Was jeder Christ über Israel und die Palästinenser wissen sollte – 14 Thesen (W. J. Ouweneel)

Willem J. Ouweneel (Oktober 2023)

Durch den Krieg in Israel ist die Debatte über den palästinensisch-israelischen Konflikt wieder stark aufgeflammt. Progressive Abgeordnete setzen sich für Palästina ein und Theologen wenden sich mit einem Manifest gegen die ihrer Meinung nach böse Politik Israels. Und auf der anderen Seite verweisen Christen auf die biblischen Landverheißungen für das Volk Israel. Die aktuelle Debatte ist ein guter Zeitpunkt, um die Frage anhand von 14 Thesen zu klären.

[1] Das Wort »Palästinenser« bedeutet Bewohner Palästinas, gleich welcher Herkunft. Bis in die 1950er Jahre wurden daher auch die jüdischen Bewohner Palästinas als »Palästinenser« bezeichnet. Die heutigen »Araber« (innerhalb und außerhalb Palästinas) haben dagegen kaum ethnische und wenig historische Bindungen; sie haben nur eines gemeinsam: die arabische Sprache. Folglich hat es nie ein »palästinensisches Volk« als eigenständige ethnische Identität gegeben.

[2] Arabisch sprechende Menschen (Muslime wie Christen) haben jedoch seit vielen Jahrhunderten in Palästina gelebt, ebenso wie Juden, und zuweilen sogar mehr als Araber. Es ist daher falsch zu behaupten, das Land Palästina gehöre den arabischen Palästinensern (insbesondere den Muslimen).

[3] Folglich hat es in all den Jahrhunderten nie so etwas wie einen »palästinensischen Staat« gegeben; es gab nur palästinensische Juden und palästinensische Araber unter der Herrschaft der Mamelucken (bis 1517), unter türkischer Herrschaft (bis 1920), unter britischer Herrschaft (bis 1948) und unter jordanischer Herrschaft (bis 1967). Außerdem besaßen die »Palästinenser« im Gazastreifen die ägyptische und die auf den Golanhöhen die syrische Staatsangehörigkeit. Es ist historisch gesehen Unsinn zu behaupten, die Israelis hätten die Gründung eines palästinensischen Staates immer »blockiert«.

[4] Es ist ebenfalls historisch gesehen Unsinn, dass die Israelis 1967 angeblich »palästinensisches Gebiet« besetzt hätten. Was sie taten, war –im Wesentlichen zur Selbstverteidigung– das ehemals türkische/ehemals britische/ehemals jordanische Gebiet zu besetzen, in dem traditionell sowohl palästinensische Juden als auch palästinensische Araber gelebt hatten. Allerdings gab es in diesem Gebiet Landbesitz von Arabern, und die Israelis mussten diesen Landbesitz respektieren, ebenso wie die Araber den von Juden erworbenen Landbesitz respektieren mussten.

[5] Es ist historisch gesehen Unsinn zu behaupten, dass die Israelis stets die Gründung eines palästinensischen Staates »blockiert« hätten. Nach dem Beschluss der Vereinten Nationen (am 29.11.1947) hätten nicht nur die Juden, sondern auch die Araber in den ihnen zugewiesenen Gebieten sofort einen eigenen Staat gründen können, so wie es die Juden taten (Mai 1948). Unter großem Druck der umliegenden arabischen Länder (die dachten, der Staat Israel würde bald zerstört werden), taten sie dies nicht, was viele bis heute bedauern.

[6] Im Jahr 1948 verließen viele Araber das Gebiet, das seit Mai den Staat Israel bildete. Die Juden hatten hier und da ihren Anteil daran, indem sie sie verängstigten, aber es waren mindestens ebenso sehr die umliegenden Länder, die die arabischen Palästinenser verängstigten; außerdem sagten sie den arabischen Palästinensern, dass ihre Abreise nur von kurzer Dauer sein würde, da sie nach der Niederlage des Staates Israel in ihre Heimat zurückkehren könnten. Dies erwies sich als großer Fehler. Es stimmt nicht, dass die Mehrheit der arabischen Palästinenser eine Zwei-Staaten-Lösung befürworten würde.

[7] Übrigens: Während Hunderttausende von Arabern aus dem neu gegründeten Staat Israel flohen (und bis heute in Flüchtlingslagern untergebracht sind), wurden auch Hunderttausende von Juden aus den umliegenden arabischen Ländern vertrieben (und fanden im neuen Staat Israel eine neue und freie Heimat).

[8] Den Arabern im Staat Israel geht es, obwohl sie dort de facto Bürger zweiter Klasse sind, sowohl wirtschaftlich als auch politisch weitaus besser als den Palästinensern in den genannten Flüchtlingslagern (und im Übrigen sogar besser als den Arabern in den Nachbarländern).

[9] Es stimmt nicht, dass der Großteil der arabischen Palästinenser die Zwei-Staaten-Lösung befürworten würde; oder sie befürworten sie bestenfalls insofern, als es sich um eine vorübergehende Zwischenlösung handelt. Die konsequentesten Muslime (wie sie z.B. von der Hamas, der Hisbollah, dem Islamischen Dschihad und den Machthabern im Iran vertreten werden) wollen nichts anderes als die Zerstörung des Staates Israel (wenn nicht gar des israelischen Volkes). Konsequente wie auch gemäßigtere arabische Muslime haben den Staat Israel daher nie grundsätzlich anerkannt. Die tiefsten Probleme in und um den Staat Israel sind nicht historischer, politischer oder völkerrechtlicher Natur, sondern religiöser Natur.

[10] Die internationale Gemeinschaft wirft Israel »Kolonialismus« und »Imperialismus« vor. Dies ist eine absurde Verdrehung der Geschichte. Es war Israel, das 1947 einer Teilung des Landes und einem internationalen Status für Jerusalem zugestimmt hatte. Es waren die Araber, die, anstatt dem zuzustimmen, immer wieder Krieg gegen Israel geführt haben. Das einzige Mal, als es ihnen gelang, die Altstadt von Jerusalem zu erobern (1948/49), vertrieben sie sofort alle Juden.

[11] Die Stadt Jerusalem kommt im Koran überhaupt nicht vor; es wird lediglich die »äußerste« oder »am weitesten entfernte« Moschee erwähnt, die spätere muslimische Generationen in Jerusalem ansiedelten. (al-Aqsa-Moschee bedeutet »äußerste« oder »entfernteste« Moschee.) Den Muslimen wurde also nie ein (messianisches) Reich des Friedens und der Gerechtigkeit rund um Jerusalem versprochen, wie es Israel versprochen wurde (ein Versprechen Gottes, das immer noch in Kraft ist). [Muslime wollen vielmehr ein weltweites Kalifat mit geltender Scharia.]

[12] Die Siedlungspolitik Israels ist oft heftig kritisiert worden. Diese Siedlungen (a) existieren jedoch nur in der so genannten C-Zone, die (seit den Osloer Verträgen 1993–1995) die Zone ist, in der Israel (mit dem damaligen Einverständnis der Palästinenser!) die volle zivile und militärische Kontrolle hat; und (b) die fraglichen Gebiete sind nicht von »den« Palästinensern gestohlen, sondern ehrlich von den arabischen Palästinensern gekauft worden (ob das in der Praxis immer so sauber gemacht wurde, lasse ich jetzt mal dahingestellt). Eine politische oder völkerrechtliche Lösung des israelisch-palästinensischen Problems ist daher nicht denkbar. Man wartet also auf das Kommen des Messias.

[13] Das tiefste Problem in und um den Staat Israel ist nicht historischer, politischer oder völkerrechtlicher Natur, sondern religiöser Natur. Seit der Eroberung Palästinas im siebten Jahrhundert ist es für konsequente Muslime unvorstellbar, dass dort ein jüdischer Staat existieren könnte. Was »Allahs Land« [dar al-islam] geworden ist, kann nie wieder an Juden [oder andere »Ungläubige«] abgegeben werden [der Rest der Welt heißt bei den Muslimen dar al-harab = Haus des Krieges]. Umgekehrt ist es für konsequente Juden undenkbar, an einem anderen Ort als dem von Gott den Vätern verheißenen Land zu leben.

[14] Die religiöse Tiefendimension des jüdisch-palästinensischen Konflikts zeigte sich unmittelbar am 7. Oktober 2023, als Hamas-Mitglieder 1.400 Juden unter dem eindringlichen Ruf »Allahu akbar« misshandelten, vergewaltigten und ermordeten, was in diesem Fall so viel bedeutete wie: »Unser Gott Allah ist größer als der Gott Israels!« Nichts könnte deutlicher verdeutlichen, dass es hier zutiefst um einen Kampf in den himmlischen Örtern ging und geht (vgl. Epheser 6,12): einen Kampf zwischen den »Göttern« dieser Welt und dem Gott Israels.

Fazit. Eine politische oder völkerrechtliche Lösung des israelisch-palästinensischen Problems ist daher nicht denkbar. Die arabisch-muslimische Welt wird grundsätzlich niemals in der Lage und bereit sein, einen Staat Israel anzuerkennen, und die Israelis werden niemals in der Lage und bereit sein, ihre Siedlungspolitik aufzugeben oder die Hunderttausende von Flüchtlingen in arabischen Lagern zurückzunehmen. Man wartet also auf das Kommen des Messias und – von Jerusalem aus – auf die Errichtung seines Weltreichs des Friedens und der Gerechtigkeit. Wie ein arabischer Taxifahrer in Jerusalem einmal zu mir sagte: Nur Jesus kann das Problem lösen.

Autor: Prof. Dr. Willem J. Ouweneel (*1944) hat einen Doktortitel in Biologie, Philosophie und Theologie. Der Autor von über 200 Büchern und international gefragte Referent ist emeritierter Professor für Systematische Theologie (Fakultät für evangelische Theologie in Leuven, Belgien). Seine Homepage: http://www.willemouweneel.nl/.
Textquelle: Willem J. Ouweneel, Wat iedere christen zou moeten weten over Israël en de Palestijnen (Link: cvandaag.nl – 23. Oktober 2023). Übersetzt mithilfe von DEEPL; These 14 aus dem u.g. Buch entnommen.
Vertiefung: Eine Vertiefung und Erläuterung der »14 Thesen« erfolgte in einem längeren Interview, das auf YouTube angesehen werden kann (Direktlink). – Auch in einem Buch werden die 14 Thesen ausführlicher dargestellt: Wat iedere christen moet weten over Israël en de Palestijnen – In twintig stellingen. (Driebergen (NL): Aspekt, 04.11.2023); ISBN 9789464870954, 72 Seiten, auch als Kindle-eBook. Deutsche Ausgabe: Was jeder Christ über Israel und die Palästinenser wissen muss – In zwanzig Sätzen [sic!]. (Dribergen (NL): Aspekt, 2024); Taschenbuch, 102 Seiten, ISBN 978-9464871258.

Ergänzungen

Maximilian Felsch, Die Beziehungen zwischen Israelis und Palästinensern. Bundeszentrale für politische Bildung (28.05.2018); Link.

UN-Teilungsplan für Palästina 1947(Deine tägliche Dosis Politik). Bundeszentrale für politische Bildung (29.11.2023); Link. Zitat daraus: »GB hatte Palästina bereits geteilt: in Britisch-Palästina für die jüdische [Bevölkerung] und Transjordanien [ab 1950 der Jordanien, s. Karte unten] für die arabische Bevölkerung.«

Der kleine Anteil für die jüdische Bevölkerung wurde ihr dann nicht gegeben, sondern nochmals geteilt für die arabische (43%) und die jüdische (56%) Bevölkerung. Dieser Teilungsplan für zwei unabhängige Staaten wurde am 29. November 1947 in der UN-Resolution 181 (II) mehrheitlich verabschiedet. Die die jüdische Bevölkerung gründete entsprechend dieser Resolution einen souveränen Staat, die arabischsprechende Bevölkerung tat dies jedoch nicht, sondern versuchte, mit kriegerischen Mitteln und die Teilungs-Resolution missachtend alles für sich zu erobern. Dieser »Alles-oder-nichts«-Ansatz scheiterte bis heute, bleibt aber politisches Programm.

Bildquelle: https://www.geoplan-reisen.de/arabien-orient/jordanien/

Ohne Glauben aber…

Ohne Glauben aber ist es unmöglich, ihm wohlzugefallen;
denn wer Gott naht, muss glauben, dass er ist
und denen, die ihn suchen, ein Belohner ist.

Hebräerbrief 11,6

Du sagst: Es ist unmöglich.
Gott sagt: Alle Dinge sind möglich! (Lukas 18,27)

Du sagst: Ich bin zu müde.
Gott sagt: Ich will Dir Ruhe geben! (Matthäus 11,28–30)

Du sagst: Niemand mag mich.
Gott sagt: Ich liebe Dich! (Johannes 3,16; 13,34)

Du sagst: Ich kann nicht mehr.
Gott sagt: Meine Gnade genügt Dir! (2. Korinther 12,9; Psalm 91,15)

Du sagst: Ich komme hier nicht mehr raus.
Gott sagt: Ich werde Deine Schritte leiten! (Sprüche 3,5f)

Du sagst: Ich kann das nicht.
Gott sagt: Du kannst alles! (Philipper 4,13)

Du sagst: Ich bin dazu nicht fähig.
Gott sagt: Du bist sehr wohl dazu befähigt! (2. Korinther 9,8)

Du sagst: Es ist die Sache nicht wert.
Gott sagt: Sie ist es doch wert! (Römer 8,28)

Du sagst: Ich kann mir selbst nicht vergeben.
Gott sagt: Ich vergebe Dir! (1. Johannes 1,9; Römer 8,1)

Du sagst: Ich kriege es nicht geregelt.
Gott sagt: Ich werde mich um alle Deine Bedürfnisse kümmern! (Philipper 4,19)

Du sagst: Ich habe Angst.
Gott sagt: Ich habe Dir nicht einen Geist der Furchtsamkeit gegeben! (2. Timotheus 1,7)

Du sagst: Ich fühle mich besorgt und frustriert.
Gott sagt: Wirf alle Deine Sorgen auf mich! (1. Petrus 5,7)

Du sagst: Ich habe nicht genug Glauben.
Gott sagt: Ich habe jedem sein Maß an Glauben gegeben! (Römer 12,3)

Du sagst: Ich verstehe nicht genug.
Gott sagt: Ich werde Dir Weisheit geben! (1. Korinther 1,30)

Du sagst: Ich fühle mich allein.
Gott sagt: Ich werde Dich niemals versäumen noch verlassen! (Hebräer 13,5)


Nach einem Artikel (o. V.) in: Bode von het Heil in Christus (Vaassen, NL), Jg. 143, Nr. 6/7 (Juni/Juli 2000).

Wenn das Herz nach Ewigkeit sucht, muss Gott das Ziel sein

Was rufen uns denn diese Gier und diese Unfähigkeit zu, wenn nicht dies, dass es einst im Menschen ein wahres Glück gegeben hat, von dem ihm jetzt nur das Zeichen und die ganz wesenlose Spur geblieben sind und die er nun vergebens mit allem auszufüllen trachtet, was ihn umgibt, wobei er von den fernen Dingen die Hilfe erwartet, die er von den gegenwärtigen nicht erhält, doch sie alle sind dazu nicht fähig, weil dieser unendliche Abgrund nur durch etwas Unendliches und Unwandelbares ausgefüllt werden kann, das heißt durch Gott selbst.

Blaise Pascal (1623–1662): Pensées sur la religion et nur quelques autres sujets (kurz: Pensées = Gedanken), Section VII: Moral und Lehre, Teil 2 (um 1670 erstmalig veröffentlicht). Link.

Da die Menschen kein Heilmittel entdecken konnten gegen den Tod, das Elend, die Unwissenheit, so sind sie darauf verfallen, um sich glücklich zu machen, nicht daran zu denken. Das ist alles, was sie erfinden konnten, um sich über so viel Uebel zu trösten. Aber das ist ein sehr elender Trost, weil er darauf hingeht, nicht das Uebel zu heilen, sondern es bloß kurze Zeit zu verbergen, und indem er es verbirgt, macht er, daß man nicht daran denkt, es wirklich zu heilen. So geschieht es durch eine seltsame Verkehrtheit der Natur des Menschen, daß das Mißbehagen, sein empfindlichstes Uebel, in gewisser Art sein größtes Gut ist, weil es mehr als alles andre dazu beitragen kann, ihn seine wahre Heilung suchen zu machen, und daß das Vergnügen, welches er als sein größtes Gut ansieht, in der That sein größtes Uebel ist, weil es mehr als alles andre ihn davon abhält, das Heilmittel für sein Uebel zu suchen. Das eine wie das andre ist ein vorzüglicher Beweis von dem Elend und dem Verderben des Menschen und zugleich von seiner Größe; denn nur deshalb fühlt der Mensch sich bei allem unbehaglich und sucht diese Menge von Beschäftigungen, weil er die Vorstellung des Glücks hat, das er verloren. Da er es in sich nicht findet, sucht er es umsonst in den äußern Dingen, ohne je sich zufrieden stellen zu können, weil es weder in uns noch in den Geschöpfen ist, sondern in Gott allein.

Blaise Pascal, Pascal’s Gedanken über die Religion und einige andere Gegenstände. Erster Theil: Gedanken, die sich auf Philosophie, Moral und schöne Wissenschaften beziehn, Siebenter Abschnitt: Elend des Menschen, Ziffer 4. (Berlin, 1840); Link..

Warum sind wir unruhig?

Du selbst reizest an, dass Dich zu preisen Freude ist;
denn geschaffen hast Du uns zu Dir,
und ruhelos ist unser Herz,
bis dass es seine Ruhe hat in Dir.

Tu excitas, ut laudare te delectet,
quia fecisti nos ad te
et inquietum est cor nostrum,
donec requiescat in te.

Augustinus von Hippo (354–430) in: Confessiones, Liber Primus (I,1) (geschrieben ca. 397–400)

Der Mensch – Ein unheilbarer Götzenproduzent

Das sind meine Gedanken über Gott. Ich und meine Vernunft bestimmen über Gott. Ich und meine Vernunft wissen, wie Gott handeln »muss«, um wirklich Gott zu sein: er muss zum Beispiel weise (aber in mir verständlicher Form weise) sein, er muß sinnvoll und mir zum Besten handeln. Er muss mein Leben durch Freude – und vielleicht auch durch Leid reich und köstlich machen (wir klugen Menschen wissen ja auch etwas vom Sinn des Leidens!). … Gott muss dies, Gott muss das, wenn er wirklich Gott sein will. Gott muss Steine in Brot verwandeln. Er muss von den Zinnen des Tempels springen können, wenn er wirklich Gott sein will.

So sind wir es, die Bedingungen stellen, denen Gott Genüge tun muß, damit wir ihn zu Gott ernennen können. Wir sind die Herren Gottes.

Helmut Thielicke (1908–1986), deutscher evangelischer Theologe, in: Zwischen Gott und Satan, 3. überarb. Aufl. (Hamburg: Furche-Verlag, 1955), S. 17–18.

Der Mensch ist unheilbar religiös.

Nikolai A. Berdjajew (1874–1948), Religionsphilosoph, christlicher Existenzialist (Николай Александрович Бердяев)

Wenn der Mensch Gott verstoßen hat,
so beugt er sich vor einem Götzen.

Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821–1881)

Glaube, dem die Tür versagt,
steigt als Aberglaub’ ins Fenster.

Emanuel Geibel (1815–1884), deutscher Lyriker und Dramatiker, in: Gedichte. Gedichte und Gedenkblätter. 4. Aufl. (Stuttgart: Cotta, 1865).

Die Wahrheit wird euch frei machen

John MacArthur
Grace Community Church, Sun Valley, CA, USA
Predigt am Independance Day 04.07.2021
Leittext: Johannes 8,32b

Der US-amerikanische Theologe und Hirten-Lehrer Dr. John MacArthur, dessen Heimatgemeinde Grace Community Church in Sun Valley (Los Angeles) in der Corona-Zeit manche Schlagzeile machte und einen sehr beachteten Prozess gegen die übergriffigen Maßnahmen des Los Angeles County gewann, äußerte sich am traditionellen amerikanischen »Freiheitstag« (Unabhängigkeitstag; Independence Day) zu falschen Konzepten zur Freiheit, zur politischen Gefährdung der Freiheit und was Jesus Christus tatsächlich meinte, als er sagte: »Die Wahrheit wird euch frei machen« (Johannes 8:32b). Seine Teilanalyse zweier Bücher zum Totalitarismus der Zukunft –vor dem Hintergrund der kontemporären amerikanischen Situation– bilden folgenden Einstieg in eine Predigt über Wahrheit und Freiheit, wie sie in Gottes Wort gelehrt wird (übersetzt und adaptiert aus dem veröffentlichten Transkript durch grace@logikos.club; Quelle: siehe Endnoten).


Wie wir alle wissen, ist heute der 4. Juli; und es ist historisch gesehen ein Tag, an dem wir in diesem Land die Freiheit feiern, zurückgehend auf die Zeit, als Amerika aus einer Revolution heraus geboren wurde und sich seine Freiheit verdiente. Freiheit hat in unserer Gesellschaft immer einen hohen Stellenwert gehabt, zumindest bis heute. In den letzten paar Jahrhunderten schien die Freiheit ganz oben auf der Liste der Dinge zu stehen, die die Menschen in unserer Kultur und Gesellschaft erhalten wollten. Und im Laufe der Jahre gab es eine Redewendung, die im Zusammenhang mit der Freiheit verwendet wurde: »Die Wahrheit wird euch frei machen«.

1  »Die Wahrheit wird euch frei machen« 

Es ist interessant zu wissen, auf wie viele Arten dieser Ausspruch verwendet wurde. Er ist bekannt. Es gibt unzählige Anwendungen davon. Es gibt unzählige Interpretationen davon. Es gibt sogar einige bizarre Memes, die auf dieser Aussage aufbauen: »Die Wahrheit wird dich frei machen.« Ich nehme an, sie ist so umfassend formuliert, dass sie von vielen verschiedenen Bereichen unserer Kultur aufgegriffen wird. 

1.1 Die philosophische Deutung

Platon hat den Anfang einer philosophischen Herangehensweise an diese Aussage gemacht; und die Philosophen haben in Anlehnung an Platon gesagt: »Finde die Wahrheit, die in dir ist –Selbsterkenntnis– und sei dieser deiner Wahrheit treu – und du wirst frei sein.«  Das ist die philosophische Interpretation dieser Aussage.

1.2 Die psychologische Deutung

Es gibt auch eine psychologische Interpretation von »Die Wahrheit wird dich frei machen«. Diese lautet: »Sage die Wahrheit und du wirst frei von Schuld sein.« Sage die Wahrheit, egal wieviel Schaden du damit anderen zufügst. Sei brutal ehrlich; behalte es nicht für dich, sonst fügst du dir selbst psychischen Schaden zu. Freiheit findet man, wenn man sich gegen all die Lügen auflehnt, die man sich selbst über sich erzählt und die andere Menschen über einen erzählen. »Ihre Wahrheit wird Sie befreien, aber Sie müssen daran arbeiten, sie zu gebären«, sagte ein Psychologe.

1.3 Der zynische Ansatz

Und dann gibt es noch die zynische Herangehensweise an die Aussage »Die Wahrheit wird dich frei machen«. Ein Zyniker sagte: »Die Wahrheit wird dich schließlich frei machen, aber am Anfang wird sie dich nur wütend machen.« Meistens macht die Wahrheit nicht frei, sondern verängstigt, ängstigt, deprimiert. Manche Wahrheit wird dein Leben in Gefahr bringen. Manche Wahrheit würde dich, wenn du sie sagst, verhaften und ins Gefängnis bringen. Manche Wahrheit könnte Sie sogar der Gefahr des Todes aussetzen. Wozu also Wahrheit?

2 Die Leugnung absoluter Wahrheit

Die meisten Philosophen, Psychologen und Zyniker würden zustimmen, dass es keine echte, absolute Wahrheit gibt. Wahrheit ist das, was man für sich selbst will; es gibt keine objektive, absolute Wahrheit. Wahrheit ist das, was man für sein Wohlbefinden als Wahrheit empfindet. Sei deiner eigenen Wahrheit treu, und du wirst frei sein von den Dingen, die deine Seele quälen könnten.

2.1 Das Problem des hedonistischen Zeitgeistes

Das Problem mit der objektiven und der absoluten Wahrheit ist, dass sie sehr unangenehm ist, weil die absolute Wahrheit und die objektive Wahrheit moralische Verantwortung aufwerfen. Und das will man in einer hedonistischen Kultur keinesfalls. Die Erhöhung der moralischen Verpflichtung und Verantwortung fühlt sich nicht wie Freiheit an.

2.2 Das Problem einer politisch abhängigen Wissenschaft

»Die Wahrheit wird euch frei machen« hat auch in der Wissenschaft Einzug gehalten. Es war das Motto des California Institute of Technology (CalTech). Sie hatten »The truth shall make you free« bereits 1925 eingeführt. Aber dies hat sich in der wissenschaftlichen Welt nicht wirklich dauerhaft bewährt, denn wenn man die jüngsten Artikel von CalTech-Wissenschaftlern liest, stellt man fest, dass die Wissenschaft nicht mehr von der Suche nach der Wahrheit angetrieben und gelenkt wird, sondern im Wesentlichen von den Forschungsgeldern, die die herrschende politische Partei gewährt. Die Wissenschaft hat sich der Politik dienlich gemacht. Was auch immer die Suche nach der Wahrheit im Jahr 1925 gewesen sein mag, sie ist nun vollständig durch die politischen Vorgaben beeinträchtigt.

2.3 Das Problem einer ideologischen Politik

Und dann ist da noch die Regierung selbst. Wenn Sie das ursprüngliche Gebäude der CIA sehen würden, würden Sie auf der Vorderseite des Gebäudes eingraviert sehen: »Die Wahrheit wird euch frei machen.« Wir sind inzwischen alle ziemlich überzeugt, dass die CIA kein guter Ort ist, um die Wahrheit zu finden. Die CIA ist durch die Politik und die Ideologien unserer Kultur völlig kompromittiert worden. Man würde gerne annehmen, dass sie zu einem bestimmten Zeitpunkt in unserer Geschichte die Beschützer von allem, was wahr, richtig und gut ist, waren. Aber sie sind von der sie umgebenden Korruption selbst unausweichlich korrumpiert worden.

Es gibt also eine politische und eine soziale Freiheit, die behauptet: »Die Wahrheit wird euch frei machen.« Wie sieht das in unserer Gesellschaft aus? Ich bin, wie alle wissen, kein Sozialkritiker, aber ich denke, dass es eine Perspektive gibt, die helfen wird, wenn wir nun ein wenig über diese zeitlichen, irdischen Perspektiven der Freiheit sprechen.

3 Die Dystopien von Huxley und Orwell

Im Jahr 1932 schrieb ein bekennender Atheist namens Aldous Huxley das Buch Brave New World[1], einen dystopischen Roman, der sich mit der Zukunft befasste und davon ausging, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis der Westen vollständig dem Totalitarismus verfallen wäre, d. h. der Herrschaft einer dominanten Macht, in der es nur zwei Klassen gibt: die herrschende Klasse und alle Menschen, die ihr unterworfen sind. In Brave New World schilderte er, wie das Leben dort aussehen würde.

Etwa siebzehn Jahre später schrieb George Orwell, ebenfalls ein überzeugter Atheist, 1984[2], einen weiteren dystopischen Roman, der sich mit der Zukunft befasste. Als ich mich kürzlich mit diesen beiden Romanen beschäftigte, habe ich aus diesen beiden Bildern des Totalitarismus in der Zukunft des Westens ziemlich erstaunliche, vorausschauende Einsichten von zwei Atheisten gewonnen. Totalitäre Herrschaft, sagen beide, ist im Wesentlichen die absolute politisch-soziale Versklavung aller Menschen. Wir sind an das gewöhnt, was man »Chattle-Sklaverei« nennt, eine Form der Sklaverei, wo eine Person eine andere Person besitzt. Politische Sklaverei hingegen ist, wenn der Staat einen jeden seiner Bürger besitzt. Die Auswirkungen dieser unterschiedlichen Arten von Sklaverei auf den Einzelnen sind leider gleich. Wir sind in der amerikanischen Geschichte an einem Punkt angelangt, an dem wir die [alte Form der] Sklaverei hassen. In der Tat haben wir eine massive Bewegung, eine Rassenbewegung, geschaffen, die sich auf die vergangene Sklaverei stützt. Die Menschen erheben sich in hehre Höhen, um die [alte Form der] Sklaverei zu verurteilen, währenddessen sie gleichzeitig bereitwillig Sklaven ihres Staates werden. Am Ende läuft es auf dasselbe hinaus: Jemand besitzt dich und du gibst deine eigene Freiheit auf.

4 Acht Wirkmerkmale des Totalitarismus

Welche Elemente der Gesellschaft und der Politik führen nun zu dieser willigen Art von Staatssklaverei? Unter Berufung auf Orwell und Huxley sagt man, dass der Totalitarismus folgendermaßen aussehen werde. Hier sind die von den Autoren genannten notwendigen Elemente:

Erstens: Man braucht eine ernsthafte Krise. Eine Krise bringt die Freiheit in Gefahr, denn eine Krise erhöht die staatliche Kontrolle. Und je schwerer die Krise ist und je mehr Kontrolle die Regierung erhält, desto mehr Freiheiten verschwinden.

Zweitens: Das Kollektiv ist wichtiger als der Einzelne. Das größere Wohl ist das Wohl der Gesellschaft, nicht das eigene. »Es ist uns egal, was Sie wollen oder was Sie denken, wir müssen die globale Erwärmung stoppen. Ihre Freiheiten sind uns egal, die Dinge, die Sie sich wünschen und die Sie wollen, können Sie nicht sagen; Sie können das nicht glauben; Sie können das nicht tun.« Denn das Kollektiv ist viel wichtiger als der Einzelne. »Der Fortschritt der LGBTQ ist auf sozialer Ebene viel wichtiger für das Wohl der Gesellschaft als alles, was Sie darüber denken.« Das Kollektiv dominiert also das Individuum. Jeder wird in das Kollektiv gezwungen.

Drittens: Man braucht eine Massenpsychose. Man braucht eine Massenpsychose, etwas, das allen Angst macht – wie eine Seuche, wie eine Pandemie, wie Masken -, die eine größere Bedrohung darstellen als die Aufgabe der Freiheit. Die Menschen gaben ihre Freiheiten überstürzt auf, als es eine Bedrohung gab, die eine Massenpsychose auslöste. Halten Sie die Täuschung aufrecht, damit sie weiterhin die Lügen glauben, und Sie eskalieren die Kontrolle.

Viertens: Kontrolle der Informationen. Kontrollieren Sie, was die Menschen hören und was sie deshalb glauben. Die Art und Weise, wie man Informationen kontrolliert, ist die folgende: Man stiftet Verwirrung, sendet alle möglichen unterschiedlichen Signale aus, so dass nichts wirklich klar ist. So schafft man eine Art von akzeptabler Irrationalität, eine Art von Wahnsinn. Man zensiert, was man nicht will; man kontrolliert die Menschen durch Technologie und Medien.

Fünftens: Hedonismus. Das ist ein dominantes Merkmal beider Romane. Lasse alle Arten von Unmoral überall gewähren. Schaffen Sie eine Situation der ungehinderten sexuellen Lust. Lassen Sie die Menschen sich völlig im Vergnügen verlieren, ohne Grenzen für jegliche Art von sexuellem Verhalten. Füllen Sie die Kultur mit Pornografie, denn solange Menschen in ihren sexuellen Gelüsten ungehindert sind, solange sie sich in hedonistischem Vergnügen verlieren, denken sie nicht nach.

Sechstens: Seichte Unterhaltung. Füttern Sie sie mit geistloser, leicht zugänglicher, unwichtiger, ablenkender, pausenlos berieselnder Unterhaltung, damit sie in einer Welt der Fantasie und der emotionalen Stimulation leben, anstatt zu denken. 

Siebtens: Drogen. Machen Sie Drogen für jedermann zugänglich. Unter Drogen stehende Menschen und betrunkene Menschen sind harmlos. 

Achtens: Spaltung und Isolation. Dies ist entscheidend, wenn man eine ganze Bevölkerung übernehmen will: Man isoliert die Menschen voneinander, [trennt sie innerlich]. Wenn man sie so voneinander isoliert, hat man die Kontrolle über das gültige Narrativ. Man nimmt den Menschen Vergleichsmöglichkeiten und Beispiele für Alternatives weg. 

Dies ist es, was sich die Atheisten als Weg zum dystopischen Totalitarismus ausgedacht haben, bei dem die Menschen abgelenkt, betäubt und unter Drogen gesetzt werden und ihre Freiheiten aufgeben.

5 Die größte Gefahr für den Totalitarismus

Was ist nun die größte Bedrohung für diese Entwicklung? Die größte Bedrohung ist ziemlich einfach: Eine andere Autorität als die [totalitaristischen Ideen nachstrebende] Regierung. 

Apropos Regierende: Blicken Sie nicht heilsverlangend auf die Politiker, um von ihnen die Lösung des Problems [der staatlich sanktionierten übergriffigen Gängelung des Bürgers] zu erwarten. Sie sind oft nicht Teil der Lösung, sondern eher Teil des Problems. Sie sind die Mächtigen; sie werden das Problem nicht lösen. Ein Nicht-Politiker hat [in unserem Land] versucht, das Problem zu lösen, aber er bekam von der Klasse der Berufspolitiker keine Unterstützung. Man kann sich nicht an sie wenden, um das Problem zu lösen, denn sie sind die Mächtigen; sie sind die Elite, die Machtgierigen, die nur noch mehr Macht wollen.

Was empfinden die Mächtigen als Bedrohung? Eine andere Autorität – zumal eine Autorität, die eine größere Autorität ist, die eine transzendente Autorität ist, die eine ewige Autorität ist und die sich auf den Seiten der Heiligen Schrift klar offenbart hat. Wer ist also ihr größter Feind? Gott. Welches ist das Buch, das sie am meisten fürchten? Die Bibel.

Ich weiß nicht, wie die Freiheit in dieser westlichen Kultur in Zukunft aussehen wird. Aber ich sehe, wie sich das alles entwickelt – und diese beiden Bücher stammen, wie gesagt, aus den 1930er bis 1940er Jahren. Aber wir haben es auf jeden Fall geschafft, alle Kästchen abzuhaken, um Totalitarismus zu schaffen. Und hier sind wir, so edel aufgebracht über die Freiheit, die den Sklaven in der Vergangenheit weggenommen wurde, während wir gleichzeitig – verdummt, dumm, gedankenlos, lüstern – unsere Freiheiten aufgeben und Sklaven des Staates werden. Am Ende ist dies nichts Anderes.

Aber wenn wir von »Die Wahrheit wird euch frei machen«  sprechen, versagt die Psychologie. Man spielt nur Gedankenspiele mit sich selbst. Die Philosophie versagt, denn die Wahrheit ist nicht in uns. Es hat keinen Wert, zynisch zu sein und zu glauben, dass die Wahrheit nicht existiere, weil es keine objektive, absolute Wahrheit gebe. Das Bildungssystem an den Universitäten versagt. Die Wissenschaft versagt, weil sie korrumpiert wird. Und wenn die Regierung versagt – und das ist beobachtbar – dann wird von ihr das offizielle Narrativ erzählt, einfach weil sie das Sagen hat. Was immer auch »Die Wahrheit wird euch frei machen« bedeutet, es hat nichts mit den Dingen zu tun, über die ich bisher gesprochen habe, denn diese sind alle mehr oder weniger korrumpiert worden. Wir sprechen über etwas anderes.

Schlagen Sie also Ihre Bibel in Johannes 8 auf. Ich weiß nicht, wie die zukünftige Politik aussehen wird. Es ist ziemlich klar, dass wir in Richtung Totalitarismus gehen – wir steuern auf Gedankenkontrolle zu, wir steuern auf Zensur zu, wir steuern auf Unmoral in einem Ausmaß zu, wie wir es noch nie gesehen haben, wo Gesetze gemacht werden, um die Unmoralischen zu schützen und diejenigen zu bestrafen, die moralisch sind. All diese Dinge sind inzwischen Realität geworden. Es ist also ziemlich klar, dass wir uns auf den Weg des Totalitarismus begeben haben, der natürlich auch schon in der Vergangenheit ausprobiert wurde und unausweichlich in einer Katastrophe endete: Stets wurden auf diesem Weg Millionen von Menschen getötet, weil die Menschen, die sich der totalitären Macht widersetzten, umkamen. Das ist geschichtliche Tatsache.

[Fortsetzung siehe: https://www.gty.org/library/sermons-library/81-120/the-truth-shall-set-you-free ]


Endnoten und Literaturhinweise

[1] Aldous Huxley: Brave New World. New York, NY: Harper & Row, 1946. First Perennial Library Edition, 1969. Rezension: Schöne Neue Welt (?) von Grace@logikos.club mit Angabe und Analyse der Merkmale und Ideen der Brave New World (BNW)

[2] George Orwell: 1984. New York, NY: Harper & Row, 1946.

Bildquelle Titelbild: »These words of Jesus are inscribed in marble on a wall at CIA headquarters in Langley, Virginia: “And you shall know the truth and the truth shall make you free” (John 8:32). Photo: Public domain.«

Unsere Theologie bestimmt unsere Politik

Die Theologie des Menschen bestimmt seine Philosophie des Menschen, die wiederum seine politische Philosophie hervorbringt. Daraus entwickelt sich die Politik einer Nation, aus der sich das Wirtschaftssystem entwickelt. […]

Die natürliche Folge des humanistischen Menschenbildes kann nur eine kontrollierte und reglementierte Gesellschaft sein: Sozialismus, Faschismus, Kommunismus oder der Wohlfahrtsstaat, der sich nicht im Wesen, sondern nur im Grad unterscheidet.

Th. G. Rose

Thomas Gordon Rose (1928–2014)

U.S. Navy Veteran, ehem. Wirtschaftsprofessor am Grove City College, PA (USA), Autor von 7 Büchern und Hunderten von Artikeln zu wirtschaftlichen und politischen Themen

Wahre Freiheit

Nur wer Frieden mit Gott hat, der ist wirklich frei

Freiheit haben wir nur, wenn wir im Einklang mit unserem Ursprung leben, wenn wir also im Frieden mit Gott sind.

Helmut Thielicke (1908–1986) deutscher evangelischer Theologe

Freimachen kann nur die Wahrheit in Person: Jesus Christus

Jesus sprach nun zu den Juden, die ihm geglaubt hatten: Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wahrhaft meine Jünger; und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen. … Wenn nun der Sohn euch frei macht, werdet ihr wirklich frei sein.

Jesus Christus, Sohn Gottes (Johannesevangelium 8:31–32.36)

Gottes Zorn – Muss das sein?

Für viele Menschen, egal, ob sie sich als Christen sehen oder nicht, ist die Aussage: »Gott ist Liebe.« Anfang und auch Ende ihrer Theologie. Für Heiligkeit, Zorn, Rache oder Strafe ist in diesem Gottesbild kein Platz. Entspricht dies aber der Selbstoffenbarung des einen, wahren Gottes in Seinem Wort, oder ist dies ein selbstgemachter „Gott“ (a.k.a. Götze)?

Bibelleser wissen, dass Gottes Zorn eine unverzichtbare Wirkung Seines heiligen Wesens und Seiner Retternatur ist. Ohne Gottes Zorn wäre seine Liebe nicht vollkommen. Und das ist undenkbar. Der amerikanische Theologe A. W. Tozer hat das im vergangenen Jahrhundert gut erfasst und beschrieben:

Da es Gott im Blick auf seine Welt in erster Linie um deren Übereinstimmung mit seiner Lebensordnung, das heißt um Heiligkeit, geht, zieht alles, was im Gegensatz dazu steht, sein ewiges Missfallen auf sich.

Um seine Schöpfung zu erhalten, muss Gott alles zunichte machen, was diese zerstören würde. Wenn er sich erhebt, um der Sünde entgegenzutreten und die Welt vor einem nicht wiedergutzumachenden Zusammenbruch zu retten, dann wird er in der Bibel als zornig beschrieben. Jedes Zorngericht in der Weltgeschichte stellt einen heiligen Akt der Erhaltung dar. Die Heiligkeit Gottes, der Zorn Gottes und das Wohl der Schöpfung sind unzertrennbar vereint. 
Gottes Zorn ist seine völlige Unduldsamkeit allem gegenüber, was verdirbt und zerstört. Er hasst die Sünde, wie eine Mutter die Krankheit hasst, die das Leben ihres Kindes bedroht.

Aiden Wilson Tozer (1897–1963), Das Wesen Gottes – Eigenschaften Gottes und ihre Bedeutung für das Glaubensleben (Neuhausen-Stuttgart: Hänssler, 1996), S. 124–125.

Der amerikanische Prediger und Theologe Steve Lawson (*1951) schreibt in seinem exzellenten Buch über die Herrlichkeit und Vollkommenheiten Gottes am Ende auch ein Kapitel über den Zorn Gottes. Hier ein Auszug:

Manche Menschen sprechen so entschuldigend vom Zorn Gottes, als ob dieser die »dunkle Seite« Gottes wäre. Aber die Bibel sagt, »dass Gott Licht ist und gar keine Finsternis in ihm ist« (1Joh 1:5). Sind wir uns also darin völlig klar: Es gibt keine dunkle Seite Gottes. Er ist ganz und völlig Licht. Jede Eigenschaft Gottes ist absolut rein und völliges Licht, einschließlich dem Zorn Gottes.

Die Heiligkeit Gottes verlangt, dass er durch die Sünde erzürnt wird. Der göttliche Zorn ist die notwendige Reaktion seiner moralischen Reinheit auf jeden und alles, was sein Gesetz bricht. Gott ist makellos, ohne jeden moralischen Makel, und er muss voll heiligen Zornes gegen jede Sünde sein. Er kann nicht gleichgültig gegenüber irgendeiner Ungerechtigkeit sein. Gott empfindet eine tiefe Empörung gegen alles Unheilige. Das gilt nicht nur für die Sünde, sondern auch für den Sünder. Der göttliche Zorn muss sich gegen alles richten, was nicht mit seiner moralischen Vollkommenheit übereinstimmt. Sonst würde Gott aufhören, vollkommen heilig zu sein.

Der Apostel Paulus schreibt: »Denn Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbart über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit besitzen [o. niederhalten, unterdrücken]« (Röm 1:18). Das Wort »Zorn« (griech. orgē ) steht für die [im Strafgericht] entflammte Wut Gottes über die Sündhaftigkeit der Menschen. Dieses griechische Wort ist als »Orgie« in unsere Sprache eingegangen und beschreibt da die hitzigen, fleischlichen Gelüste unzüchtiger, unmoralischer Partys. Der übergreifende Gedanke, den dieses Wort hier jedoch ausdrückt, ist die Leidenschaft, die intensive, »schwer atmende« Reaktion des heiligen Gottes auf die Sündhaftigkeit des Menschen. Gott ist mit brennender Leidenschaft gegen alles entflammt, was nicht mit seiner eigenen vollkommenen Heiligkeit übereinstimmt.

Paulus betont dasselbe: »Nach deinem Starrsinn und deinem unbußfertigen Herzen aber häufst du dir selbst Zorn auf am Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes« (Röm 2:5). Der »Tag des Zorns« ist eine Anspielung auf den Jüngsten Tag, an dem Gott alle offenen Rechnungen begleichen wird. Die Unbekehrten häufen Zorn auf Zorn an, der schließlich von Gott entfesselt werden wird. Sie werden an jenem Tag von einer sintflutartigen Flut des göttlichen Zorns gegen sie überrollt werden. Da Gott vollkommen gut ist, ist es von entscheidender Bedeutung, dass Er jede Verfehlung in der ewigen Hölle bestraft. Der Zorn Gottes ist das notwendige Gegenstück zu Gottes vollkommener Heiligkeit.

Lawson, Steven J., Show Me Your Glory. Understanding the Majestic Splendor of God. (Sanford, FL: Reformation Trust Publishing [Ligonier Ministries], 2020). Zitiert nach: Show Me Your Glory. Kindle-Version (Sanford, FL: Reformation Trust Publishing), Kindle-Positionen 3065-3081. (eigene Übersetzung; grace@logikos.club)

Weiterführende Literatur – Eine Leseempfehlung

Thomas Chalmers (1780–1847)

»Thomas Chalmers war Pastor in Glasgow und Theologieprofessor an der Universität Edinburgh. Er wirkte 1843 maßgeblich an der Gründung der schottischen Freikirche mit, nachdem er aus der Kirche von Schottland ausgetreten war, weil sich in der Staatskirche der Unglaube einschlich.« Er schrieb in einer seiner besten Predigten über den Zorn Gottes und wie dieser in der gegenwärtigen Zeit der Gnade noch zurückgehalten wird, um letztlich im Gericht über alle unbußfertigen Sünder ungehemmt über sie auszubrechen. Die gegenwärtige Zeit ist gekennzeichnet von der Retterliebe Gottes, die alle Menschen ohne Unterschied einlädt und auffordert, zum Retter der Welt, Jesus Christus, umzukehren (d. h. Buße zu tun im Bekennen, Lassen und Hassen der Sünde) und an Ihn zu glauben für Zeit und Ewigkeit.

Den Abdruck des hier thematisch relevanten Teils dieser Predigt finden man übersetzt in: John MacArthur, Die Liebe Gottes. Einblicke in Gottes untergründliches Wesen und Handeln (5. Aufl., Augustdorf: Betanien, 2018), Anhang 1, S. 177–196. Orig.: The God Who Loves (Nashville, TN: Word Publishing, 2001). – Das genannte Buch von MacArthur ist in Gänze lesenswert und äußerst hilfreich, um das Thema des Zornes Gottes biblisch fundiert zu verstehen und richtig einordnen zu können. Dies ist heute, wo eine verschobene, schräge und unvollständige Darstellung üblich geworden ist, um so wichtiger (s. Todd M. Brenneman, Homespun Gospel: The Triumph of Sentimentality in Contemporary American Evangelicalism (Oxford: University Press, 2013).

John F. MacArthur (*1939) und Richard L. Mayhue

John MacArthur und Richard Mayhue haben eine hervorragende systematische Theologie geschrieben, die besonders auch für Nicht-Theologen lesbar ist: Biblische Lehre: Eine systematische Zusammenfassung biblischer Wahrheit (2. Aufl., Berlin: EBTC, 2020. Rezension), 1360 Seiten. Orig.: Biblical Doctrine: A Systematic Summary of Bible Truth (Wheaton, IL: Crossway, 2017), 1024 Seiten.

Die Frage des Zornes Gottes und wie man diesem entgeht durch das im Evangelium dargestellte Heilswerk Gottes wird vertiefend in folgenden Abschnitten besprochen: »Sünde (propitiatio[n])«, S. 699–703 und »Die Hölle«, S. 1110–1115. Als Kurzdefinition wird »Zorn Gottes« so erklärt: »Gottes Missfallen und Hass gegenüber allem Bösen, zusammen mit seiner Absicht, es zu strafen.« (S. 1246). – Selbstverständlich ist es didaktisch sinnvoller, dem Text der Biblischen Lehre von Beginn an zu folgen, um die Grundlagen und Zusammenhänge besser zu erfassen.

Christus oder Cäsar? – Einige Zitate

»Siehe, da nennt er [der Herr Jesus Christus; Lukas 22] die ordentliche Obrigkeit, die aber ihre Gewalt missbrauchte, eine Gewalt des Teufels. Was könnte Klareres geredet werden? Solches redet der Herr aber nicht betreffs des Amtes, sondern betreffs ihrer Personen. Also war wohl das Römische Reich von Gott verordnet, wie wir das aus den Gesichten des Propheten Daniels ersehen. Doch so, wie Nero regierte, tat er dies nicht aus Gott, wenn auch nicht ohne Gottes Ordnung, sondern aus dem Teufel, obschon er ein König und ein Kaiser war, weil er nicht tat, was ein guter Herr und Oberer tun soll. Denn wie anders als aus dem Teufel war es, dass er die Apostel Christi kreuzigte und enthauptete und eine blutige Verfolgung der Kirchen Christi anfing. Also muss man aufpassen, dass man eine tyrannische Gewalt nicht als eine göttliche verteidige. Denn eine tyrannische Regierung ist aus dem Teufel und nicht aus Gott, und Tyrannen sind eigentlich nicht Gottes, sondern des Teufels Diener.«

Heinrich Bullinger (1504–1575): Haußbuch. Die Sechzehende Predig (Heidelberg: Martinum Agricolam, 1568), Doppelseiten LXXIIII–LXXVIII. (Fettdruck hinzugefügt)

»Sowohl die Geschichte Daniels als auch der Befehl Gottes in Matthäus 10 und das Beispiel der Apostel in Apostelgeschichte 4 und 5 […] lehren uns, dass wir dem König oder dem Magistrat nicht gehorchen dürfen, wenn ihre Befehle sich gegen Gott und die rechte Anbetung richten. Vielmehr sollen wir dann unsere Person und unser Leben und unser Glück in die Waagschale werfen.«

Heinrich Bullinger (1504–1575), Reformator in Zürich, 1554. (Fettdruck hinzugefügt)

»Wenn staatliche Rechte den Platz gottgegebener Rechte einnehmen, können wir leicht von Abtreibung über Kindesmord zu Euthanasie übergehen. […]

Da es der Staat und nicht Gott ist, der Rechte schafft, folgt daraus, dass man den Staat logischerweise nicht für Menschenrechtsverletzungen kritisieren kann. Schließlich gäbe es ohne den Staat überhaupt keine Menschenrechte. Wenn der Staat sagt, dass man kein Recht hat, den Staat zu kritisieren, dann ist das so. Der Staat gibt die Rechte und nimmt sie wieder. Chesterton hat es treffend formuliert:

›Nur wenn wir an Gott glauben, können wir jemals die Regierung kritisieren. Schafft man Gott ab, wird die Regierung zum Gott […] Die Wahrheit ist, dass Irreligion das Opium des Volkes ist.‹ [Gilbert Keith Chesterton, Collected Works, Vol. XX (San Francisco: Ignatius Press, 2001), S. 57–58.]«

Erwin W. Lutzer (*1941), Wir werden nicht schweigen. Als Christen für Freiheit und Werte eintreten (Dillenburg: CVD, 2020), S. 203. (Fettdruck hinzugefügt) Lutzer war 1980–2016 Seniorpastor der The Moody Church, Chicago, Illinois (USA).

»Lenin said that religion is the opium of the people… [But] it is only by believing in God that we can ever criticize the Government. Once abolish the God, and the Government becomes the God. That fact is written all across human history; but it is written most plainly across that recent history of Russia; which was created by Lenin… Lenin only fell into a slight error: he only got it the wrong way round. The truth is that irreligion is the opium of the people. Wherever the people do not believe in something beyond the world, they will worship the world.«

Gilbert Keith Chesterton (1874–1936), Christendom in Dublin (World Eucharistic Conference 1932), in: The Collected Works, Vol. 20. (Fettdruck hinzugefügt)