Johann Neuton über die biblische Lehre der Gnadenwahl

Viele kennen den Engländer John Henry Newton (1725–1807) als jenen Sklavenhändler, der sich zum Christentum bekehrte, das weltbekannte Lied Amazing Grace (1772) dichtete und später entschieden für die Beendigung der Sklaverei eintrat. Er verfasste auch viele lehrreiche Briefe, die gesammelt zu Lebzeiten veröffentlicht wurden. Im November 1775 schrieb er im Rahmen eines längeren Schriftwechsel mit einem »lieben Freund« (dem »Hochehrwürdigen Herrn S.«) folgendes:

»Sie mögen bemerkt haben, daß ich verschiedenemalen von Prädestination oder Gnadenwahl zu reden, mit Fleiß vermieden habe, nicht als wenn ich mich der Lehre schämte, weil, wenn sie in der That dumm, schrecklich und ungerecht wäre, die Schuld davon mit Recht nicht auf mich, denn ich erfand sie ja nicht, sondern auf die h. Schrift fiele, worin sie, wie ich gewiß versichert bin, in eben so deutlichen Worten vorgetragen wird, als die Wahrheit, daß Gott Himmel und Erde schuff. Ich bekenne, daß ich nicht umhin kann, mich darüber zu verwundern, daß Leute, die Hochachtung gegen die Bibel vorgeben, so geradezu und stark ihren Abscheu an dem erklären sollten, was doch die Bibel so ausdrücklich lehret, nemlich: daß Gott nach seiner Gnade und Wohlgefallen einen Unterschied unter den Menschen macht, wenn auch gleich von Natur kein Unterschied unter ihnen Statt findet, und daß alle Dinge, die die Seligkeit solcher Menschen betreffen, durch eine göttliche Predestination oder Vorherbestimmung untrüglich gesichert sind.

Ich gebe dieses nicht für eine vernünftige Lehre aus, (wiewol sie mir im höchsten Grade vernünftig vorkommt) sondern sie ist eine Schriftlehre, oder wenn sie das nicht ist, ist die h. Schrift eine blosse wäckserne Nase, und hat keinen entschiedenen Sinn. Was für Geschicklichkeit wird doch dazu erfordert, um viele Stellen so auszulegen, und ihnen einen solchen Sinn zu geben, daß sie die Vorurtheile, die wir von Natur gegen Gottes unumschränkte Oberherrschaft hegen, besser begünstigen! Math. XI, 25. 26. und XIII, 10–17. Marc. XIII, 20. 22. Joh. XVII, hin und wieder in diesem Capitel. Joh. X, 26. Röm. VIII, 28–30. und IX, 13–24. und XI, 7. Ephes. I, 4. 5. 1Pet. I, 2. […]

Jedoch, wie gesagt, ich habe mir vorgenommen, diesen Punkt dahingestellt seyn zu lassen; weil, so wahr und nothwendig auch immer derselbige an sich selbst ist, die Erkenntniß und das Begreifen desselben nicht nothwendig erfordert wird, um ein wahrer Christ zu seyn, wiewol ich auch fast nicht glauben kann, daß Einer, dem es daran fehlt, ein ächter standhafter Gläubiger seyn kann. […]

Aber ich will es ganz kurz sagen. Ich glaube, daß alle Menschen, weil sie vor Gott verderbt und strafbar sind, von Gott, ohne daß es seiner Gerechtigkeit zum Vorwurf gereichen könnte, hätten mögen sich selbst überlassen werden, um verlohren zu gehen, so wie es gewiß ist, daß er es in Ansehung der gefallenen Engel gethan hat. Allein es gefiel ihm, Barmherzigkeit zu erzeigen, und Barmherzigkeit muss frey seyn. Wenn der Sünder irgendeinen Anspruch darauf hätte, in sofern wäre es Gerechtigkeit und nicht Barmherzigkeit. Er, der unser Richter einmal seyn wird, versichert uns, daß wenige die Pforte finden, die zum Leben führet, weil viele auf dem Wege, der zum Verderben führet, wandeln, und sich untereinander drängen. […] Der Richter der ganzen Erde will Recht thun. Er hat einen Tag vestgesetzt, an welchem er es auch offenbaren will, daß er Recht gethan habe, so daß alle davon überzeugt werden sollen. Bis dahin halte ich es für das Beste, die Sache auf sein Wort anzunehmen, und nicht zu streng dasjenige zu richten, welches dem Jehovah zu thun zukommt.«

Johann Neuton [John Newton]: Unterhaltungen über wichtige Herzensangelegenheiten in Briefen an vertraute Freunde. Aus dem Englischen übersetzt. Erster Band (Elberfeld: Chr. Wilh. Giesen, 1791), S. 345–347.362–363 (17. November 1775). Hervorhebungen hinzugefügt.

Concursus Dei – Die Souveränität Gottes und die Verantwortung des Menschen

Die Heilige Schrift redet an vielen Stellen deutlich von der Verantwortung des Menschen für all sein Denken, Trachten und Tun. Diese Verantwortung besteht vor Mitmenschen und menschlichen Institutionen, gleichzeitig und letztlich aber immer auch vor Gott, was die Grundlage der biblischen Ethik bildet. – Die Heilige Schrift redet gleichzeitig an vielen Stellen genauso deutlich von der Souveränität Gottes in dessen Denken, Trachten und Handeln. Diese gilt auch dann, wenn manches göttlich souverän Verordnete von Menschen ausgeführt wird, und dann genau so, exakt dann und präzise dort, wie, wann und wo Gott es will, geschieht. Einige Stellen der Heiligen Schrift nennen diese beiden „Seiten“ eines Geschehens in einem Atemzug nebeneinander und zwar ohne jeden Widerspruch und ohne Andeutung einer Spannung oder Unverträglichkeit. Dieses Phänomen fordert denkende Menschen heraus und wird daher schon länger von Bibellesern, Theologen und Philosophen studiert und diskutiert.

These des Widerspruchs. Manche vertreten die Ansicht, dass sich beide Aspekte einander ausschließen, also einen Gegensatz markieren. Eine der beiden Seiten wird dann als dominant betrachtet, die andere Seite wird so weit heruntergespielt, dass der empfundene Gegensatz nicht mehr (störend) wahrgenommen wird. Man geht (richtig) davon aus, dass es in einem System nur maximal einen unumschränkten Akteur geben kann, der andere wird entsprechend in seiner Unumschränktheit („Freiheit“) eingeengt oder seiner Freiheit ganz beraubt, oder jeder Akteur ist durch den/die anderen eingeengt.

These der Kompatibilität. Andere vertreten die Ansicht, dass eine Handlung des Menschen gleichzeitig auch eine Handlung Gottes sein kann. Hier wird also nicht ein zu Ausschließlichkeit führender Gegensatz behauptet, sondern eine „Parallelität“, ein Zusammenlaufen, eine Kongruenz. Als Begriff für diese Auffassung wird Concursus Dei oder Concursus divinus (lat. concursus = Partizip Perfekt passiv von concurro = „ich laufe mit anderen“, also: „zusammenlaufen“) verwendet. Diese Auffassung schließt nicht aus, dass eine Vorrangigkeit und/oder eine Letztursache existiert (also eine asymmetrische Sicht), die jedoch weder zu einem Gegensatz noch zu einer Verringerung der Souveränität Gottes noch zu einer Verringerung der Verantwortung des Menschen führt. In ein und derselben Tat wird der Plan Gottes verwirklicht, aber die Tat und die damit einhergehenden menschlichen Entscheidungen des Menschen sind wahrhaftig und wirklich seine eigenen. Diese Sicht kann am besten aus der Heiligen Schrift gewonnen werden.

In dieser Studie sollen klassische Bibelstellen zum Studium dieses Phänomens des (kompatiblen) Zusammenlaufens und dann einige Ergebnisse des Nachdenkens anderer angeboten werden. Das Ziel muss sein, dass wir nicht dort Widersprüche vermuten, wo die Schrift nie von Widersprüchen redet. Dass dabei Geheimnisse bleiben, liegt in der Natur der Sache. Philosophische System können hier Grenzen setzen oder „Lösungen“ nahelegen, die von der Offenbarung der Schrift ablenken. Daher soll der Ansatz eher der sein, von der (gesamten) Schrift her Gottes Gedanken nachdenken zu lernen.

A. Gottes Vorsehung – Die göttliche Mitwirkung in allen Ereignissen

»Daher, meine Geliebten, …, bewirkt euer eigenes Heil mit Furcht und Zittern; denn Gott ist es, der in euch wirkt sowohl das Wollen als auch das Wirken, zu seinem Wohlgefallen.« (Philipper 2,12–13)

Ein wichtiger Aspekt der Vorsehung Gottes ist sein Mitwirken in allen Ereignissen. Gottes Mitwirken ist sein Handeln mit geschaffenen Dingen, die er durch ihre Eigenschaften zu handeln veranlasst (ob er nun direkt handelt oder sie durch Zweitursachen dazu verordnet). Gottes souveränes Handeln ist Tatsache, es steht nie im Widerspruch zu der Tatsache, dass der Mensch (in Php 2,12–13 der Glaubende) durch Befehle Gottes in voller Verantwortung stehtBiblische Beispiele für das harmonische Miteinander von menschlicher Verantwortung und göttlicher Souveränität gibt es zahlreich:

Wer ist verantwortlich für Hiobs Leiden? 
In Hiob 1 bekommen wir einen seltenen Einblick in die Rätsel der Vorsehung Gottes. Wir lesen in Hiob 1 von drei Haupthandelnden im Leiden Hiobs: Satan stiftete das Leiden Hiobs an, indem er Gott bezüglich der Echtheit von Hiobs Frömmigkeit herausforderte. Gott erlaubte dann Satan, Leiden in Hiobs Leben zu bringen. Die Chaldäer und Sabäer griffen Hiobs Familie an und stahlen sein Vieh.

»Drei Akteure handeln parallel und bewirkten „frei“ (und damit verantwortlich) dasselbe Ergebnis, nämlich Hiobs Leiden. Aber die Absicht jedes Akteurs war unterschiedlich: Satan beabsichtigte, Hiob zu diskreditieren und im weiteren Sinne Gott zu diskreditieren; die Chaldäer und Sabäer wollten sich bereichern und Gott wollte Hiobs Glauben verteidigen. Jeder dieser Beteiligten war notwendigerweise an Hiobs Leiden beteiligt, jedoch auf verschiedenen Ebenen und mit unterschiedlicher Motivation. Es gab die Übereinstimmung zwischen ihnen, dass Hiob leiden sollte, aber jeder hatte einen anderen Beweggrund für dieses Leiden. Gottes Absicht war gut. Die anderen Akteure beabsichtigten das Böse.«

(R. C. Sproul, Divine Concurrence. https://www.ligonier.org/learn/devotionals/divine-concurrence/ abgerufen 12.06.2020)

Wer sandte Joseph nach Ägypten?
Joseph sagte, dass Gott – nicht seine Brüder – ihn nach Ägypten gesandt hatte (1Mo 45,5–8): »Und nun betrübt euch nicht, und zürnt nicht über euch selbst, dass ihr mich hierher verkauft habt; denn zur Erhaltung des Lebens hat Gott mich vor euch hergesandt. … 7 Und Gott hat mich vor euch hergesandt, um euch einen Überrest zu setzen auf der Erde und euch am Leben zu erhalten für eine große Errettung. Und nun, nicht ihr habt mich hierher gesandt, sondern Gott; und er hat mich zum Vater des Pharaos gemacht und zum Herrn seines ganzen Hauses und zum Herrscher über das ganze Land Ägypten.«

Wer redete vor dem Pharao?
Der Herr (Jahwe) sagte, dass er mit dem Mund Moses sein und ihn dazu befähigen würde, für Gott zu sprechen (2Mo 4,10–12): »Und Mose sprach zu dem Herrn: Ach, Herr, ich bin kein Mann der Rede, weder seit gestern noch seit vorgestern, noch seitdem du zu deinem Knecht redest; denn ich bin schwer von Mund und schwer von Zunge! Da sprach der Herr zu ihm: Wer hat dem Menschen den Mund gemacht? Oder wer macht stumm oder taub oder sehend oder blind? Nicht ich, der Herr? Und nun geh hin, und ich will mit deinem Mund sein und dich lehren, was du reden sollst.«

Wer errang den großen Sieg im Streit?
Der Herr verhieß, die Feinde in die Hand Josuas und des Volkes Israel zu geben – die Israeliten mussten nach wie vor in den Kampf ziehen und die Feinde schlagen, aber der Herr gab ihnen diesen großen Sieg (Jos 11,6–9).
»Da sprach der Herr zu Josua: Fürchte dich nicht vor ihnen, denn morgen um diese Zeit will ich sie allesamt erschlagen vor Israel hingeben: Ihre Pferde sollst du lähmen und ihre Wagen mit Feuer verbrennen. Und Josua, und alles Kriegsvolk mit ihm, kam plötzlich über sie am Wasser Merom, und sie überfielen sie. Und der Herr gab sie in die Hand Israels, und sie schlugen sie und jagten ihnen nach bis Sidon, der großen [Stadt], und bis Misrephot-Majim, und bis in die Talebene von Mizpe im Osten; und sie schlugen sie, bis ihnen kein Entronnener übrig blieb. Und Josua tat ihnen, so wie der Herr ihm gesagt hatte: Ihre Pferde lähmte er, und ihre Wagen verbrannte er mit Feuer.«

Wer hält wen?
Der Herr hält all die Seinen fest, und diese bleiben (mit Herzensentschluss) stets bei Ihm (Psalm 73,23): »Und dennoch bleibe ich stets bei dirdu hältst mich bei meiner rechten Hand.« (SCH2000); »Doch ich bin stets bei dirDu hast mich erfasst bei meiner rechten Hand.« (ELB03).

Wer handelt hier souverän: Der Weltherrscher/König oder Gott?
Gott neigt das Herz eines Königs – dem Inbegriff menschlich freien, „souveränen“ Handelns, so zu handeln, wie Gott will (Spr 21,1), und der Herr wandte das Herz des Königs von Assyrien den Juden zu, um ihnen beim Bau des Tempels zu helfen (Esra 6,22).
»Wasserbächen gleicht das Herz eines Königs in der Hand des Herrn; wohin immer er will, neigt er es.« – »Und sie feierten das Fest der ungesäuerten Brote sieben Tage mit Freuden; denn der Herr hatte ihnen Freude gegeben und ihnen das Herz des Königs von Assyrien zugewandtso dass er ihre Hände stärkte im Werk des Hauses Gottes, des Gottes Israels.«

Wer bewahrte die Israeliten in Jerusalem vor den Feinden? 
Sie beteten zu Gott, der allein sie retten konnte angesichts der Übermacht der Feinde, und vertrauen Ihm ganz. Aber dann tun sie das, was sie wohl konnten: sie stellten Wachen auf (Neh 4,1–3):  »Und es geschah, als Sanballat und Tobija und die Araber und die Ammoniter und die Asdoditer hörten, dass die Ausbesserung der Mauern Jerusalems fortschritt, dass die Lücken sich zu schließen begannen, da wurden sie sehr zornig. Und sie verschworen sich alle miteinander, zu kommen, um gegen Jerusalem zu kämpfen und Schaden darin anzurichten. Da beteten wir zu unserem Gott und stellten [aus] Furcht vor ihnen Tag und Nacht Wachen gegen sie auf

Wessen Stärke gab den Israeliten die Kraft, Vermögen zu schaffen?
Der Herr gab dem Volk Israel das Vermögen (Fähigkeit), Vermögen zu erwerben, und so taten sie es auch (5Mo 8,11.17–18): »Hüte dich, dass du den Herrn, deinen Gott, nicht vergisst, so dass … du in deinem Herzen sprichst: Meine Kraft und die Stärke meiner Hand hat mir dieses Vermögen verschafft! Sondern du sollst dich daran erinnern, dass der Herr, dein Gott, es ist, der dir Kraft gibt,Vermögen zu schaffen; damit er seinen Bund aufrechterhalte, den er deinen Vätern geschworen hat, wie es an diesem Tag ist.«

Wer beschneidet das Herz des Menschen? (geistliche „Beschneidung“ = ?; vgl.: Röm 2,29)
»So beschneidet denn die Vorhaut eures Herzens und verhärtet euren Nacken nicht mehr!« (5Mo 10,16); »Beschneidet euch für den Herrn und tut die Vorhäute eurer Herzen weg« (Jer 4,4) und: 
»Und der Herr, dein Gott, wird dein Herz und das Herz deiner Nachkommen beschneiden, damit du den Herrn, deinen Gott, liebst mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele, damit du am Leben bleibst. … Und du wirst umkehren und der Stimme des Herrn gehorchen und wirst alle seine Gebote tun, die ich dir heute gebiete.« (5Mo 30,6.8). 
Vgl.: »Denn nicht der ist ein Jude, der es äußerlich ist, noch ist die äußerliche Beschneidung im Fleisch Beschneidung; sondern der ist ein Jude, der es innerlich ist, und Beschneidung ist die des Herzens, im Geist, nicht im Buchstaben« (Röm 2,28–29). – »In ihm seid ihr auch beschnitten worden mit einer Beschneidung, die nicht mit Händen geschehen ist, sondern im Ausziehen des fleischlichen Leibes, in der Beschneidung des Christus, mit ihm begraben in der Taufe, in ihm auch mit auferweckt durch den Glauben an die wirksame Kraft Gottes, der ihn aus den Toten auferweckt hat.« (Kol 2,11–12)

Wer brachte Jesus um? Wer verursachte seinen Tod? Wer ist für Jesu Tod verantwortlich?
Die Menschen taten dies aus freier Entscheidung (sowohl Juden wie Römer), aber es war Gottes fester Plan und Ratschluss, seinen Sohn als Opfer sterben zu lassen, und es war Jesu feste Absicht und Macht, zu sterben:
»Jesus, … hingegeben nach dem bestimmten Ratschluss und nach Vorkenntnis Gotteshabt ihr durch die Hand von Gesetzlosen an das Kreuz geschlagen und umgebracht (Apg 2,22-23); und:  »Die Könige der Erde traten auf, und die Obersten versammelten sich miteinander gegen den Herrn und gegen seinen Christus. Denn in dieser Stadt versammelten sich in Wahrheit gegen deinen heiligen Knecht Jesus, den du gesalbt hast, sowohl Herodes als auch Pontius Pilatus mit [den] Nationen und [den] Völkern Israels, um alles zu tunwas deine Hand und dein Ratschluss zuvor bestimmt hat, dass es geschehen sollte« (Apg 4,26-28).
»Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, damit ich es wiedernehme. Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selbst. Ich habe Gewalt, es zu lassen, und habe Gewalt, es wiederzunehmen. Dieses Gebot habe ich von meinem Vater empfangen.« (Joh 10,17–18) mit: »Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! Und er neigte das Haupt und übergab den Geist (Joh 19,30).
Waren es nun die Römer, die Juden, war es Gott-Vater oder Gott-Sohn? Und: Schließt sich das gegenseitig aus?

Woher kommt der Glaube?
Die menschliche Seite: Das Glauben ist Gottes Befehl an alle Menschen
, daher auch „Glaubensgehorsam (Mk 1,15; Röm 1,5; 16,26); Gottes Wort zu glauben ist Pflicht und Verantwortung jedes Menschen: »Tut Buße und glaubt an das Evangelium!« (Mk 1,15b); »… zum Evangelium Gottes … über seinen Sohn … Jesus Christus, unseren Herrn … zum Glaubensgehorsam unter allen Nationen für seinen Namen, unter denen auch ihr seid, Berufene Jesu Christi.« (Röm 1,1–6).
Die göttliche Seite: Das Glauben ist Gottes Gabe (Php 1,29; Eph 2,8ff); es ist „im Paket der Errettung“ als notwendiges Mittel mit enthalten (Eph 2,8ff): »Denn euch ist es im Blick auf Christus geschenkt worden, … an ihn zu glauben« (Php 1,29); »Denn durch die Gnade seid ihr errettet, mittels des Glaubens; und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es [nämlich die gesamte Errettung inkl. des rettenden Glaubens]« (Eph 2:8).
Ein Mensch bekommt den rettenden Glauben als Gnadengeschenk (freies Geschenk Gottes), aber damit ist es dann sein Glaube, mit dem er glaubt. Es besteht hier kein Widerspruch und auch kein zeitlicher oder phasenmäßiger Unterschied (wie das manche behaupten). Das Geben des rettenden Glaubens seitens Gottes und das Ausüben des gerade geschenkten, nun eigenen Glaubens, geschieht im selben Moment. Nur ursachenlogisch ist zu differenzieren: Kommt der rettende Glaube unabhängig von Gott aus einem Sünder (das behaupten z. B. die Free Grace Brethren, die Grace School of TheologyInitial faith resulting in justification and regeneration is not a gift of God. That is, fallen humanity … still possesses the capacity to believe in Christ. Such faith precedes regeneration.«] u. a.), oder kommt er von Gott und wird im selben Augenblick Besitz und Übung des Menschen?

Woher kommt die Umkehr (Buße)?
Buße ist Gottes Befehl an alle Menschen
 (Apg 17,30; Lk 24,47; Mk 1,15; 6,12). Jesus Christus beginnt und beendet das NT mit dem Ruf zur Buße (Mt 3,2; Offb 3,19). Lukas 5,32: »Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder zur Buße  Damit steht der Mensch in voller Verantwortung, Buße zu tun.
Buße ist ein einmaliger Akt, insofern er notwendig zum rettenden Glauben dazu gehört (Apg 20,21; 2Pet 3,9); aber auch im Leben des Gläubigen wird sie immer wieder notwendig (2Kor 7,9; Off 2,5).
Buße ist Gottes Gabe: an Israel (Apg 5,31); an die Nationen (Apg 11,18); an Widersacher (2Tim 2,25). »Als sie aber dies gehört hatten, beruhigten sie sich und verherrlichten Gott und sagten: Also hat Gott auch den Nationen die Buße gegeben zum Leben.« (Apg 11,18). Viele sehen, verstehen und erklären diesen Text, als ob hier stünde: »Gott hat die Möglichkeit zur Buße gegeben zum Leben«. Gott eröffnet aber laut dieser Schriftstelle nicht bloß die Möglichkeit zur Buße, sondern er schenkt die Buße selbst!
Da Umkehr (Buße) die Kehrseite der Medaille des Heils ist (die andere, mit „und“ verbundene Seite ist Glaube; Mk 1,15), gilt analog das oben über den Glauben Gesagte: Buße ist sowohl freies Geschenk Gottes als auch vom Menschen notwendig Gefordertes. Das Evangelium ist ja gerade deswegen eine „Gute Botschaft“, weil es neben der göttlichen Forderung auch die göttliche Gabe zur vollkommenen Befriedigung der Forderung liefert. Wer diesen Sachverhalt der Bibel umkehrt, bringt nicht das Evangelium Gottes, sondern ein anderes. Das kann man gut in der sog. „Heiligungsbewegung“ erkennen, die verschiedenste „fromme“ Lehren und Praktiken der Werksgerechtigkeit pflegen, um dadurch Gottes rettende Gnade und Gunst zu erhalten oder zu sichern.

Wer bekehrt den Menschen?
Unter dem Wirken des Geistes Gottes empfindet ein Mensch, dass er sich nicht selbst aus dem Sumpf ziehen kann, in dem er feststeckt. Daher bittet er seinen Gott (»denn Du bist der HERR, mein Gott«; Jahwe Elohim, der starke Bündnis-Gott) um Rettung. Und im Wesen erneuert tut er dann »der Umkehr würdige Werke« (Mt 3,8; Lk 3,8) und beweist damit äußerlich die Echtheit seiner Umkehr. Auch die angemessenen Empfindungen folgen auf diese Umkehr/Buße (Jer 31,18–19): »Bekehre mich, damit ich mich bekehre, denn du bist der Herr, mein Gott. Denn nach meiner Umkehr empfinde ich Reuenachdem ich zur Erkenntnis gebracht worden bin, schlage ich mich auf die Hüften. Ich schäme mich und bin auch zuschanden geworden«. Man beachte die Zeitformen und die Verwendung von Aktiv und Passiv. (Martin Luther hat beide Bedeutungen der Bekehrung gut zusammengefasst: »Der Herr fordert die Bekehrung von uns, nicht als ob wir sie mit unsern eigenen Kräften vollbringen könnten, sondern damit wir unsere Ohnmacht erkennen und um die Hilfe des Geistes flehen, durch dessen Beistand wir bekehrt werden können.« (WA 13, S. 551) [3].

Wessen Erkenntnis führt zur Rettung?
Kein Mensch kennt oder erkennt Gott von Geburt an. Auch später gelingt ihm dies weder durch Intelligenz, Hingabe oder Religiosität dergestalt, dass er von seinem (durch die Sünde in ihm) intrinsischen Götzendienst befreit würde, obwohl er lange und ernsthaft nach Rettung streben mag. Wie kann dann die Wende zum wahren Heil erfolgen? Geschah es dadurch, dass dieser Mensch letztlich doch den wahren Gott erkannte? Oder nicht vielmehr dadurch, dass der wahre Gott ihn erkannte und damit eine Lebensbeziehung ihm fest aufrichtete. Diese Lebensbeziehung, dieses neue Leben, verleiht diesem Menschen sicher und effektiv die Fähigkeit zur Erkenntnis Gottes (Gal 4,9 MENG2000):  »Da ihr jetzt aber Gott erkannt habt oder vielmehr [Anm.: d. h. richtiger gesagt] von Gott erkannt worden seid…«. Beides ist wahr, die Relation zueinander und das Primat Gottes werden auch hier deutlich.

Wer wirkt hier das eigene Heil (die prozesshafte Heiligung, nicht die ewige Errettung)?
Die Glaubenden sollen fleißig wirken, aber Gott wirkt in den Gläubigen »das Wollen und das Wirken nach seinem Wohlgefallen« (Phil 2,12b–13): »Bewirkt euer eigenes Heil mit Furcht und Zittern; denn Gott ist es, der in euch wirkt sowohl das Wollen als auch das Wirken, zu seinem Wohlgefallen.« – Da »das Wollen als auch das Wirken« ja dem Menschen eigen ist, kommt er so –durch Gottes Wirken motiviert und befähigt– seiner Verantwortung nach. (Modern würde man sagen: Gott liefert die Start- und die Durchhaltemotivation.) Man muss aber genau lesen: Gottes Wirken ist keine Folge des ursächlichen Wirkens des Menschen, sondern das Wollen und Wirken des Menschen ist eine Folge des ursächlichen Wirkens Gottes. (Da die Angeschriebenen bereits »Heilige in Christus Jesus« sind (Php 1,1), geht es bei »Heil« (a. ü. »Seligkeit«) nicht um ihr ewiges Heil, sondern um Rettung aus den enormen geistlichen, aber zeitlich begrenzten Problemen, in denen sie als Gemeinde steckten. Vielleicht kann man verallgemeinern, dass dies für alle Bereiche der praktischen Heiligung gilt: Gottes Geist wirkt in uns das Wollen und Wirken dieser Heiligung – und wir setzen diese Heiligung in jener Kraft Gottes in Tat und Praxis um. Göttlich festgelegtes und damit garantiertes Ziel ist nach Römer 8,29 die »Gleichförmigkeit [symmorphós] mit dem Bild seines Sohnes«.)

Woher kommen Hingabe, Fleiß und Kraft zum christlichen Dienst?
Paulus ist allen Christen sicher ein Vorbild für hingegebenen, fleißigen Dienst. Das Geheimnis seiner Hingabe offenbart er u.a. in 1.Korinther 15,10: »Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin; und seine Gnade gegen mich ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie allenicht aber ich, sondern die Gnade Gottes, die mit mir war.« (1Kor 15,10 ELB03). Es war die Gnade Gottes, also Gottes freies Geschenk und souveräne Gabe an Paulus. Aber diese hatte ihn nicht passiv gelassen, sondern zu einem hingegebenen, aktiven Arbeiter im Reich Gottes gemacht. Paulus hat (wieder einmal) Jesaja gut verstanden: »HERR, du wirst uns Frieden geben, denn du hast ja alle unsere Werke für uns vollendet.« (Jesaja 26,12 ELB03).
So schreibt Paulus auch den Kolossern: »Christus … den wir verkündigen, indem wir jeden Menschen ermahnen und jeden Menschen lehren in aller Weisheit, damit wir jeden Menschen vollkommen in Christus darstellen; wozu ich mich auch bemühe, indem ich kämpfend ringe gemäß seiner Wirksamkeit, die in mir wirkt in Kraft (Kol 1,27b-29 ELB03). Paulus hängte sich voll in seine Arbeit mit Mühe, Kampf und Ringen. Aber alle investierte Kraft kam von Gott, vom Heiligen Geist, der in ihm wohnte. Beides zeigt die Harmonie und Parallelität von persönlicher Verantwortung und Gottes souveränem Gnadenwirken.

Woher kommt die Liebe, mit der wir lieben?
Das erste und bedeutsamste Gebot Gottes ist es, Gott zu lieben und den Nächsten wie sich selbst: »Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft.« (5Mo 6,5 ELB03); »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft und mit deinem ganzen Verstand, und deinen Nächsten wie dich selbst (Lk 10,27). Damit steht jeder Mensch klar in Verantwortung: Gott und den Nächsten zu lieben ist keine Sache der Wahl, sondern des GehorsamsWoher soll solche Liebe stammen? (Beim sentimentalen „Arminianer“ kommt sie aus freiem Willen aus seinem Herzen, sonst sei es angeblich keine echte Liebe.) Beim Glaubenden stammt sie von Gott selbst: »Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben worden ist.«. Lieben wir mit jener gegebenen Liebe, so lieben wir mit unserer Liebe!
Ähnliches haben wir schon bei den anderen freien (Gnaden-) Gaben Gottes, bei Buße und Glauben, gesehen.

Woher kommen die Werke, die wir tun? Wer tut sie?
Der Titusbrief ermahnt die Glaubenden, Gute Werke zu tun. Der Jakobusbrief macht uns deutlich, dass ein Glaube, der keine guten Werke zeitigt, kein rettender Glaube ist (sondern eine nicht-rettende Art von „Glauben“, wie der „Zeichenglaube“ Joh 6; Apg 8,13 oder „Dämonenglaube“ Jak 2,19). Der Glaubende steht also eindeutig in der Verantwortung, Gute Werke zu tun. Diese Guten Werke sind aber kein Mittel zur Errettung, denn die ewige Errettung geschieht allein auf dem Grundsatz (vermittelst) des Glaubens: »Denn durch die Gnade seid ihr errettet, mittels [des] Glaubens; und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus Werken, damit niemand sich rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werkendie Gott zuvor bereitet hatdamit wir in ihnen wandeln sollen (Eph 2,8-10 ELB03). – Die Perspektive ist viel weiter, als nur das einzelne Werk, das wir im Glauben tun: vielmehr sind wir Glaubenden selbst und unser Leben und Arbeiten im Reich Gottes das Werk Gottes. Ruft uns dies zur Passivität? Nein, ganz im Gegenteil: wir sind ja »geschaffen … zu guten Werken«, dies ist unsere Lebens- und Zweckbestimmung, unsere Erfüllung! Diese Werke hat aber Gott »zuvor bereitet … damit wir in ihnen wandeln sollen». 
Vgl. dazu auch Philipper 2,12–13 (oben) und Jesaja 26,12: »Herr, du wirst uns Frieden geben, denn du hast ja alle unsere Werke für uns vollendet.« (Jes 26,12 ELB03). 
Zu „gute Werke“ siehe auch: 1.Timotheus 2,10; 5,10.25; 6,18; Titus 1,16 (neg.); 2,7.14; 3,8.14; Hebräer 10,24; Jakobus 3,13; 1.Petrus 2,12).

(Diese Liste kann fortgesetzt werden.)

B. Altkirchliche (reformierte) Stellungnahmen zu diesen biblischen Lehren

Die (reformierten) Glaubenden haben vor 400 Jahren dieses „Zusammenspiel“ im Heil in den Lehrsätzen von Dordrecht (1619) so formuliert (Drittes und viertes Lehrstück „Von der Verderbnis des Menschen, seiner Bekehrung zu Gott und der Art und Weise derselben“), was m.E. aller ernsthaften Erwägung mit offener Schrift wert ist:

Artikel 11
Ferner, wenn Gott den Auserwählten sein Wohlgefallen erzeigt und die wahre Bekehrung in ihnen wirkt, lässt er sie nicht nur das Evangelium äußerlich predigen und erleuchtet kräftig ihren Verstand durch den Heiligen Geist, damit sie die Dinge, die des Geistes Gottes sind, recht verstehen und unterscheiden, sondern er dringt auch mit der kräftigen Wirkung desselben wiedergebärenden Geistes bis ins Innerste des Menschen ein. Er öffnet das Herz, das geschlossen ist; er erweicht, was verhärtet ist; er beschneidet, was unbeschnitten ist. Dem Willen gibt er eine neue Beschaffenheit und bewirkt, dass dieser Wille, der tot war, lebendig wird; der böse war, gut wird; der nicht wollte, jetzt wirklich will; der widerspenstig war, gehorsam wird. Es setzt den Willen in Bewegung und stärkt ihn also, dass er wie eine gute Frucht gute Werke hervorbringen kann.

Artikel 12
Dies ist nun die Wiedergeburt, die Erneuerung, neue Schöpfung, Auferweckung von den Toten und die Lebendigmachung, wovon so herrlich in den Schriften gesprochen wird, die Gott ohne uns in uns wirkt. Sie wird nicht allein durch das Mittel der äußeren Predigt in uns zustande gebracht, auch nicht durch Anraten oder eine Wirkung von der Art, dass – wenn Gott sein Werk vollbracht hat – es dann noch in der Gewalt des Menschen stände, wiedergeboren zu werden oder nicht wiedergeboren zu werden, bekehrt zu werden oder nicht bekehrt zu werden. Es ist im Gegenteil eine völlig übernatürliche, sehr kräftige und zugleich sehr liebliche, wunderbare, verborgene und unaussprechliche Wirkung, nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift (die von dem Urheber dieser Wirkung eingegeben ist) weder kleiner noch geringer an Kraft als die Schöpfung oder Auferweckung der Toten, so dass alle diejenigen, in deren Herzen Gott in dieser wunderbaren Weise wirkt, gewiss, unfehlbar und kräftig wiedergeboren werden und wirklich glaubenUnd dann wird der nun erneuerte Wille nicht nur von Gott getrieben und bewegt, sondern – von Gott in Bewegung gesetzt – handelt er auch selbst. Darum kann man auch mit Recht sagen, dass der Mensch durch die Gnade, die er empfangen hat, [selbst] glaubt und sich bekehrt

Artikel 13
Die Art und Weise dieser Wirkung können die Gläubigen in diesem Leben nicht völlig begreifen;
unterdes finden sie Ruhe darin, dass sie wissen und fühlen, durch diese Gnade Gottes von Herzen zu glauben und ihren Heiland zu lieben.

Artikel 16
Doch wie der Mensch durch den Fall nicht aufgehört hat ein Mensch zu sein, mit Verstand und Willen begabt, und wie die Sünde, die das ganze menschliche Geschlecht durchdrang, die Natur des Menschen nicht aufgehoben, sondern verdorben und geistlich getötet hat, so wirkt auch diese göttliche Gnade der Wiedergeburt in den Menschen nicht wie in Stöcken und Blöcken (als ob sie tote Dinge wären), sie vernichtet den Willen und seine Eigenschaften nicht und zwingt sie nicht mit Gewalt gegen ihren Willen, sondern sie macht sie geistlich lebendig, heilt, bessert und beugt sie auf eine zugleich liebliche und kraftvolle Weise, so dass da, wo früher Widersetzlichkeit und der Widerstand ganz und gar überwogen, jetzt ein williger und aufrichtiger Gehorsam des Geistes beginnt, die Oberhand zu gewinnen, worin die wahre und geistliche Wiederherstellung und Freiheit unseres Willens liegen. Und wenn der wunderbare Werkmeister alles Guten nicht auf diese Weise mit uns handelt, würde der Mensch keinerlei Hoffnung haben, sich aus dem Fall durch seinen freien Willen, durch den er sich selbst, als er noch stand, ins Verderben stürzte, wieder erheben zu können.

(Diese Liste kann fortgesetzt werden.)

C. Gott lenkt die Schritte (den Weg) eines Menschen – 
weil Er das Herz des Menschen lenken kann

»Wasserbächen gleicht das Herz eines Königs in der Hand des Herrn; wohin immer er will, neigt er esJeder Weg eines Mannes ist gerade in seinen Augen, aber der Herr wägt die Herzen.« (Sprüche 21,1-2 ELB03)

Der Individualismus und die Gottlosigkeit der gegenwärtigen westlichen Kultur beeinflussen auch das Denken der Glaubenden dahingehend, dass wir als höchste Bestimmung des Menschen seine individuelle Freiheit betonen. (Nur in Deutschland gibt man diese gerne an die „fürsorgliche Obrigkeit“ ab, die den Bürger mit Heilsversprechen ködert.) Jeder, auch Glaubende, wollen alleine entscheiden, alleine lieben, alleine leben. Nur in der Not sucht man dann Trost und Halt bei Gott. Das nennt man aber nicht Christentum, sondern besser „Moralistic therapeutic deism (MTD)“. [1]

Nichtglaubende wünschen sich, dass kein Gott sei. Der Mensch will sein eigener Gott sein, will autonom sein. Eine pointierte Darstellung lieferte der schwer erkrankte William Ernest Henley (1849–1903), der 1875 das viktorianische Gedicht »Invictus« schrieb (Henley bekam mit 12 Jahren Knochentuberkulose, ein Unterschenkel wurde amputiert, der zweite gerettet; das Gedicht wurde 1888 veröffentlicht). In diesem heißt es:

I thank whatever gods may be
For my unconquestable soul.

I am the master of my fate:
I am the captain of my soul.

Es ist nicht so schwer zu erkennen, wer der „I AM“ ( »ICH BIN«) seines Lebens war. Nelson Mandela zitierte dieses Gedicht in der Haft, Obama zitierte es anlässlich einer Gedenkfeier für Mandela 2013, ein Film in den USA wurde „Invictus“ genannt.  

Wie seltsam, wenn angeblich an Gott glaubende Christen größten Wert darauf legen, dass sie »the captain of their soul« sind und alles vorlaufende, aus freier Gnade kommende und bestimmende(!) Wirken Gottes in ihrem Leben leugnen wollen. Bei ihnen sitzt Gott auf dem Beifahrersitz, darf die platten Reifen flicken und die Tankrechnung zahlen, aber am Steuer sitzt der Mensch selbst. 

Was sagt die Schrift? Wer lenkt die Schritte des Menschen, wer leitet sie auf seinem Pfad? Wen müssten wir uns eigentlich mit größtem Verstand und Sehnen ans Steuer wünschen, wenn es darum geht, die Tiefen der Ewigkeit sicher zu durchqueren? Es ist reine Hybris –und/oder Dummheit–, dies mit unserem nicht erneuerten Verstand, unserm Wissen, unserer Kraft, unserem Vermögen und unserer Weisheit zu versuchen!

  • »Ich weiß, Herr, dass nicht beim Menschen sein Weg steht
    nicht bei dem Mann, der da wandelt, seinen Gang zu richten.«
     (Jeremia 10,23 ELB03).
  • »Das Herz des Menschen erdenkt seinen Weg, aber der Herr lenkt seine Schritte.« (Spr 16,9 ELB03).
  • »Die Entwürfe des Herzens sind des Menschenaber die Antwort der Zunge kommt von dem Herrn (Spr 16,1 ELB03).
  • »Die Schritte des Mannes hängen ab von dem Herrn; und der Mensch, wie sollte er seinen Weg verstehen?« (Spr 20,24 ELB03).
  • »Und du hast dich über den Herrn des Himmels erhoben; … aber den Gott, in dessen Hand dein Odem ist und bei dem alle deine Wege sind, hast du nicht geehrt.« (Daniel 5,23 ELB03).
  • »Siehe, das alles tut Gott zwei-, dreimal mit dem Mann, um seine Seele abzuwenden von der Grube, dass sie erleuchtet werde vom Licht der Lebendigen.« (Hiob 33,29-30 ELB03).
  • »Vertraue auf den Herrn mit deinem ganzen Herzen, und stütze dich nicht auf deinen Verstand. Erkenne ihn auf allen deinen Wegen, und er wird gerade machen deine Pfade (Spr 3,5-6 ELB03)
  • »Wohlan nun, ihr, die ihr sagt: Heute oder morgen wollen wir in die und die Stadt gehen und dort ein Jahr zubringen und Handel treiben und Gewinn machen 14 (die ihr nicht wisst, was der morgige Tag bringen wird; denn was ist euer Leben? Ein Dampf ist es ja, der für eine kurze Zeit sichtbar ist und dann verschwindet); statt dass ihr sagt: Wenn der Herr will und wir leben, [so] werden wir auch dieses oder jenes tun (Jak 4,13-15 ELB03).
  • »Wehe, AssurRute meines Zorns! Und der Stock in seiner Hand ist mein Grimm. … Er aber meint es nicht so, und sein Herz denkt nicht so; sondern zu vertilgen hat er im Sinn, und nicht wenige Nationen auszurotten. … Denn er hat gesagt: Durch die Kraft meiner Hand und durch meine Weisheit habe ich es getan, denn ich bin verständig; und ich verrückte die Grenzen der Völker und plünderte ihre Schätze und stieß, wie ein Gewaltiger, Thronende hinab. … Und es wird geschehen an jenem Tag, da wird der Überrest Israels und das Entronnene des Hauses Jakob sich nicht mehr stützen auf den, der es schlägt; sondern es wird sich stützen auf den Herrn, den Heiligen Israels, in Wahrheit.« (Jes 10,5ff). Gott gebraucht auch heidnische Könige, seinen Plan auszuführen, ohne dass diese dies wissen oder so wollen, sondern fälschlicher Weise sich und ihren Plänen alles souverän zuschreiben. Da Assur innerhalb seines Wesens frei gehandelt hat, ist er offenbar für sein Handeln voll verantwortlich: »zu vertilgen hat er im Sinn«.
  • Der vielleicht bekannteste Vers dafür, dass nicht der momentan größte „Souverän“ der Menschen souverän ist, sondern Gott, findet sich im Leitvers: »Wasserbächen gleicht das Herz eines Königs in der Hand des Herrn; wohin immer er willneigt er es (Spr 21,1 ELB03). Es geht also letztlich alles um den Willen Gottes, auch wenn dieser dem menschlichen Herrscher weder bewusst noch von diesem gewünscht ist. Das Bild ist ein übliches aus der Irrigation eines Gartens oder Feldes; vgl. 5Mo 11,10 »wo du deine Saat sätest und mit deinem Fuß wässertest, wie einen Gemüsegarten«). – Beispiele dafür finden sich mehrfach in der Schrift: siehe Esra 6,22 (König von Assyrien) oder Jer 39,11–12 (Nebukadnezar, König von Babylon); auch die Kreuzigung Jesu unter Annas und Pilatus.
  • »Von der Stätte seiner Wohnung schaut er auf alle Bewohner der Erde, er, der ihrer aller Herz bildet, der auf alle ihre Werke achtet.« (Ps 33,14-15 ELB03). Gott greift im Inneren, im Zentrum aller Menschen an, wenn Er es will. Es ist nicht nur –aber dies ebenso!– ein äußeres Beobachten der Werke. Weil das der Glaubende weiß, kann er sagen: »Unsere Seele wartet auf den Herrn; unsere Hilfe und unser Schild ist er. Denn in ihm wird unser Herz sich freuen, weil wir seinem heiligen Namen vertraut haben. Deine Güte, Herr, sei über uns, so wie wir auf dich geharrt haben.« (Psalm 33,20–22 (ELB03).  Gottes Allmacht und Vorsehung zu vertrauen ist Grund größter Freude. Das Herz des Menschen ist eben nicht eine verriegelte Bastion oder ein von Gott umgangener Bereich, sondern gehört mit zu seinem Herrschafts- und Eingriffsbereich! Das aber setzt den Menschen offenbar nicht außer Verantwortung, weil das Eingreifen Gottes ihn nicht zu einer entseelten Marionette macht.
  • »Der Herr hat alles zu seinem Zweck gemacht, und auch den Gottlosen für den Tag des Unglücks. Jeder Hochmütige ist dem Herrn ein Gräuel. Die Hand darauf: Er wird nicht für schuldlos gehalten werden.« (Spr 16:4-5 ELB03). Der erste Satz (V4) betont die Souveränität Gottes: Der Herr hat alles zu seinem Zweck gemacht. Der zweite Satz (V5) betont die Verantwortung des Menschen: jeder Hochmütige ist Gott ein Gräuel, er steht in Schuld.

(Diese Liste kann fortgesetzt werden.)

D. Zusammenfassende Gedanken 

  • Gott lenkt alles so, wie Er es willSein Wille regiert souverän alles. Er ist absolut souverän
  • Aber der Mensch hat vom Schöpfer eine relative Freiheit erhalten, zu tun, „was er will“. „Relativ“ deshalb, weil er:
    • Erstens als Geschöpf immer vom Schöpfer abhängig bleibt, denn Gott ist es, der »allen Leben und Odem und alles gibt« (Apg 17,25), und deswegen »leben und bewegen und sind wir« nur in Gott (Apg 17,28). Kein Geschöpf lebt aus sich selbst, kein Geschöpf ist autonom. Nur Gott ist aus sich selbst (Aseität). Nur Gott setzt allem und allen die Norm.
    • Zweitens, weil er als Geschöpf unter dem Willen und der Autorität seines Schöpfers steht und stehen muss. Alles andere wäre der vergebliche und fluchbringende Griff zur Selbstvergottung.
    • Drittens, weil er sich im Sündenfall zum Sklaven der Sünde gemacht hat, mithin nicht völlig frei ist, wie Gott frei ist. Das (auch nach dem Sündenfall) verbliebene Maß an Freiheit macht den Menschen voll verantwortlich vor Gott. 
  • Gott lenkt sogar Ungläubige und Gottesrebellen so, wie er es (im Gericht, in der Vorsehung usw.) will. Umso mehr leitet er jene, die Er errettet und zum Heil erkauft hat, und in denen Sein Heiliger Geist als Besitzgarantie (»Siegel«, »Angeld«) wohnt.
  • Das biblische Phänomen der Parallelität (Concursus Dei) hilft uns zu erklären, wie Gott auch Böses verordnen kann, ohne der Sünde schuldig zu werden. Gott hat stets nicht hinterfragbar gute und heilige Absichten in allem, was Er verordnet. Böses bleibt immer Böses, aber Gott hat niemals böse Absichten in dem, was Er tut. Er kann niemals Böses tun (dies ist stets analytisch wahr). Gott ist so genial, dass Er sogar durch die (also mittels der, nicht nur: trotz der) bösen Absichten seiner Geschöpfe Seine guten Absichten zur Erfüllung bringen kann. Vom Sündenfall Satans, über den Sündenfall des Menschen, dem Leiden eines Hiob, eines Josephs (usw.) und – auf die Spitze getrieben – im Leiden und Sterben Jesu spannt sich eine lange, biblische Kette an Beweisen für diese Auffassung.
  • Dies alles ist Gott ein Leichtes und ist Gottes würdig. Immerhin hat Er den Menschen ausgedacht („konstruiert“) und gemacht und Er erhält ihn jede Sekunde am Leben, Freunde wie Feinde, Nachfolger wie Rebellen, Christen wie Götzendiener, Bekenner wie Leugner. Und zwar einzig und allein deswegen, und nur insofern, als dies zu Seiner Verherrlichung ausschlägt.[2] Es geht kein Weg daran vorbei: Soli Deo Gloria! (Röm 11,36).

Anmerkungen

[1]  Moralistic Therapeutic Deism (MTD) is a term that was first introduced in the book Soul Searching: The Religious and Spiritual Lives of American Teenagers (2005) by sociologists Christian Smith and Melinda Lundquist Denton. The term is used to describe what they consider to be the common beliefs among American youth. The book is the result of the research project the „National Study of Youth and Religion“.
The author’s study found that many young people believe in several moral statutes not exclusive to any of the major world religions. It is not a new religion or theology as such, but identified as a set of commonly-held spiritual beliefs. It is this combination of beliefs that they label Moralistic Therapeutic Deism:

  • A god exists who created and ordered the world and watches over human life on earth.
  • God wants people to be good, nice, and fair to each other, as taught in the Bible and by most world religions.
  • The central goal of life is to be happy and to feel good about oneself.
  • God does not need to be particularly involved in one’s life except when God is needed to resolve a problem.
  • Good people go to heaven when they die.

These points of belief were compiled from interviews with approximately 3,000 teenagers. (Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Moralistic_therapeutic_deism)

[2] Vgl.: »Welche Analogie wir auch immer [zur Erklärung des Concursus Dei] verwenden, sie löst das Geheimnis nicht auf. Gott ist Gott, und seine Beziehung zu seiner Schöpfung ist einzigartig. Wir können ihn nicht vollständig [in aller Tiefe] verstehen, ohne selbst Gott zu sein [vgl. Psalm 139:6]. Wir müssen uns damit begnügen, völlig zu glauben, was die Schrift lehrt, auch wenn wir Gott oder seine Lehre nicht umfassend beherrschen. Wir glauben, dass Gott alle Ereignisse souverän steuert. Wir glauben auch, dass Gott den Menschen echte Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten gibt und dass er sie für diese ihre Entscheidungen verantwortlich macht. Wir glauben an diese beiden klaren Lehren der Heiligen Schrift, ohne dass wir selbst völlig erkennen [und erklären] können, wie seine souveräne Steuerung aller Dinge mit der menschlichen Verantwortung und seinen frei getroffenen Entscheidungen in Übereinstimmung ist (Kompatibilität). Dieses Geheimnis sollte uns zum Lobpreis veranlassen. Wir loben Gott und ehren ihn, indem wir bekennen, wie groß er ist und dass ›seine Größe unermesslich ist‹ (Psalm 145:3).« ( Poythress, Vern S.: Chance and the Sovereignty of God: A God-Centered Approach to Probability and Random Events. Wheaton, IL: Crossway, 2014. Eigene Übersetzung; Fettdruck hinzugefügt.)

[3] Luther schreibt (im Zusammenhang): »Atque ita puer etiam alphabetarius ineptiam istam ridere potest, quod si hoc dandum fuerat adsertoribus liberi arbitrii, haberent certe omnes totius scripturae leges pro se, quibus Omnibus vires arbitrii possent confirmare. Duplex omnino est hie conversio. Una est nostra ad deum, altera est dei ad nos. Aliud est omnino, quando deus ad nos se convertit et quando nos ad deum. Exigit autem dominus conversionem a nobis non quod nos nostris viribus ea praestate possimus sed ut agnita imbecillitate nostra imploremus Spiritus opem, quo auctore possimus converti. Atque illa tum est conversio euangelii. Nam duplex est conversio: legis et euangelii. Lex tantum praecipit sed nihil praestatur, praestatur autem per euangelium, cum additur Spiritus, qui corda innovet et tum convertitiur ad nos deus, quae est conversio pacis, hoc est, ut non solum iusti simus sed et pleni gaudio et delectemus nos in bonitate dei. Hoc est quod Paulus ubique optat Christianis: Gratiam et pacem.« (WA 13, S. 551).