. werden Teile aus Jesaja 6,9–10 zitiert (statt der 2. Pl. [MT/LXX] steht hier die 3. Pl., statt v. Heilung [MT/LXX] ist [wie im Targum u. in der syrischen Peschitta] v. Vergebung [ἀφεθῇ] die Rede), zwei Verse voll bitterer Ironie aus einem Abschnitt, der von der selbstverschuldeten (bis zum Exilgericht andauernden) Verstockung des Gottesvolkes spricht (vgl. zu Matthäus 13,14).« (von Siebenthal, Heinrich; Haubeck, Wilfrid: Matthäus bis Offenbarung, Neuer Sprachlicher Schlüssel zum Griechischen Neuen Testament. 2., durchges. Aufl.. Gießen; Basel: Brunnen, 2007.)

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»12 Die einleitende Konjunktion (hina, „damit“) stammt von Markus. Das folgende Zitat stammt aus Jesaja 6,9–10, wo es im MT [masoretischen Text] ein Befehl ist; dies ist nicht überraschend, da im semitischen Denken ein Befehl verwendet werden kann, um ein Ergebnis auszudrücken.

Markus folgt dem Text der LXX. Allerdings lässt er die starken Aussagen des ersten Teils von Vers 10 weg: „Verhärte das Herz dieses Volkes, verstopfe ihre Ohren und verschließe ihre Augen“ und ändert das „und ich heile sie“ (kai iaomai autous) der LXX in „und ihnen wird vergeben“ (kai aphethē autois). Damit folgt Markus der Targuman-Angabe zur Authentizität der Aussage.

Auf den ersten Blick scheint die Aussage zu besagen, dass der Zweck der Gleichnisse darin besteht, dass Ungläubige („die Außenstehenden“, Vers 11) die Wahrheit nicht empfangen und sich nicht bekehren können. Dass diese Aussage theologisch als schwierig angesehen wurde, lässt sich daran erkennen, dass Matthäus hina („damit“) in hoti („mit dem Ergebnis, dass“) ändert (die NIV übersetzt hina mit dem mehrdeutigen „so dass“) und Lukas die mēpote-Klausel („ansonsten“) weglässt.

In jüngster Zeit gab es mehrere Versuche, die telische Kraft von hina abzuschwächen:

1. Es wird behauptet, dass hina im Text dasselbe bedeute wie hoti. Jesus spräche also nicht vom Zweck der Gleichnisse, sondern von ihrem Ergebnis.

2. Markus habe das ursprüngliche aramäische Wort de falsch übersetzt. Es bedeute „wer“ und nicht „damit“. Der Text sollte also lauten: „Das Geheimnis des Reiches Gottes ist euch gegeben worden. Aber denen, die draußen sind undimmer sehen, aber nie wahrnehmen … wird alles in Gleichnissen gesagt“ (Hervorhebung von mir).

3. Die zweckmäßige Idee (ausgedrückt sowohl durch hina als auch durch mēpote) ist nicht authentisch für Jesus, sondern repräsentiert die Theologie des Markus.

4. hina sei eine Einleitungsformel zur freien Übersetzung von Jesaja 6,9–10. Nach diesem Verständnis wäre hina fast gleichbedeutend mit hina plērōthē, „damit es erfüllt werde“.

Alle diese Versuche haben ihre Mängel. Obwohl 1 und 2 das Problem von hina mildern, gehen sie nicht auf das von mēpote („ansonsten“) ein, das ebenfalls einen Zweck suggeriert (vgl. auch BAG, S. 378, wo nach der Erörterung der Möglichkeit, dass hina „mit dem Ergebnis, dass“ bedeutet, diese für diesen Abschnitt rundweg abgelehnt wird). Lösung 3 findet keinerlei Unterstützung, während 4, eindeutig die beste Wahl der vier, daran scheitert, dass Markus an anderer Stelle hina nicht im Sinne von „damit es sich erfüllen möge“ verwendet.

Vielleicht lässt sich Vers 12 am besten als authentische Aussage verstehen, die einfach lehrt, dass ein Grund, warum Jesus in Gleichnissen lehrte, darin bestand, die Wahrheit vor „Außenstehenden“ (was ich als „hartnäckige Ungläubige“ verstehe) zu verbergen. Selbst eine flüchtige Lektüre der Evangelien zeigt, dass die Gleichnisse Jesu nicht immer klar waren. Selbst die Jünger hatten Schwierigkeiten, sie zu verstehen (vgl. Markus 7,17). Deshalb lehrte Jesus (zumindest in einigen Fällen) in Gleichnissen, damit seine Feinde nicht die volle Bedeutung seiner Worte verstehen und falsche Anschuldigungen oder Anklagen gegen ihn erheben konnten. Er wusste, dass das Verstehen in einigen Fällen zu mehr Sünde und nicht zur Annahme der Wahrheit führen würde. Darüber hinaus ist es nicht fremd für die Lehre der Schrift, dass Gott in seiner Weisheit einige (auch hier verstehe ich darunter „hartnäckige Ungläubige”) verhärtet, um seine souveränen Absichten zu verwirklichen (vgl. Röm 11,25–32). Marshall findet einen guten Mittelweg, wenn er sagt: „Durch diese Methode des Lehrens in Gleichnissen lud Jesus seine Zuhörer nicht nur ein, unter die Oberfläche zu blicken und die wahre Bedeutung zu finden, sondern er gab ihnen gleichzeitig die Möglichkeit – die viele von ihnen auch nutzten –, die Augen und Ohren vor dem eigentlichen Kernpunkt zu verschließen” (Commentary on Luke, S. 323). Für eine eingehende Behandlung des Zwecks der Gleichnisse in der Lehre Jesu vgl. R. Stein, An Introduction to the Parables of Jesus (Philadelphia: Westminster, 1981), S. 25–35.«
(Wessel, Walter W.: Markus. In: Gaebelein, F. E. (Hrsg.): The Expositor’s Bible Commentary: Matthäus, Markus, Lukas. Bd. 8. Grand Rapids, MI : Zondervan Publishing House, 1984, S. 649–650.)

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»Christ’s agents in the sowing of the good seed are the preachers of the word. Thus, as in all the cases about to be described, the sower is the same, and the seed is the same; while the result is entirely different, the whole difference must lie in the soils, which mean the different states of the human heartAnd so, the great general lesson held forth in this parable of the sower is, that however faithful the preacher, and how pure soever his message, the effect of the preaching of the word depends upon the state of the hearer’s heart.« (Jamieson, Robert, A. R. Fausset, und David Brown. Commentary Critical and Explanatory on the Whole Bible. Oak Harbor, WA: Logos Research Systems, Inc., 1997.) –  Bem.: Dies ist eine Erklärung für die Texte in Matthäus und Lukas, aber nicht für den hier in Markus.

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»Ver. 12. They may see.—The να is not to be softened, as if ita ut, as Rosenmüller and others assert. We must maintain that this hard utterance was based upon Isa. 6:9 seq., and therefore that it must be interpreted in the meaning of that passage: not as an absolute sentence, but as a deserved, economical, and pedagogical visitation« (Lange, John Peter, Philip Schaff, und William G. T. Shedd. A commentary on the Holy Scriptures: Mark. Bellingham, WA: Logos Bible Software, 2008.).

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«That (ἱνα [hina]). Mark has the construction of the Hebrew “lest” of Isa. 6:9f. with the subjunctive and so Luke 8:10, while Matt. 13:13 uses causal ὁτι [hoti] with the indicative following the LXX. See on Matt. 13:13 for the so-called causal use of ἱνα [hina]. Gould on Mark 4:12 has an intelligent discussion of the differences between Matthew and Mark and Luke. He argues that Mark here probably “preserves the original form of Jesus’ saying.” God ironically commands Isaiah to harden the hearts of the people. If the notion of purpose is preserved in the use of ἱνα [hina] in Mark and Luke, there is probably some irony also in the sad words of Jesus. If ἱνα [hina] is given the causative use of ὁτι [hoti] in Matthew, the difficulty disappears. What is certain is that the use of parables on this occasion was a penalty for judicial blindness on those who will not see.«  (Robertson, A.T. Word Pictures in the New Testament. Nashville, TN: Broadman Press, 1933.)

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»The purpose of parables was to instruct the initiates without revealing the items of instruction to the ones who were without. This is in keeping with the Biblical principle that spiritual understanding is restricted to those who have become spiritual by properly relating themselves to Christ and his message (I Cor 2:6ff.). 
12. That such was the purpose of Christ’s use of parables is further confirmed by a quotation from the OT. The citation is introduced with the Greek conjunction hina (that), which in this instance cannot have a resultant meaning but must indicate purpose (Alf, I, 333*). This verse is a free rendering of Isa 6:9, 10, giving the gist, but not reproducing the exact wording, of the prophetic passage.« (Pfeiffer, Charles F., und Everett Falconer Harrison, Hrsg. The Wycliffe Bible Commentary: New Testament. Chicago: Moody Press, 1962.)

(*) Die Stelle im Greek NT von Alford wird von Alford wie folgt kommentiert: »We must keep the hina strictly to its telic meaning– in order that. When God transacts a matter, it is idle to say that the result is not the purpose. He doeth all things after the counsel of His own will.«

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»Each of the three fruitless hearts is influenced by a different enemy: the hard heart—the devil himself snatches the seed; the shallow heart—the flesh counterfeits religious feelings; the crowded heart—the things of the world smother the growth and prevent a harvest. These are the three great enemies of the Christian: the world, the flesh, and the devil (Eph. 2:1–3).« (Wiersbe, Warren W. The Bible exposition commentary. Wheaton, IL: Victor Books, 1996.)

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»A. DAS GLEICHNIS VOM SÄEMANN

I.     Markus bemerkt die Bedeutung des Hörens, wenn der Heiland spricht (Vers 3). Matthäus beginnt mit dem Wort „Siehe“.

       Markus und Lukas sprechen vom Samen in der Einzahl, aber Matthäus spricht von Samen in der Mehrzahl (King James Übersetzung) oder wie es die Übersetzung von J. N. Darby wiedergibt, von ,,einigen Körnern“.

       Der Same ist immer das Wort Gottes, aber es wird gesehen als gesät, entweder durch den Säemann, den Herrn Jesus, oder durch, Seine Diener, die vielen Säemänner; in der Hand eines jeden ist der Same oder Samen oder Körner. Wie jemand bemerkte: „Das Auge des göttlichen· Dieners in Markus‘, Bericht ruht auf jedem einzelnen Korn, und wie der einzelne Sperling, so ist nicht eines von ihnen vor Gott vergessen“

       Sowohl Markus als auch Matthäus erwähnen bei der Saat, die auf das Steinichte fiel, dass nicht viel Erde da war, Lukas fügt hinzu, dass auch Feuchtigkeit fehlte.

       Nur Markus sagt: „Und es gab keine Frucht“ (Vers 7) von dem Samen, der unter die Domen fiel; die anderen Evangelisten bemerken, dass es erstickte. Markus gibt das Gleichnis mit den meisten Einzelheiten wieder. Wir sehen einen Beweis dafür, daß die Evangelisten unabhängig voneinander arbeiteten und schrieben in der Benutzung des Wortes „auf“ in Vers 8 von Matthäus 13 und des Wortes „in“ in Vers 8 von Markus‘ Bericht.

       In Markus hält der Diener und Prophet alles in Seiner gesegneten Hand, und das Ergebnis ist dort ein Zunehmen – von dreißig-zu sechzig-zu hundertfältig. Bei Matthäus aber hat der König, wie wir sehen werden, das Königreich in die Hände von Menschen gelegt, und das Ergebnis ist umgekehrt: dort ist es Verringerung von hundert- zu sechzig- zu dreißigfältig. In Lukas jedoch lesen wir, dass der Same das Wort Gottes ist, und demzufolge finden wir weder Verringerung noch Steigerung, weder Rückschritt noch Fortschritt, weil es sicher ist, dass es hundertfältig Frucht bringt mit Ausharren – ein besonderer Ausdruck bei Lukas!

       Die Erklärung dieses Gleichnisses durch unseren Herrn wird von unseren Evangelisten fast gleichlautend wiedergegeben, wobei Matthäus den Abschnitt aus Jesaja· 6 ganz zitiert, während ihn Markus etwas und Lukas noch mehr kürzt.

II.    Matthäus stellt die abgeschnittene „Familienbeziehung“ mit Israel als einer Nation klarer heraus als die anderen Evangelisten, wenn er sagt: „An jenem Tage aber ging Jesus aus dem Hause hinaus und setzte sich an den See.“

       Nur hier sagt Er etwas zu der Frage der Jünger: „Warum redest du in Gleichnissen zu ihnen?“ – nicht: was bedeutet dies Gleichnis (Vers 10)! Und von Matthäus wird uns gesagt, dass dieses Reden in Gleichnissen als Strafe dienen soll für die Hörer, die den Herrn bereits verworfen und ihre Herzen verhärtet hatten.

       Weil es um die Betonung dieses Grundsatzes geht, teilt uns auch nur Matthäus mit (in Vers 12): „Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird Überfluss haben; wer aber nicht hat, von dem wird selbst, was er hat, genommen werden.“ Mit anderen Worten: Jene, zu denen Jesus kam und die Ihn aufnahmen (als einer Nation war Er ihnen gegeben worden), nur jene, die Ihn in Wahrheit durch Glauben in ihre Herzen aufgenommen hatten – für diese war Er gleichsam „zweifach gegeben“, und deshalb hatten sie Überfluss.  Aber jene, die Ihn nicht im Glauben angenommen hatten, obwohl Er ihnen als der Messias gegeben war, „hatten“ Ihn nicht durch Glauben, und Er würde von ihnen genommen werden und anderen – den Nationen – gegeben werden. Für diese, die Christus verwarfen, sprach Er in Gleichnissen, damit. sie in ihren Herzen noch mehr verhärtet werden möchten, „damit sie nicht etwa … sich bekehren, und ich sie heile“. Sie fühlten sich nicht krank und brauchten keine Heilung: schrecklicher Zustand! So stand es um die Nation als Ganzes.

       In Matthäus ist es das „Wort vom Reich“ (Vers 19), aber in Lukas ist es das „Wort Gottes“ (8,11).

       Wiederum liegt in Matthäus die Betonung auf dem Verstehen des Wortes, während sie in Lukas auf dem Bewahren liegt (8,15) und in Markus auf dem Aufnehmen (4,20). So wird das Wort zuerst verstanden, dann aufgenommen, und immer bewahrt oder auf das praktische Leben angewandt.

       Beim Vergleichen der drei Evangelisten ist außerdem zu bemerken, dass Markus von „dem Bösen“ spricht (Vers 19), womit er auf dessen Charakter im Allgemeinen hinweist; Markus sagt, alsbald kommt ,,der Satan“ (Vers 15), womit er auf dessen Charakter als Widersacher hinweist; und schließlich sagt Lukas, „Dann kommt der Teufel“, womit er auf den Feind als Ankläger hinweist. 

       Auch sehen wir, dass in Matthäus die Betonung auf dem Säemann liegt – „Der den guten Samen sät, ist der Sohn des Menschen“ (13,37); in Markus liegt die Betonung auf dem Werk des Säemanns – „Der Säemann sät das Wort“ ( 4,14 ); und in Lukas liegt die Betonung auf dem Samen – ,,Der Same ist das Wort Gottes“ (8,11 ). Man kann nicht anders, als den Herrn dieser kostbaren, inspirierten Berichte anzubeten, wenn man diese wundervolle Harmonie und dennoch den unterschiedlichen Charakter der Evangelien sieht!

Ill.   Lukas: Schließlich kommen wir zu Lukas, wo es heißt, dass der kostbare Same „zertreten“ wurde (Vers 5) und dass er an einen Platz fiel, wo weder viel Erde noch Feuchtigkeit war (Vers 6). Weil aber das, was in die gute Erde fiel, in seinem innersten Wesen das reine Wort Gottes. war, konnte es nur volle Frucht bringen, was durch „hundertfältig“ ausgedrückt wird.«
(Cor Bruins, Er wohnte unter uns. Die göttliche Absicht in den Unterschieden der vier Evangelien, Neustadt: Paulus, 1992.)

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Übersichtsgrafiken für den synoptischen Vergleich

Die folgenden Grafiken für den synoptischen Vergleich stammen von grace@logikos.club (© 1990–2025). Sie dürfen gerne frei mit Quellenangabe verwendet werden.

Ausgangspunkt der Textbeobachtung ist eine tabellarische Gegenüberstellung der synoptischen Texte (Gleichnis samt Erläuterung durch Jesus Christus) (Bild 1).


Endenote

[1]            Das Passivum divinum ist eine theologische Sprachform im AT wie im NT, die es ermöglicht, über Gott zu sprechen, ohne seinen Namen zu verwenden. Dem bibelkundigen Leser war klar, dass der ungenannte Akteur der im Passiv genannten Tätigkeit Gott ist.

Simul iustus et peccator 

Simul iustus et peccator (dt.: Zugleich Gerechter und Sünder; engl.: Saint and sinner) ist eine Formulierung der Rechtfertigungslehre Martin Luthers.

Einschlägige Formulierungen in Luthers Schriften

Die Gegenüberstellung der Begriffe »iustus« (gerecht, Gerechter) einerseits und »peccator« (Sünder) bzw. »peccat« (sündigt) andererseits findet sich mehrfach in Luthers Schriften, und zwar – gemäß der Weimarer Ausgabe – in folgenden Formulierungen:

  • »simul Iustus est et peccat« [WA 56,347,3–4]
  • »Quod simul Sancti, dum sunt Iusti, sunt peccatores« [WA 56,347,9]
  • »Semper peccator, semper penitens, semper Iustus.« [ WA 56,442,17]

Der Grundgedanke

Der dahinterstehende Grundgedanke von Luther, den er erstmals in seiner Römerbriefvorlesung von 1514/15 bei Römer 4,7 (»Selig sind die, denen die Ungerechtigkeiten vergeben und denen die Sünden bedeckt sind!»; LUT) formulierte, lautet: Heilige sind in ihrer eigenen Einschätzung immer Sünder und deshalb nach Gottes Urteil gerechtfertigt. Heuchler hingegen sind in ihrer eigenen Einschätzung immer Gerechte, weshalb sie in Gottes Urteil immer Sünder sind. Daraus zog Luther den Schluss, dass Heilige (Gläubige) für Gott zugleich Gerechte und Sünder seien (Vorlesungsmitschrieb 1515/16).

Durch dieses simul iustus et peccator wollte Luther den Unterschied zwischen Heiligen und Heuchlern jedoch nicht aufheben, da nur die Heiligen, die ihre eigene Sünde erkennen, durch Gottes Gnade gerecht würden. Gerecht seien sie jedoch nur dadurch, dass Gott ihnen die Sünde nicht anrechnet und das Versprechen gegeben hat, sie endgültig von der Sünde zu befreien. Die Heiligen seien somit in ihrer Hoffnung gerecht, in Wirklichkeit (in ihrer Lebenspraxis) aber weiterhin Sünder. Heuchlern dagegen sei von vornherein der Zugang zu Gottes Gerechtigkeit verwehrt, so dass sie wirklich nur in ihrer eigenen Wahrnehmung Gerechte seien.

Hintergrund

Diese Lehre Luthers bezieht sich auf die scholastische Theologie, der Luther vorwirft, sie behaupte, dass durch Taufe und Buße sowohl Erbsünde als auch die aus Taten hervorgehende Sünde völlig vom Menschen weggenommen würden. 

(NB: Es gab und gibt auch Christen aus anderem Hintergrund, die lehren und glauben, dass sie es schon vor ihrer Verherrlichung als Gläubige schaffen könnten, völlig und dauerhaft frei von Sünde und Sünden zu werden. Manche bezeichnen dies als »zweiten Gnadenstand« oder »Einweihung in die Sohnschaft«. Das alles steht in völligem Widerspruch zur Wahrheit, s.u.).

Biblische Betrachtung

Gegenwärtige Stellung

Wenn ein Mensch aus Glauben von Gott gerechtfertigt wird, verlässt er seine Stellung als Sünder und wird in der Stellung vor Gott zu einem Gerechten (und zu einem Heiligen; Römer 1,7; 1.Korinther 1,2; 2.Korinther 1:1 usw.). Römer 5,8 kann daher in Vergangenheitsform feststellen: »Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus, da wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist.« Sünder zu sein, gehört für den Gläubigen der Vergangenheit an.

Der Begriff der »Stellung« vor Gott entspricht der biblischen Lehre, wie die Elberfelder Übersetzung trefflich übersetzt: »Denn so wie durch den Ungehorsam des einen Menschen die vielen in die Stellung von Sündern gesetzt worden sind, so werden auch durch den Gehorsam des einen die vielen in die Stellung von Gerechten gesetzt werden.« (Römer 5,19; Young’s Literal Translation hat: »for as through the disobedience of the one man, the many were constituted sinners: so also through the obedience of the one, shall the many be constituted righteous.«). Das griech. Verb kathístēmi (Aorist Passiv) bedeutet hier »(amtlich) (ein)gesetzt sein«, »ernannt sein«, also eine (offizielle) »Stellung«. – Jede Aussage, die diesen Stellungswechsel negiert oder ignoriert, ist mithin unbiblisch.

Gegenwärtige Praxis

Praktisch erfahren wir, dass auch der so Gerechtfertigte und Heilige noch sündigt. Zu sündigen gehört für den Gläubigen leider noch zur Gegenwart. Dies ergibt sich daraus, dass er auch als Gerechtfertigter und Heiliger noch die Quelle der Sünde (»die Sünde«) in sich hat und daher noch sündigt: »Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit. Wenn wir sagen, dass wir nicht gesündigt haben, so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns.« (1.Johannes 1,8–10).

Der große Unterschied zur Stellung vor der Neugeburt ist, dass beim Gläubigen die Macht der Sünde gebrochen ist: War der Mensch vorher »unter der Sünde« (Römer 3,9), »unter die Sünde verkauft« (Römer 7,14) und so der Sünde »Sklave« (Johannes 8,34), so ist er nun frei von diesem Zwang, er ist »freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes« (Römer 8,2). Er ist befreit und befähigt, immer mehr die sündigen »Handlungen des Leibes [zu] töten« und sich durch Gottes Geist leiten zu lassen (Römer 8,12–15). Die aktive Beteiligung des Gerechtfertigten und Heiligen an seiner praktischen Heiligung wird von Gott sowohl gefordert als auch göttlich unterstützt (Philipper 2,12–13; Hebräer 12,14b). 

Das Spannungsfeld der Heiligung

Luther. Am besten fasst diesen biblischen Sachverhalt Luthers Formulierung »simul Iustus est et peccat« (i.S.v. »gleichzeitig Gerechter und sündigt«) zusammen: Der Stellung nach Gerechter, der Praxis nach passieren noch (vereinzelt) Sünden.

Die Spannung zwischen Stellung und Praxis des Geretteten ist real, aber vorübergehend. Die Ermahnungen für ein gottgefälliges Leben (Praxis) gründen in der Stellung: Werdet praktisch so, wie ihr es stellungsmäßig schon seid! Ermahnung gründet auf Gnadenstellung: Wandelt heilig, denn ihr seid Heilige (vgl. 1.Petrus 1,15–16; 1.Korinther 3,17; Kolosser 3,12ff usw.)!

Bildlich gesprochen: Man kann von einem sündigenden Heiligen Schnappschussaufnahmen machen, aber keinen Film drehen. Sündigen wird zum (vereinzelten) Betriebsunfall, während es vorher normaler (wesenseigener) Betriebsmodus war.

Zukunftsperspektive 

Dieser Zustand wird sich erst in der »Verherrlichung« ändern, wenn der Gerechterklärte durch Gottes Gnadenhandeln auch praktisch völlig Christus entsprechen wird, mithin weder von Sünde bewohnt sein wird noch den Willen und die Fähigkeit zum Sündigen mehr besitzt (vgl. 1.Johannes 3,2). Damit ist das Ziel der progressiven Heiligung erreicht (Römer 8,29). Erst im Moment der Verherrlichung sind dann Stellung vor Gott und gelebte/erlebte Praxis identisch. Das wird reine Glückseligkeit und Erfüllung sein.

Ein Einwand gegen Gottes Souveränität, der sie beweist (Mike Riccardi)

In Römer 9 erörtert Paulus Gottes absolute Freiheit in seinen Heilsplänen. Er verwendet das Beispiel der Zwillinge Jakob und Esau und erklärt, dass Gottes Entscheidung für Jakob und gegen Esau nichts mit den beiden zu tun hatte. Vielmehr wählte Gott, „damit [sein] Vorsatz nach seiner Wahl bestehen bleibe“ (Römer 9,11b). Diese Wahl wurde „nicht aufgrund von Werken, sondern aufgrund dessen getroffen, der berufen hat“ (Römer 9,12a). Er fährt fort, dass die Erlösung „nicht von dem abhängt, der will oder der läuft, sondern von Gott, der Erbarmen hat“ (Römer 9,16), und untermauert diese Behauptung dann mit dem Hinweis, dass Gott das Herz des Pharaos verhärtet habe, um seine Macht zu demonstrieren und seinen Namen durch die folgenden Ereignisse zu verkünden (Römer 9,17; vgl. 2. Mose 9,16). Paulus fasst seinen Standpunkt dann zusammen, indem er erklärt: „So denn, wen er will, begnadigt er, und wen er will, verhärtet er.“ (Römer 9,18).

Dann nimmt Paulus einen Einwand vorweg: „Du wirst nun zu mir sagen: Warum tadelt er denn noch? Denn wer hat seinem Willen widerstanden?“ (Römer 9,19).

Zunächst wollen wir den Einwand selbst verstehen. Der imaginäre (oder vielleicht nicht so imaginäre) Gesprächspartner des Paulus hat alles verstanden, was Paulus bis zu diesem Punkt über Gott gesagt hat:

  • Er versteht, dass die Erlösung ganz und gar ein Werk der Gnade Gottes ist und gar nichts davon dem Menschen zu verdanken ist.
  • Er versteht auch, dass es Gottes Wille, nicht der Wille des Menschen, ist, der für die Erlösung bestimmend und entscheidend ist (siehe auch Römer 9,16; vgl. Johannes 1,13). Er stellt eine rhetorische Frage, um genau diesen Punkt zu unterstreichen: „Wer widersetzt sich seinem Willen?“ Die Antwort auf diese rhetorische Frage lautet: „Niemand widersetzt sich Gottes Willen!“ „Aber unser Gott ist in den Himmeln; alles, was ihm wohlgefällt, tut er“ (Psalm 115,3). Er spricht: „all mein Wohlgefallen werde ich tun“ (Jesaja 46,10), und „kein Vorhaben [kann ihm] verwehrt werden“ (Hiob 42,2).
  • Er versteht auch, dass Gott den Menschen stets verantwortlich hält, ihn zur Rechenschaft zieht: „Warum tadelt er denn noch?“ (Römer 9,19b).

Die Frage ist also: „Da niemand Gottes Willen widerstehen kann [, sondern diesem völlig ausgeliefert ist], wie kann es dann von Gott gerecht („fair“) sein, dass er immer noch tadelt?“.

Den Einwand verstehen

Dieser Einwand ist für jeden Christen sehr hilfreich, um das Wesen der Souveränität Gottes in der Errettung besser zu verstehen. Denn wie auch immer wir zu den Lehren der Gnade stehen mögen, so müssen unsere Schlussfolgerungen jedenfalls dergestalt sein, dass der Einwand von Römer 9,19 Sinn macht.

Tatsache ist: Dieser Einwand macht nur dann Sinn, wenn drei Dinge wahr sind: (1) Der Mensch muss Buße tun und gerettet werden, wie es Gott befohlen hat. (2) Dem Menschen fehlt die moralische Fähigkeit, Buße zu tun und gerettet zu werden, und: (3) Gott macht den Menschen weiterhin dafür verantwortlich, Buße zu tun und gerettet zu werden, und wird ihn bestrafen, wenn er diesem Befehl nicht folgt.

Philosophisch gesehen macht dieser Einwand nur dann Sinn, wenn „Sollen“ nicht gleichbedeutend mit „Können/Vermögen“ ist – das heißt, wenn ein Befehl nicht unbedingt (implizit) bedeutet, dass der Angesprochene auch in der Lage ist, das zu tun, was ihm befohlen ist. Theologisch gesehen ergibt dieser Einwand nur dann Sinn, wenn die Lehren von der totalen Verdorbenheit des Menschen, der bedingungslosen Erwählung durch Gott und der unwiderstehlichen Gnade im Heil wahr sind.

Es ist für den natürlichen Verstand abstoßend, wenn wir für etwas zur Rechenschaft gezogen werden, das wir nicht fähig sind zu tuninsbesondere, wenn wir festhalten, dass es ein liebender Gott ist, der das verlangt. Und so entwickelten verschiedene Denkschulen alternative Auffassungen von Gottes Souveränität, um Gott vor dem zu bewahren, was sie für ungerecht („unfair“) halten. Keine dieser Alternativen macht jedoch den Einwand in Römer 9,19 verständlich. Betrachten wir kurz drei dieser Alternativen.

Universalismus

Eine dieser alternativen Vorstellungen ist der Universalismus (alle Menschen werden ohne Unterschied gerettet). Gott hat etwas von den Menschen gefordert, das sie nicht in der Lage sind zu erbringen, also kehrt er ihre Sünden unter den Teppich – schließlich sind Kinder Kinder, oder? – und lässt sie vom Haken. Abgesehen davon, dass diese Position offensichtlich im Widerspruch zur Bibel ist, würde sie bedeuten, dass Gott die Menschheit „immer noch tadelt“. Niemand kann seinem Willen widerstehen, also findet er einfach keine Fehler an ihnen. [Anm. d. Üb.: Gott wendet also das Heilswerk auf alle an, ohne diese zu fragen und ohne etwas von irgendjemand zu erwarten und ohne die Ursache des Tadels zu beseitigen.]

Bedingte Erwählung auf der Grundlage vorhergesehenen Glaubens

Eine andere Alternative besteht darin, zu leugnen, dass Gottes Erwählung bedingungslos ist, und stattdessen zu behaupten, dass sie vom Glauben abhängig sei, den Gott in einer bestimmten Person vorausgesehen hat. Anders gesagt: Gott hat Menschen erwählt, weil er im Voraus sah, dass diese ihn eines Tages erwählen würden. Da es für unseren natürlichen Verstand unfair ist, dass Menschen zur Rechenschaft gezogen werden, weil sie etwas nicht getan haben, das sie gar nicht tun können, behauptet diese theologische Position, dass wir vielmehr in der Lage seien, etwas zu tun – nämlich zu glauben –, wobei dieser Glaube dann zur Folge habe, dass Gott uns Gnade gewähre.

Aber wenn diese Ansicht richtig wäre, hätte Paulus‘ imaginärer Gegenredner in Römer 9,19 sicher nicht seinen Einwand gegen Gottes Erwählung erhoben. Es wäre ja kein Rätsel, warum jene, die nicht glauben, „immer noch getadelt werden“. Sie hatten einfach aus freien Stücken nicht den Glauben gefasst, der notwendig ist, um zum Heil erwählt zu werden. (Also geschah Ihnen mit der Nichterwählung völlige Gerechtigkeit – kein Einspruch nötig.)

Unbedingt freier Wille

Eine weitere Alternative, die der vorherigen ähnelt, besteht darin, zu behaupten, dass Gott zwar („absolut“) souverän ist, sich aber in seiner Souveränität dafür entschieden habe, dem Menschen (auch) eine gewisse Art von Souveränität in Form eines völlig freien Willens zu gewähren. Gott gebiete Buße und Glauben, und er werde diejenigen tadeln, die dann nicht Buße tun und glauben. Nach dieser Ansicht tun diejenigen, die nicht Buße tun und glauben, dies, weil sie den freien Willen haben, Gott anzunehmen oder abzulehnen. Gott habe sein Bestes getan und würde jeden retten, wenn er dies könnte, aber er hat die endgültige Entscheidung über die Erlösung völlig dem (freien Willen des) Menschen überlassen. Mit anderen Worten, sie können durchaus mit ihrem freien Willen „seinem Willen widerstehen“.

Auch bei dieser Ansicht ergibt sich, dass der Einwand in Römer 9,19 keinen Sinn ergibt. Es wäre kein Geheimnis, warum Gott diejenigen tadeln würde, die ihn ablehnen. Doch der Gesprächspartner des Paulus behauptet (durch seine rhetorische Frage), dass sich niemand dem Willen Gottes widersetzt.

Die geniale Gnade

Wenn wir also den Einwand, den Paulus in Römer 9,19 rhetorisch erhebt, verstehen wollen, können wir Gottes Souveränität und die Unfähigkeit des Menschen (zu Buße und Glauben) nicht durch eine Berufung auf die bedingte Erwählung seitens Gottes oder den völlig freien Willen des Menschen erklären. Der Einwand von Römer 9,19 ergibt nur dann einen Sinn, wenn die Lehren von der totalen Verderbtheit des Menschen, der bedingungslosen Erwählung seitens Gottes und der unwiderstehlichen Gnade im Heilswirken Gottes biblisch wahr sind.

Aber wie kann das gerecht (o. „fair“) sein? Wie kann Gott dem Menschen etwas ihm Unmögliches befehlen und ihn dennoch zur Rechenschaft für das Nichtbefolgen ziehen? Wie kann er Menschen befehlen, (mittels Buße und Glauben) wiedergeboren zu werden, wenn doch die Rettung und Wiedergeburt vollständig „an dem begnadigenden Gott“ liegt (Römer 9,16; vgl. Johannes 1,12)? Nun, Paulus‘ Antwort ist, den Fragesteller scharf zu tadeln, der versucht, die Gerechtigkeit Gottes in Frage zu stellen: „Wer bist du denn, o Mensch, der du das Wort nimmst gegen Gott?“ (Römer 9,20). Wenn jemand unterfängt, so Gottes Charakter zu kritisieren, hat er ein völlig verbogenes Verständnis davon, was Gerechtigkeit ist („Ist etwa Ungerechtigkeit bei Gott? Das sei ferne!“; Römer 9,14; vgl. 3,5b–6), und sollte sich besser schnell die Hand vor den Mund halten.

Aber es gibt eine Möglichkeit, diese Frage aus dem aufrichtigen Wunsch heraus zu stellen, Gott besser zu verstehen und ihn dafür anzubeten, wie er sich offenbart hat. Und wenn die Frage in diesem Geist gestellt wird, glaube ich, dass es eine klare Antwort gibt. Und die lautet: Gott schenkt seinem Volk das, was er von ihm verlangt.

Das ist das Geniale an der Gnade Gottes: Indem Gott von jedem Menschen etwas fordert, das für diesen unmöglich ist, zeigt er unübersehbar, wie wirklich hilflos und unvermögend der Mensch in Bezug auf seinen geistlichen Zustand ist. Und weil er etwas vom Menschen fordert, das nur Gott selbst vollbringen kann, stellt er unübersehbar seine eigene Fähigkeit und die Fülle seiner Herrlichkeit zur Schau. Wie Paulus dann weiter erklärt, tut er dies, „damit er kundtäte den Reichtum seiner Herrlichkeit an den Gefäßen der Begnadigung, die er zuvor zur Herrlichkeit bereitet hat“ (Römer 9,23).

Indem Gott gewährt, was er verlangt, zeigt er sich als das A und O, der alles in Allem ist. Er weist dem Menschen die ihm angemessene Position zu: Er ist ein armer Bettler, der völlig auf das angewiesen ist, was er aus Gottes Hand empfängt. Dann schenkt er uns als unser Wohltäter das, was er von uns verlangt, und gewinnt so unsere Zuneigung, sodass wir ihn als überaus liebenswert, überaus würdig und überaus wunderbar begreifen und ergreifen.

Quellen

Der Artikel wurde adaptiert von: Michael Riccardi: An Objection to God‘s Sovereignty that Proves It, The Cripplegate (March 16, 2012), https://thecripplegate.com/an-objection-to-gods-sovereignty-that-proves-it [abgerufen 30.08.2024]. Eigene Übersetzung (grace@logikos.club).

John F. MacArthur und Richard Mayhue, Biblische Lehre: Eine systematische Zusammenfassung biblischer Wahrheit. EBTC, 3. Aufl. 2023, geb., 1.360 Seiten | ISBN: 978-3947196500. Insbes. Kap. VII Die Errettung und Abschnitt 2 Der Plan der Errettung (S. 648–678).

Concursus Dei – Die Souveränität Gottes und die Verantwortung des Menschen (auf logikos.club).

John F. MacArthur, Göttliche Unveränderlichkeit und die Lehren der Gnade (Orig.: Divine Immutability and the Doctrines of Grace, Übersetzung ins Deutsche auf logikos.club).

Was ist das Zentralanliegen des „Calvinismus“?

Vorwort

Immer wieder wurde und wird versucht, das theologische Monumentalwerk von Johannes Calvin (auch: die Lehre Calvins, den „Calvinismus“, den reformierten Glauben) kurz zusammenzufassen und prägnant auf den Punkt zu bringen, weil der jeweiligen Leserschaft offenbar nicht zugemutet werden könne oder solle, das Werk Calvins selbst einmal in Ruhe zu studieren und anhand der Bibel zu prüfen (Apg 17,11). 

Dieser Versuch wird auch von anti-calvinistischer Seite aus immer wieder unternommen. Nicht selten muss man dabei beobachten, dass einfach von anderen abgeschrieben wird: das Richtige, das Gefälschte und das Falsche. Sekundär- und Tertiärzitate häufen sich. Ob dies auf Faulheit, Ignoranz oder Desinteresse an echter Auseinandersetzung anhand der Originalquellen beruht, sei hier dahingestellt, aber es führt nicht selten zu einem Zerrbild, das nur die eigenen Vorurteile bedient, mithin nur eine Widerspiegelung der eigenen theologischen Meinungen und Vorurteile ist. Dies ist vor allem in theologisch und biblisch weniger bewanderten Freikirchen, Gemeinschaften und religiösen Vereinen und deren Rednern und Autoren zu beobachten, die sich dem Anti-Calvinismus verschrieben haben. Zum Glück muss dies nicht die Endstation sein (Psalm 1,1–2; 119,67).

Es macht also viel Sinn, auch einmal einen „Calvinisten“ zu befragen, jemand, der nicht nur Ahnung und Vorurteile, sondern Fachkenntnis von der Materie und daher ein qualifiziertes Fachurteil besitzt. Zu diesen kann man sicher den reformierten Pastor und Theologen Joel R. Beeke (*1952) zählen, den Präsidenten des Puritan Reformed Theological Seminary in Grand Rapids, Michigan (USA).

In seinem Buch Living for God’s Glory: An Introduction to Calvinism (etwa: Leben zur Verherrlichung Gottes: Eine Einführung in den Calvinismus) geht er der Frage nach, was denn der Kern, das Mark (marrow), des Calvinismus sei. Hier ist sein Ergebnis [1] (eigene Übersetzung von Grace@logikos.club). Bibeltreue, gottesfürchtige Glaubende werden das meiste und entscheidende davon wahrscheinlich nicht als »calvinistisch«, sondern einfach als christlich und biblisch bezeichnen. Denn »Leben zur Verherrlichung Gottes« war, ist und bleibt das Urthema, der Sinn und die Bestimmung des Menschen, insbesondere des glaubenden Christen.

Erfreulich und entscheidend wichtig ist, dass Beeke nicht eine Eigenschaft (Vortrefflichkeit, Vollkommenheit) Gottes vor allen anderen auswählt, wie manche dies gerne verzerrend tun, sondern Gott Selbst in den Mittelpunkt stellt [„Theo-zentrismus“, „Gott im Mittelpunkt“, bedeutet: alles dreht sich um Gott]:

»Theozentrismus

Wenn wir den Calvinismus auf ein Begriff, ein Konzept reduzieren müssten, folgen wir am besten Warfield, der sagte, dass reformiert zu sein bedeutet, theozentrisch zu sein. Das Hauptinteresse der reformierten Theologie ist der dreieinige Gott, denn der transzendente-immanente, väterliche Gott in Jesus Christus ist Gott selbst. Calvinisten sind Menschen, deren Theologie von der Vorstellung von Gott beherrscht wird. Mason Pressly hat es so gesagt: »So wie der Methodist die Idee der Erlösung der Sünder in den Vordergrund stellt, der Baptist das Geheimnis der Wiedergeburt, der Lutheraner die Rechtfertigung durch den Glauben, die Böhmischen Brüder [auch: Brüder-Unität] die Wunden Christi, das Mitglied der Griechisch-orthodoxen Kirche die Mystik des Heiligen Geistes und der Romanist die Katholizität der Kirche, so stellt der Calvinist immer den Gedanken an Gott in den Vordergrund.«[2]

Reformiert zu sein bedeutet, die umfassende, souveräne, väterliche Herrschaft Gottes über alle Dinge und Bereiche zu betonen: jeden Bereich der Schöpfung, alle Unternehmungen der Geschöpfe und jeden Aspekt des Lebens des Gläubigen. Das vorherrschende Motiv im Calvinismus ist: „Am Anfang […] Gott“ (1Mo 1,1).

In seiner Beziehung zu uns hat Gott nur Rechte und Befugnisse. An Pflichten bindet Er sich souverän und gnädig nur durch Bundesschlüsse. Im Bund übernimmt Er die Pflichten und Verantwortungen, die er als unser Gott hat, aber das ändert nichts daran, dass Er selbst die erste Ursache und das letzte Ziel aller Dinge ist und bleibt. Das Universum wird nicht durch Zufall oder Schicksal bestimmt, sondern durch die vollständige, souveräne Herrschaft Gottes. Wir existieren nur zu einem Zweck: Ihm die Ehre zu geben. Wir haben gegenüber Gott nur Pflichten, keine Rechte. Jeder Versuch, diese Wahrheit in Frage zu stellen, ist zum Scheitern verurteilt. In Römer 9,20b heißt es: „Wird etwa das Geformte zu dem, der es geformt hat, sagen: Warum hast du mich so gemacht?“ Gott erlässt seine Gesetze für jeden Bereich unseres Lebens und verlangt unbedingten Gehorsam. Wir sind aufgerufen, ihm mit Leib und Seele zu dienen, im Gottesdienst und bei der täglichen Arbeit, jede Sekunde eines jeden Tages.

Reformiert zu sein, bedeutet also, sich mit dem vollständigen Charakter der Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf zu befassen. Es bedeutet, das ganze Leben coram Deo zu betrachten, das heißt, vor dem Angesicht Gottes zu leben. Wie Warfield schrieb:

»Der Calvinist ist ein Mensch, der [überall] Gott erkennt: Gott in der Natur, Gott in der Geschichte, Gott in der Gnade. Überall sieht er Gott in seinem mächtigen Schreiten, überall spürt er das Wirken seines mächtigen Armes, das Pochen seines mächtigen Herzens. Der Calvinist ist ein Mensch, der Gott hinter allen Erscheinungen sieht und in allem, was geschieht, die Hand Gottes erkennt, die Seinen Willen ausführt. [Der Calvinist] macht die Haltung, die die Seele im Gebet zu Gott einnimmt, zu seiner ständigen Haltung in allen Lebensaktivitäten; [er] wirft sich völlig und ausschließlich auf die Gnade Gottes und schließt jeden Gedanken daran, dass das Werk der Erlösung auch nur im Geringsten von ihm selbst abhängig sei, aus.« [3]

Die Lehre von Gott – einem väterlichen, souveränen Gott in Jesus Christus – ist daher das Zentrum der reformierten Theologie. R. C. Sproul drückt es so aus: »Wie wir das Wesen und den Charakter Gottes selbst verstehen, beeinflusst, wie wir das Wesen des Menschen verstehen, der Gottes Ebenbild trägt; das Wesen Christi, der wirkt, um den Vater zu befriedigen; das Wesen der Erlösung, die von Gott bewirkt wird; das Wesen der Ethik, deren Normen auf Gottes Charakter beruhen; und eine Unzahl anderer theologischer Überlegungen, die alle auf unserem Verständnis von Gott beruhen.« [4] 

Calvinisten definieren also alle Lehren auf eine gottzentrierte Weise. Die Sünde ist schrecklich, weil sie eine Beleidigung für Gott ist. Die Erlösung ist wunderbar, weil sie Gott die Ehre gibt. Der Himmel ist herrlich, weil er der Ort ist, an dem Gott alles in allem ist. Die Hölle ist höllisch, weil sie der Ort ist, an dem Gott seinen gerechten Zorn offenbart. Gott ist der Mittelpunkt all dieser Wahrheiten.

Bedenken wir beispielsweise einmal, was der wahre Grund dafür ist, dass Sünde so überaus schrecklich ist. Ein Christ mag anführen, dass die Sünde den Sünder schädige und ihn ins Elend führe, aber ohne eine auf Gott ausgerichtete Perspektive wird er den wichtigsten Punkt von allen übersehen: Sünde ist ein Affront gegen Gott selbst, wie David in Psalm 51,6 bekennt: »Gegen dich, gegen dich allein habe ich gesündigt, und ich habe getan, was böse ist in deinen Augen; damit du gerechtfertigt wirst, wenn du redest, für rein befunden, wenn du richtest.«

Das häufigste Wort im Römerbrief, dem größten Lehrtext der Bibel, ist nicht Gnade, Glaube, Glauben oder Gesetz, sondern Gott. Die meisten der großen theologischen Aussagen im Römerbrief beginnen mit Gott:

  • Gott hat sie hingegeben (Röm 1,24.26.28)
  • Gott wird jedem vergelten wird nach seinen Werken (Röm 2,6)
  • Gott wird das Verborgene der Menschen richten […] durch Jesus Christus (Röm 2,16)
  • Gott hat ihn dargestellt hat als ein Sühnemittel durch den Glauben an sein Blut (Röm 3,25)
  • Gott rechtfertigt die Gottlosen (Röm 4,5)
  • Gottes Liebe ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist (Röm 5,5)

Als Calvinisten sind wir in Gott verliebt. Wir sind überwältigt von seiner Majestät, seiner Schönheit, seiner Heiligkeit und seiner Gnade. Wir suchen seine Herrlichkeit, sehnen uns nach seiner Gegenwart und richten unser Leben nach ihm aus.

Andere Christen sagen, dass Evangelisation oder Erweckung ihr größtes Anliegen sei, und diese Dinge müssen uns natürlich sehr am Herzen liegen. Aber letztlich haben wir nur ein Anliegen: Gott zu kennen, ihm zu dienen und ihn verherrlicht zu sehen. Das ist unser Hauptziel. Die Rettung der Verlorenen ist deshalb wichtig, weil sie zur Verherrlichung des Namens Gottes und zum Kommen seines Reiches führt. Die Läuterung der Gesellschaft ist wichtig, weil sie uns hilft, Gottes Willen auf Erden so zu tun, wie er im Himmel getan wird. Bibelstudium und Gebet sind wichtig, weil sie uns in die Gemeinschaft mit Gott führen.«

Aus Hiob zum Letzten

[Elihu:] Siehe, Gott handelt erhaben in seiner Macht; wer ist ein Lehrer wie er?
Wer hat ihm seinen Weg vorgeschrieben, und wer dürfte sagen: Du hast unrecht getan? Erinnere dich daran, dass du sein Tun erhebst, das Menschen besingen. Alle Menschen schauen es an, der Sterbliche erblickt es aus der Ferne. Siehe, Gott ist zu erhaben für unsere Erkenntnis; die Zahl seiner Jahre, sie ist unerforschlich. […]

[Hiob:] Ich weiß, dass du alles vermagst und kein Vorhaben dir verwehrt werden kann.
Wer ist es, der den Rat verhüllt ohne Erkenntnis? So habe ich denn beurteilt, was ich nicht verstand, Dinge, zu wunderbar für mich, die ich nicht kannte. Höre doch, und ich will reden; ich will dich fragen, und du belehre mich!
Mit dem Gehör des Ohres hatte ich von dir gehört, aber nun hat mein Auge dich gesehen. Darum verabscheue ich [mich] und bereue in Staub und Asche.

Hiob 36,22-26; 42,2-6 (ELB2003)

Endenoten

[1] Joel R. Beeke, Living for God’s Glory: An Introduction to Calvinism. 1. Aufl. (Sanford, FL: Ligonier Ministries, 2008), Kapitel 3 The Marrow of Calvinism, Abschnitt Theocentrism, S. 40–42.

[2] Mason Pressly, „Calvinism and Science“ in: Evangelica Repertoire (1891), S. 662.

[3] B. B. Warfield, Calvin as a Theologian and Cavinism Today (London: Evangelical Press, 1969), S. 23–24.

[4] R. C. Sproul, Grace Unknown: The Heart of Reformed Theology (Grand Rapids: Baker, 1997), S. 25.

Opera ad extra – Das Zusammenwirken von Vater, Sohn und Heiligem Geist im Heilswerk

Text adaptiert von: James Buchanan, Die Lehre der Rechtfertigung. Nachdruck aus dem Druck von 1867 von T. and T. Clark, Edinburgh. Grand Rapids, MI: Baker Book House, 1977), S. 388–392.
Übersetzung, Überarbeitung und Erweiterung durch grace@logikos.club.
Bildquelle: unbekannt (Hinweise erbeten)

Die opera ad extra

Die Heilige Schrift offenbart uns, dass Gott-Vater, Gott-Sohn und Gott, der Heilige Geist, im Plan und Werk der Erlösung des Menschen harmonisch abgestimmt und in Einheit zusammenwirken, dass aber jeder von ihnen ein anderes „Amt“ innehat und einen anderen Teil des Werkes übernimmt, um diesen Plan zu verwirklichen. Dies gilt für alle „Werke [Gottes] nach außen“ (den opera ad extra), für die erste Schöpfung und für die zweite Schöpfung (Heil). Sie sind Wirkungen, die aus dem Wesen Gottes heraustreten und offenbar werden, und die auf den „Werken Gottes nach innen“ (den opera ad intra) beruhen. Während uns die opera ad intra in der Schrift offenbaren, wie das Verhältnis der drei Personen der Dreieinheit zueinander ist, lassen uns die opera ad extra in der Schrift erkennen, wie die drei Personen der Trinität zwar in „göttlicher Arbeitsteilung“, jedoch untrennbar und stets harmonisch zusammenarbeiten zur Verwirklichung der einen gemeinsamen Zielsetzung (Wille, Vorsatz, Ratschluss usw.). Dies soll für das Heilswerk unten kurz skizziert werden. [1]

Die Offenbarung der drei Personen der Gottheit im Heilswerk

Das großartige Ziel Gottes, bestimmte erwählte Sünder zu erlösen, sowie die harmonische Zusammenarbeit der drei Personen der Gottheit bei der Verwirklichung dieses Ziels könnten aus der Einheit der göttlichen Natur (es gibt nur ein göttliches Wesen!) abgeleitet werden. Denn dieses impliziert notwendigerweise die Einheit in den Ratschlüssen des göttlichen Willens. Aber die Unterscheidungen innerhalb der Gottheit nach den drei Personen (Subsistenzen) hätten nie auf eine andere Weise so deutlich offenbart werden können, als durch die verschiedenen „Ämter und“ Tätigkeiten, die ihnen im Zusammenhang mit dem Erlösungswerk eigen sind. Es ist ein Zeichen für die Harmonie ihrer Absichten und ihres Zusammenwirkens in dem einen gemeinsamen Selbstoffenbarungswerk.

Die Offenbarung der drei Personen der Gottheit wird erst im Heilswerk Gottes (im NT beschrieben) explizit deutlich. Nehmen wir das Beispiel der christlichen Taufe: Von jedem an Christus Gläubigen verlangt Gott, getauft zu werden, und zwar nicht einfach auf den Namen Gottes, sondern ausdrücklich „auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Matthäus 28,19). Auch in der apostolischen Segensformel werden ausdrücklich alle drei Personen der Trinität benannt: „Die Gnade des Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! “ (2Korinther 13,13). Dies ist also ein spezifisch christliches Kennzeichen, im AT verborgen, im NT geoffenbart.

In der Epoche vorher, der letzten des Alten Testaments (vgl. Lukas 7,27f), gab es die vorbereitende Taufe des Johannes, die als „Taufe mit Wasser zur Buße“ (Matthäus 3,11f), „Taufe der Buße“ (Apostelgeschichte 19,2–6) und „Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden“ (Markus 1,4) beschrieben wird. Sie wurde den Menschen, die Jesu Dienst begleiteten, verabreicht, damit sie gelehrt würden, an den zu glauben, der „nach mir [Johannes Baptist] kommt“, und sie „mit Heiligem Geist taufen“ würde (Markus 1,7–8). Diese Bußtaufe war im Vergleich zur christlichen Taufe unvollkommen, weil sie den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist nicht deutlich benannte. Daher wurde die Taufe des Johannes bei der Gründung der christlichen Kirche durch die von Christus angeordnete (Matthäus 28,19) ersetzt, die alle drei Personen der Gottheit explizit benennt und bekennt.

Aber auch das gesamte Heilswerk betreffend ist in der Heiligen Schrift zu beobachten, dass jede der drei Personen der Gottheit ein bestimmtes Amt ausübt und ein spezifisches Werk verrichtet. Auch hier gilt wieder, dass diese Ämter und Werke zwar eindeutig den göttlichen Personen zugeordnet sind, dass sie aber stets miteinander und in völliger Harmonie und Einheit ausgeführt werden. Die wahrgenommenen Unterschiede in den Werken ad extra sind keinesfalls Unterschieden im göttlichen Wesen zuzurechnen (es gibt solche nicht). Eine einzigartige Besonderheit entstand dadurch, dass die Person, die der ewige Sohn Gottes ist, auch in der Zeit wahrer Mensch geworden ist (Johannes 1,14; Galater 4,4). 

Das große Sühnungsopfer Jesu am Kreuz, an dessen Ende das geheimnisvolle „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Matthäus 27,46) des Sohnes erklang, wird beeindruckend trinitarisch so beschrieben: „…das Blut des Christus, der durch den ewigen Geist sich selbst ohne Flecken Gott geopfert hat” (Hebräer 9,14a). Der wunderbare Anbetungshymnus in Epheser 1,3–14 ist ein glanzvolles Beispiel der Werke der Trinität im ewigen Heilsvorsatz. – Im Einzelnen:

Gott-Vater

Der Vater wird als Repräsentant der Majestät der Gottheit geoffenbart, der die Souveränität ausübt und die Vorrechte der Gottheit wahrt. Von ihm wird gesagt, dass er uns geliebt hat, dass er uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen in Christus, dass er uns in ihm auserwählt hat vor Grundlegung der Welt, dass er uns vorherbestimmt hat zur Sohnschaft durch Jesus Christus, nach dem Wohlgefallen seines Willens, zum Lobe der Herrlichkeit seiner Gnade, durch die er uns angenommen hat in dem Geliebten, dass er seinen eingeborenen Sohn gegeben hat, dass er seinen Sohn gesandt hat, um der Heiland der Welt zu sein, dass er ihn für uns zur Sünde gemacht hat, dass er ihn hingestellt hat zur Versöhnung durch den Glauben an sein Blut, dass er „seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben hat“, dass „Gott … seine Liebe zu uns darin [erweist], dass Christus, da wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist“, dass es „dem Herrn gefiel…, ihn zu zerschlagen, er hat ihn leiden lassen“, dass er „ihn aus den Toten auferweckt und ihm Herrlichkeit gegeben hat, damit euer Glaube und eure Hoffnung auf Gott sei“. Er hat Christus „durch seine Rechte zum Führer und Heiland erhöht, um Israel Buße und Vergebung der Sünden zu geben“. (Jesaja 53,10; Johannes 3,16; Apostelgeschichte 5,31; Römer 3,25; 5,8; 8,32; 2Korinther 5,21; Epheser 1,3.4.5; 1Petrus 1,21; Hebräer 2,7; 1Johannes 4,14)

Gott-Sohn

Der ewige Sohn, Sohn Gottes und Sohn des Menschen, wird [in Seiner Menschwerdung] als in offizieller Unterordnung unter den Vater handelnd offenbart als „gesandt“, als „gegeben“, als „gekommen, um [s]einen Willen zu tun“, ohne „Ansehen, dass wir seiner begehrt hätten. Er war verachtet und verlassen von den Menschen“, einer, der „sich selbst zu nichts machte und Knechtsgestalt annahm, indem er in Gleichheit der Menschen geworden ist“, der „sich selbst erniedrigte, indem er gehorsam wurde bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz“, er wurde „geboren unter Gesetz“ und „für uns zur Sünde gemacht“, „indem er ein Fluch für uns geworden ist“, „von Gott geschlagen und niedergebeugt; doch um unserer Übertretungen willen war er verwundet, um unserer Ungerechtigkeiten willen zerschlagen“ und hat „selbst unsere Sünden an seinem Leib auf dem Holz getragen“, hat „sich selbst für uns hingegeben … als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch“. „Er ist wohl in Schwachheit gekreuzigt worden, aber er lebt durch Gottes Kraft“, er ist „hinaufgestiegen … über alle Himmel, damit er alles erfüllte“ und „hat sich auf immerdar gesetzt zur Rechten Gottes, fortan wartend, bis seine Feinde hingelegt sind als Schemel seiner Füße“. „ Gott [hat] ihn auch hoch erhoben und ihm den Namen gegeben, der über jeden Namen ist, damit in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters“. (Jesaja 53; 2Korinther 13,4; Galater 3,13; Epheser 4,10; 5,2; Philipper 2,7–8.9–11; Hebräer 10,7.9.12–13; 1Petrus 1,24)

Gott-Heiliger Geist

Der Heilige Geist wird offenbart als der, „der vom Vater ausgeht“ und den Christus uns „von dem Vater senden“ würde. Er „wird von [Christus] zeugen“, Christus „verherrlichen“ und „von dem Meinen empfangen und euch verkündigen“. Er wird „die Welt überführen von Sünde und von Gerechtigkeit und von Gericht“, „von Sünde, weil sie nicht an [Christus] glauben“. Er ist der, „der in unsere Herzen geleuchtet hat zum Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi“, der uns „erneuert … in dem Geist [unserer] Gesinnung“, der der „Geist der Weisheit und Offenbarung in der Erkenntnis seiner selbst“ ist. Er ist der „der Geist dessen, der Jesus aus den Toten auferweckt hat, [der] in euch wohnt“ (trinitarisch!), „der in uns wirkt“. Er ist „der Geist der Wahrheit“, der selbst „die Wahrheit ist“, der gekommen ist, um uns „in die ganze Wahrheit [zu] leiten“. Er „nimmt … sich unserer Schwachheit an“ und „verwendet sich für uns in unaussprechlichen Seufzern“. „Der Geist selbst bezeugt mit unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind.“ Alle Glaubenden sind „versiegelt worden … mit dem Heiligen Geist der Verheißung“ und haben ihn als „das Unterpfand [Zusicherung, Angeld] unseres Erbes“. (Johannes 15,26; 16,8–9.13.14; Römer 8,16.26; 2Korinther 4,6; Epheser 1,13.14; 4,23; Philipper 2,13; 1Johannes 5,6)

Fazit

Diese Zeugnisse der Heiligen Schrift reichen aus, um zu zeigen:

  • Es besteht ein wirklicher Unterschied zwischen dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist, da über jeden von ihnen vieles geoffenbart wird, was von den beiden anderen jeweils nicht ausgesagt wird. Dies betrifft aber nicht ihr Wesen als Gott, da sie dieses ewig völlig identisch besitzen. 
  • Im Rahmen desselben Gnadenplans bekleiden die Personen der Gottheit verschiedene „Ämter“ und vollbringen in Abstimmung und Harmonie verschiedene Teile desselben Werkes der Errettung. 

Die Zielsetzung der Summe und Einheit alles Wirkens Gottes ist seine eigene Verherrlichung, also die glanzvolle Darstellung seiner Vollkommenheiten. (Dies ist auch im Schöpfungswerk zu beobachten, Genesis 1,1–2, Römer 1,19–20; Hebräer 1,2ff usw.)

Da diese grundlegenden Wahrheiten klar geoffenbart sind, können wir uns nur in unentwirrbaren Irrtum verwickeln, wenn wir leugnen oder missachten würden, dass es solche Unterscheidungen im Zeugnis (Selbstoffenbarung) Gottes in der Heiligen Schrift gibt. Wir sollten nicht dem Vater das zuschreiben, was die Schrift dem Sohn zuschreibt, oder dem Sohn das, was die Schrift dem Geist zuschreibt, oder dem Geist das, was die Schrift dem Sohn zuschreibt (usw.). 

Ein, zwei abschreckende Beispiele mögen genügen: Wer dem Vater dankt, dass er für uns am Kreuz gestorben sei, irrt. Wenn der Dankende lernfähig ist, kann ihm mit Gottes Wort schnell geholfen werden, wenn er aber diese Aussage festhält und gar lehrt, verbreitet er lästerlichen Irrtum (sog. Patripassianismus). Ein anderer Verwechslungsirrtum ist es, wenn man als Grund unserer Rechtfertigung das Werk des Geistes in uns (z.B. Buße und Glauben, denen angeblich die Neugeburt zeitlich folge, oder die prozesshafte Heiligung) angibt und nicht das Werk Christi für uns, das außerhalb von uns geschah (stellvertretender Sühnetod am Kreuz). (Dazu im Anschluss noch einige Anmerkungen und Zitate.) 

Endnoten und Ergänzungen

[1] Siehe: John MacArthur und Richard Mayhue, Biblische Lehre – Eine systematische Zusammenfassung biblischer Wahrheit, 3. Aufl. (Berlin: EBTC, 2023), S. 258 und 278.

Ergänzend noch einige sprachliche Anmerkungen und Zitate zur „Rechtfertigung aus Glauben“.

Die Schrift sagt in Römer 5,1, dass „wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben“. Das Verb rechtfertigen des deutschen Textes steht in der 1.Person Plural Indikativ Perfekt Vorgangspassiv, deutet also auf ein vollendetes Geschehnis (Akt) in der Vergangenheit, das fortlaufende Wirkung bis in die Gegenwart hat, nämlich Frieden zu haben (Präsens; Indikativ, m.l. Konjunktiv). Es gibt das durch Wortstellung am Satzanfang betonte griech. Wort dikaióo (im Aorist Partizip Passiv Plural Nominativ Maskulinum, δικαιωθέντες ) wieder, was auf jenen Zeitpunkt deutet, bei dem eine Person vollständig und in einem Akt von Gott gerechtfertigt wurde und nun daraus folgend bleibenden Frieden hat (Präsens von echo) aufgrund des aus Gnade geschenkten lebendigen Glaubens (so: Vine, Unger, White: NT Words 2 und z.B. Lange et al in ihrem Römerbrief-Kommentar). 

Die Präposition aus (griech. ek in ἐκ πίστεως = „aus Glauben“, auch: „auf der Grundlage des Glaubens“) markiert den Glauben als die subjektive Ursache und das aneignende Werkzeug, während „die Gnade [Gottes], in der wir stehen“ die objektive oder erzeugende (kreative) Ursache unserer Rechtfertigung ist, durch die wir aus dem Zustand der Sünde und Verdammnis in den Zustand der Gerechtigkeit und des Lebens gebracht wurden. Kurz gesagt: Die Gnade Gottes eignet uns aktiv die Rechtfertigung zu, wir empfangen sie passiv im Glauben. Dies hat dann vielfältige Folgen, die Römer 5 weiter benennt und ausführt.

Die richtige Zuordnung der Werke der Personen der Gottheit ist auch für den Zentralartikel des christlichen Glaubens, der „Rechtfertigung aus Glauben“, von großer Bedeutung:

  • Richard Albert Mohler jr. (*1959): „Die meisten Amerikaner glauben, dass ihr Problem darin besteht, dass ihnen irgend etwas von außen widerfahren sei, und dass die Lösung dieses Problems in ihnen selbst gefunden werden wird. Mit anderen Worten: sie glauben, dass sie ein externes Problem haben, das mit einer inneren Lösung beseitigt werden kann. Das Evangelium sagt aber im Gegensatz dazu, dass wir ein inneres Problem haben, und dass die einzige Lösung dafür eine externe Gerechtigkeit ist.“ (Beitrag auf der Konferenz T4G, 2006)
  • R. C. Sproul (1939–2017): „Wenn wir sagen, dass die reformatorische Sicht der Rechtfertigung synthetisch ist, dann meinen wir damit, dass, wenn Gott einen Menschen gerecht spricht, das nicht aufgrund dessen geschieht, was er durch seine Analyse in dem Menschen findet. Stattdessen geschieht es aufgrund dessen, was der Person hinzugefügt wird. Dasjenige, was hinzugefügt wird, ist natürlich die Gerechtigkeit Christi. Deshalb sagte Luther, dass die Gerechtigkeit, durch die wir gerechtfertigt werden, extra nos ist, das heißt „getrennt von uns“ oder „außerhalb von uns“. Er nannte sie auch eine „fremde Gerechtigkeit“, nicht eine Gerechtigkeit, die uns gehört, sondern eine Gerechtigkeit, die uns fremd ist. Sie kommt von außerhalb der Sphäre unseres eigenen Verhaltens. Mit diesen beiden Begriffen redete Luther über die Gerechtigkeit Christi.“ (R.C. Sproul, Das Herzstück der Reformation. Artikel auf Evangelium21.net vom 17.11.2018) https://www.evangelium21.net/media/1128/das-herzstueck-der-reformation [Fettdruck hinzugefügt]

Gottes Zorn – Muss das sein?

Für viele Menschen, egal, ob sie sich als Christen sehen oder nicht, ist die Aussage: »Gott ist Liebe.« Anfang und auch Ende ihrer Theologie. Für Heiligkeit, Zorn, Rache oder Strafe ist in diesem Gottesbild kein Platz. Entspricht dies aber der Selbstoffenbarung des einen, wahren Gottes in Seinem Wort, oder ist dies ein selbstgemachter „Gott“ (a.k.a. Götze)?

Bibelleser wissen, dass Gottes Zorn eine unverzichtbare Wirkung Seines heiligen Wesens und Seiner Retternatur ist. Ohne Gottes Zorn wäre seine Liebe nicht vollkommen. Und das ist undenkbar. Der amerikanische Theologe A. W. Tozer hat das im vergangenen Jahrhundert gut erfasst und beschrieben:

Da es Gott im Blick auf seine Welt in erster Linie um deren Übereinstimmung mit seiner Lebensordnung, das heißt um Heiligkeit, geht, zieht alles, was im Gegensatz dazu steht, sein ewiges Missfallen auf sich.

Um seine Schöpfung zu erhalten, muss Gott alles zunichte machen, was diese zerstören würde. Wenn er sich erhebt, um der Sünde entgegenzutreten und die Welt vor einem nicht wiedergutzumachenden Zusammenbruch zu retten, dann wird er in der Bibel als zornig beschrieben. Jedes Zorngericht in der Weltgeschichte stellt einen heiligen Akt der Erhaltung dar. Die Heiligkeit Gottes, der Zorn Gottes und das Wohl der Schöpfung sind unzertrennbar vereint. 
Gottes Zorn ist seine völlige Unduldsamkeit allem gegenüber, was verdirbt und zerstört. Er hasst die Sünde, wie eine Mutter die Krankheit hasst, die das Leben ihres Kindes bedroht.

Aiden Wilson Tozer (1897–1963), Das Wesen Gottes – Eigenschaften Gottes und ihre Bedeutung für das Glaubensleben (Neuhausen-Stuttgart: Hänssler, 1996), S. 124–125.

Der amerikanische Prediger und Theologe Steve Lawson (*1951) schreibt in seinem exzellenten Buch über die Herrlichkeit und Vollkommenheiten Gottes am Ende auch ein Kapitel über den Zorn Gottes. Hier ein Auszug:

Manche Menschen sprechen so entschuldigend vom Zorn Gottes, als ob dieser die »dunkle Seite« Gottes wäre. Aber die Bibel sagt, »dass Gott Licht ist und gar keine Finsternis in ihm ist« (1Joh 1:5). Sind wir uns also darin völlig klar: Es gibt keine dunkle Seite Gottes. Er ist ganz und völlig Licht. Jede Eigenschaft Gottes ist absolut rein und völliges Licht, einschließlich dem Zorn Gottes.

Die Heiligkeit Gottes verlangt, dass er durch die Sünde erzürnt wird. Der göttliche Zorn ist die notwendige Reaktion seiner moralischen Reinheit auf jeden und alles, was sein Gesetz bricht. Gott ist makellos, ohne jeden moralischen Makel, und er muss voll heiligen Zornes gegen jede Sünde sein. Er kann nicht gleichgültig gegenüber irgendeiner Ungerechtigkeit sein. Gott empfindet eine tiefe Empörung gegen alles Unheilige. Das gilt nicht nur für die Sünde, sondern auch für den Sünder. Der göttliche Zorn muss sich gegen alles richten, was nicht mit seiner moralischen Vollkommenheit übereinstimmt. Sonst würde Gott aufhören, vollkommen heilig zu sein.

Der Apostel Paulus schreibt: »Denn Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbart über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit besitzen [o. niederhalten, unterdrücken]« (Röm 1:18). Das Wort »Zorn« (griech. orgē ) steht für die [im Strafgericht] entflammte Wut Gottes über die Sündhaftigkeit der Menschen. Dieses griechische Wort ist als »Orgie« in unsere Sprache eingegangen und beschreibt da die hitzigen, fleischlichen Gelüste unzüchtiger, unmoralischer Partys. Der übergreifende Gedanke, den dieses Wort hier jedoch ausdrückt, ist die Leidenschaft, die intensive, »schwer atmende« Reaktion des heiligen Gottes auf die Sündhaftigkeit des Menschen. Gott ist mit brennender Leidenschaft gegen alles entflammt, was nicht mit seiner eigenen vollkommenen Heiligkeit übereinstimmt.

Paulus betont dasselbe: »Nach deinem Starrsinn und deinem unbußfertigen Herzen aber häufst du dir selbst Zorn auf am Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes« (Röm 2:5). Der »Tag des Zorns« ist eine Anspielung auf den Jüngsten Tag, an dem Gott alle offenen Rechnungen begleichen wird. Die Unbekehrten häufen Zorn auf Zorn an, der schließlich von Gott entfesselt werden wird. Sie werden an jenem Tag von einer sintflutartigen Flut des göttlichen Zorns gegen sie überrollt werden. Da Gott vollkommen gut ist, ist es von entscheidender Bedeutung, dass Er jede Verfehlung in der ewigen Hölle bestraft. Der Zorn Gottes ist das notwendige Gegenstück zu Gottes vollkommener Heiligkeit.

Lawson, Steven J., Show Me Your Glory. Understanding the Majestic Splendor of God. (Sanford, FL: Reformation Trust Publishing [Ligonier Ministries], 2020). Zitiert nach: Show Me Your Glory. Kindle-Version (Sanford, FL: Reformation Trust Publishing), Kindle-Positionen 3065-3081. (eigene Übersetzung; grace@logikos.club)

Weiterführende Literatur – Eine Leseempfehlung

Thomas Chalmers (1780–1847)

»Thomas Chalmers war Pastor in Glasgow und Theologieprofessor an der Universität Edinburgh. Er wirkte 1843 maßgeblich an der Gründung der schottischen Freikirche mit, nachdem er aus der Kirche von Schottland ausgetreten war, weil sich in der Staatskirche der Unglaube einschlich.« Er schrieb in einer seiner besten Predigten über den Zorn Gottes und wie dieser in der gegenwärtigen Zeit der Gnade noch zurückgehalten wird, um letztlich im Gericht über alle unbußfertigen Sünder ungehemmt über sie auszubrechen. Die gegenwärtige Zeit ist gekennzeichnet von der Retterliebe Gottes, die alle Menschen ohne Unterschied einlädt und auffordert, zum Retter der Welt, Jesus Christus, umzukehren (d. h. Buße zu tun im Bekennen, Lassen und Hassen der Sünde) und an Ihn zu glauben für Zeit und Ewigkeit.

Den Abdruck des hier thematisch relevanten Teils dieser Predigt finden man übersetzt in: John MacArthur, Die Liebe Gottes. Einblicke in Gottes untergründliches Wesen und Handeln (5. Aufl., Augustdorf: Betanien, 2018), Anhang 1, S. 177–196. Orig.: The God Who Loves (Nashville, TN: Word Publishing, 2001). – Das genannte Buch von MacArthur ist in Gänze lesenswert und äußerst hilfreich, um das Thema des Zornes Gottes biblisch fundiert zu verstehen und richtig einordnen zu können. Dies ist heute, wo eine verschobene, schräge und unvollständige Darstellung üblich geworden ist, um so wichtiger (s. Todd M. Brenneman, Homespun Gospel: The Triumph of Sentimentality in Contemporary American Evangelicalism (Oxford: University Press, 2013).

John F. MacArthur (*1939) und Richard L. Mayhue

John MacArthur und Richard Mayhue haben eine hervorragende systematische Theologie geschrieben, die besonders auch für Nicht-Theologen lesbar ist: Biblische Lehre: Eine systematische Zusammenfassung biblischer Wahrheit (2. Aufl., Berlin: EBTC, 2020. Rezension), 1360 Seiten. Orig.: Biblical Doctrine: A Systematic Summary of Bible Truth (Wheaton, IL: Crossway, 2017), 1024 Seiten.

Die Frage des Zornes Gottes und wie man diesem entgeht durch das im Evangelium dargestellte Heilswerk Gottes wird vertiefend in folgenden Abschnitten besprochen: »Sünde (propitiatio[n])«, S. 699–703 und »Die Hölle«, S. 1110–1115. Als Kurzdefinition wird »Zorn Gottes« so erklärt: »Gottes Missfallen und Hass gegenüber allem Bösen, zusammen mit seiner Absicht, es zu strafen.« (S. 1246). – Selbstverständlich ist es didaktisch sinnvoller, dem Text der Biblischen Lehre von Beginn an zu folgen, um die Grundlagen und Zusammenhänge besser zu erfassen.

Was glauben eigentlich die Amerikaner?

Alle zwei Jahre befragt eine Partnerschaft zwischen Ligonier Ministries und LifeWay Research in einer repräsentativen Umfrage erwachsene amerikanische Bürger zu ihren Überzeugungen über Gott, Errettung, Ethik, die Bibel usw. Auch 2022 wurde diese Umfrage zum »Stand der Theologie« in den USA durchgeführt (Stichprobenumfang: 3.000+). Die Ergebnisse und Auswertungen sind auf der Website thestateoftheology.com einzusehen. Teilweise wurden die Antworten der amerikanischen Gesamtstichprobe mit jenen der Untergruppe der „Evangelikalen“ statistisch verglichen. (Welche Kriterien für die Klasse »evangelikal« angewandt wurden, ist auf der Website nachlesbar.)

Zusammenfassende Auswertung

Die Umfrage zum Stand der Theologie 2022 (The State of Theology 2022) zeigt, dass die Amerikaner zunehmend den göttlichen Ursprung und die vollständige Richtigkeit der Bibel ablehnen. Da sie meinen, dass es keinen dauerhaften Maßstab für die absolute Wahrheit gibt, an dem sie sich orientieren können, halten die Erwachsenen in den USA auch zunehmend an unbiblischen Anschauungen in Bezug auf die menschliche Sexualität fest. Im evangelikalen Bereich werden Grundlehren, wie die Gottheit und Exklusivität Jesu Christi oder die Inspiration und Autorität der Bibel, zunehmend abgelehnt. Es gibt zwar positive Trends, wie die Ansichten der Evangelikalen zu Abtreibung und außerehelichem Geschlechtsverkehr, doch ist gleichzeitig auch eine Widersprüchlichkeit in ihrer Ethik zu beobachten, da immer mehr Evangelikale in den Bereichen Homosexualität und Geschlechtsidentität (Gender) eine unbiblische, säkular-ideologische Weltanschauung übernehmen.

Diese Ergebnisse machen deutlich, dass die Gemeinde Jesus Christi (Kirche) sich mehr in der Apologetik und Bibellehre engagieren muss. Ungläubigen wird durch eine gut begründete Darstellung und Verteidigung des christlichen Glaubens geholfen, die Inhalte des christlichen Glaubens richtig zu verstehen. Und den Glaubenden helfen Apologetik und Glaubenslehre, wieder mehr Klarheit und Überzeugung darüber zu gewinnen, was sie glauben, und warum sie das glauben, was sie bekennen. Das Volk Gottes muss vermehrt dem Missionsbefehl Christi gehorchen, indem es den ganzen Ratschluss Gottes in der biblischen Evangelisation und Jüngerschaft weitergibt. Die Not ist groß, aber die Macht und die Verheißungen Gottes können die Gemeinde Jesu Christi dazu befähigen, einer verführten und verfinsterten Welt göttliche Wahrheit und göttliches Licht zu bringen.

Geht nun hin und macht alle Nationen zu Jüngern und tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu bewahren, was ich euch geboten habe.

Matthäus 28, 19-20 (ELBCSV)

Du aber bleibe in dem, was du gelernt hast und wovon du völlig überzeugt bist, da du weißt, von wem du gelernt hast, und weil du von Kind auf die heiligen Schriften kennst, die imstande sind, dich weise zu machen zur Errettung durch den Glauben, der in Christus Jesus ist. Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes vollkommen sei, zu jedem guten Werk völlig geschickt.

2. Timotheus 3,14-17 (ELBCSV)

Quellen

USA: The State of Theology 2022 – Key Findings.

UK: The State of Theology UK 2018 (by ComRes). Das Vereinigte Königreich ist ein Missionsland geworden: Ein Drittel aller Erwachsenen gab als Antwort auf einfache Fragen des christlichen Glaubens zu: »Ich weiß es nicht!«. Sogar die sog. »Evangelikalen« (ca. 2 Mio.) dort haben teilweise irrige Ansichten über Jesus Christus und den Heiligen Geist.

Concursus Dei – Die göttliche Mitwirkung in allen Dingen

Aufmerksamen Bibellesern entgeht nicht, dass bestimmte Taten und Vorkommnisse sowohl Menschen als auch Gott zugeschrieben werden. Dies zu verstehen ist nicht leicht. Wie kann es zum Beispiel sein, dass die Heilige Schrift einerseits Gott als souverän (ohne Anstoß oder Hilfe von außen, also monergistisch) Handelnden beschreibt, gleichzeitig aber die Schrift Menschen dieselbe Handlung gebietet oder gestattet und damit (moralisch) diese Tat voll in die menschliche Verantwortung legt? Wer ist dann letztlich der verantwortlich Handelnde? Der Mensch oder Gott? Wer ist der effektiv Handelnde? Der Mensch oder Gott?

Diese Sache wurde schon lange erkannt, beschrieben und erforscht. Die Theologen nennen es den Concursus Dei oder Concursus Divinus. Gemeint ist damit die Kongruenz (das Zusammenfallen) von göttlichem und menschlichem Handeln. Dabei geht es bei den unterschiedlichen Akteuren zwar um das selbe Geschehnis, aber nicht zwingend um die gleichen Motive der Handelnden.

Am Beispiel des Leidens des Hiob (Hiob/Job 1) ist dies gut zu erkennen. Drei Handelnde sind klar benannt: (1) Satan löste das Leiden Hiobs aus, weil er Gott herausfordern wollte mit der Behauptung, dass Hiob nur deswegen gottesfürchtig lebe, weil Gott ihn segne und Hiob um dieses Segens Gottes (Reichtums, Gesundheit usw.) willen –also rein opportunistisch– Frömmigkeit spiele. (2) Die Sabäer und die Chaldäer griffen aus reiner Beutelust die Herden Hiobs an und raubten die Tiere. (3) Gott erlaubte Satan durch vollmächtige Anweisung, dass er Hiob bis zur jeweils festgesetzten Grenze schaden dürfe. – Hinzu kommt ein Sturm, der „wie zufällig“ ein Haus zum Einstürzen und alle Kinder Hiobs zu Tode brachte. – Wer war nun jeweils der Handelnde, wer war der moralisch Verantwortliche: Gott, Satan, die Sabäer/Chaldäer, jemand anders – oder keiner der Genannten?

Festhalten kann man: Drei Parteien verursachten das Leiden des Hiob, aber ihre Absichten (Motive) waren sehr unterschiedlich: (1) Satan wollte Hiob –und damit dessen Gott– diskreditieren. (2) Die Sabäer/Chaldäer wollten sich am Gut anderer gewalttätig bereichern. (3) Gott wollte den Glauben des Hiob offenbaren und beweisen. – Jeder der Handelnden war am Leiden Hiobs aktiv beteiligt, aber jeder auf unterschiedlicher Ebene und mit unterschiedlichem Beweggrund. Der Beweggrund Gottes war absolut rein und gut, der Beweggrund der anderen zweifelsohne bösartig.

Diese Differenzierung ist notwendig für das Verstehen eines Concursus Dei in der Heiligen Schrift. Sie erklärt uns, wie Gott selbst Böses vorherbestimmen (ordinieren) kann, ohne selbst des Bösen schuldig zu werden. Böses ist stets böse (und Gott legt dafür den Maßstab fest). Gott hat aber niemals böse Absichten und er tut niemals Böses. Er erfährt noch nicht einmal ein Verlangen danach, hat vielmehr größte heilige Abscheu vor allem Bösen. Aber Gott kann durch die bösen Absichten und die daraus folgenden Handlungen anderer dergestalt wirken, dass seine guten Absichten zustande kommen.

Wer das nicht verstanden hat, geht leicht an zentraler Stelle (bezüglich des Wesens und Handelns Gottes, also in der Fundamentaltheologie) in die Irre. Dies wird sehr deutlich an der denkbar bösesten Tat aller Zeiten: an der Ermordung des menschgewordenen Sohnes Gottes durch gesetzlose, böse Menschen, die aber gleichzeitig nach dem festen Ratschluss und Vorsatz Gottes geschah:

Männer von Israel, hört diese Worte: Jesus, … hingegeben nach dem bestimmten Ratschluss und nach Vorkenntnis Gottes, habt ihr durch die Hand von Gesetzlosen an das Kreuz geschlagen und umgebracht.

Apostelgeschichte 2,22-23 (ELB03)

Denn in dieser Stadt versammelten sich in Wahrheit gegen deinen heiligen Knecht Jesus, den du gesalbt hast, sowohl Herodes als auch Pontius Pilatus mit den Nationen und den Völkern Israels, um alles zu tun, was deine Hand und dein Ratschluss zuvor bestimmt hat, dass es geschehen sollte.

Apostelgeschichte 4,27-28 (ELB03)

Freiheit Gottes. Auch jenseits der oben gegebenen Einzelbeispiele lehrt die Heilige Schrift, dass alles in der Schöpfung Geschehende im Rahmen und gemäß der Zielsetzung der göttlichen Vorsehung und Zuvorbestimmung erfolgt. Auch im ewigen Heilswerk Gottes geht alles »nach dem Vorsatz dessen, der alles wirkt nach dem Rat seines Willens« (Epheser 1,11b). Kein geschaffenes Wesen wirkt mithin völlig autonom, denn dafür mangelt diesem die Macht (etwas zu tun), die Autorität (etwas zu veranlassen) und das Wesen (der autonomen Souveränität). Nur Gott ist und wirkt „aus sich selbst heraus“ (sog. Aseität Gottes), alle Geschöpfe hingegen existieren ursprünglich und beständig alleine durch den Willen und die Erhaltung seitens ihres Schöpfers (vgl. Hebräer 1,3). Mit einem technischen Metapher platt gesagt: Jedes Geschöpf hängt existenziell und lebensenergetisch an der Steckdose des Schöpfers. Gott hat das Wesen und den Lebenskontakt selbst hergestellt, niemand anderes. Zieht Gott den Stecker, fällt das Geschöpf ins Nichts (Tod), in die Wirkungslosigkeit; die menschliche Seele jedoch ist unsterblich. Jede Lebensäußerung, auch die böse Tat, ist nur möglich, solange Gott dem Geschöpf den Lebensodem erhält. Kein Geschöpf ist mit eigenem Batteriesatz oder Kraftwerk lebens-autonom, auch nicht eine Sekunde, nur der Schöpfergott lebt aus sich ewig. (Dies zu bedenken gehört u. a. zur Theodizee-Frage.)

Verantwortung von Mensch und Engeln. Die Heilige Schrift lehrt, dass Gott den von ihm geschaffenen Engeln und Menschen im Rahmen der göttlichen Schöpfungsordnung Aufgaben und die zu deren Erledigung notwendigen Fähigkeiten, Freiheiten, Kräfte und Autoritäten verliehen hat. Verantwortung als ethisches Prinzip ist ein Dreiklang von Subjekt, Objekt und Instanz: Gott macht seine Geschöpfe (Subjekt) Ihm gegenüber (Instanz) verantwortlich für alle ihre Taten und Absichten (Objekt). Versucht ein Geschöpf, seine von Gott gesetzten Grenzen zu überschreiten, ist es ohne Ausweg dem göttlichen Urteil unterworfen und – nach göttlichem Wort – dem Tod geweiht. Die Schrift lehrt deutlich die persönliche Verantwortung vor Gott, u. a. hier:

Denn es steht geschrieben: „So wahr ich lebe, spricht der Herr, mir wird sich jedes Knie beugen, und jede Zunge wird Gott bekennen“ [Jesaja 45,23.]. So wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben.

Römerbrief 14,11-12 (ELB03) [Fettdruck hinzugefügt]

Weitere Beispiele zum Zusammenwirken menschlich verantwortlichen Tuns und göttlich souveränen Handelns im selben Geschehen:

(1) Wer bewirkt die geistliche Herzensbeschneidung (Bekehrung)?: Gott befiehlt seinem erwählten Volk Israel: »So beschneidet denn die Vorhaut eures Herzens!« (5. Mose 10,16a). Gleichzeitig gilt die göttliche Verheißung: »Und JHWH, dein Gott, wird dein Herz und das Herz deiner Nachkommen beschneiden, damit du JHWH, deinen Gott, liebst mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele, damit du am Leben bleibst.« (5. Mose 30,6). – Was menschliche Tat und Verantwortung ist, ist vorlaufend und begleitend ebenso Gottes souveräne Tat und gnädiges Geschenk. Der Apostel Paulus erklärt diesen Zusammenhang und die Priorität des göttlichen Wirkens im zeitlichen, praktischen Heil u. a. in Philipper 2,12–13 und betreffs des ewigen Heils u. a. in Epheser 2,1–10 (zusammengefasst in 2,8–10; vgl. Römer 2,29; Philipper 3,3). Schon Jeremia hatte diese Prioritäten und Zusammenhänge richtig erkannt: »Bekehre mich, dass ich mich bekehre, denn du bist JHWH, mein Gott« (Jeremia 31,18b).

(2) Was motiviert zum christlichen Dienst?: Paulus bezeugt: »Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin; und seine Gnade gegen mich ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern die Gnade Gottes, die mit mir war.« (1. Korintherbrief 15,10). Die Gnade Gottes ist nicht passiv bleibendes Geschenk, sondern aktive, lebensverändernde Kraft im Glaubenden. Der von der Gnade Veränderte offenbart diese Veränderung in fleißigem, Gott hingegebenem Dienst.

(3) Wer hat unsere Werke getan und vollendet?: »JHWH, du wirst uns Frieden geben, denn du hast ja alle unsere Werke für uns vollendet.« (Jesaja 26,12). Ein Mensch betreibt seine eigenen Werke, aber Gott vollendet sie für ihn.

Weitere Beispiele für Concursus Dei in der Schöpfung und im Heilswerk Gottes samt Erläuterungen sind hier aufgezählt.

Die Gnade Gottes ist erschienen … und unterweist uns, gottselig zu leben

Die 95 Reformationsthesen Martin Luthers (1483–1546) wurden durch die üble Lehre und Praxis der Römisch-katholischen Kirche provoziert, die er als Augustinermönch (1505–1521?) bestens kannte. Schon in These 1 formuliert er daher unter Verweis auf Matthäus 4,17, dass Gott gewollt habe, »dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll«. Wie aber gelingt dem ein für alle Mal Gerechtfertigten solch ein gottseliges Leben echter Umkehr? Wie ist es möglich, dass ein an Jesus Christus Glaubender praktisch lernt, »besonnen und gerecht und gottselig [zu] leben« (Titus 2,12)?

Auf diese Frage rechter Glaubenspraxis wurden und werden leider falsche Antworten gegeben und damit die Glaubenden irregeleitet. Anhand einiger Schlüsselstellen der Schrift soll daher die biblische Lehre der Heiligung, des Prozesses also, der den Glaubenden im Leben der Nachfolge praktisch in das Bild des Sohnes Gottes verwandelt, umrissen werden, um Irrwege zu erkennen, zu vermeiden und echtes Wachstum zu erleben.

Zum 500. Reformationsjubiläum 2017 veranstaltete das EBTC e. V. in Lutherstadt Wittenberg eine mehrtägige Reformationskonferenz. Am 20.05.2017 wurde ein Vortrag zum angegebenen Thema gehalten, dessen schriftliche (Lang-)Fassung hier zur Verfügung gestellt wird (PDF, 670 kB). Es ist nicht gestattet, diesen Beitrag kommerziell zu nutzen oder online im Internet zur Verfügung zu stellen.

Gliederung des Beitrags

1 Leben wir in „beständiger Reformation“?

2 Der Kontext der Heiligung

2.1 Rechtfertigung
2.2 Verherrlichung
2.3 Heiligsein und Heiligwerden (Heil und Heiligung)
2.4 Gnade
2.5 Zusammenfassung
2.6 Was ist Heiligung und wie geschieht sie?
2.6.1 Warum müssen Heilige heilig(er) werden?
2.6.2 Wie geschieht Heiligung?
2.6.3 Wie heilig müssen Heilige werden?
2.6.4 Wo geht Heiligung „schief“?

3 Die Lehre der biblischen Heiligung nach Titus 2,11–15
3.1 Biblische Heiligung ist ein Gnadenwerk des Heiland-Gottes
3.2 Biblische Heiligung hat Jesus Christus zum Vorbild
3.3 Biblische Heiligung geschieht in aktiver, dynamischer Unterweisung
3.3.1 Unterweisung im Lebensvollzug
3.3.2 Unterweisung zum Lassen (Gelassenhaben)
3.3.3 Unterweisung im Tun
3.3.4 Biblische Heiligung ist vom Zweiten Kommen Jesu motiviert
3.4 Biblische Heiligung erleben nur Erkaufte und Gereinigte
3.5 Biblische Heiligung findet Ausdruck und Lebensinhalt im Eifer für Gute Werke
3.6 Biblische Heiligung muss Gegenstand der biblischen Ermahnung sein

4 Erfolgt biblische Heiligung monergistisch oder synergistisch?
4.1 Biblische Heiligung ist keine rein passive Veranstaltung
4.2 Biblische Heiligung erfolgt in einer lebendigen Vater-Sohn-Beziehung
4.3 Biblische Heiligung ist keine rein menschlich-aktive Veranstaltung
4.4 Biblische Heiligung geschieht unter Anwendung geistlicher Mittel

5 Drei Schlussfolgerungen
5.1 Biblische Heiligung verlangt anwendungsorientierte Auslegungspredigt
5.2 Biblische Heiligung verlangt vom Glaubenden Aktivität und Eifer
5.3 Biblische Heiligung schenkt dem Glaubenden alles zum Heil Notwendige

Literaturverzeichnis