John N. Darby über die „Arminianer“ (Deutsch)

Der anglo-irische Bibellehrer John N. Darby (1800–1882), einer der einflussreichsten Theologen der frühen „Brüderbewegung“ (sog. „Plymouth Brethren“), hatte in seiner Zeit wiederholt mit Vertretern der Denkschule der „Arminianer“ zu tun. Vor allem in der uralten Diskussion über den „freien Willen“ und der Zu- und Aneignung des ewigen Heils gab es zahlreiche Auseinandersetzungen, die größtenteils in seinen Collected Writings und seinen Letters erhalten geblieben sind.

Am 9. Mai 1879 schrieb Darby aus Pau einen Brief in italienischer Sprache an G. Biava, der einen Artikel über den „freien Willen“ verfasst und wohl Darby zur Beurteilung vorgelegt hatte. Darbys Antwort ist in den Letters in englischer Sprache erhalten geblieben. Hier einige Auszüge in eigener Übersetzung ins Deutsche (englisches Original hier):

»LIEBER BRUDER, – Der Artikel über den freien Willen hat mir sehr gefallen; ich finde nicht, dass es viel hinzuzufügen gibt. Alles hängt von der Tiefe der Überzeugung ab, die wir von unserem sündigen Zustand haben; und unsere Sicherheit und Freude hängen ebenfalls davon ab. Verlorensein oder Gerettetsein sind jene beiden Gegensätze, die unserer Stellung (Zustand) in Christus und unserer Stellung (Zustand) im alten Menschen entsprechen. Aber in der Argumentation der Arminianer gibt es einen völlig falschen Grundsatz, nämlich dass unsere Verantwortung von unserer Macht abhänge. Wenn ich jemandem 100.000 Pfund geliehen habe und er alles verschwendet hat, kann er das natürlich nicht zurückzahlen, aber ist seine Verantwortung deswegen beendet? Sicherlich nicht. Die Verantwortung hängt vom Recht desjenigen ab, der ihm das Geld geliehen hat, nicht von der Fähigkeit desjenigen, der das Geld zu Unrecht verschwendet hat. …

Alle Menschen haben seit dem Sündenfall ein Gewissen, das Wissen um Gut und Böse; sie wissen zu unterscheiden, aber das sagt nichts über den Willen aus. Da also das Gesetz Gehorsam verlangt und das Fleisch nicht unterworfen werden kann, ist es tatsächlich unmöglich, das Gesetz anzunehmen – nicht weil Gott ihn daran hindert, wie ich bereits gesagt habe, sondern weil der Mensch es nicht will. Außerdem verbietet das Gesetz die Begierde, aber der gefallene Mensch hat Begierde in seinem Fleisch [sündigen Wesen]; und auf diese Weise erkannte der Apostel die Sünde. Der Mensch muss sein sündiges Wesen verlieren, bevor er bereit ist, dem Gesetz zu gehorchen: Es ist daher notwendig, von neuem geboren zu werden. Nun kann der Mensch sich selbst nicht göttliches und ewiges Leben geben. Warum dann das Gesetz? Damit die Übertretung überhand nehme. Durch das Gesetz wird die Sünde „überaus sündig“; „das Gesetz erwirkt“ den gerechten „Zorn“ Gottes gegen uns, es erwirkt nicht die Furcht Gottes in uns. Das Gesetz gibt kein neues Leben. Alles, was wir haben, ist Feindschaft gegen Gott. Der Mensch im Fleisch kann das Gesetz nicht in sein Herz aufnehmen. …

Kann das Fleisch [unser sündiges Wesen] Christus empfangen – seine Freude am Sohn Gottes finden? Dann wäre es nicht mehr das Fleisch, es hätte den Geist des Vaters selbst. Wenn es im Menschen etwas anderes als Fleisch gibt, dann ist jener Mensch bereits aus Gott geboren, denn was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch. Wenn das Fleisch seine Freude an Christus finden könnte, besäße das Fleisch das Erhabenste, was es auf Erden und im Himmel gibt: es fände seine Freude dort, wo auch der Vater seine Freude findet. Dann wäre es nicht notwendig, aus Gott geboren zu sein, denn das Erhabenste, was jemand jetzt durch Gnade als Christ besitzt, besaß dieser bereits vor dem Empfang des Lebens, als er Christus empfing. Die Gewissheit der Erlösung wäre aber gleichzeitig dahin: Wenn die Erlösung die Frucht meines eigenen Willens wäre, hängte sie von meinem Willen ab. Wenn sie so leicht hervorgebracht werden könnte, könnte man nicht sagen: „Weil ich lebe, werdet auch ihr leben.“ …

Es heißt, der Glaube sei nur die Hand, die die Erlösung empfängt, aber was veranlasst uns, die Hand auszustrecken? Es ist die Gnade, die in uns wirkt.«

Quelle: John N. Darby, Letters, Vol. 2 (1868–1879), Nachdr., Kingston-on-Thames: Stow Hill Bible and Tract Depot, o. J., S. 501–503. Fett- und Farbdruck hinzugefügt. 
Textquelle (englisch) online auch hier: https://www.stempublishing.com/authors/darby/letters/52346I.html

Die pelagische Gefangenschaft der Kirche (R.C. Sproul)

Kurz nach Beginn der Reformation, in den ersten Jahren nachdem Martin Luther die 95 Thesen an die Kirchentür in Wittenberg angeschlagen hatte, veröffentlichte er einige kurze Broschüren zu verschiedenen Themen. Eine der provokantesten trug den Titel »Die babylonische Gefangenschaft der Kirche«. In diesem Buch blickte Luther auf jene Zeit in der Geschichte des Alten Testaments zurück, als Jerusalem von den einfallenden babylonischen Armeen zerstört und die Elite des Volkes in die Gefangenschaft verschleppt wurde. Luther übertrug im 16. Jahrhundert das Bild der historischen babylonischen Gefangenschaft auf seine Zeit und sprach von der neuen babylonischen Gefangenschaft der Kirche. Er bezeichnete Rom (die Römisch-katholische Kirche) als das moderne Babylon, das das Evangelium als Geisel hielt, indem es das biblische Verständnis der Rechtfertigung ablehnte. Man kann sich vorstellen, wie heftig die Kontroverse war und wie polemisch dieser Titel in dieser Zeit war, wenn man sagt, dass die Kirche nicht einfach nur geirrt oder vom Weg abgekommen sei, sondern gefallen sei – dass sie jetzt tatsächlich babylonisch sei, dass sie jetzt in heidnischer Gefangenschaft sei.

Ich habe mich oft gefragt, was Luther wohl sagen würde, wenn er heute leben und in unsere Kultur kommen würde und sich nicht die liberale Kirchengemeinschaften, sondern die evangelikalen Kirchen ansehen würde. Natürlich kann ich diese Frage nicht mit endgültiger Autorität beantworten, aber ich vermute Folgendes: Wenn Martin Luther heute leben und seinen Stift zur Hand nehmen würde, um zu schreiben, würde das Buch, das er in unserer Zeit schreiben würde, den Titel Die pelagische Gefangenschaft der evangelikalen Kirche tragen. Luther sah, dass die Rechtfertigungslehre durch ein viel tieferes theologisches Problem angegriffen wurde. Er schreibt ausführlich darüber in Von der Freiheit eines Christenmenschen. Wenn wir uns die Reformation ansehen und die Soli der Reformation betrachten – sola scriptura • sola fide • sola gratia • solus Christus • soli Deo gloria – war Luther davon überzeugt, dass das eigentliche Thema der Reformation die Frage der Gnade war; und dass der Lehre von sola fide, der Rechtfertigung durch den Glauben allein, die vorherige Verpflichtung zu sola gratia, dem Konzept der Rechtfertigung durch Gnade allein, zugrunde lag.

In der Fleming-Revell-Ausgabe von »The Bondage of the Will« [orig.: De Servo Arbitrio; dtsch.: Vom unfreien Willen, oder: Über den geknechteten Willen, 1525] fügten die Übersetzer J. I. Packer und O. R. Johnston eine etwas provokative historische und theologische Einführung in das Buch selbst ein. So lautet der Schluss dieser Einführung:

Über diese Dinge müssen Protestanten heute nachdenken. Mit welchem Recht können wir uns Kinder der Reformation nennen? Vieles im modernen Protestantismus würde von den Reformatoren der ersten Stunde weder anerkannt noch gutgeheißen werden. Das Buch Vom unfreien Willen zeigt uns ziemlich genau, was sie über die Erlösung der verlorenen Menschheit glaubten. 

Im Lichte dessen sind wir gezwungen zu fragen, ob das protestantische Christentum zwischen Luthers Zeit und unserer Zeit nicht auf tragische Weise sein Geburtsrecht verkauft hat. Ist der Protestantismus heute nicht eher erasmisch als lutherisch geworden? Versuchen wir nicht zu oft, Lehrunterschiede zu minimieren und zu beschönigen, um des Friedens zwischen den Parteien willen? Sind wir unschuldig, was die Gleichgültigkeit gegenüber der Lehre, die Luther Erasmus vorwarf, angeht? Glauben wir immer noch, dass die biblische Lehre wichtig ist? [1]

Historisch gesehen ist es eine einfache Tatsache, dass Luther, Calvin, Zwingli und alle führenden protestantischen Theologen der ersten Epoche der Reformation hier genau auf dem gleichen Standpunkt standen. In anderen Punkten hatten sie ihre Differenzen. Sie waren sich jedoch völlig einig, was die Hilflosigkeit des Menschen in der Sünde und die Souveränität Gottes in der Gnade betraf. Für jeden von ihnen waren diese Lehren das Herzblut des christlichen Glaubens. Ein moderner Herausgeber von Luthers Werken sagt dazu:

Wer dieses Buch aus der Hand legt, ohne erkannt zu haben, dass die evangelische Theologie mit der Lehre von der Unfreiheit des Willens steht oder fällt, hat es vergeblich gelesen. Die Lehre von der freien Rechtfertigung allein durch den Glauben, die während der Reformationszeit zum Zentrum so vieler Kontroversen wurde, wird oft als das Herzstück der Theologie der Reformatoren angesehen, aber das ist nicht richtig. Die Wahrheit ist, dass ihr Denken sich wirklich auf die Behauptung des Paulus konzentrierte, die von Augustinus und anderen aufgegriffen wurde, dass die gesamte Erlösung des Sünders nur durch freie und souveräne Gnade geschieht, und dass die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben für sie wichtig war, weil sie das Prinzip der souveränen Gnade sicherte. Diese Souveränität der Gnade fand in ihrem Denken auf einer noch tieferen Ebene in der Lehre von der monergistischen [allein von Gott gewirkten] Wiedergeburt Ausdruck. [2]

Das heißt, dass der Glaube, der Christus zur Rechtfertigung annimmt, selbst das freie Geschenk eines souveränen Gottes ist. Das Prinzip des sola fide wird erst dann richtig verstanden, wenn es als im umfassenderen Prinzip des sola gratia verankert betrachtet wird. Was ist die Quelle des Glaubens? Ist es das von Gott gegebene Mittel, durch das die von Gott gegebene Rechtfertigung empfangen wird, oder ist es eine Bedingung der Rechtfertigung, die der Mensch erfüllen muss? Hören Sie den Unterschied? Ich möchte es in einfachen Worten ausdrücken. Ich hörte kürzlich einen Evangelisten sagen: »Wenn Gott tausend Schritte unternimmt, um dich für deine Erlösung zu erreichen, musst du letztendlich immer noch den entscheidenden Schritt tun, um gerettet zu werden.« Denken Sie an die Aussage von Amerikas beliebtestem und führendem Evangelisten des 20. Jahrhunderts, Billy Graham, der mit großer Leidenschaft sagte: »Gott erledigt neunundneunzig Prozent, aber du musst immer noch das letzte Prozent tun.«

Was ist Pelagianismus?

Kommen wir nun kurz auf meinen Titel »Die pelagianische Gefangenschaft der Kirche« zurück. Worüber sprechen wir? Pelagius war ein Mönch, der im fünften Jahrhundert in Großbritannien lebte (um 350–420). Er war ein Zeitgenosse des größten Theologen des ersten Jahrtausends der Kirchengeschichte, wenn nicht aller Zeiten, Aurelius Augustinus (354–430), Bischof von Hippo in Nordafrika. Wir haben vom heiligen Augustinus gehört, von seinen großen theologischen Werken, von seinem »Gottesstaat« (De civitate Dei contra Paganos), von seinen »Bekenntnissen« (Confessiones) und so weiter, die nach wie vor zu den Klassikern der christlichen Literatur gehören.

Augustinus war nicht nur ein herausragender Theologe und ein erstaunlicher Intellektueller, sondern auch ein Mann von tiefer Spiritualität und Gebet. In einem seiner berühmten Gebete machte Augustinus eine scheinbar harmlose und unschuldige Aussage in dem Gebet zu Gott, in dem er sagte: »O Gott, befehle, was du willst, und gewähre, was du befiehlst.« Nun, würde Sie es in Rage versetzen, wenn Sie ein solches Gebet hörten? Jedenfalls versetzte es Pelagius, diesen britischen Mönch, ordentlich in Aufruhr. Er protestierte lautstark und appellierte sogar an Rom, dieses grässliche Gebet aus der Feder des Augustinus zu verbannen. Was war der Grund seiner Empörtheit? Er sagte: »Willst du damit sagen, Augustinus, dass Gott das angeborene Recht hat, seinen Geschöpfen alles zu befehlen, was er will? Niemand wird das bestreiten. Gott hat als Schöpfer von Himmel und Erde von Natur aus das Recht, seinen Geschöpfen Verpflichtungen aufzuerlegen und zu sagen: ‚Du sollst dies tun und du sollst das nicht tun.‘ ‚Befiehl, was du willst‘ – das ist ein vollkommen legitimes Gebet.«

Es ist der zweite Teil des Gebets, den Pelagius verabscheute, als Augustinus sagte: »und gewähre, was du befiehlst.« Er sagte: »Wovon redest du? Wenn Gott gerecht ist, wenn Gott rechtschaffen ist und Gott heilig ist und wenn Gott dem Geschöpf befiehlt, etwas zu tun, dann muss dieses Geschöpf sicherlich die Kraft in sich haben, die moralische Fähigkeit in sich haben, es auszuführen, sonst würde Gott es gar nicht erst verlangen.« Klingt logisch, oder? Pelagius wollte damit sagen, dass moralische Verantwortung immer und überall moralische Fähigkeit oder einfach moralische Befähigung impliziert. Warum sollten wir also beten müssen: »Gott, gib mir die Gabe, das zu tun, was du mir befiehlst«? Pelagius sah in dieser Aussage einen Schatten, der auf die Integrität Gottes selbst geworfen wurde, der die Menschen für etwas verantwortlich machen würde, das sie nicht tun können.

In der anschließenden Debatte machte Augustinus deutlich, dass Gott Adam und Eva bei der Schöpfung nichts befohlen hatte, was sie nicht hätten ausführen können. Aber als die Sünde Einzug hielt und die Menschheit fiel, wurde Gottes Gesetz nicht aufgehoben, noch passte Gott seine heiligen Anforderungen nach unten an, um dem geschwächten, gefallenen Zustand seiner Schöpfung Rechnung zu tragen. Gott bestrafte seine Schöpfung, indem er das Urteil der Erbsünde über sie verhängte, sodass jeder, der nach Adam und Eva in diese Welt geboren wurde, bereits tot in Sünde geboren wurde. Die Erbsünde ist nicht die erste Sünder, sie ist das Ergebnis der ersten Sünde. Sie bezieht sich auf unsere angeborene Verderbtheit, durch die wir in Sünde geboren werden: in Sünde haben uns unsere Mütter empfangen. Wir werden nicht in einem neutralen Zustand der Unschuld geboren, sondern in einem sündigen, gefallenen Zustand. Praktisch jede Kirche im historischen Ökumenischen Rat der Kirchen artikulierte zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer Geschichte und in ihrer Bekenntnisentwicklung eine Lehre von der Erbsünde. Denn diese geht so klar aus der biblischen Offenbarung hervor, dass es einer Ablehnung der biblischen Sichtweise vom Menschen bedürfte, um die Erbsünde gänzlich zu leugnen.

Genau darum ging es im Streit zwischen Augustinus und Pelagius im fünften Jahrhundert. Pelagius sagte, dass es so etwas wie Erbsünde nicht gebe. Adams Sünde beträfe Adam, und nur Adam. Es gebe keine Übertragung oder Weitergabe von Schuld, Sündenfall oder Verderbtheit an die Nachkommen Adams und Evas. Jeder Mensch werde in demselben Zustand der Unschuld geboren, in dem Adam erschaffen wurde. Pelagius sagte, dass es für einen Menschen durchaus möglich sei, ein Leben im Gehorsam gegenüber Gott, ein Leben in moralischer Vollkommenheit, zu führen, ohne irgendeine Hilfe von Jesus oder irgendeine Hilfe durch die Gnade Gottes dafür zu benötigen. Pelagius sagte damit, dass die Gnade – und hier liegt der entscheidende Unterschied – die Gerechtigkeit erleichtert.

Was bedeutet aber in diesem Zusammenhang »erleichtern«? Die Gnade hilft, macht es einfacher, macht es leichter. Aber man muss diese Gnade nicht haben, man kann auch ohne Gnade vollkommen sein. Pelagius erklärte weiter, dass es für manche Menschen nicht nur theoretisch möglich sei, ein vollkommenes Leben ohne jegliche Hilfe durch göttliche Gnade zu führen, sondern dass es tatsächlich Menschen gebe, die dies tun. Augustinus reagierte darauf mit einem: »Nein, nein, nein, nein … wir sind von Natur aus bis in die Tiefen und den Kern unseres Seins von der Sünde infiziert – so sehr, dass kein Mensch die moralische Kraft hat, sich der Gnade Gottes zuzuwenden.« Der menschliche Wille hat aufgrund der Erbsünde zwar immer noch die Macht zu wählen, ist aber seinen bösen Wünschen und Neigungen verfallen. Der Zustand der gefallenen Menschheit ist einer, den Augustinus als die Unfähigkeit, nicht zu sündigen, beschreiben würde. Einfach gefasst sagte Augustinus damit, dass der Mensch durch den Sündenfall die moralische Fähigkeit verloren habe, das zu tun, was Gott will, und dass er von seinen eigenen bösen Neigungen gefangen gehalten werde.

Im fünften Jahrhundert verurteilte die Kirche Pelagius als Ketzer. Der Pelagianismus wurde auf dem Konzil von Orange (529, ehemals Arausio genannt, in Südfrankreich) verurteilt und erneut auf dem Konzil von Florenz (1437–1447), dem Konzil von Karthago (418) und ironischerweise auch auf dem Konzil von Trient (1545–1563) im 16. Jahrhundert in den ersten drei Anathemas der Kanones der sechsten Sitzung. Die Kirche hat also den Pelagianismus durchweg in der gesamten Kirchengeschichte rundheraus und entschieden verurteilt – weil der Pelagianismus die Gefallenheit unserer Natur leugnet; er leugnet die Lehre von der Erbsünde.

Nun war das, was man als Semi-Pelagianismus bezeichnet, wie das Präfix „semi“ andeutet, eine Art Mittelweg zwischen dem voll ausgebildeten Augustinianismus und dem voll ausgebildeten Pelagianismus. Der Semi-Pelagianismus besagt Folgendes: Ja, es gab einen Sündenfall; ja, es gibt so etwas wie Erbsünde; ja, die grundlegende Natur des Menschen wurde durch diesen Zustand der Verderbtheit verändert und alle Teile unserer Menschlichkeit wurden durch den Sündenfall erheblich geschwächt, so sehr, dass ohne die Hilfe der göttlichen Gnade niemand erlöst werden kann, sodass die Gnade nicht nur hilfreich, sondern für die Erlösung absolut notwendig ist. Wir sind zwar so tief gesunken, dass wir ohne Gnade nicht gerettet werden können, aber wir sind nicht so tief gesunken, dass wir nicht die Fähigkeit hätten, die Gnade anzunehmen oder abzulehnen, wenn sie uns angeboten wird. Der Wille ist geschwächt, aber nicht versklavt. Im Kern unseres Wesens gibt es eine Insel der Rechtschaffenheit, die vom Sündenfall unberührt bleibt. Ausgehend von dieser kleinen Insel der Rechtschaffenheit, diesem kleinen Stückchen Güte, das in der Seele oder im Willen noch intakt ist, liegt der entscheidende Unterschied zwischen Himmel und Hölle. Es ist diese kleine Insel, die genutzt werden muss, wenn Gott seine tausend Schritte unternimmt, um uns zu erreichen, aber letztendlich ist es der eine Schritt, den wir tun, der darüber entscheidet, ob wir in den Himmel oder in die Hölle kommen – ob wir diese kleine Gerechtigkeit, die im Kern unseres Wesens liegt, ausüben oder nicht. Diese kleine Insel würde Augustinus nicht einmal als Atoll im Südpazifik erkennen. Er sagte, es sei eine Insel der Phantasie (wörtlich.: »mythische Insel«), vielmehr sei der Wille versklavt und der Mensch tot in seinen Sünden und Verfehlungen.

Ironischerweise verurteilte die Kirche den Semi-Pelagianismus genauso vehement, wie den ursprünglichen Pelagianismus. Doch als man im 16. Jahrhundert das katholische Verständnis dessen las, was bei der Erlösung geschieht, wies die Kirche im Grunde genommen das zurück, was Augustinus und auch Aquin gelehrt hatten. Die Kirche kam zu dem Schluss, dass es immer noch diese Freiheit gebe, dass etwas im menschlichen Willen noch intakt sei, und dass der Mensch mit der »vorauslaufenden« Gnade, die Gott ihm anbietet, kooperieren und ihr zustimmen müsse (und könne). Wenn wir diesen Willen ausüben, wenn wir mit den Kräften, die uns noch bleiben, kooperieren, werden wir gerettet. Und so kehrte die Kirche im 16. Jahrhundert zum Semi-Pelagianismus zurück.

Zur Zeit der Reformation waren sich alle Reformatoren in einem Punkt einig: dass der gefallene Mensch unfähig sei, sich den Dingen Gottes zuzuwenden; dass alle Menschen, um gerettet zu werden, völlig, nicht zu neunundneunzig Prozent, sondern zu hundert Prozent von der monergistischen Arbeit der Erneuerung abhängig seien, um zum Glauben zu gelangen, und dass der (rettende) Glaube selbst ein Geschenk Gottes sei. Es ist nicht so, dass uns die Erlösung angeboten wird und wir wiedergeboren werden, wenn wir uns für den Glauben entscheiden. Wir können vielmehr nicht einmal (rettend) glauben, bis Gott in seiner Gnade und Barmherzigkeit zuerst die Neigungen unserer Seelen durch sein souveränes Werk der Erneuerung verändert. Mit anderen Worten: Die Reformatoren waren sich alle einig, dass ein Mensch, der nicht wiedergeboren ist, das Reich Gottes nicht einmal sehen kann, geschweige denn in es eintreten kann (Johannes 3,3.5). Wie Jesus im sechsten Kapitel des Johannesevangeliums sagt: »Niemand kann zu mir kommen, wenn der Vater, der mich gesandt hat, ihn nicht zieht« (6,44). Die notwendige Bedingung für den Glauben und die Erlösung eines jeden Menschen ist seine Erneuerung durch »Geburt von oben«.

Evangelikale und Glaube

Der moderne Evangelikalismus lehrt fast einheitlich und allgemein, dass ein Mensch, um wiedergeboren zu werden, zuerst Glauben ausüben muss. Man muss sich dafür entscheiden, wiedergeboren zu werden. Ist es nicht das, was Sie hören? In einer Umfrage von George Barna[3] äußerten mehr als siebzig Prozent der »bekennenden evangelikalen Christen« in Amerika die Überzeugung, dass der Mensch im Grunde gut ist. Und mehr als achtzig Prozent vertraten die Ansicht, dass Gott denen hilft, die sich selbst helfen. Diese Positionen – oder lassen Sie es mich negativ ausdrücken – keine dieser Positionen ist semi-pelagianisch. Sie sind beide pelagianisch. Zu sagen, dass wir im Grunde gut sind, ist die pelagianische Ansicht. Ich würde davon ausgehen, dass in mindestens dreißig Prozent der Menschen, die diesen Artikel lesen, und wahrscheinlich mehr, wenn wir ihr Denken wirklich eingehend untersuchen, wir Herzen finden würden, die für den Pelagianismus schlagen. Wir sind davon überwältigt. Wir sind davon umgeben. Wir sind darin versunken. Wir hören es jeden Tag. Wir hören es jeden Tag in der säkularen Kultur. Und wir hören es nicht nur jeden Tag in der säkularen Kultur, sondern auch jeden Tag im christlichen Fernsehen und im christlichen Radio.

Im 19. Jahrhundert gab es einen Prediger, der in Amerika sehr populär wurde und ein Buch über Theologie schrieb, das aus seiner eigenen juristischen Ausbildung hervorging und in dem er keinen Hehl aus seinem Pelagianismus machte. Er lehnte nicht nur den Augustinianismus ab, sondern auch den Semi-Pelagianismus, und bezog klar Stellung zum vollen Pelagianismus, indem er ohne Umschweife und ohne jegliche Zweideutigkeit sagte, dass es keinen Sündenfall gab und dass es so etwas wie Erbsünde nicht gebe. Dieser Mann griff die Lehre von der stellvertretenden Sühne Christi heftig an und lehnte darüber hinaus die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben allein durch die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi so laut und deutlich wie möglich ab. Die Grundthese dieses Mannes lautete: Wir brauchen die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi nicht, weil wir aus uns selbst heraus die Fähigkeit haben, gerecht zu werden. Sein Name ist Charles Finney, einer der am meisten verehrten Evangelisten Amerikas [4]. Wenn Luther nun Recht hatte mit seiner Aussage, dass »sola fide« der Artikel ist, auf dem die Kirche steht oder fällt, und wenn die Reformatoren sagten, dass die Rechtfertigung durch den Glauben allein eine wesentliche Wahrheit des Christentums ist, die auch argumentierten, dass die stellvertretende Sühne eine wesentliche Wahrheit des Christentums ist; wenn sie mit ihrer Einschätzung, dass diese Lehren wesentliche Wahrheiten des Christentums sind, Recht haben, dann können wir nur zu dem Schluss kommen, dass Charles Finney kein Christ war. Ich habe seine Schriften gelesen und sage: »Ich verstehe nicht, wie ein Christ so etwas schreiben kann.« Und doch ist er in der Ruhmeshalle des evangelikalen Christentums in Amerika. Er ist der Schutzpatron des Evangelikalismus des 20. Jahrhunderts. Und er ist kein Semi-Pelagianer; er vertrat vielmehr ungeschminkt den Pelagianismus.

Die Insel der Rechtschaffenen

Eines ist klar: Man kann rein pelagianisch und trotzdem in der heutigen evangelikalen Bewegung vollkommen willkommen sein. Es ist nicht einfach so, dass das Kamel seine Nase in das Zelt steckt; es kommt nicht nur in das Zelt – es wirft den Besitzer des Zeltes hinaus. Der moderne Evangelikalismus betrachtet die reformierte Theologie, die zu einer Art drittklassigem Bürger des Evangelikalismus geworden ist, heute mit Argwohn. Jetzt sagen Sie: »Moment mal, R. C.! Wir sollten nicht alle mit dem extremen Pelagianismus in einen Topf werfen, denn schließlich sagen Billy Graham und der Rest dieser Leute, dass es einen Sündenfall gab, dass man Gnade braucht, dass es so etwas wie Erbsünde gibt und dass Semi-Pelagianer nicht mit Pelagius‘ oberflächlicher und zuversichtlicher Sichtweise der ungefallenen menschlichen Natur übereinstimmen.« Und das ist wahr, keine Frage. Aber es ist diese Behauptung von einer kleinen Insel der Rechtschaffenheit, auf der der Mensch immer noch die Fähigkeit habe, aus sich selbst heraus sich zu bekehren, zu ändern, sich zu neigen, zu entscheiden, das Angebot der Gnade anzunehmen, das offenbart, warum der Semi-Pelagianismus historisch gesehen nicht Semi-Augustinianismus, sondern Semi-Pelagianismus genannt wird.

Ich habe gehört, wie ein Evangelist zwei Analogien verwendete, um zu beschreiben, was bei unserer Erlösung geschehe. (1) Er sagte, dass die Sünde uns so stark im Würgegriff habe, dass es wie bei einer Person sei, die nicht schwimmen kann und in einem tobenden Meer über Bord gehe. Sie gehe zum dritten Mal unter und nur noch die Fingerspitzen seien über dem Wasser zu sehen. Wenn niemand eingreift, um sie zu retten, habe sie keine Überlebenschance, ihr Tod sei gewiss. Und wenn Gott dieser Person keinen Rettungsring zuwerfe, könne sie unmöglich gerettet werden. Und Gott müsse ihm nicht nur einen Rettungsring in die ungefähre Richtung zuwerfen, in der er sich befindet, sondern dieser Rettungsring müsse ihn genau dort treffen, wo seine Finger noch aus dem Wasser ragten, und ihn so treffen, dass er ihn greifen könne. Er müsse also perfekt geworfen werden. Aber dennoch würde diese Person ertrinken, es sei denn, sie nehme ihre Finger und schließe sie um den Rettungsring. So rette Gott sie. Wenn aber diese winzige menschliche Handlung nicht ausgeführt würde, werde sie mit Sicherheit zugrunde gehen.

(2) Die andere Analogie ist folgende: Ein Mann sei todkrank und liege mit seiner tödlichen Krankheit in seinem Krankenhausbett. Es gebe keine Möglichkeit, ihn zu heilen, es sei denn, jemand von außerhalb käme mit einem Heilmittel, einem Medikament, das diese tödliche Krankheit heilen könne. Und Gott habe dieses Heilmittel und käme in das Krankenzimmer mit diesem rettenden Medikament. Aber der Mann sei so schwach, dass er sich nicht einmal selbst das Medikament geben könne, Gott müsse es selbst auf einen Löffel gießen. Der Mann sei aber so krank, dass er fast im Koma liege. Er könne nicht einmal den Mund öffnen, Gott müsse sich vorbeugen und seinen Mund für ihn öffnen. Gott müsse den Löffel an die Lippen des Mannes bringen. Aber der Mann müsse die Medizin trotzdem schlucken.

Wenn wir schon Analogien verwenden, dann sollten wir auch (biblisch) genau sein. Der Mann geht nicht zum dritten Mal unter, vielmehr liegt er in Leichenstarre tot auf dem Meeresgrund. Dort wart ihr einst, als ihr tot wart in Sünden und Vergehen und dem Lauf dieser Welt gefolgt seid, dem Fürsten der Macht der Luft [vgl. Epheser 2,1–3]. Und Gott hat euch mit Christus lebendig gemacht, als ihr tot wart [vgl. Epheser 2,4–8]. Gott tauchte auf den Meeresgrund und nahm diesen ertrunkenen Leichnam und hauchte ihm den Atem seines Lebens ein und erweckte ihn von den Toten. Und es ist nicht so, dass wir in einem Krankenhausbett an einer bestimmten Krankheit gestorben wären, sondern vielmehr, dass wir bei unserer Geburt tot auf die Welt kamen. Die Bibel sagt, dass wir moralisch tot geboren werden.

Haben wir einen Willen? Ja, natürlich haben wir einen Willen. Calvin sagte, wenn man unter einem freien Willen eine Entscheidungsfähigkeit versteht, durch die man die Macht in sich hat, das zu wählen, was man sich wünscht, dann haben wir alle einen freien Willen. Wenn man unter einem freien Willen die Fähigkeit gefallener Menschen versteht, sich zu beugen und diesen Willen auszuüben, um die Dinge Gottes zu wählen, ohne das vorherige monergistische Werk der Erneuerung, dann, so Calvin, ist der freie Wille ein viel zu großartiger Begriff, um ihn auf einen Menschen anzuwenden.

Die semi-pelagianische Doktrin des freien Willens, die heute in der evangelikalen Welt vorherrscht, ist eine heidnische Sichtweise, die die Gefangenschaft des menschlichen Herzens in der Sünde leugnet. Sie unterschätzt den Würgegriff, den die Sünde auf uns ausübt.

Keiner von uns möchte die Dinge so schlecht sehen, wie sie wirklich sind. Die biblische Lehre von der menschlichen Verderbtheit ist düster. Wir hören den Apostel Paulus nicht sagen: »Wisst ihr, es ist traurig, dass es so etwas wie Sünde in der Welt gibt; niemand ist perfekt. Aber seid guten Mutes. Wir sind im Grunde gut.« Sehen Sie, dass selbst eine oberflächliche Lektüre der Heiligen Schrift dies leugnet?

Nun zurück zu Luther. Was ist die Quelle und der Status des Glaubens? Ist er das von Gott gegebene Mittel, durch das die von Gott gegebene Rechtfertigung empfangen wird? Oder ist er eine Bedingung der Rechtfertigung, die wir erfüllen müssen? Ist Ihr Glaube ein Werk? Ist es das eine Werk, das Gott Ihnen zu tun überlässt? Ich hatte kürzlich eine Diskussion mit einigen Leuten in Grand Rapids, Michigan. Ich sprach über sola gratia, und ein Mann war verärgert.

Er sagte: »Wollen Sie mir sagen, dass es letztendlich Gott ist, der ein Herz souverän erneuert oder nicht?«

Und ich sagte: »Ja!«, und das hat ihn sehr verärgert. Ich sagte: »Lassen Sie mich Folgendes fragen: Sind Sie Christ?«

Er sagte: »Ja.«

Ich sagte: »Haben Sie Freunde, die keine Christen sind?«

Er sagte: »Nun, natürlich.«

Ich sagte: »Warum sind Sie Christ und Ihre Freunde nicht? Ist es, weil Sie rechtschaffener sind als sie?« Er war nicht dumm, darum sagte er nun nicht: »Natürlich, weil ich rechtschaffener bin. Ich habe das Richtige getan und mein Freund nicht.« Er wusste, worauf ich mit dieser Frage hinauswollte.

So sagte er: »Oh nein, nein, nein.«

Ich sagte: »Sagen Sie mir, warum. Ist es, weil Sie klüger sind, als Ihr Freund?«

Er antwortete: »Nein.«

Aber er wollte nicht zugeben, dass der entscheidende Punkt die Gnade Gottes war. Er wollte nicht darauf eingehen. Und nachdem wir fünfzehn Minuten lang darüber diskutiert hatten, sagte er: »Okay! Ich sage es: Ich bin Christ, weil ich das Richtige getan habe, ich habe die richtige Antwort gegeben, und mein Freund nicht«

Worauf vertraute diese Person für ihre Erlösung? Nicht auf ihre Werke im Allgemeinen, sondern auf das eine Werk, das sie vollbracht hatte. Und er war Protestant, ein Evangelikaler. Aber seine Ansicht über die Erlösung unterschied sich nicht von der römisch-katholischen Ansicht.

Gottes Souveränität in der Erlösung

Es geht im Kern um Folgendes: Was entscheidet letztlich das Heil? Ist es Teil von Gottes Geschenk der Erlösung oder ist es unser eigener Beitrag zur Erlösung? Ist unsere Erlösung ganz und gar Gottes Werk oder hängt sie letztlich von etwas ab, das wir selbst tun? Diejenigen, die Letzteres sagen, dass sie letztlich von etwas abhängt, das wir selbst tun, leugnen damit die völlige Hilflosigkeit des Menschen in der Sünde und behaupten damit, dass eine Form des Semi-Pelagianismus doch wahr sei. 

Es ist daher nicht verwunderlich, dass die spätere reformierte Theologie den Arminianismus im Prinzip sowohl als Rückkehr zu Rom verurteilte, weil er den Glauben in ein Verdienstwerk verwandelte, als auch als Verrat an der Reformation, weil er die Souveränität Gottes bei der Errettung von Sündern leugnete, was das tiefste religiöse und theologische Prinzip des Denkens der Reformatoren war. Der Arminianismus war in den Augen der Reformierten in der Tat eine Abkehr vom neutestamentlichen Christentum zugunsten des neutestamentlichen Judentums. Denn sich im Glauben auf sich selbst zu verlassen, ist im Prinzip nichts anders, als sich bei Werken auf sich selbst zu verlassen, und das eine ist genauso unchristlich und antichristlich wie das andere. Angesichts dessen, was Luther zu Erasmus sagt, besteht kein Zweifel daran, dass er dieses Urteil gebilligt hätte.

Und doch ist diese Ansicht heute in bekennenden evangelikalen Kreisen die überwältigende Mehrheit. Und solange der Semi-Pelagianismus, der im Kern einfach eine kaum verhüllte Version des echten Pelagianismus ist, in der Kirche vorherrscht, weiß ich nicht, was passieren wird. Aber ich weiß, was nicht passieren wird: Es wird keine neue Reformation geben. Solange wir uns nicht demütigen und verstehen, dass kein Mensch eine Insel ist und dass kein Mensch eine Insel der Gerechtigkeit hat, dass wir für unsere Erlösung völlig von der reinen Gnade Gottes abhängig sind, werden wir nicht anfangen, uns auf die Gnade zu verlassen und uns an der Größe der Souveränität Gottes zu erfreuen, und wir werden den heidnischen Einfluss des Humanismus nicht los, der den Menschen verherrlicht und in den Mittelpunkt der Religion stellt. Solange wir uns nicht demütigen, wird es keine neue Reformation geben, denn im Mittelpunkt der reformatorischen Lehre steht die zentrale Stellung der Anbetung und Dankbarkeit gegenüber Gott und Gott allein. Soli Deo gloria, Gott allein sei die Ehre.

Anmerkungen

  • [1] J. I. Packer und O. R. Johnston, „Introduction“ zu The Bondage of the Will (Old Tappan, NJ: Fleming Revell, 1957), S. 59–60. Deutsch: Vom unfreien Willen (orig.: De servo arbitrio, 1523). Digitalquelle: https://www.theology.de/downloads/deservoarbitrio.pdf [abgerufen 25.03.2025]. – Siehe auch: Scott Clark, Luther über die Freiheit und Knechtschaft des Willens. 6. November 2017. Digitalquelle: https://www.evangelium21.net/media/781/luther-ueber-die-freiheit-und-knechtschaft-des-willens [abgerufen 25.03.2025] .
  • [2] ders.
  • [3] George Barna (geb. 1954) ist der Gründer von The Barna Group, einem Unternehmen für Marktforschung, das sich auf die Untersuchung der religiösen Überzeugungen und Verhaltensweisen von Amerikanern sowie auf die Schnittstelle zwischen Glauben und Kultur spezialisiert hat.
  • [4] »Charles Grandison Finney (* 29. August 1792 in Warren, Litchfield County, Connecticut; † 16. August1875 in Oberlin, Ohio) war ein US-amerikanischer Jurist, evangelikaler Erweckungsprediger, Hochschullehrer und Rektor des Oberlin Collegiate Institute und wichtiger Vertreter der Heiligungsbewegung und des Oberlin Perfektionismus.« (https://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Grandison_Finney, abgerufen 14.04.2025).


Ein Einwand gegen Gottes Souveränität, der sie beweist (Mike Riccardi)

In Römer 9 erörtert Paulus Gottes absolute Freiheit in seinen Heilsplänen. Er verwendet das Beispiel der Zwillinge Jakob und Esau und erklärt, dass Gottes Entscheidung für Jakob und gegen Esau nichts mit den beiden zu tun hatte. Vielmehr wählte Gott, „damit [sein] Vorsatz nach seiner Wahl bestehen bleibe“ (Römer 9,11b). Diese Wahl wurde „nicht aufgrund von Werken, sondern aufgrund dessen getroffen, der berufen hat“ (Römer 9,12a). Er fährt fort, dass die Erlösung „nicht von dem abhängt, der will oder der läuft, sondern von Gott, der Erbarmen hat“ (Römer 9,16), und untermauert diese Behauptung dann mit dem Hinweis, dass Gott das Herz des Pharaos verhärtet habe, um seine Macht zu demonstrieren und seinen Namen durch die folgenden Ereignisse zu verkünden (Römer 9,17; vgl. 2. Mose 9,16). Paulus fasst seinen Standpunkt dann zusammen, indem er erklärt: „So denn, wen er will, begnadigt er, und wen er will, verhärtet er.“ (Römer 9,18).

Dann nimmt Paulus einen Einwand vorweg: „Du wirst nun zu mir sagen: Warum tadelt er denn noch? Denn wer hat seinem Willen widerstanden?“ (Römer 9,19).

Zunächst wollen wir den Einwand selbst verstehen. Der imaginäre (oder vielleicht nicht so imaginäre) Gesprächspartner des Paulus hat alles verstanden, was Paulus bis zu diesem Punkt über Gott gesagt hat:

  • Er versteht, dass die Erlösung ganz und gar ein Werk der Gnade Gottes ist und gar nichts davon dem Menschen zu verdanken ist.
  • Er versteht auch, dass es Gottes Wille, nicht der Wille des Menschen, ist, der für die Erlösung bestimmend und entscheidend ist (siehe auch Römer 9,16; vgl. Johannes 1,13). Er stellt eine rhetorische Frage, um genau diesen Punkt zu unterstreichen: „Wer widersetzt sich seinem Willen?“ Die Antwort auf diese rhetorische Frage lautet: „Niemand widersetzt sich Gottes Willen!“ „Aber unser Gott ist in den Himmeln; alles, was ihm wohlgefällt, tut er“ (Psalm 115,3). Er spricht: „all mein Wohlgefallen werde ich tun“ (Jesaja 46,10), und „kein Vorhaben [kann ihm] verwehrt werden“ (Hiob 42,2).
  • Er versteht auch, dass Gott den Menschen stets verantwortlich hält, ihn zur Rechenschaft zieht: „Warum tadelt er denn noch?“ (Römer 9,19b).

Die Frage ist also: „Da niemand Gottes Willen widerstehen kann [, sondern diesem völlig ausgeliefert ist], wie kann es dann von Gott gerecht („fair“) sein, dass er immer noch tadelt?“.

Den Einwand verstehen

Dieser Einwand ist für jeden Christen sehr hilfreich, um das Wesen der Souveränität Gottes in der Errettung besser zu verstehen. Denn wie auch immer wir zu den Lehren der Gnade stehen mögen, so müssen unsere Schlussfolgerungen jedenfalls dergestalt sein, dass der Einwand von Römer 9,19 Sinn macht.

Tatsache ist: Dieser Einwand macht nur dann Sinn, wenn drei Dinge wahr sind: (1) Der Mensch muss Buße tun und gerettet werden, wie es Gott befohlen hat. (2) Dem Menschen fehlt die moralische Fähigkeit, Buße zu tun und gerettet zu werden, und: (3) Gott macht den Menschen weiterhin dafür verantwortlich, Buße zu tun und gerettet zu werden, und wird ihn bestrafen, wenn er diesem Befehl nicht folgt.

Philosophisch gesehen macht dieser Einwand nur dann Sinn, wenn „Sollen“ nicht gleichbedeutend mit „Können/Vermögen“ ist – das heißt, wenn ein Befehl nicht unbedingt (implizit) bedeutet, dass der Angesprochene auch in der Lage ist, das zu tun, was ihm befohlen ist. Theologisch gesehen ergibt dieser Einwand nur dann Sinn, wenn die Lehren von der totalen Verdorbenheit des Menschen, der bedingungslosen Erwählung durch Gott und der unwiderstehlichen Gnade im Heil wahr sind.

Es ist für den natürlichen Verstand abstoßend, wenn wir für etwas zur Rechenschaft gezogen werden, das wir nicht fähig sind zu tuninsbesondere, wenn wir festhalten, dass es ein liebender Gott ist, der das verlangt. Und so entwickelten verschiedene Denkschulen alternative Auffassungen von Gottes Souveränität, um Gott vor dem zu bewahren, was sie für ungerecht („unfair“) halten. Keine dieser Alternativen macht jedoch den Einwand in Römer 9,19 verständlich. Betrachten wir kurz drei dieser Alternativen.

Universalismus

Eine dieser alternativen Vorstellungen ist der Universalismus (alle Menschen werden ohne Unterschied gerettet). Gott hat etwas von den Menschen gefordert, das sie nicht in der Lage sind zu erbringen, also kehrt er ihre Sünden unter den Teppich – schließlich sind Kinder Kinder, oder? – und lässt sie vom Haken. Abgesehen davon, dass diese Position offensichtlich im Widerspruch zur Bibel ist, würde sie bedeuten, dass Gott die Menschheit „immer noch tadelt“. Niemand kann seinem Willen widerstehen, also findet er einfach keine Fehler an ihnen. [Anm. d. Üb.: Gott wendet also das Heilswerk auf alle an, ohne diese zu fragen und ohne etwas von irgendjemand zu erwarten und ohne die Ursache des Tadels zu beseitigen.]

Bedingte Erwählung auf der Grundlage vorhergesehenen Glaubens

Eine andere Alternative besteht darin, zu leugnen, dass Gottes Erwählung bedingungslos ist, und stattdessen zu behaupten, dass sie vom Glauben abhängig sei, den Gott in einer bestimmten Person vorausgesehen hat. Anders gesagt: Gott hat Menschen erwählt, weil er im Voraus sah, dass diese ihn eines Tages erwählen würden. Da es für unseren natürlichen Verstand unfair ist, dass Menschen zur Rechenschaft gezogen werden, weil sie etwas nicht getan haben, das sie gar nicht tun können, behauptet diese theologische Position, dass wir vielmehr in der Lage seien, etwas zu tun – nämlich zu glauben –, wobei dieser Glaube dann zur Folge habe, dass Gott uns Gnade gewähre.

Aber wenn diese Ansicht richtig wäre, hätte Paulus‘ imaginärer Gegenredner in Römer 9,19 sicher nicht seinen Einwand gegen Gottes Erwählung erhoben. Es wäre ja kein Rätsel, warum jene, die nicht glauben, „immer noch getadelt werden“. Sie hatten einfach aus freien Stücken nicht den Glauben gefasst, der notwendig ist, um zum Heil erwählt zu werden. (Also geschah Ihnen mit der Nichterwählung völlige Gerechtigkeit – kein Einspruch nötig.)

Unbedingt freier Wille

Eine weitere Alternative, die der vorherigen ähnelt, besteht darin, zu behaupten, dass Gott zwar („absolut“) souverän ist, sich aber in seiner Souveränität dafür entschieden habe, dem Menschen (auch) eine gewisse Art von Souveränität in Form eines völlig freien Willens zu gewähren. Gott gebiete Buße und Glauben, und er werde diejenigen tadeln, die dann nicht Buße tun und glauben. Nach dieser Ansicht tun diejenigen, die nicht Buße tun und glauben, dies, weil sie den freien Willen haben, Gott anzunehmen oder abzulehnen. Gott habe sein Bestes getan und würde jeden retten, wenn er dies könnte, aber er hat die endgültige Entscheidung über die Erlösung völlig dem (freien Willen des) Menschen überlassen. Mit anderen Worten, sie können durchaus mit ihrem freien Willen „seinem Willen widerstehen“.

Auch bei dieser Ansicht ergibt sich, dass der Einwand in Römer 9,19 keinen Sinn ergibt. Es wäre kein Geheimnis, warum Gott diejenigen tadeln würde, die ihn ablehnen. Doch der Gesprächspartner des Paulus behauptet (durch seine rhetorische Frage), dass sich niemand dem Willen Gottes widersetzt.

Die geniale Gnade

Wenn wir also den Einwand, den Paulus in Römer 9,19 rhetorisch erhebt, verstehen wollen, können wir Gottes Souveränität und die Unfähigkeit des Menschen (zu Buße und Glauben) nicht durch eine Berufung auf die bedingte Erwählung seitens Gottes oder den völlig freien Willen des Menschen erklären. Der Einwand von Römer 9,19 ergibt nur dann einen Sinn, wenn die Lehren von der totalen Verderbtheit des Menschen, der bedingungslosen Erwählung seitens Gottes und der unwiderstehlichen Gnade im Heilswirken Gottes biblisch wahr sind.

Aber wie kann das gerecht (o. „fair“) sein? Wie kann Gott dem Menschen etwas ihm Unmögliches befehlen und ihn dennoch zur Rechenschaft für das Nichtbefolgen ziehen? Wie kann er Menschen befehlen, (mittels Buße und Glauben) wiedergeboren zu werden, wenn doch die Rettung und Wiedergeburt vollständig „an dem begnadigenden Gott“ liegt (Römer 9,16; vgl. Johannes 1,12)? Nun, Paulus‘ Antwort ist, den Fragesteller scharf zu tadeln, der versucht, die Gerechtigkeit Gottes in Frage zu stellen: „Wer bist du denn, o Mensch, der du das Wort nimmst gegen Gott?“ (Römer 9,20). Wenn jemand unterfängt, so Gottes Charakter zu kritisieren, hat er ein völlig verbogenes Verständnis davon, was Gerechtigkeit ist („Ist etwa Ungerechtigkeit bei Gott? Das sei ferne!“; Römer 9,14; vgl. 3,5b–6), und sollte sich besser schnell die Hand vor den Mund halten.

Aber es gibt eine Möglichkeit, diese Frage aus dem aufrichtigen Wunsch heraus zu stellen, Gott besser zu verstehen und ihn dafür anzubeten, wie er sich offenbart hat. Und wenn die Frage in diesem Geist gestellt wird, glaube ich, dass es eine klare Antwort gibt. Und die lautet: Gott schenkt seinem Volk das, was er von ihm verlangt.

Das ist das Geniale an der Gnade Gottes: Indem Gott von jedem Menschen etwas fordert, das für diesen unmöglich ist, zeigt er unübersehbar, wie wirklich hilflos und unvermögend der Mensch in Bezug auf seinen geistlichen Zustand ist. Und weil er etwas vom Menschen fordert, das nur Gott selbst vollbringen kann, stellt er unübersehbar seine eigene Fähigkeit und die Fülle seiner Herrlichkeit zur Schau. Wie Paulus dann weiter erklärt, tut er dies, „damit er kundtäte den Reichtum seiner Herrlichkeit an den Gefäßen der Begnadigung, die er zuvor zur Herrlichkeit bereitet hat“ (Römer 9,23).

Indem Gott gewährt, was er verlangt, zeigt er sich als das A und O, der alles in Allem ist. Er weist dem Menschen die ihm angemessene Position zu: Er ist ein armer Bettler, der völlig auf das angewiesen ist, was er aus Gottes Hand empfängt. Dann schenkt er uns als unser Wohltäter das, was er von uns verlangt, und gewinnt so unsere Zuneigung, sodass wir ihn als überaus liebenswert, überaus würdig und überaus wunderbar begreifen und ergreifen.

Quellen

Der Artikel wurde adaptiert von: Michael Riccardi: An Objection to God‘s Sovereignty that Proves It, The Cripplegate (March 16, 2012), https://thecripplegate.com/an-objection-to-gods-sovereignty-that-proves-it [abgerufen 30.08.2024]. Eigene Übersetzung (grace@logikos.club).

John F. MacArthur und Richard Mayhue, Biblische Lehre: Eine systematische Zusammenfassung biblischer Wahrheit. EBTC, 3. Aufl. 2023, geb., 1.360 Seiten | ISBN: 978-3947196500. Insbes. Kap. VII Die Errettung und Abschnitt 2 Der Plan der Errettung (S. 648–678).

Concursus Dei – Die Souveränität Gottes und die Verantwortung des Menschen (auf logikos.club).

John F. MacArthur, Göttliche Unveränderlichkeit und die Lehren der Gnade (Orig.: Divine Immutability and the Doctrines of Grace, Übersetzung ins Deutsche auf logikos.club).

Was drei para-Wörter über das Wesen der Sünde lehren

Über das Wesen der Sünde muss viel und bibelgründlich nachgedacht werden, sonst begreift man weder den mieslichen Stand des gefallenen Menschen, noch die Größe des Opfers des menschgewordenen Sohnes Gottes, noch die Genialität und den Gnadenreichtum der Erlösung.

Einen hilfreichen Blick auf das Wesen der Sünde liefert der Apostel Paulus in seinem Brief an die christliche Gemeinde in Rom. Er gebraucht dort im fünften Kapitel drei Wörter mit der griech. Vorsilbe para:

»14Aber der Tod herrschte von Adam bis auf Mose, selbst über die, die nicht gesündigt hatten in der Gleichheit der Übertretung [παράβασις parabasis] Adams, der ein Vorbild des Zukünftigen ist.
15Ist nicht aber wie die Übertretung so auch die Gnadengabe? Denn wenn durch die Übertretung [παράπτωμα paraptōma] des einen die vielen gestorben sind, so ist viel mehr die Gnade Gottes und die Gabe in Gnade, die durch den einen Menschen, Jesus Christus, ist, zu den vielen überströmend geworden.
19Denn so wie durch den Ungehorsam [παρακοή parakoē] des einen Menschen die vielen in die Stellung von Sündern gesetzt worden sind, so werden auch durch den Gehorsam des einen die vielen in die Stellung von Gerechten gesetzt werden.«

Römer 5,14.15.19 (ELBCSV 2003)

Sünde war dem Geschöpf (hier: dem Menschen) nur möglich, weil es ihm geschöpflich möglich war, aus seinem früheren Stand herauszufallen. Nur Gott Selbst ist im Wesen unwandelbar und vollkommen. Der Mensch war gut (sogar »sehr gut«; 1.Mose 1,31) erschaffen worden, aber nicht unveränderlich gut geschaffen worden. Die Möglichkeit zur Veränderung in beide Richtungen war also durch seine Wandelbarkeit möglich, mithin auch das Fallen aus der ursprünglichen Unschuld.

Zum Fallen bedarf es des Anstoßes, einer herabziehenden Kraft und einer dieser Kraft unterliegenden Schwäche. Der Mensch fiel durch den Anstoß, den der Mensch am (einzigen!) Gebot Gottes nahm, und wodurch er den Segensraum, den Gott ihm in Verbindung mit dem einzigen Verbot errichtet hatte, verließ. Dergestalt sich selbst des Haltes entledigt habend, wirkte als Zweitursache für den Fall die verführerische Kraft der Schlange, in der der Satan, der Ur-Lügner und Ur-Menschenmörder (Johannes 8,44), wirksam war.

Folglich bezeichnet die Bibel Sünde mit Begriffen wie »das Ziel verfehlen, fehlschießen, von der Bahn abirren« (Hebr.) oder »Herauslaufen aus einer bisher eingehalten Bahn« (Griech.). Andere griech. Schreiber und die LXX verwenden auch den Begriff »aus der Melodie fallend, falsch singend« (πλημμέλεια), also Sünde/Schuld als »Misston«.

»Das Hinausgehen, das Abweichen aus dem Worte oder Gebote Gottes und der daraus folgende Bruch mit Gott ist der Sünde Anfang, und im Beharren auf diesem Weg vollendet sich die Sünde.« (Eduard Böhl, Dogmatik [Bonn/Hamburg, 2004], S. 208).

Paulus betont in der lehrhaften Interpretation des historischen Sündenfalls in Römer 5 dieses »Hinausgehen« mit einem Dreiklang von para-Wörtern.

  • παράβασις parabasis – von para = (hin-)über/daneben und baino = gehen/(ein-)treten, also Übertretung, Überschreiten einer gezogenen Linie, meist im juristischen Sinn: Gesetz, Statuten, Vertragsbestimmung nicht einhalten; der biblische Gebrauch folgt dem juristischen Sinn (vgl. Römer 2,23; 4,15; Galater 3,19; 1.Timotheus 2,14; Hebräer 2,2; 9,15)
  • παράπτωμα paraptōma – von para = (hin-)über/daneben und pipto = fallen, also Fehltritt, ein Fallen aus der rechten Bahn. Stets als Sünde verstanden, daher meist wiedergegeben mit: Übertretung, aber auch mit: Verfehlung, Fehltritt, Fall, Sünde, Vergehung (Römer 4,25; 5,15.16.17.18.20; 11,11.12; 2.Korinther 5,19; Galater 6,1; Epheser 1,7; 2,1.5; Kolosser 2,13).
  • παρακοή parakoē – von para = (hin-)über/daneben und akouo = hören, also danebenhören, weghören, sich weigern zu hören: Ungehorsam (2.Korinther 10,6; Hebräer 2,2). Im AT parallel mit der »Weigerung, auf meine Worte zu hören« (Jeremia 11,10; 35,17).

Der Apostel verweist auf die historischen Tatsachen der Schöpfungsgeschichte und des »Sünden-Falls«, dem Geschehnis der Ur-Sünde. In 1.Mose 3 werden die einzelnen Schritte des Fallens in die Sünde deutlich markiert. Paulus macht in Römer 5,12 deutlich, dass dies der Ausgangspunkt für das Verstehen der Sünde ist. Folgen wir also in groben Zügen dem Geschehen dort, um Paulus in Römer 5 (und wo er sonst Schöpfung und Sündenfall heranzieht) besser zu verstehen.

Die Verführungsmacht des Bösen demonstriert an der Ur-Sünde

Die Verführung des als Schlange auftretenden Satans beginnt mit dem taktisch listigen ersten Schritt, die Frau des ersten Paares anzusprechen, also unter Umgehung Adams, der für das Paar verantwortlich war und der das Gebot Gottes höchstpersönlich empfangen hatte, bevor Eva erschaffen worden war (2.Mose 2,16–17). Es sollte uns nicht verwundern, dass Satan dabei die Hauptschaft des Mannes und mithin die Schöpfungsordnung Gottes missachtet, aber es sollte uns demütigen, dass wir Menschen in Adam und Eva diese Übertretung (parabasis) der Ordnung Gottes ohne Widerspruch hinnehmen.

Der zweite Schritt ist eine listige Frage, in der der Keim der Verführung durch Lüge insofern schon enthalten ist, als das Gebot Gottes in verfälschter Weise zitiert und in eine bewusste Infragestellung gegossen wird: »Hat Gott wirklich gesagt: Ihr sollt nicht essen von jedem Baum des Gartens?« (1.Mose 3,1). Das Gebot Gottes war ja in Hauptsache positiv formuliert worden: »Von jedem Baum des Gartens darfst du nach Belieben essen« (1.Mose 2,16), bevor ein einzelner (!) Baum ausgenommen und zum verbotenen Baum erklärt wurde: »aber vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, davon sollst du nicht essen; denn an dem Tag, da du davon isst, wirst du gewisslich sterben« (1.Mose 2,17; ELB1905, vgl. SCHL2000). Bei Satan liegt der Schwerpunkt auf dem Verbot, das wie ein Verbot für alle Bäume klingt: »nicht essen von jedem Baum des Gartens«. Dies ist eine Testfrage, ob Eva das Gebot Gottes exakt kennt und verführerische Verdrehungen in der Formulierung samt der unterschwelligen Anklage (Gott sei restriktiv, anstelle im Überfluss segnend) sofort erkennt. Dafür aber muss man das ganze Gegenteil von „Danebenhören“ tun: Man muss der Stimme Gottes aufmerken zuhören und dieses Wort Gottes im Herzen glaubend aufnehmen (vgl. 1.Mose 22,18; 1.Samuel 15,22; 2.Könige 18,12; Sprüche 2,1–8; 15,31–33; 28,9; Kolosser 1,23; Hebräer 2,1–3; Offenbarung 2,7.11.17.29; 3,6.13.22; 13,9).

Der dritte Schritt wird getan, indem Eva überhaupt der Schlange zuhört und sich nicht abrupt abwendet. Denn gegenüber den Worten der Schlange ist parakoē (Weghören, Ungehorsam) Pflicht. Mit der Entscheidung, wem man das Ohr leiht, trifft man Vorentscheidungen.

Der vierte Schritt ist, dass Eva die Worte und den Gedanken Satans aufnimmt und antwortet. Nun ist der Dialog mit dem Satan begonnen. Welchen sinnvollen Grund könnte es je geben, mit dem obersten Feind Gottes und der Menschen Gedanken auszutauschen? Zumal in ihrer Antwort deutlich wird, dass sie die Fakten nicht klar parat hat: Eva kennt das (bisher einzige!) Gebot Gottes nicht exakt, nur so ungefähr: »Von der Frucht der Bäume des Gartens essen wir; aber von der Frucht des Baumes, der in der Mitte des Gartens ist, hat Gott gesagt: Davon sollt ihr nicht essen und sie nicht anrühren, damit ihr nicht sterbt.« (1.Mose 3,2–4). Sie vergisst zwei entscheidende Wörter des göttlichen Segens- und Gebotsspruches: »nach Belieben« und »gewisslich«. Wenn Gott redet, ist „Danebenhören“ gefährlich. Denn mit dem ersten Wort betonte Gott den Überfluss und die freie Verfügbarkeit seines Segens, und mit dem zweiten Wort betonte Er die Ernsthaftigkeit der Sanktion/Strafe bei Übertretung. Gott schenkt im Überfluss, aber nur im von Ihm gesetzten Rahmen; wird dieser überschritten, ist absolut sicher mit den angekündigten Folgen zu rechnen. Und ob dieser »verbotene Baum« wirklich »in der Mitte des Gartens« stand, oder nun listig zum Zentrum der Diskussion gemacht wird, wissen wir nicht. – Evas Antwort schaltet jedenfalls für Satan das Signal auf »Grün«, um seine Verführung nun noch offener und noch direkter fortzusetzen.

Der fünfte Schritt ist ein offener Angriff der Schlange auf Gottes moralisches Wesen von Licht/Wahrheit und Liebe: »Ihr werdet durchaus nicht sterben, sondern Gott weiß, dass an dem Tag, da ihr davon esst, eure Augen aufgetan werden und ihr sein werdet wie Gott, erkennend Gutes und Böses.« (1.Mose 3,4-5). Mit frechem »durchaus nicht« wird Gottes Wahrheit geleugnet, mit dem Rest wird Gottes Liebe in Frage gestellt, werden Gott schlechte Motive unterstellt: »Gott enthält euch etwas Wunderbares vor. Habt den Mut, es euch einfach zu nehmen!«. Und wie bei fast jeder Verführung wird nicht nur durch offenes Reden Wesentliches verleugnet, sondern auch durch Umdeutungen und Verschweigen. »Sein wie Gott« ist dem Geschöpf prinzipiell unmöglich: Der Schöpfer wird immer höher als sein Geschöpf sein. Was geschöpfliche Realität des Menschseins war, ist das Gleichnishafte und Bildhafte des Menschen gegenüber Gott. Diese unter allen Geschöpfen einzigartige Wesenszuweisung befähigt den Menschen zum Gegenüber Gottes. Sie ist Befähigung zu größten göttlichen Segnungen, macht den Menschen aber nicht zu Gott. Niemals wird ein Mensch über den Weg eigener und autonom verschaffter Erkenntnis des Guten und Bösen so werden können »wie Gott«[1]. Die Schöpfungsordnung war eine klare: Gott setzte souverän das Gebot ein und legte die Strafe fest, der Mensch stand unter dem Gebot. Dies war unumkehrbar, offensichtlich und nicht in Frage zu stellen. Leider war diese Täuschung und Verführung des Menschen schon beim ersten Versuch im Garten Eden erfolgreich, und so verwendet Satan sie seitdem immer wieder – und mit großem Erfolg. Um sich selbst drehend und um sich selbst tanzend verbohrt und erniedrigt sich der narzistische und sich zum Gott erklärende Mensch in immer hoffnungslosere Tiefen der Gottesfinsternis.

Der sechste Schritt offenbart, dass der Biss der Schlange das Gift ihrer Lüge erfolgreich Eva injiziert hat. Die Verführung durchdringt lähmend die Schaltzentrale ihres Seins: ihren Geist, ihre Seele, ihr Herz. Man kann diesen inneren Prozess des selbstständigen Denkens, Empfindens und Bilden einer persönlichen Entscheidung am Wort »sah« und an den wertenden Wörtern »gut«, »eine Lust« sowie »begehrenswert« verfolgen. Wir müssen rückblickend feststellen, dass hiermit der »Sündenfall« bereits geschehen ist, denn jede Sünde beginnt im Denken und Begehren, im Herzen (der Persönlichkeitsmitte), sagt der Sohn Gottes (Matthäus 5,22.28; 15,19–20). Die Lust zur Sünde hat die Augen verblendet, die klare Linie, die Gott gezogen hatte, ist ausgeblendet. Das Übertreten (parabasis) ist bei Eva im Denken, im Herzen, im Zentrum also, getan, ihr Fallen im nächsten Schritt ist unausweichlich (Jakobus 1,15).

Der siebte Schritt: Nicht jeder Gedanke, nicht jedes Begehren, nicht jedes Entscheiden führt heute den Glaubenden zwingend auch zur bösen Tat, da Gottes Gnade oft zurückhält. Aber hier im Garten Eden beobachten wir, dass den sündigen Gedanken, Gefühlen, Bewertungen, Entscheidungen Evas – ihrem Übertreten im Herzen – nun auch konsequent die sündigen Taten folgen, und Eva andere (ja: alle anderen!) in die sündige Tat mit hineinzieht, hinein in den großen Fall (paraptōma). Rätselnd fragen wir: Hat hier beim ersten Paar nur Eine gedacht?! Waren da nicht Zwei?! Warum hört man von Adam nichts? Männer: Schweigen zur Unzeit kann große Schuld ermöglichen und zu größtem Übel führen.

»Und die Frau sah, dass der Baum gut zur Speise und dass er eine Lust für die Augen und dass der Baum begehrenswert wäre, um Einsicht zu geben; und sie nahm von seiner Frucht und , und sie gab auch ihrem Mann bei ihr, und er aß.«

1. Mose/Genesis 3,6 (ELBCSV 2003)

Und so sehen wir, wie die Sünde »funktioniert«, und wie selbst das erste und beste Menschenpaar miteinander in die Sünde »fällt«. Wie sollen wir Gefallenen, mit jenem Sünderwesen bereits Geborenen, es je besser machen können? Das ist unmöglich.

Der reformierte deutsche Theologe Eduard Böhl (1836–1903) lieferte in seiner Dogmatik eine scharfsinnige Analyse des »Sündenfalls«:

»Der Mensch leiht sein Ohr dem Verführer; er weicht, angelockt durch die Worte des Satans und Gott misstrauend, aus der anfänglich guten, vom Gebot vorgezeichneten Richtung. Also zunächst sündigt der Mensch wider die Gebote der ersten Tafel. Nachdem die nunmehr haltlose Begierde empfangen hat, gebiert sie die Sünde (vgl. Jak 1,14.15); der Bruch mit Gott vollzieht sich mit der bösen Tat, und der Übertretung der Gebote der zweiten Tafel ist Tür und Tor geöffnet. … Die Sünde ist also nach dieser Darstellung nicht anfänglich in der Selbstsucht und noch weniger in der concupiscentia, der sinnlichen Begierde, zu suchen! … Die Zweige tragen nicht die Wurzel, sondern die Wurzel trägt die Zweige. Erfassen wir die Sünde bei ihrer Wurzel, wie sie bei Adam erscheint, so müssen wir sagen: Sünde ist das Abweichen von dem lebendigen Gott und dessen Wort aus mutwilligem Ungehorsam und Mißtrauen gegen Gott. Soweit geht die negative Beschreibung. Die positive, das Vorige ergänzende Beschreibung lautet: Sünde ist die Übergabe des Menschen (Adams) an den Teufel, um dessen Willen zu tun, anstatt zu verharren bei dem Worte und Gebote, das aus Gottes Mund gegangen.«

Eduard Böhl, Dogmatik [Bonn/Hamburg, 2004]. S. 208–209.

Damit ist auch eine Antwort auf die Frage: Woher kommt die Sünde? Woher kommt das Böse? gegeben. Es ist keine Sache oder eine Person, die Ursache und Motiv des Bösen ist. Es ist vielmehr ein Mangel, ein Fehlen des Guten, welches unausweichbar ins Böse und in die Sünde führt. Wer Gott und Sein Wort aufgibt, erwirbt damit einen so schweren Mangel, dass das Fallen in Sünde mit Todesfolge unausweichlich ist. Dies ist in der Schrift gut beobachtbar: Zuerst bei Satan und später bei dem ersten Menschenpaar in deren aktiver Rebellion gegen die Ordnungen und Gebote des Schöpfer-Gottes. Wer das Licht verstößt, dem bleibt nur die Finsternis und die Leere des auf sich selbst geworfenen und damit vom Leben abgeschnittenen Geschöpfs.

Rettung aus der Finsternis der Verführung

Für Gott ist die Lage der Verführten und Gefallenen nicht hoffnungslos. Sein Wesen und sein Name ist ja »Retter-Gott« – Jesus. Daher gibt Er dem ersten Menschenpaar in 1.Mose 3,15 einen Hoffnungsfunken, der der erste Zeuge von der kommenden »Sonne der Gerechtigkeit« ist, die aufgehen wird »mit Heilung in ihren Flügeln« (Maleachi 3,20). Vor 2.000 Jahren kam dieser Heiland-Gott im menschgewordenen Sohn Jesus Christus auf unsere Erde, »um seinem Volk Erkenntnis des Heils zu geben in Vergebung ihrer Sünden, durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, in der uns besucht hat der Aufgang aus der Höhe, um denen zu leuchten, die in Finsternis und Todesschatten sitzen, um unsere Füße auf den Weg des Friedens zu richten.« (Lukas 1,77-79). Und dieser dort begonnene Weg steht für jeden Glaubenden auch heute noch offen. Er führt den Glaubenden in lichte Höhen, die zu erfassen uns noch nicht völlig möglich ist (1.Korinther 2,9; Epheser 3,14–21).

Wo Gottes Licht und Leben in einem Menschen Raum greift, wird dieser hell und heil. Im Anschauen Gottes weichen alle Schatten und der Mensch hat seinen Lebensraum wieder da, wo Gott ihn segnen kann:

Denn bei dir ist der Quell des Lebens, in deinem Licht werden wir das Licht sehen.

Psalm 36,10 (ELBCSV 2003)

Dies aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.

Johannes 17,3 (ELBCSV 2003)

[Jesus Christus spricht:] Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben. … Ich bin als Licht in die Welt gekommen, damit jeder, der an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe.

Johannes 8,12; 12,46 (ELBCSV 2003)

Vor dem Herrn …, um seine Wege zu bereiten, um seinem Volk Erkenntnis des Heils zu geben in Vergebung ihrer Sünden, durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, in der uns besucht hat der Aufgang aus [der] Höhe, um denen zu leuchten, die in Finsternis und Todesschatten sitzen, um unsere Füße auf den Weg des Friedens zu richten.

Lukas 1,76b-79 (ELBCSV 2003)

Denn der Gott, der sprach: Aus Finsternis leuchte Licht, ist es, der in unsere Herzen geleuchtet hat zum Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi.

1.Korintherbrief 4,6 (ELBCSV 2003)

Denn einst wart ihr Finsternis, jetzt aber seid ihr Licht in dem Herrn.

Epheserbrief 5,8a (ELBCSV 2003)

Anerkennung. Auf die drei para-Wörter, und damit der auslösenden Idee dieser Kurzstudie, wurde ich in einem Gespräch mit dem Bibellehrer Dr. Benedikt Peters (Arbon, CH) aufmerksam gemacht.

[1] Anhang: Das Erkenntnisvermögen des Menschen

Die Philosophen haben um »objektive« Erkenntnis gerungen, indem sie versuchten, das Erkenntnis-Subjekt (den Erkenntnissuchenden) so weit wie möglich vom Erkenntnis-Objekt (dem Gegenstand des Erkennens) zu entfernen. Erkenntnisse sollten insofern allgemeingültig sein, als eine quasi-göttliche Perspektive eingenommen wird. Man bemüht sich also um eine Ort-Losigkeit und Beziehungslosigkeit des Erkenntnis-Subjekts. Alle individuellen Bezüge seien als »Vorurteil« zu vermeiden.

Biblische Erkenntnis geschieht beim Menschen jedoch weder autonom noch abstrakt, sondern stets in Beziehung zu Gott und dessen Wahrheitsbekundung (Offenbarung). »Objektive Erkenntnis« ist insofern nur dort möglich, wo sich das Erkenntnis-Subjekt nicht als Quelle, sondern als Empfänger der göttlichen Offenbarung (per def. Wahrheit) und als Teilhaber einer Beziehung zum Schöpfer versteht.

»Aus biblischer Sicht stellt sich gerade der philosophische Versuch, einen autonomen, unbedingten Standpunkt einzunehmen, als ›Sündenfall‹ schlechthin dar: Der Mensch tritt aus dem Umsorgt-Sein durch Gott, der für ihn bestimmt, was gut ist (1Mo 2,18), heraus. Er will sein wie Gott (3,5), d.h.: er will ›Gutes und Böses erkennen‹. Gemeint ist nicht eine Erweiterung der kognitiven Erkenntnisfähigkeit, sondern das Eintreten in eine Eigenmächtigkeit…, in der der einzelne Mensch sich selbst Gesetz ist, d.h. selbst bestimmt, womit er Umgang hat und womit nicht, was er tut und was nicht. Dieses Sich-Herauslösen aus der geschöpflichen Beziehung zu Gott und die Beanspruchung einer auto-nomen, göttlichen, unbedingten Position steht in schärfstem Kontrast zu der gemessen an bibl. Maßstäben allein möglichen Erkenntnishaltung.«

»Luther bestimmt den ›natürlichen‹ Menschen als ein auf sich selbst bezogenes Wesen (homo incurvatus in se…). Rein anthropologisch steht der Mensch damit immer in der Gefahr, die Welt nach seinen Begriffen zu ›erklären‹, sie aber nicht zu verstehen, sich seinen Reim auf sie zu machen, ohne ihr wirklich zu begegnen. … Aus geistlicher Sicht kann diesem Drang zu erkenntnistheoretischer Verabsolutierung letztlich wirkungsvoll nicht durch einen Pluralismus miteinander wetteifernder Erkenntnisansprüche begegnet werden, sondern nur durch die Wiedereingliederung des Menschen als Erkenntnis-Subjekt in die ihn allein bewahrende und tragende Relation zu Gott. Im Gegenüber zu Gott erfährt der Mensch die eigene Endlichkeit, wird er demütig und identifiziert die Verabsolutierung der eigenen Begriffe und Vorstellungen über Wirklichkeit als eine gegen Gott gerichtete Hybris

»Dem natürlichen Menschen ist freilich die Beziehung der Demut gegenüber Gott und der Offenheit gegenüber der Welt selbst nicht erreichbar. Bedingung der Möglichkeit eigener Welt- und Gotteserkenntnis ist darum die unser Erkennen freisetzende, uns zuvor erkennende und damit das Scheitern unserer erkenntnistheoretischen Autonomieansprüche aufdeckende Liebe Gottes (Gal 4,9; 1Kor 8,3).«

Aber damals freilich, als ihr Gott nicht kanntet, dientet ihr denen, die von Natur nicht Götter sind; jetzt aber, da ihr Gott erkannt habt, vielmehr aber von Gott erkannt worden seid, wie wendet ihr euch wieder um zu den schwachen und armseligen Elementen, denen ihr wieder von neuem dienen wollt?

Galater 4,8-9 (Fettdruck hinzugefügt)

Wenn jemand meint, etwas erkannt zu haben, so hat er noch nicht erkannt, wie man erkennen soll; wenn aber jemand Gott liebt, der ist von ihm erkannt –

1.Korinther 8,2-3

Quelle: Die Gedanken und Zitate dieses Kapitels stammen von: H. Hempelmann, Erkennen, Erkenntnis, in: Das große Bibellexikon, 1. Taschenbuchauflage (Wuppertal, Gießen: Brockhaus, Brunnen, 1996), Sp. 490–491 (Bd. 2). Fett- und Farbdruck hinzugefügt.

Göttliche Unveränderlichkeit und die Lehren der Gnade

John MacArthur,
Divine Immutability and the Doctrines of Grace.
Vorwort in: Steven J. Lawson
Foundations of Grace (A Long Line of Godly Men)
Lake Mary, FL: Ligonier Ministries, 2006.
Übersetzt von grace@logikos.club, 2023.

Die Bibel unterstreicht wiederholt und unmissverständlich die Tatsache, dass Gott sich nicht ändert. In der Tat kann er sich nicht ändern, weil er sich in seiner absoluten Vollkommenheit nicht verbessern und in seiner ewig festen Natur nicht verschlechtern kann. Seine Person ändert sich nicht: »Denn ich, der Herr, ich verändere mich nicht« (Mal 3,6a). Seine Pläne ändern sich nicht: »Der Ratschluss des Herrn besteht ewig, die Gedanken seines Herzens von Geschlecht zu Geschlecht« (Ps 33,11). Seine Absichten ändern sich nicht: »Darum hat Gott, als er den Erben der Verheißung in noch stärkerem Maße beweisen wollte, wie unabänderlich sein Ratschluss ist, sich mit einem Eid verbürgt « (Hebr 6,17 SCH2000). Gott ändert seine Meinung nicht: »Und auch lügt nicht das Vertrauen Israels, und er bereut nicht; denn nicht ein Mensch ist er, um zu bereuen.« (1Sam 15,29); oder seine Worte: Der »Heilige Israels … nimmt seine Worte nicht zurück« (Jes 31,1–2); oder seine Berufung: »Denn die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unbereubar« (Röm 11,29; vgl. Hebr 13,8; Jak 1,17). Bei Gott gibt es keine Veränderungen, keine Abweichungen und keine Überraschungen (vgl. Ps 102,27).

Gott nimmt weder zu noch ab. Er wird nicht besser oder schlechter. Er ändert sich nicht aufgrund veränderter Umstände – es gibt keine unvorhergesehenen Notfälle für den Einen, der ewig allwissend ist. Seine ewigen Absichten bleiben für immer bestehen, weil er für immer besteht (Ps 33,11). Er re-agiert niemals, sondern er agiert (handelt) stets – und zwar so, wie es ihm gefällt (Ps 115,3).

Aus menschlicher Sicht hat es natürlich manchmal den Anschein, dass Gott seine Pläne oder sein Handeln aufgrund des Verhaltens der Menschen ändert. Aber aus Gottes Sicht ist das nicht der Fall. Weil er die Zukunft genau kennt und immer gekannt hat, weil er sie nach seinem unabänderlichen Willen geplant hat, handelt er immer so, wie er es von Ewigkeit her geplant hat. Während die Menschen nicht wissen, wie Gott handeln wird, und manchmal erstaunt sind, wenn sie sehen, wie sich seine souveränen Pläne entfalten, ist Gott nie überrascht. Er fährt fort, so zu handeln, wie er es immer getan hat, nach seinem ewigen Plan und Wohlgefallen (vgl. Ps 33,10–12; Jes 48,14; Dan 4,35; Kol 1,19–20).

Was die Menschheit betrifft, so hat Gott vorherbestimmt, ein Volk zu seiner eigenen Ehre zu erlösen. Nichts kann diesen Plan durchkreuzen (Joh 10,29; Röm 8,38–39). Vollkommenes Wissen, vollkommene unbeeinflusste Freiheit und vollkommene grenzenlose Macht, um alles zu vollenden, was er vollkommen gewollt hat – absolute Heiligkeit und moralische Vollkommenheit, die ihn dazu verpflichten, seinem Wort gegenüber wahrhaftig und treu zu sein – bedeuten, dass Gott das, was er vor Beginn der Zeit zu tun begonnen hat, auch tut und nach Ablauf der Zeit vollenden wird.

Diese weitreichenden, herrlichen Absichten Gottes sind in der Bibel offenbart und durch die Geschichte der Erlösten hindurch klar verstanden worden. Das Wort Gottes hat sie unmissverständlich offenbart, und seit der Vollendung des Kanons der Heiligen Schrift haben alle korrekten Ausleger der Bibel die gottverherrlichende Lehre vom souveränen, unveränderlichen göttlichen Vorsatz geglaubt und verkündet. Diese Wahrheit, die oft als Gnadenlehre (o. Lehren der Gnade) bezeichnet wird, hat ihren Ursprung in der souveränen Entscheidung Gottes in der Ewigkeit vor der Zeit.

Gott kann sich nicht ändern, sein Wort kann sich nicht ändern und sein Ziel kann sich nicht ändern. Seine Wahrheit ist dieselbe, weil Er die Wahrheit ist (vgl. Ps 119,160; Joh 17,17; Tit 1,2; Hebr 6,18). Im Gegensatz zur sogenannten Theologie der Offenheit Gottes (Open Theism), die behauptet, dass Gott die Zukunft nicht kenne und sich daher den Umständen laufend anpassen müsse, während diese sich entfalten, stellt die Bibel Gott als den allwissenden Herrscher über alle Ereignisse dar, seien sie vergangen, gegenwärtig oder zukünftig. Mit den Worten Jesajas (Jesaja 46,9–10):

Erinnert euch an das Frühere von der Urzeit her, 
dass ich Gott bin, und sonst ist keiner, 
dass ich Gott bin und gar keiner wie ich; 
der ich von Anfang an das Ende verkünde 
und von alters her, was noch nicht geschehen ist; 
der ich spreche: Mein Ratschluss soll zustande kommen, 
und all mein Wohlgefallen werde ich tun; […]
Ich habe geredet und werde es auch kommen lassen; 
ich habe entworfen und werde es auch ausführen.

Göttliche Gerechtigkeit und die Lehre von der Erwählung

Trotz der Klarheit, mit der die Heilige Schrift dieses Thema anspricht, tun sich viele bekennende Christen heute schwer damit, Gottes Souveränität anzuerkennen – vor allem, wenn es um sein Erwählungswerk in der Erlösung geht. Ihr häufigster Einwand ist natürlich, dass die Lehre von der Erwählung ungerecht sei. Doch ein solcher Einwand entspringt eher menschlichen Vorstellungen von Fairness als dem objektiven, göttlichen Verständnis von wahrer Gerechtigkeit. Um die Frage der Erwählung angemessen behandeln zu können, müssen wir alle menschlich-begrenzten Überlegungen beiseitelassen und uns direkt auf das Wesen Gottes und seinen gerechten Maßstab konzentrieren. Bei der göttlichen Gerechtigkeit muss die Diskussion beginnen.

Was ist göttliche Gerechtigkeit? Einfach ausgedrückt: Sie ist ein wesentliches Attribut Gottes, durch das er ohne Begrenzungen vollkommen und unabhängig genau das tut, was er tun will, und zwar wann und wie er es tun will. Da er der Maßstab der Gerechtigkeit ist, ist alles, was er tut, grundsätzlich (per definitionem) gerecht. Wie William Perkins vor vielen Jahren sagte: »Wir sollten niemals denken, dass Gott eine Sache tue, weil sie gut und richtig sei, sondern vielmehr, dass eine Sache gut und richtig ist, weil Gott sie will und bewirkt.«

Deshalb definiert Gott für uns, was Gerechtigkeit ist, denn er ist im Wesen gerecht und rechtschaffen. Was er tut, spiegelt dieses sein Wesen wider. Sein freier Wille – und nichts anderes – steht hinter seiner Gerechtigkeit. Das bedeutet, dass alles, was er will, gerecht ist, und zwar nicht aufgrund eines äußeren Gerechtigkeitsmaßstabes, sondern einfach, weil er es so will.

Weil die Gerechtigkeit Gottes ein Ausfluss seines Wesens ist, unterliegt sie nicht den gefallenen menschlichen Annahmen darüber, was Gerechtigkeit sein sollte. Der Schöpfer schuldet dem Geschöpf nichts, nicht einmal das, was er gnädiger Weise zu geben bereit ist. Gott handelt nicht aus Pflicht und Zwang, sondern aus seinem eigenen, unabhängigen Vorrecht heraus. Das ist es, was es bedeutet, Gott zu sein. Und weil er Gott ist, sind seine frei beschlossenen Handlungen in sich stets richtig und vollkommen.

Zu sagen, dass Erwählung ungerecht sei, ist nicht nur unzutreffend, sondern verkennt auch das eigentliche Wesen der wahren Gerechtigkeit. Was fair, richtig und gerecht ist, ist das, was Gott tun will. Wenn Gott also diejenigen auswählen will, die er retten will, dann ist es in sich gerecht (seinem Wesen entsprechend), dass er das tut. Wir können unserem Verständnis von Gottes Wirken nicht unsere eigenen Vorstellungen von Fairness aufzwingen. Stattdessen müssen wir die Heilige Schrift heranziehen, um zu sehen, wie Gott selbst in seiner vollkommenen Gerechtigkeit entscheidet, zu handeln.

Was ist die Lehre von der Erwählung?

Die Vorstellung, dass Gott tut, was er will, und dass das, was er tut, wahr und richtig ist, weil er es tut, ist grundlegend für unser Verständnis der gesamten Heiligen Schrift, einschließlich der Lehre von der Erwählung.

Im weitesten Sinne bezieht sich die Erwählung auf die Tatsache, dass Gott sich frei entscheidet (oder: erwählt), was er tut, und dieses so zu tun, wie er es für richtig hält. Wenn er handelt, tut er das nur, weil er sich willentlich und unabhängig dafür entscheidet. Gemäß Seines eigenen Wesens, seines vorherbestimmten Plans und seines Wohlgefallens entscheidet er sich, das zu tun, was er will, ohne irgendeinen Druck oder irgendwelche Schranken durch äußere Einflüsse.

Die Bibel weist immer wieder auf diesen Punkt hin. Beim Schöpfungsakt hat Gott genau das geschaffen, was er erschaffen wollte, und zwar so, wie er es erschaffen wollte (vgl. 1Mo 1,31). Und seit der Schöpfung hat er alles in der menschlichen Geschichte souverän vorgeschrieben oder zugelassen, um den Erlösungsplan zu verwirklichen, den er zuvor entworfen hatte (vgl. Jes 25,1; 46,10; 55,11; Röm 9,17; Eph 3,8–11).

Im Alten Testament wählte er aus allen Völkern der Welt ein Volk für sich aus, nämlich Israel (5Mo 7,6; 14,2; Ps 105,43; 135,4). Er wählte die Israeliten nicht deshalb aus, weil sie besser oder begehrenswerter waren als andere Völker, sondern einfach, weil er sich entschlossen hatte, sie zu erwählen. Mit den Worten von Richard Wolf: »Wie seltsam von Gott, die Juden zu erwählen!“ Das Gleiche hätte auch für jedes andere Volk gegolten, wenn Gott dieses ausgewählt hätte. Gott wählt, wen immer er wählt, aus Gründen, die ganz und gar seine sind.

Das Volk Israel war nicht der einzige Empfänger von Gottes Auserwählung in der Heiligen Schrift. Im Neuen Testament wird Jesus Christus als »mein Auserwählter« bezeichnet (Lk 9,35). Auch die heiligen Engel werden als »auserwählte Engel« bezeichnet (1Tim 5:21). Und die Gläubigen des Neuen Testaments werden »Gottes Auserwählte« genannt (Kol 3,12; vgl. 1Kor 1,27; 2 Thess. 2,13; 2Tim 2,10; Tit 1,1; 1Petr 1,1; 2,9; 5,13; Offb 17,14), was bedeutet, dass die Gemeinde Jesu eine Gemeinschaft der Erwählten oder »Auserwählten« ist (Eph 1,4).

Als Jesus zu seinen Jüngern sagte: »Ihr habt nicht mich auserwählt, sondern ich habe euch auserwählt« (Joh 15,16a), hat er diese Wahrheit unterstrichen. Und das Neue Testament bekräftigt sie an vielen Stellen. Apostelgeschichte 13,48b beschreibt die Erlösung mit diesen Worten: »[E]s glaubten, so viele zum ewigen Leben bestimmt waren.« In Epheser 1,4–6 heißt es, dass Gott »uns auserwählt hat in ihm [Christus] vor Grundlegung der Welt, dass wir heilig und untadelig seien vor ihm in Liebe; und uns zuvor bestimmt hat zur Sohnschaft durch Jesus Christus für sich selbst, nach dem Wohlgefallen seines Willens, zum Preise der Herrlichkeit seiner Gnade, womit er uns begnadigt hat in dem Geliebten«. In seinen Briefen an die Thessalonicher erinnert Paulus seine Leser daran, dass er wusste, dass Gott sie auserwählt hatte (1Thess 1,4), und dass er für sie dankbar war, dass »Gott [sie] von Anfang erwählt hat zur Errettung in Heiligung des Geistes und im Glauben an die Wahrheit« (2Thess 2,13b). Das Wort Gottes ist eindeutig und klar: Die Gläubigen sind solche, die Gott vor aller Zeit zum Heil erwählt hat.

Die »Vorkenntnis« [SCH2000: »Vorsehung«], auf die sich Petrus bezieht (1Petr 1,2), sollte nicht mit einfachem Vorherwissen verwechselt werden. Einige lehren diese Ansicht und behaupten, dass Gott in der Ewigkeit vor der Zeit in die Geschichte hineingeschaut habe, um zu sehen, wer auf seinen Ruf zum Heil antworten würde, und dann die Erlösten auf der Grundlage ihrer Antwort ausgewählt habe. Eine solche Erklärung macht Gottes Entscheidung von der Entscheidung des Menschen abhängig und verleiht dem Menschen eine Souveränität, die nur Gott zusteht. Sie macht Gott zu jemand, der passiv erwählt wird, statt zu Dem, der selbst aktiv auswählt. Und diese Auffassung missversteht auch die Art und Weise, in der Petrus den Begriff »Vorkenntnis« verwendet. In 1. Petrus 1,20 verwendet der Apostel die Verbform dieses Wortes (griech. prognosis), um sich auf Christus zu beziehen (»der zwar zuvor erkannt ist«). In diesem Fall schließt das Konzept der »Vorkenntnis« sicherlich die Idee einer bewussten Entscheidung ein. Daraus ist zu schließen, dass dasselbe gilt, wenn Petrus an anderen Stellen prognosis auf die Gläubigen anwendet (vgl. 1Petr 1,2: »auserwählt nach Vorkenntnis Gottes«).

Auch im neunten Kapitel des Römerbriefs werden die Erwählungsabsichten Gottes aufgezählt. Dort wird Gottes auserwählendes Vorrecht in Bezug auf seine rettende Liebe zu Jakob (und Jakobs Nachkommenschaft) im Gegensatz zu Esau (und Esaus Nachkommenschaft) deutlich dargestellt. Gott erwählte Jakob und nicht Esau, aber diese nicht aufgrund von etwas, das Jakob oder Esau getan hatten, sondern nach seinen eigenen freien und unbeeinflussten souveränen Absichten. Jenen, die daraufhin mit: »Das ist ungerecht!« protestieren könnten, weist Paulus in die Schranken mit der Frage: »Wer bist du denn, o Mensch, der du das Wort nimmst gegen Gott? « (Röm 9, 20).

Diese Übersicht ließe sich um viele weitere Bibelstellen ergänzen. Doch so eindeutig das Wort Gottes auch ist, die Menschen haben immer wieder Schwierigkeiten, die Lehre von der Erwählung zu akzeptieren. Nochmals: Der Grund dafür ist, dass sie zulassen, dass ihre vorgefassten Meinungen darüber, wie Gott handeln sollte (basierend auf einer menschlichen Definition von Fairness), die Wahrheit seiner Souveränität, wie sie in der Heiligen Schrift dargelegt ist, außer Kraft setzen.

Offen gesagt, der einzige Grund, an die Erwählung zu glauben, ist, dass sie ausdrücklich in Gottes Wort steht. Kein Mensch und kein Gremium von Menschen hat diese Lehre erfunden. Wie die Lehre von der ewigen Bestrafung steht sie im Widerspruch zum Diktat des fleischlichen Verstandes. Sie widerstrebt den Empfindungen des nichtwiedergeborenen Herzens. Wie die Lehre von der Dreieinheit Gottes und der wunderbaren Geburt unseres Erlösers muss die Wahrheit der Erwählung, weil sie von Gott geoffenbart wurde, mit einfältigem und bedingungslosem (zweifelfreiem) Glauben angenommen werden. Wenn man eine Bibel hat und ihr glaubt, hat man keine andere Wahl, als zu akzeptieren, was sie lehrt.

Das Wort Gottes stellt Gott als den Leiter und Lenker aller Geschöpfe dar (Dan 4,35; Jes 45,7; Lam 3,38), als den Allerhöchsten (Ps 47,2; 83,18), als den Herrscher über Himmel und Erde (1Mo 14,19; Jes 37,16) und als den, gegen den niemand bestehen kann (2Chr 20,6; Hiob 41,10; Jes 43,13). Er ist der Allmächtige, der alles nach dem Ratschluss seines Willens wirkt (Eph 1,11; vgl. Jes 14,27; Offb 19,6) und der himmlische Töpfer, der die Menschen nach seinem Wohlgefallen formt (Röm 9,18–22). Kurz gesagt, er ist der Entscheider und Bestimmer des Schicksals eines jeden Menschen und der Lenker jeder Einzelheit im Leben eines jeden (Spr 16,9; 19,21; 21,1; vgl. 2Mo 3,21–22; 14,8: Esra 1,1; Dan 1,9; Jak 4,15) – was eigentlich nur eine andere Art ist, zu sagen: »Er ist Gott«.

Warum hat Gott beschlossen, die Erlösten zu erwählen?

Obwohl sich die Lehre von der Erwählung allgemein auf alles bezieht, was Gott tut, bezieht sie sich in einem spezifischen neutestamentlichen Sinn meist auf die Erwählung von Sündern, dass diese erlöste Heilige in seiner Gemeinde werden. Die göttliche Erwählung spricht in diesem speziellen Zusammenhang von Gottes unabhängiger und vorherbestimmter Wahl derer, die er retten und in die Körperschaft des Leibes Christi aufnehmen will. Gott hat jene Sünder nicht gerettet, weil sie ihn gewählt haben, sondern weil er sie erwählt hat.

Aber warum hat Gott dies getan? Warum hat er von Ewigkeit her souverän beschlossen, einen Teil der gefallenen Menschheit zu retten, die zu einer Gemeinschaft von Erlösten würde? Um diese Frage zu beantworten, ohne fälschlicherweise unsere eigenen vorgefassten Meinungen einzubringen, müssen wir uns an das Wort Gottes wenden, denn dort hat Gott uns seine Gedanken offenbart. Natürlich werden wir als gefallene Menschen niemals in der Lage sein, die unendliche Weisheit Gottes in dieser Hinsicht vollständig zu begreifen (vgl. Röm 11,33–36). Nichtsdestotrotz gibt uns die Heilige Schrift mehrere Einblicke in die göttliche Motivation hinter der Erwählung.

Warum also hat Gott beschlossen, Sünder zu retten?

Göttliche Erwählung und die Verheißung Gottes

Die Antwort beginnt mit der Verheißung Gottes. In Titus 1,1–2 lesen wir: »Paulus, Knecht Gottes, aber Apostel Jesu Christi, nach dem Glauben der Auserwählten Gottes und nach der Erkenntnis der Wahrheit, die nach der Gottseligkeit ist, in der Hoffnung des ewigen Lebens, das Gott, der nicht lügen kann, verheißen hat vor ewigen Zeiten.« In diesen Versen definiert der Apostel Paulus kurz und bündig die Fülle des Heils und knüpft sie direkt an die ewige Verheißung Gottes.

Das Heil besteht in seiner Fülle aus drei Hauptbestandteilen: Rechtfertigung (die Errettung des Sünders im Augenblick der Bekehrung von der Strafe der Sünde durch das stellvertretende Opfer Christi), Heiligung (die fortwährende Errettung des Sünders von der Macht der Sünde in diesem Leben) und Verherrlichung (die endgültige, vollständige Errettung des Sünders von der Gegenwart der Sünde im zukünftigen Leben). Als Prediger des Evangeliums betonte Paulus jeden dieser Aspekte in seinem Dienst.

Weil er die Rechtfertigung verstand, predigte er das Evangelium »nach [kata; engl.: »for the sake of« (ESV)] dem Glauben der Auserwählten Gottes«, weil er wusste, dass Gott durch die Verkündigung der Wahrheit diejenigen rechtfertigen würde, die er zur Rettung auserwählt hatte (vgl. Röm 10,14–15). Weil er die fortschreitende Heiligung verstand, suchte Paulus diejenigen zu stärken, die die Wahrheit bereits angenommen hatten, und erbaute sie »nach der Erkenntnis der Wahrheit, die nach der Gottseligkeit ist«. Und weil er die Verherrlichung verstand, erinnerte Paulus die ihm anvertrauten Menschen leidenschaftlich an die »Hoffnung des ewigen Lebens« – den Höhepunkt und die letztliche Erfüllung ihrer Errettung in Christus.

Paulus predigte das Evangelium von Christus mit großer Klarheit, damit die Auserwählten es hören und glauben konnten. Wenn sie glaubten, lehrte er sie die Wahrheit, damit sie gottesfürchtig werden konnten; und er entfaltete für sie auch die Hoffnung auf das ewige Leben, was ihnen die Ermutigung und Motivation gab, die sie für ein treues Leben brauchten. 

Nachdem er das Heil in drei kurzen Sätzen zusammengefasst hat, beendet Paulus Vers 2 mit diesen Worten: »das [=ewige Leben] Gott, der nicht lügen kann, verheißen hat vor ewigen Zeiten«. Der Apostel will damit sagen, dass das ganze sich entfaltende Wunder der Erlösung, das im ewigen Leben gipfelt, auf dem unbedingten Versprechen unseres vertrauenswürdigen Gottes beruht. Die Tatsache, dass Gott nicht lügen kann, ist sowohl selbstverständlich als auch biblisch belegt (vgl. 4Mo 23,19; 1Sam 15,29; Joh 14,6.17; 15,26). Da Gott die Quelle und das Maß aller Wahrheit ist, ist es für Gott per definitionem »unmöglich zu lügen« (Hebr 6,18). Wenn der Teufel »die Lüge redet, so redet er aus seinem Eigenen, denn er ist ein Lügner und ihr Vater« (Joh 8,44), Lüge ist ihm wesenseigen. Entsprechend redet Gott, wann immer er spricht, die Wahrheit aus seinem eigenen Wesen heraus, denn er ist der Vater der Wahrheit.

Dieser Gott der Wahrheit, der der einzig wahre Gott ist, hat schon vor langer Zeit versprochen, dass diejenigen, die er dazu auserwählt hat, in diesem Leben gerechtfertigt und geheiligt zu werden, auch im zukünftigen Leben verherrlicht werden. Der Ausdruck »vor ewigen Zeiten« bezieht sich nicht einfach auf die bisherige menschliche Geschichte, er bedeutet vielmehr »bevor die Zeit begann«. Zwar wiederholte Gott seinen Plan des Heils und des ewigen Lebens gegenüber gottesfürchtigen Menschen wie Abraham, Mose, David und den Propheten, aber die ursprüngliche Verheißung wurde in der Ewigkeit vor der Zeit gegeben und ratifiziert (vgl. Eph 1,4–5; Hebr 13,20). Bevor die Zeit begann, erwählte er diejenigen, die den Glauben annehmen würden (Tit 1,1), und versprach, sie für alle Ewigkeit zu retten (1,2).

Aber wem gegenüber hat Gott dieses Versprechen gegeben? Wenn er es vor dem Beginn der Zeit gegeben hat, dann kann er es weder einem Menschen noch einem anderen geschaffenen Wesen gegeben haben. Vor der Erschaffung der Zeit gab es nichts außer Gott selbst. Wem also hat er dieses Versprechen gegeben?

Göttliche Erwählung und die Liebe des Vaters

In 2. Timotheus 1,9 werden wir zur Antwort geführt. Der Vers spricht von Gott und sagt, dass er »uns errettet hat und berufen mit heiligem Ruf, nicht nach unseren Werken, sondern nach seinem eigenen Vorsatz und der Gnade, die uns in Christus Jesus vor ewigen Zeiten gegeben […] worden ist«. Der Ausdruck »vor ewigen Zeiten« ist die Wiedergabe desselben griechischen Ausdrucks, der mit denselben Worten in Titus 1,2 wiedergegeben wird. Auch hier bedeutet er wörtlich »bevor die Zeit begann«. In der Ewigkeit vor der Zeit, vor Anbruch der Geschichte, traf Gott die unwiderrufliche Entscheidung, den Erlösten das Heil zu gewähren. Dies ist die Verheißung in Titus 1,2 und es ist eine Verheißung, die Gott nach seiner eigenen, unabhängigen Absicht und Gnade gegeben hat. Einfach ausgedrückt: Es war ein Versprechen, das er sich selbst gegeben hat.

Genauer gesagt handelte es sich, wie wir sehen werden, um eine Verheißung des Vaters an den Sohn. Der Plan Gottes war von Ewigkeit her, einen Teil der gefallenen Menschheit durch das Werk des Sohnes und zur Ehre des Sohnes zu erlösen (vgl. 2Tim 4,18). Es gab einen Moment in der Ewigkeit vor der Zeit (wenn wir so in unvollkommen zeitlichen Begriffen von der Ewigkeit sprechen dürfen), als der Vater seine vollkommene und unbegreifliche Liebe zum Sohn zum Ausdruck bringen wollte. Um dies zu tun, beschloss er, dem Sohn eine erlöste Menschheit als Liebesgabe zu geben – eine Schar von Männern und Frauen, deren Aufgabe es sein sollte, den Sohn während aller Äonen der Ewigkeit zu preisen und zu verherrlichen und ihm vollkommen zu dienen. Engel allein würden in dieser Hinsicht nicht ausreichen, denn es gibt Eigenschaften des Sohnes, für die Engel ihn nicht richtig preisen können, da sie die Erlösung nie erfahren haben. Aber eine erlöste Menschheit, als direkte Empfänger seiner unverdienten Gunst, würde für immer als ein ewiges Zeugnis für die unendliche Größe seiner Barmherzigkeit und Gnade stehen.

Der Vater beschloss daher, dem Sohn eine erlöste Menschheit als sichtbaren Ausdruck seiner unendlichen Liebe zu geben. Dabei wählte er alle aus, die diese erlöste Menschheit bilden sollten, und schrieb, bevor die Welt begann, ihre Namen in das Buch des Lebens (Offb  13,8; 17,8). Sein Geschenk an den Sohn besteht aus denjenigen, deren Namen in diesem Buch stehen – eine freudige Gemeinde unverdienter Heiliger, die den Sohn für immer preisen und ihm dienen werden.

Das Johannesevangelium macht diese wunderbare Realität noch deutlicher. In Johannes 6 zum Beispiel sagt Jesus ganz klar, dass die Gläubigen ein Geschenk seines Vaters an ihn sind. Er sagt seinen Zuhörern: »Alles, was mir der Vater gibt, wird zu mir kommen, und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen« (Joh 6,37). Und später: »Niemand kann zu mir kommen, wenn der Vater, der mich gesandt hat, ihn nicht zieht« (Joh 6,44). Mit anderen Worten: Der Vater zieht Sünder, um sie dem Sohn liebevoll zu präsentieren. Alle, die gezogen werden, kommen. Alle, die kommen, nimmt der Sohn auf und umarmt sie. Keiner davon wir je abgewiesen werden, denn der Sohn würde niemals diejenigen abweisen, die ein Geschenk des Vaters sind.

Das Heil kommt also nicht deswegen zu den Sündern, weil sie von Natur aus begehrenswert seien, sondern weil der Sohn in sich der Gabe des Vaters würdig ist. Der Zweck der Erlösung besteht ja darin, dass der Sohn durch die Erlösten auf ewig verherrlicht werde. Es geht dabei nicht um die Ehre des Sünders, sondern um die Ehre des Sohnes. Und als Antwort auf die Liebe des Vaters nimmt der Sohn die zum ihm Gezogenen gerne an, gänzlich deswegen, weil sie ein Geschenk des Vaters sind, den er liebt. Es ist seine vollkommene Dankbarkeit, die seine Arme öffnet, um die Verlorenen zu umarmen.

In Johannes 6,39 sagt Jesus, dass das, was vom Vater versprochen wurde, vom Sohn bewahrt wird: »Dies aber ist der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich von allem, was er mir gegeben hat, nichts verliere, sondern es auferwecke am letzten Tag.« Wenn der Sohn die vom Vater zu ihm Gezogenen aufnimmt, bewahrt er sie sicher und sorgt dafür, dass sie eines Tages zum ewigen Leben auferweckt werden (vgl. Joh 5,29). Wenn der Sohn diejenigen auferweckt, die ihn auf ewig anbeten werden, wird er den Plan erfüllen, den Gott in der vergangenen Ewigkeit gefasst hat. Wie Jesus in Johannes 6,38 sagt: »[I]ch bin vom Himmel herabgekommen, nicht um meinen Willen zu tun [irgend einen eigenen Plan auszuführen], sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.« Dieser Plan umfasst, wie der Herr in Johannes 6,39erklärt, die zukünftige Auferstehung aller, die der Vater ihm gegeben hat.

Ohne Frage ist die Lehre von der ewigen Sicherheit der Geretteten ein fester Bestandteil dieser Diskussion, weil sie in den Plan mit eingebaut ist. Christus beschützt diejenigen, die der Vater erwählt hat. Er wird nie einen von ihnen verlieren, denn sie sind Liebesgaben des Vaters an ihn. Sie sind wertvoll, nicht wegen ihrer angeborenen Lieblichkeit, sondern wegen der Lieblichkeit dessen, der sie dem Sohn gegeben hat. Deshalb bewahrt der Sohn sie in Sicherheit und deshalb wird uns »weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch Gewalten, weder Höhe noch Tiefe, noch irgendein anderes Geschöpf uns zu scheiden vermögen wird von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn« (Röm 8,38–39).

Diese tiefe Wahrheit wird in Johannes 17 wiederholt. Als das Kreuz nur noch wenige Stunden entfernt war, wusste Jesus, dass er eine Zeit der Trennung von Gott erleben würde (vgl. Mt 27,46), in der er den Zorn Gottes für die Sünde tragen würde (vgl. Jes 53,10; 2Kor 5,21). Im Bewusstsein dessen, dass er die Seinen in diesem Augenblick nicht werde beschützen können, vertraute er ihre Bewahrung demjenigen an, der sie ihm gegeben hatte. In Johannes 17,9–15 bittet Jesus seinen Vater mit diesen Worten:

Ich bitte für sie; nicht für die Welt bitte ich, sondern für die, die du mir gegeben hast, denn sie sind dein (und alles, was mein ist, ist dein, und was dein ist, mein), und ich bin in ihnen verherrlicht. Und ich bin nicht mehr in der Welt, und diese sind in der Welt, und ich komme zu dir. Heiliger Vater! Bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins seien wie wir.
Als ich bei ihnen war, bewahrte ich sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast; und ich habe sie behütet, und keiner von ihnen ist verloren gegangen – als nur der Sohn des Verderbens, damit die Schrift erfüllt würde.
Jetzt aber komme ich zu dir; und dieses rede ich in der Welt, damit sie meine Freude völlig in sich haben. Ich habe ihnen dein Wort gegeben, und die Welt hat sie gehasst, weil sie nicht von der Welt sind, wie ich nicht von der Welt bin. Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt wegnehmest, sondern dass du sie bewahrest vor dem Bösen.

In diesem Zusammenhang betet Jesus für die Seinen, die in der Welt sind. Er weiß, dass die Erlösten diejenigen sind, die der Vater ihm gegeben hat, und er wiederholt, dass er sie treu beschützt und bewahrt hat. Aber jetzt, auf dem Weg zum Kreuz, bittet er den Vater, sie in dem Moment zu beschützen, in dem er dazu nicht mehr in der Lage sein wird. In dem einen Fall in der gesamten Erlösungsgeschichte, in dem der Böse in den Plan unterbrechend eingreifen könnte, vertraut der Sohn die Erlösten der wachsamen und liebevollen Fürsorge seines Vaters an. Wie Jesus zuvor gesagt hatte: »Mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus der Hand meines Vaters rauben« (Joh 10,29). Der Sohn war zuversichtlich, dass die Seinen in dem unlösbaren Griff seines Vaters sicher sein würden.

In Johannes 17,24 betet Jesus weiter: »Vater, ich will, dass die, die du mir gegeben hast, auch bei mir seien, wo ich bin, damit sie meine Herrlichkeit schauen, die du mir gegeben hast, denn du hast mich geliebt vor Grundlegung der Welt.« Hier ist der glorreiche Sinn des Liebesgeschenks des Vaters an den Sohn unverkennbar: Die überragende Herrlichkeit des Sohnes soll von den Erlösten gepriesen und verherrlicht werden. Auch die Motivation des Vaters für diese Gabe ist klar: Er wollte die Liebe beweisen, die er zum Sohn hatte, bevor die Welt erschaffen wurde.

Es ist klar, dass die Lehre von der Erwählung weit über das hinausgeht, was wir mit unseren endlichen Fähigkeiten begreifen können. Wir stehen staunend vor diesen innertrinitarischen Liebesbekundungen, die so unergründlich und unaussprechlich sind. Und immer wieder werden wir durch kleine Einblicke in die göttliche Absicht hinter der Erwählung daran erinnert, dass es bei der Erlösung um etwas geht, das weit über unser eigenes Glück hinausgeht.

In Römer 8,29–30 erhalten wir einen weiteren inspirierten Einblick in diese unermessliche Realität. Paulus schreibt: »Denn welche er zuvor erkannt hat, die hat er auch zuvor bestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Welche er aber zuvor bestimmt hat, diese hat er auch berufen; und welche er berufen hat, diese hat er auch gerechtfertigt; welche er aber gerechtfertigt hat, diese hat er auch verherrlicht.« Obwohl man viel über diese Verse sagen könnte, sind zwei Punkte im Hinblick auf die Lehre der Erwählung von größter Bedeutung. Erstens: Als Gott uns durch seine Auserwählung vorherbestimmt hat, hat er uns nicht nur für den Anfang unseres Heils vorherbestimmt, sondern auch für dessen Ziel. Wir wurden nicht auserwählt, um nur gerechtfertigt zu werden. Wir wurden auserwählt, um verherrlicht zu werden. Wie Paulus das hier formuliert, könnte nicht deutlicher sein: Was Gott mit der Erwählung begonnen hat, setzt sich durch die Berufung und die Rechtfertigung fort und wird unweigerlich in der Verherrlichung enden. Der Prozess, der Gottes Prozess ist, ist ohne Fehler und Versagen, weil Er dahintersteht.

Zweitens rettet Gott nicht nur eine auserwählte, erlöste Menschheit, die den Sohn verherrlichen und ihm für immer dienen wird, sondern er macht sie auch dem Sohn gleich. Die Erlösten in Christus werden seinem Bild gleichgestaltet, was erst in der Verherrlichung vollständig und endgültig geschehen wird (1Joh 3,2; Phil 3,20–21). Es wurde zu Recht gesagt, dass Nachahmung die höchste Form des Lobes ist, denn dies wird die höchste Anerkennung für den Sohn sein – er wird der Erste unter vielen sein, die ihm ähnlich geworden sind. Sie werden seine Güte widerspiegeln, weil sie ihm gleich sein werden, und sie werden seine Größe verkünden, indem sie ihn ohne Unterlass in Ewigkeit anbeten.

Göttliche Erwählung und die Aufgabe des Sohnes

In 1. Korinther 15,25–28 finden wir eine bemerkenswerte Schlussfolgerung zu dieser ganzen Diskussion. Dort sagt Paulus: »Denn er [Christus] muss herrschen, bis er alle Feinde unter seine Füße gelegt hat. Als letzter Feind wird der Tod weggetan. Denn ›alles hat er seinen Füßen unterworfen‹. Wenn er aber sagt, dass alles unterworfen sei, so ist es offenbar, dass der ausgenommen ist, der ihm alles unterworfen hat. Wenn ihm aber alles unterworfen sein wird, dann wird auch der Sohn selbst dem unterworfen sein, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott alles in allem sei.«

Dieser Abschnitt bezieht sich auf das Ende des Zeitalters und offenbart, dass der Tag kommen wird, an dem Christus, der König der Könige, seinen rechtmäßigen Thron besteigen und das Universum, das ihm gehört, zurückfordern wird. Zu diesem Zeitpunkt wird ihm alles unterworfen sein, auch der Tod, und alle Erlösten werden in der Herrlichkeit versammelt sein und in der Fülle der ewigen Anbetung jubeln. Wenn das alles geschehen ist, »dann wird auch der Sohn selbst dem unterworfen sein, der [gemeint ist der Vater] ihm alles unterworfen hat, damit Gott alles in allem sei«. Mit anderen Worten: Wenn das ganze Liebesgeschenk der erlösten Menschheit Jesus Christus übergeben worden ist, dann wird er diese erlöste Menschheit nehmen und alles, einschließlich seiner selbst, dem Vater zurückgeben als Ausdruck seiner Gegenliebe gegenüber der unendlichen Liebe des Vaters. In diesem Augenblick werden die Erlösungsabsichten Gottes vollständig verwirklicht sein.

Die Lehre von der Erwählung ist also das Herzstück der Erlösungsgeschichte. Sie ist keine unbedeutende, esoterische Lehre, die trivialisiert oder auf Debatten in den Seminarräumen verwiesen werden kann. Vielmehr steht sie im Mittelpunkt unseres Verständnisses von Erlösung und der Gemeinde Jesu. Sie prägt unsere Evangelisation, unsere Verkündigung und unsere Identität als Leib Christi.

Sie hilft uns auch zu verstehen, warum Christus seine Braut, die Gemeinde, so ernst nimmt – sie ist sein Liebesgeschenk vom Vater. Die Gemeinde ist für ihn so wertvoll, dass er bereit war, große Schwierigkeiten und schließlich den Tod zu ertragen, um das Geschenk zu empfangen. »Denn ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, dass er, da er reich war, um euretwillen arm wurde, damit ihr durch seine Armut reich würdet« (2Kor 8,9; vgl. Phil 2,5–11). Er ließ unendliche geistliche Reichtümer hinter sich, damit seine Auserwählten dieselben Reichtümer erben können (vgl. Röm 8,17). Er hat die tiefste Armut auf sich genommen, die überhaupt möglich ist, indem er auf seine himmlischen Annehmlichkeiten und auf den unabhängigen Gebrauch seiner göttlichen Vollkommenheiten verzichtete und sich entschied, die Strafe der Sünde durch sein Opfer am Kreuz auf sich zu nehmen. Paulus erklärt dies so: »Den, der Sünde nicht kannte [d. h. Christus], hat er [Gott, der Vater] für uns zur Sünde gemacht, damit wir Gottes Gerechtigkeit würden in ihm« (2Kor 5,21).

Jesus war völlig unschuldig. Doch am Kreuz behandelte der Vater Ihn so, als hätte Er persönlich jede Sünde begangen, die von all den Menschen, die jemals an Ihn glauben würden, begangen wurden oder begangen werden. Obwohl er selbst makellos war, erlebte Er die volle Wucht des Zornes Gottes und ertrug die Strafe der Sünde stellvertretend für alle, die zu retten Er gekommen war. Auf diese Weise wurde der sündlose Gottessohn zum perfekten Stellvertreter für die sündigen Menschensöhne.

Aufgrund des Opfers Christi werden die Auserwählten in Ihm zur Gerechtigkeit Gottes. So wie der Vater den Sohn als Sünder behandelte, obwohl der Sohn sündlos war, so behandelt der Vater jetzt die Gläubigen als Gerechte, obwohl sie ungerecht waren. Jesus hat sein Leben für die Sünder eingetauscht, um den Auserwählungsplan Gottes zu erfüllen. Und Er tat es, damit Er am Ende dem Vater das Liebesgeschenk zurückgeben konnte, das der Vater Ihm gegeben hatte.

Wenn wir über diese Wahrheiten nachdenken, werden wir in die unermesslichen Tiefen der Pläne und Absichten Gottes geworfen. Wie Paulus in Römer 11,33–36 ausrief:

»Oh, die Tiefe des Reichtums und der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! 
Wie unergründlich sind seine Gerichte und wie unerforschlich seine Wege!«
»Denn wer kennt die Gedanken des Herrn, und wer ist sein Ratgeber gewesen?«
»Oder wer hat ihm eine Gabe gegeben, damit er sie zurückbekommt?« 
Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. 
Ihm sei die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Diejenigen, die Gott lieben, sind erstaunt und erstaunt und können nur mit aufrichtiger Anbetung und demütiger Unterwerfung reagieren. Sie müssen Ihn preisen für seine Barmherzigkeit, seine Gnade und seine herrlichen Absichten, der dies alles vor aller Zeit geplant hat. Und sie müssen sich seiner Souveränität unterwerfen, die nicht nur im ganzen großen Universum regiert, sondern auch in den kleinsten Details ihres täglichen Lebens. Das ist ihre Rolle als Teil des Liebesgeschenks des Vaters an den Sohn. Anbeten und Dienen ist das, wozu sie von Ewigkeit her bestimmt waren. Und das werden sie auch in der unaussprechlichen Freude der ewigen Herrlichkeit weiterhin vollkommen tun.

Die Realität ist also, dass die Gläubigen nur ein kleiner Teil eines viel größeren göttlichen Plans sind. Der Vater hat aufgrund seiner Liebe zum Sohn vor Beginn der Zeit beschlossen, eine erlöste Gemeinschaft zu erwählen, die den Sohn in alle Ewigkeit preisen würde. Und der Sohn nahm aus Liebe zum Vater dieses Liebesgeschenk des Vaters an und hielt es für so kostbar, dass er sein Leben dafür gab. Der Sohn beschützt diejenigen, die der Vater erwählt hat, um sie ihm zu geben, und verspricht, sie nach dem vorherbestimmten Plan Gottes zur Herrlichkeit zu führen.

Die lange Reihe gottesfürchtiger Männer

Geschichte ist die Entfaltung dieses Plans Gottes: Dass diejenigen, die er erwählt hat, durch die Person und das Werk des Sohnes berufen, gerechtfertigt und verherrlicht werden. Geschichte begann, als Gott Zeit und Raum nach seinem ewigen Erlösungsplan erschuf. Und sie wird enden, wenn alle seine Absichten für seine Schöpfung nach demselben ewigen Plan vollendet sind.

Es überrascht nicht, dass Gottes Diener im Laufe der Geschichte dies als Realität verstanden und sich zu eigen gemacht haben. Von Mose bis zur Gegenwart gibt es eine lange Reihe gottesfürchtiger Menschen, die diese Gewissheit in ihren Worten und ihrem Leben zum Ausdruck gebracht haben. Diese Diener Gottes sind unsere menschlichen Glaubenshelden. Aber es ist nicht eine ihnen angeborene Größe, der wir Beifall spenden. Vielmehr ist es die Größe und Herrlichkeit ihres souveränen Gottes, die sich in ihrem Leben und in ihren Lehren widerspiegelt, die uns so sehr beeindruckt. Das Thema dieser Buchreihe (Foundations of Grace; verdeutscht: Grundlagen der Gnade) ist der unveränderliche Charakter und die Treue Gottes in den Lehren der Gnade.

In Band eins (A Long Line of Godly Men; verdeutscht: Eine lange Reihe gottesfürchtiger Männer) liefert Steven Lawson klar und umfassend die biblische Grundlage für die Lehren der Gnade. Dieser Band liefert die biblische Basis für alles Folgende. Die Bände zwei bis fünf stehen wie Säulen auf diesem festen Fundament und zeichnen das Echo der göttlichen Offenbarung durch die Kirchengeschichte hindurch auf. Im gesamten Werk wird schnell deutlich, dass die Verfasser der Heiligen Schrift und die ihnen folgenden Schriftausleger dieselben unveränderlichen Lehren hochhielten und lehrten, die das göttliche, souveräne Heil ausmachen. Wenn man die Berichte von diesen gottesfürchtigen Männern liest, staunt man nicht über deren Talent, Fähigkeiten oder einzigartige Umstände, sondern über ihre Beständigkeit, mit der sie dieselbe göttliche Wahrheit der Lehren der Gnade praktizierten und verkündeten.Daher geht es in A Long Line of Godly Men (Eine lange Reihe gottesfürchtiger Männer) nicht in erster Linie um diese Männer, sondern um den Gott, von dem das Leben dieser Männer zeugt. Obwohl gottesfürchtige Männer kommen und gehen, wie jeder Überblick über die Geschichte deutlich macht, ändert sich der Gott, der durch diese Männer sprach, nie, und seine Botschaft auch nicht. Und das ist es, was Lawsons Werk so reich und erbaulich macht. Der Gott des Mose, der Gott des Petrus, der Gott des Chrysostomus, der Gott Luthers, der Gott Edwards, der Gott Spurgeons und der Gott, dem wir heute dienen, befiehlt uns, die unveränderlichen Wahrheiten zu verkünden, die in der Vergangenheit als Basis gelegt wurden. Die Unveränderlichkeit Gottes und die Ewigkeit seiner Wahrheiten, insbesondere die Lehre von der souveränen Erwählung, bilden den Eckpfeiler dieser Geschichte.

Textquellen

Wenn das Herz nach Ewigkeit sucht, muss Gott das Ziel sein

Was rufen uns denn diese Gier und diese Unfähigkeit zu, wenn nicht dies, dass es einst im Menschen ein wahres Glück gegeben hat, von dem ihm jetzt nur das Zeichen und die ganz wesenlose Spur geblieben sind und die er nun vergebens mit allem auszufüllen trachtet, was ihn umgibt, wobei er von den fernen Dingen die Hilfe erwartet, die er von den gegenwärtigen nicht erhält, doch sie alle sind dazu nicht fähig, weil dieser unendliche Abgrund nur durch etwas Unendliches und Unwandelbares ausgefüllt werden kann, das heißt durch Gott selbst.

Blaise Pascal (1623–1662): Pensées sur la religion et nur quelques autres sujets (kurz: Pensées = Gedanken), Section VII: Moral und Lehre, Teil 2 (um 1670 erstmalig veröffentlicht). Link.

Da die Menschen kein Heilmittel entdecken konnten gegen den Tod, das Elend, die Unwissenheit, so sind sie darauf verfallen, um sich glücklich zu machen, nicht daran zu denken. Das ist alles, was sie erfinden konnten, um sich über so viel Uebel zu trösten. Aber das ist ein sehr elender Trost, weil er darauf hingeht, nicht das Uebel zu heilen, sondern es bloß kurze Zeit zu verbergen, und indem er es verbirgt, macht er, daß man nicht daran denkt, es wirklich zu heilen. So geschieht es durch eine seltsame Verkehrtheit der Natur des Menschen, daß das Mißbehagen, sein empfindlichstes Uebel, in gewisser Art sein größtes Gut ist, weil es mehr als alles andre dazu beitragen kann, ihn seine wahre Heilung suchen zu machen, und daß das Vergnügen, welches er als sein größtes Gut ansieht, in der That sein größtes Uebel ist, weil es mehr als alles andre ihn davon abhält, das Heilmittel für sein Uebel zu suchen. Das eine wie das andre ist ein vorzüglicher Beweis von dem Elend und dem Verderben des Menschen und zugleich von seiner Größe; denn nur deshalb fühlt der Mensch sich bei allem unbehaglich und sucht diese Menge von Beschäftigungen, weil er die Vorstellung des Glücks hat, das er verloren. Da er es in sich nicht findet, sucht er es umsonst in den äußern Dingen, ohne je sich zufrieden stellen zu können, weil es weder in uns noch in den Geschöpfen ist, sondern in Gott allein.

Blaise Pascal, Pascal’s Gedanken über die Religion und einige andere Gegenstände. Erster Theil: Gedanken, die sich auf Philosophie, Moral und schöne Wissenschaften beziehn, Siebenter Abschnitt: Elend des Menschen, Ziffer 4. (Berlin, 1840); Link..

Opera ad extra – Das Zusammenwirken von Vater, Sohn und Heiligem Geist im Heilswerk

Text adaptiert von: James Buchanan, Die Lehre der Rechtfertigung. Nachdruck aus dem Druck von 1867 von T. and T. Clark, Edinburgh. Grand Rapids, MI: Baker Book House, 1977), S. 388–392.
Übersetzung, Überarbeitung und Erweiterung durch grace@logikos.club.
Bildquelle: unbekannt (Hinweise erbeten)

Die opera ad extra

Die Heilige Schrift offenbart uns, dass Gott-Vater, Gott-Sohn und Gott, der Heilige Geist, im Plan und Werk der Erlösung des Menschen harmonisch abgestimmt und in Einheit zusammenwirken, dass aber jeder von ihnen ein anderes „Amt“ innehat und einen anderen Teil des Werkes übernimmt, um diesen Plan zu verwirklichen. Dies gilt für alle „Werke [Gottes] nach außen“ (den opera ad extra), für die erste Schöpfung und für die zweite Schöpfung (Heil). Sie sind Wirkungen, die aus dem Wesen Gottes heraustreten und offenbar werden, und die auf den „Werken Gottes nach innen“ (den opera ad intra) beruhen. Während uns die opera ad intra in der Schrift offenbaren, wie das Verhältnis der drei Personen der Dreieinheit zueinander ist, lassen uns die opera ad extra in der Schrift erkennen, wie die drei Personen der Trinität zwar in „göttlicher Arbeitsteilung“, jedoch untrennbar und stets harmonisch zusammenarbeiten zur Verwirklichung der einen gemeinsamen Zielsetzung (Wille, Vorsatz, Ratschluss usw.). Dies soll für das Heilswerk unten kurz skizziert werden. [1]

Die Offenbarung der drei Personen der Gottheit im Heilswerk

Das großartige Ziel Gottes, bestimmte erwählte Sünder zu erlösen, sowie die harmonische Zusammenarbeit der drei Personen der Gottheit bei der Verwirklichung dieses Ziels könnten aus der Einheit der göttlichen Natur (es gibt nur ein göttliches Wesen!) abgeleitet werden. Denn dieses impliziert notwendigerweise die Einheit in den Ratschlüssen des göttlichen Willens. Aber die Unterscheidungen innerhalb der Gottheit nach den drei Personen (Subsistenzen) hätten nie auf eine andere Weise so deutlich offenbart werden können, als durch die verschiedenen „Ämter und“ Tätigkeiten, die ihnen im Zusammenhang mit dem Erlösungswerk eigen sind. Es ist ein Zeichen für die Harmonie ihrer Absichten und ihres Zusammenwirkens in dem einen gemeinsamen Selbstoffenbarungswerk.

Die Offenbarung der drei Personen der Gottheit wird erst im Heilswerk Gottes (im NT beschrieben) explizit deutlich. Nehmen wir das Beispiel der christlichen Taufe: Von jedem an Christus Gläubigen verlangt Gott, getauft zu werden, und zwar nicht einfach auf den Namen Gottes, sondern ausdrücklich „auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Matthäus 28,19). Auch in der apostolischen Segensformel werden ausdrücklich alle drei Personen der Trinität benannt: „Die Gnade des Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! “ (2Korinther 13,13). Dies ist also ein spezifisch christliches Kennzeichen, im AT verborgen, im NT geoffenbart.

In der Epoche vorher, der letzten des Alten Testaments (vgl. Lukas 7,27f), gab es die vorbereitende Taufe des Johannes, die als „Taufe mit Wasser zur Buße“ (Matthäus 3,11f), „Taufe der Buße“ (Apostelgeschichte 19,2–6) und „Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden“ (Markus 1,4) beschrieben wird. Sie wurde den Menschen, die Jesu Dienst begleiteten, verabreicht, damit sie gelehrt würden, an den zu glauben, der „nach mir [Johannes Baptist] kommt“, und sie „mit Heiligem Geist taufen“ würde (Markus 1,7–8). Diese Bußtaufe war im Vergleich zur christlichen Taufe unvollkommen, weil sie den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist nicht deutlich benannte. Daher wurde die Taufe des Johannes bei der Gründung der christlichen Kirche durch die von Christus angeordnete (Matthäus 28,19) ersetzt, die alle drei Personen der Gottheit explizit benennt und bekennt.

Aber auch das gesamte Heilswerk betreffend ist in der Heiligen Schrift zu beobachten, dass jede der drei Personen der Gottheit ein bestimmtes Amt ausübt und ein spezifisches Werk verrichtet. Auch hier gilt wieder, dass diese Ämter und Werke zwar eindeutig den göttlichen Personen zugeordnet sind, dass sie aber stets miteinander und in völliger Harmonie und Einheit ausgeführt werden. Die wahrgenommenen Unterschiede in den Werken ad extra sind keinesfalls Unterschieden im göttlichen Wesen zuzurechnen (es gibt solche nicht). Eine einzigartige Besonderheit entstand dadurch, dass die Person, die der ewige Sohn Gottes ist, auch in der Zeit wahrer Mensch geworden ist (Johannes 1,14; Galater 4,4). 

Das große Sühnungsopfer Jesu am Kreuz, an dessen Ende das geheimnisvolle „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Matthäus 27,46) des Sohnes erklang, wird beeindruckend trinitarisch so beschrieben: „…das Blut des Christus, der durch den ewigen Geist sich selbst ohne Flecken Gott geopfert hat” (Hebräer 9,14a). Der wunderbare Anbetungshymnus in Epheser 1,3–14 ist ein glanzvolles Beispiel der Werke der Trinität im ewigen Heilsvorsatz. – Im Einzelnen:

Gott-Vater

Der Vater wird als Repräsentant der Majestät der Gottheit geoffenbart, der die Souveränität ausübt und die Vorrechte der Gottheit wahrt. Von ihm wird gesagt, dass er uns geliebt hat, dass er uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen in Christus, dass er uns in ihm auserwählt hat vor Grundlegung der Welt, dass er uns vorherbestimmt hat zur Sohnschaft durch Jesus Christus, nach dem Wohlgefallen seines Willens, zum Lobe der Herrlichkeit seiner Gnade, durch die er uns angenommen hat in dem Geliebten, dass er seinen eingeborenen Sohn gegeben hat, dass er seinen Sohn gesandt hat, um der Heiland der Welt zu sein, dass er ihn für uns zur Sünde gemacht hat, dass er ihn hingestellt hat zur Versöhnung durch den Glauben an sein Blut, dass er „seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben hat“, dass „Gott … seine Liebe zu uns darin [erweist], dass Christus, da wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist“, dass es „dem Herrn gefiel…, ihn zu zerschlagen, er hat ihn leiden lassen“, dass er „ihn aus den Toten auferweckt und ihm Herrlichkeit gegeben hat, damit euer Glaube und eure Hoffnung auf Gott sei“. Er hat Christus „durch seine Rechte zum Führer und Heiland erhöht, um Israel Buße und Vergebung der Sünden zu geben“. (Jesaja 53,10; Johannes 3,16; Apostelgeschichte 5,31; Römer 3,25; 5,8; 8,32; 2Korinther 5,21; Epheser 1,3.4.5; 1Petrus 1,21; Hebräer 2,7; 1Johannes 4,14)

Gott-Sohn

Der ewige Sohn, Sohn Gottes und Sohn des Menschen, wird [in Seiner Menschwerdung] als in offizieller Unterordnung unter den Vater handelnd offenbart als „gesandt“, als „gegeben“, als „gekommen, um [s]einen Willen zu tun“, ohne „Ansehen, dass wir seiner begehrt hätten. Er war verachtet und verlassen von den Menschen“, einer, der „sich selbst zu nichts machte und Knechtsgestalt annahm, indem er in Gleichheit der Menschen geworden ist“, der „sich selbst erniedrigte, indem er gehorsam wurde bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz“, er wurde „geboren unter Gesetz“ und „für uns zur Sünde gemacht“, „indem er ein Fluch für uns geworden ist“, „von Gott geschlagen und niedergebeugt; doch um unserer Übertretungen willen war er verwundet, um unserer Ungerechtigkeiten willen zerschlagen“ und hat „selbst unsere Sünden an seinem Leib auf dem Holz getragen“, hat „sich selbst für uns hingegeben … als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch“. „Er ist wohl in Schwachheit gekreuzigt worden, aber er lebt durch Gottes Kraft“, er ist „hinaufgestiegen … über alle Himmel, damit er alles erfüllte“ und „hat sich auf immerdar gesetzt zur Rechten Gottes, fortan wartend, bis seine Feinde hingelegt sind als Schemel seiner Füße“. „ Gott [hat] ihn auch hoch erhoben und ihm den Namen gegeben, der über jeden Namen ist, damit in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters“. (Jesaja 53; 2Korinther 13,4; Galater 3,13; Epheser 4,10; 5,2; Philipper 2,7–8.9–11; Hebräer 10,7.9.12–13; 1Petrus 1,24)

Gott-Heiliger Geist

Der Heilige Geist wird offenbart als der, „der vom Vater ausgeht“ und den Christus uns „von dem Vater senden“ würde. Er „wird von [Christus] zeugen“, Christus „verherrlichen“ und „von dem Meinen empfangen und euch verkündigen“. Er wird „die Welt überführen von Sünde und von Gerechtigkeit und von Gericht“, „von Sünde, weil sie nicht an [Christus] glauben“. Er ist der, „der in unsere Herzen geleuchtet hat zum Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi“, der uns „erneuert … in dem Geist [unserer] Gesinnung“, der der „Geist der Weisheit und Offenbarung in der Erkenntnis seiner selbst“ ist. Er ist der „der Geist dessen, der Jesus aus den Toten auferweckt hat, [der] in euch wohnt“ (trinitarisch!), „der in uns wirkt“. Er ist „der Geist der Wahrheit“, der selbst „die Wahrheit ist“, der gekommen ist, um uns „in die ganze Wahrheit [zu] leiten“. Er „nimmt … sich unserer Schwachheit an“ und „verwendet sich für uns in unaussprechlichen Seufzern“. „Der Geist selbst bezeugt mit unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind.“ Alle Glaubenden sind „versiegelt worden … mit dem Heiligen Geist der Verheißung“ und haben ihn als „das Unterpfand [Zusicherung, Angeld] unseres Erbes“. (Johannes 15,26; 16,8–9.13.14; Römer 8,16.26; 2Korinther 4,6; Epheser 1,13.14; 4,23; Philipper 2,13; 1Johannes 5,6)

Fazit

Diese Zeugnisse der Heiligen Schrift reichen aus, um zu zeigen:

  • Es besteht ein wirklicher Unterschied zwischen dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist, da über jeden von ihnen vieles geoffenbart wird, was von den beiden anderen jeweils nicht ausgesagt wird. Dies betrifft aber nicht ihr Wesen als Gott, da sie dieses ewig völlig identisch besitzen. 
  • Im Rahmen desselben Gnadenplans bekleiden die Personen der Gottheit verschiedene „Ämter“ und vollbringen in Abstimmung und Harmonie verschiedene Teile desselben Werkes der Errettung. 

Die Zielsetzung der Summe und Einheit alles Wirkens Gottes ist seine eigene Verherrlichung, also die glanzvolle Darstellung seiner Vollkommenheiten. (Dies ist auch im Schöpfungswerk zu beobachten, Genesis 1,1–2, Römer 1,19–20; Hebräer 1,2ff usw.)

Da diese grundlegenden Wahrheiten klar geoffenbart sind, können wir uns nur in unentwirrbaren Irrtum verwickeln, wenn wir leugnen oder missachten würden, dass es solche Unterscheidungen im Zeugnis (Selbstoffenbarung) Gottes in der Heiligen Schrift gibt. Wir sollten nicht dem Vater das zuschreiben, was die Schrift dem Sohn zuschreibt, oder dem Sohn das, was die Schrift dem Geist zuschreibt, oder dem Geist das, was die Schrift dem Sohn zuschreibt (usw.). 

Ein, zwei abschreckende Beispiele mögen genügen: Wer dem Vater dankt, dass er für uns am Kreuz gestorben sei, irrt. Wenn der Dankende lernfähig ist, kann ihm mit Gottes Wort schnell geholfen werden, wenn er aber diese Aussage festhält und gar lehrt, verbreitet er lästerlichen Irrtum (sog. Patripassianismus). Ein anderer Verwechslungsirrtum ist es, wenn man als Grund unserer Rechtfertigung das Werk des Geistes in uns (z.B. Buße und Glauben, denen angeblich die Neugeburt zeitlich folge, oder die prozesshafte Heiligung) angibt und nicht das Werk Christi für uns, das außerhalb von uns geschah (stellvertretender Sühnetod am Kreuz). (Dazu im Anschluss noch einige Anmerkungen und Zitate.) 

Endnoten und Ergänzungen

[1] Siehe: John MacArthur und Richard Mayhue, Biblische Lehre – Eine systematische Zusammenfassung biblischer Wahrheit, 3. Aufl. (Berlin: EBTC, 2023), S. 258 und 278.

Ergänzend noch einige sprachliche Anmerkungen und Zitate zur „Rechtfertigung aus Glauben“.

Die Schrift sagt in Römer 5,1, dass „wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben“. Das Verb rechtfertigen des deutschen Textes steht in der 1.Person Plural Indikativ Perfekt Vorgangspassiv, deutet also auf ein vollendetes Geschehnis (Akt) in der Vergangenheit, das fortlaufende Wirkung bis in die Gegenwart hat, nämlich Frieden zu haben (Präsens; Indikativ, m.l. Konjunktiv). Es gibt das durch Wortstellung am Satzanfang betonte griech. Wort dikaióo (im Aorist Partizip Passiv Plural Nominativ Maskulinum, δικαιωθέντες ) wieder, was auf jenen Zeitpunkt deutet, bei dem eine Person vollständig und in einem Akt von Gott gerechtfertigt wurde und nun daraus folgend bleibenden Frieden hat (Präsens von echo) aufgrund des aus Gnade geschenkten lebendigen Glaubens (so: Vine, Unger, White: NT Words 2 und z.B. Lange et al in ihrem Römerbrief-Kommentar). 

Die Präposition aus (griech. ek in ἐκ πίστεως = „aus Glauben“, auch: „auf der Grundlage des Glaubens“) markiert den Glauben als die subjektive Ursache und das aneignende Werkzeug, während „die Gnade [Gottes], in der wir stehen“ die objektive oder erzeugende (kreative) Ursache unserer Rechtfertigung ist, durch die wir aus dem Zustand der Sünde und Verdammnis in den Zustand der Gerechtigkeit und des Lebens gebracht wurden. Kurz gesagt: Die Gnade Gottes eignet uns aktiv die Rechtfertigung zu, wir empfangen sie passiv im Glauben. Dies hat dann vielfältige Folgen, die Römer 5 weiter benennt und ausführt.

Die richtige Zuordnung der Werke der Personen der Gottheit ist auch für den Zentralartikel des christlichen Glaubens, der „Rechtfertigung aus Glauben“, von großer Bedeutung:

  • Richard Albert Mohler jr. (*1959): „Die meisten Amerikaner glauben, dass ihr Problem darin besteht, dass ihnen irgend etwas von außen widerfahren sei, und dass die Lösung dieses Problems in ihnen selbst gefunden werden wird. Mit anderen Worten: sie glauben, dass sie ein externes Problem haben, das mit einer inneren Lösung beseitigt werden kann. Das Evangelium sagt aber im Gegensatz dazu, dass wir ein inneres Problem haben, und dass die einzige Lösung dafür eine externe Gerechtigkeit ist.“ (Beitrag auf der Konferenz T4G, 2006)
  • R. C. Sproul (1939–2017): „Wenn wir sagen, dass die reformatorische Sicht der Rechtfertigung synthetisch ist, dann meinen wir damit, dass, wenn Gott einen Menschen gerecht spricht, das nicht aufgrund dessen geschieht, was er durch seine Analyse in dem Menschen findet. Stattdessen geschieht es aufgrund dessen, was der Person hinzugefügt wird. Dasjenige, was hinzugefügt wird, ist natürlich die Gerechtigkeit Christi. Deshalb sagte Luther, dass die Gerechtigkeit, durch die wir gerechtfertigt werden, extra nos ist, das heißt „getrennt von uns“ oder „außerhalb von uns“. Er nannte sie auch eine „fremde Gerechtigkeit“, nicht eine Gerechtigkeit, die uns gehört, sondern eine Gerechtigkeit, die uns fremd ist. Sie kommt von außerhalb der Sphäre unseres eigenen Verhaltens. Mit diesen beiden Begriffen redete Luther über die Gerechtigkeit Christi.“ (R.C. Sproul, Das Herzstück der Reformation. Artikel auf Evangelium21.net vom 17.11.2018) https://www.evangelium21.net/media/1128/das-herzstueck-der-reformation [Fettdruck hinzugefügt]

Getretener Quark wird breit, nicht stark.

Dieser Ausspruch im Westöstlichen Diwan (1819/1827) von Goethe passt irgendwie hervorragend zu den immer wieder mantraartig (scheinbar sinnfrei) wiederholten Vorwürfen arminianisch und römisch geprägter Christen, die sie immer wieder in Richtung jener Christen äußern, die der bibeltreuen reformatorischen Heilslehre anhängen. Die Reformierten (meist als „Calvinisten“ Bezeichneten) fassten vor 400 Jahren im Schlussstatement ihrer Verwerfung der arminianischen Irrlehren (der sog. „Lehrregel“, 1619) diese haltlosen Vorwürfe wie unten angeführt zusammen.

Man gewinnt den Eindruck, dass auch 400 Jahre nicht reichen, den falschen Blick und das falsche Denken arminianisch argumentierender Menschen zu korrigieren. Durchblick gibt es erst bei überzeugter Bindung an die Wahrheit. Man muss demütig anerkennen und dann praktisch umsetzen, was der Sohn Gottes ein für allemal festgehalten hat: „DEIN WORT IST WAHRHEIT.“ Das wirft uns stets zurück auf die Heilige Schrift und die (wahren) Tatsachen. Dazu gehört also praktisch auch, dass man ehrlich und respektvoll mit dem Andersdenkenden umgeht, alle Behauptungen genau an den Tatsachen überprüft und kein falsches Zeugnis wider den Nächsten ausspricht.

Was „gegen alle Wahrheit und Liebe“ dem Volk eingeredet wird

»Die Lehre der reformierten Kirchen von der Gnadenwahl und damit zusammenhängenden Lehrstücken…

  • führe die Gemüter der Menschen durch einen gewissen eigentümlichen Geist und Richtung von aller Frömmigkeit und Gottesfurcht ab. Sie sei ein Ruhekissen des Fleisches und des Teufels und eine Burg des Satans, aus der er allen auflauere, die meisten verwunde und viele mit den Pfeilen der Verzweiflung oder Sicherheit tödlich treffe.
  • Sie mache Gott zum Urheber der Sünde, zu einem Ungerechten, einem Tyrannen, einem Heuchler und
  • sei nichts anderes als verfälschter Stoizismus, Manichäismus, Libertinismus und Islam.
  • Sie mache die Menschen fleischlich sicher, da sie nach ihr überzeugt wären, es schade der Seligkeit der Erwählten nicht, wie sie auch lebten, und deshalb könnten sie in Sicherheit auch die schwersten Frevel begehen.
  • Den Verworfenen helfe es nicht zur Seligkeit, wenn sie auch alle Werke der Heiligen wirklich vollbrächten.
  • Durch dieselbe würde gelehrt, dass Gott nach der bloßen und reinen Willkür seines Willens, ohne alle Rücksicht auf irgendeine Sünde und ohne Ansehen den größten Teil der Welt zur ewigen Verdammnis vorherbestimmt und geschaffen habe.
  • Auf dieselbe Weise, wie die Erwählung die Quelle und die Ursache des Glaubens und der guten Werke sei, so sei die Verwerfung die Ursache des Unglaubens und der Unfrömmigkeit.
  • Viele Kinder der Gläubigen würden von der Brust der Mutter unschuldig fortgerissen und tyrannisch in die Hölle gestürzt, so dass ihnen weder die Taufe noch die Gebete der Kirche bei ihrer Taufe etwas helfen könnten.«

Unschwer erkennt man, dass kontemporären, arminianisch denkenden Christen nichts Neues als „Argument“ gegen ihre biblisch glaubenden Geschwister einfällt. Es wird einfach immer wieder dasselbe Falsche, Verleumderische, Unsinnige und Unbiblische behauptet, auch wenn die Verleumdeten schon oft das Gegenteil bezeugt haben (siehe im folgenden Zitat). Dass diese Vorwürfe schon vor Jahrhunderten diskutiert und entkräftet wurden, wissen die arminianisch denkenden Christen nicht oder ignorieren es willentlich. Hier ist der Spruch vom „getretenen Quark“ tragisch zutreffend.

Was die Verantwortung jedes Christen ist, wenn er solche Behauptungen hört

„Und was der Art mehr ist, was die reformierten Kirchen nicht nur nicht anerkennen, sondern von ganzem Herzen verabscheuen.

Deshalb beschwören wir beim Namen des Herrn alle, welche den Namen unseres Heilandes Jesus Christus gottesfürchtig anrufen, dass sie über den Glauben der reformierten Kirche nicht aus den hier- und dorther zusammengehäuften Schmähungen oder aus den besonderen Äußerungen einiger älterer oder neuerer Lehrer, die oft entweder falsch angeführt oder entstellt und zu einem anderen Sinn verdreht sind, urteilen, sondern aus den öffentlichen Bekenntnissen dieser Kirchen und aus dieser Darlegung der rechtgläubigen Lehre, die durch diese Lehrregel festgestellt ist.

Die Verleumder aber selbst ermahnen wir ernsthaft, dass sie überlegen mögen, welch schwerem Gericht Gottes sie verfallen würden, wenn sie gegen so viele Kirchen und so vieler Kirchen Bekenntnisse falsches Zeugnis reden, das Gewissen der Schwachen beunruhigen und sich bemühen, vielen die Gemeinschaft der wahrhaft Gläubigen verdächtig zu machen.“

Was die Verkündiger des biblischen Glaubens beachten sollen

„Zuletzt ermahnen wir alle Diener Gottes im Evangelium Christi, dass sie bei Durchnahme dieser Lehre in Schulen und Kirchen fromm und gottesfürchtig zu Werke gehen, sie sowohl mündlich als schriftlich zum Ruhm des göttlichen Namens, zur Heiligkeit des Lebens und zum Trost niedergeschlagener Gemüter anwenden, mit der Schrift nach der Gleichmäßigkeit des Glaubens nicht nur denken, sondern auch sprechen und sich endlich aller der Ausdrücke enthalten, welche die uns vorgeschriebenen Grenzen des richtigen Sinnes der heiligen Schriften überschreiten und den nichtswürdigen Sophisten eine gute Gelegenheit bieten könnten, die Lehre der reformierten Kirche zu verhöhnen oder zu verleumden.

Der Sohn Gottes, Jesus Christus, der, zur Rechten des Vaters sitzend, den Menschen Gaben spendet, heilige uns in der Wahrheit, führe die, welche irren, zur Wahrheit, verschließe den Verleumdern der rechten Lehre den Mund und erfülle die treuen Diener seines Wortes mit dem Geist der Weisheit und Unterscheidung, damit alle ihre Reden zum Ruhm Gottes und der Erbauung der Zuhörer dienen. Amen.

Textquellen der Langzitate

Leseempfehlungen

  • Greg Forster, Fünf Mythen über den Calvinismus. (Artikel auf Evangelium21.net vom 3. Dezember 2018).
    • Mythos 1: Wir haben keinen freien Willen.
    • Mythos 2: Wir werden gegen unseren Willen gerettet.
    • Mythos 3: Wir sind total verdorben.
    • Mythos 4: Gott liebt die Verlorenen nicht.
    • Mythos 5: Der Calvinismus befasst sich hauptsächlich mit Gottes Souveränität und Prädestination.
  • Michael Haykin, Fünf Mythen über Johannes Calvin. (Artikel auf Evangelium21.net vom 24. Juli 2020).
    • Mythos Nr. 1: Calvin ließ Michael Servet hinrichten.
    • Mythos Nr. 2: Der Tyrann Calvin übte in der Hauptzeit seines Wirkens in Genf von 1541 bis 1564 in der Stadt eine Gulag-ähnliche Herrschaft aus.
    • Mythos Nr. 3: Calvins Theologie lässt sich mit dem Akronym TULIP zusammenfassen.
    • Mythos Nr. 4: Calvins monergistische Soteriologie bringt eine Tendenz zum Antinomismus mit sich.
    • Mythos Nr. 5: Calvin hatte kein Interesse an Mission.
  • Kenneth J. Stewart, Ten Myths About Calvinism – Recovering the Breadth of the Reformed Tradition. Downers Grove, IL: InterVarsityPress und Nottingham, England: Apollos, 2011.

Der Spruch zu guter Letzt

He that hath a head of wax musst not walk in the sun.

Was die „Fünf Punkte des Calvinismus“ nötig machte

Was man heute als die „Fünf Punkte des Calvinismus“ bezeichnet, gehört seit über 400 Jahren verbindlich zum reformierten Glaubensinhalt, ist aber auch Glaubensinhalt vieler anderer Christen, die sich in der Lehre – speziell in der Heilslehre – alleine auf Gottes Wort gründen. Diese „5 Punkte“ werden besser mit „Die Lehren der Gnade“ bezeichnet. Gnade und Barmherzigkeit sind zwei der Vollkommenheiten Gottes, die Er uns in besonders auffälliger Weise geoffenbart hat (2Mose 33,19; 34,6–9; Johannes 1,16 u.v.a.). Daher sind sie auch zentral wichtig für unsere Gotteserkenntnis und damit für die Anbetung Gottes.

Die „Lehren der Gnade“ sind also unverzichtbar wichtig und wertvoll. Man muss jedoch verstehen, dass der „Calvinismus“ (i.S.v. Glaubensinhalt der Reformierten) nicht (nur) aus (diesen) 5 Punkten besteht. Vielmehr sind dem reformiert Glaubenden Hunderte älterer und weiterer „Punkte“ genauso verpflichtender Glaubensinhalt. Diejenigen Nichtreformierten, die sich heute als „5-Punkte-Calvinisten“ bezeichnen, müssten zutreffender sagen, dass sie an „Die Lehren der Gnade“ glauben. Diese Lehren lassen sich (frühestens seit 1905!) mit dem Akrostichon TULIP in Erinnerung rufen (s.a.: TULIP – Wer hat’s erfunden? ). Sie wurden notwendig als Zurechtweisung formuliert, als die reformierte Kirche von Falschlehre(r)n angegriffen wurde und der Antrag gestellt wurde, diese Falschlehren in das Glaubensbekenntnis der Kirche aufzunehmen. Robert Godfrey ordnet die „5 Punkte“ so ein: „Der Calvinismus hat fünf Antworten auf die fünf Irrlehren des Arminianismus. Die Lehrregeln antworten Punkt für Punkt auf die arminianische Zusammenfassung, die 1610 vorlegt wurde.“ (Artikel: Gründe für Dordrecht, 2019)

Der damalige politische Streit war immer auch ein religiöser, da die Römische Kirche es gewohnt war, ihre Macht wie im Kirchlichen so auch in der Politik auszuüben. Romanisierungstendenzen sind als Ergebnis aktiver Gegenreformation und andererseits mangelnder Lehrfestigkeit der „Protestanten“ daher immer wieder wahrzunehmen, wie damals so auch heute (s.z.B. Gemeinsame Erklärung), wenngleich die Taktik und Methoden angepasst werden.

Die inhaltliche Beurteilung der „Fünf Punkte“ der Protestler (Arminianer)

Das Lehrsystem, das als „Calvinismus“ bekannt geworden (oder verleumdet worden) ist, behauptet, dass es eine richtige Darstellung der biblischen Heilslehre ist. Daneben gibt es verschiedene andere Lehrsysteme bzgl. der Heilslehre mit verschiedenen Graden des Unglaubens. Der „Calvinismus“ als theologisches Lehrsystem wurde natürlich nicht von der Synode von Dordrecht (Dordt) im Jahr 1619 [1] erfunden, sondern dort nur gegen Angriffe aus der Kirche verteidigt und als die in der Heiligen Schrift enthaltene Heilslehre bekräftigt. Diese Verteidigung wurde 1619 in „fünf Punkten“ (eigentlich als „Lehrregel“) formuliert, da es die Antwort auf die als unbiblisch beurteilten fünf Punkte ist, die die „Remonstranten“ („Protestler“; heute meist: „Arminianer“) der Kirche von Holland 1610 vorgelegt hatten. Die Lehren der arminianisch geprägten „Remonstranten“ wurden klar als Irrlehre bezeichnet und verurteilt.

Die Form der Beurteilung der „Fünf Punkte“ der Protestler (Arminianer)

Die Synode von Dordrecht war in der Verurteilung und Zurückweisung verbal nicht zimperlich. Sie erklärte in Reaktion auf die arminianischen und remonstrantischen Artikel und Meinungen in der „Lehrregel von Dordrecht“ (1619) [1] relativ offen und robust

  • dass Arminius und die Remonstranten „die Pelagianische Irrlehre wieder aus der Hölle hervorgebracht“ hatten.
  • Sie sagten von den Arminianern, sie „betrügen die Einfältigen“,
  • ihre arminianischen Lehren seien „eine Erdichtung des menschlichen Gehirns, ohne die Schrift ausgedacht“,
  • ein „schändlicher Irrtum“,
  • dass sie „nach der Gesinnung des Pelagius riecht“,
  • „der ganzen Schrift widerstreitet“ und „der Schrift widerspricht“,
  • ein „grober Irrtum“ sind,
  • „in Widerstreit mit der Erfahrung der Heiligen“ stehen,
  • „den klaren Zeugnissen der Schrift widerstreiten“,
  • dass sie Remonstranten „danach trachten, dem Volk das verderbliche Gift des Pelagianismus einzuflößen“,
  • „sie widersprechen dem Apostel“ und „sie widersprechen dem Heiland“,
  • ihre Lehre „verschmäht die Weisheit des Vaters und die Verdienste Jesu Christi und widerstreitet der Heiligen Schrift“,
  • sie „widerstreitet den klaren Zeugnissen der Schrift“,
  • sie „ist völlig pelagianisch und zu der ganzen Schrift im Widerspruch“.
  • Die Christen sollten wissen, dass „die alte Kirche diese Lehre schon seit langem in den Pelagianern […| verurteilt“ hat,
  • dass diese Lehre „einen deutlichen Pelagianismus offenbart“ und
  • dass „diese Meinung die Gnade, Rechtfertigung, Wiedergeburt und beständige Bewahrung Christi kraftlos macht“.

Die „Fünf Punkte“ der Protestler (Arminianer) sind Irrlehre, nicht nur Irrtum

Es wurde also nicht beschönigend von tolerierbarer „anderer Auffassung“, „anderer Erkenntnis“ o.ä. oder tolerierbar geringem Irrtum geredet (mit Entschuldigungen wie: „Wir alle irren mal“ und „Wir erkennen nur stückweise“, was natürlich Beides stimmt), sondern entlarvend von der Wiederkehr alter Irrlehren (Pelagianismus) und von Widerspruch zur Lehre der Heiligen Schrift.

Die rechtgläubigen Professoren, Theologen und Geistlichen Hollands und Englands versuchten daher beständig und aktiv, die Lehre der Arminianer zu unterdrücken und die Ausübung jenes Glaubens zu verbieten, den sie entschieden als häretisch verurteilten. Dies gelang ihnen durch die Einberufung der Synode von Dort recht wirksam. Aus diesen Gründen wurde der Arminianismus als (nichttolerierbare) Irrlehre (Häresie) – und nicht nur als (tolerierbarer) Irrtum – angesehen. Dieses Bewusstsein haben anscheinend manche „bibeltreue“ Gemeinden, Gemeinschaften und Missionswerke leider verloren.

Die Psychologisierung des Konflikts

Immer wieder gab es Versuche, die enormen lehrhaften Differenzen in diesem Konflikt herunterzuspielen und auf rein menschliche und persönliche Umstände und Lösungen abzuzielen. Wer als Theologe scheitert, versucht sich dann als Soziologe oder Psychologe? Dies ist gut zu beobachten beim bekannten Konflikt zwischen John Wesley und George Whitefield im 18. Jhdt., der in dieser Sache, insbes. in der Lehre von der Erwählung und der Heilssicherheit, tobte.[3] Whitefield schrieb in diesem Zusammenhang zurecht öffentlich an Wesley: „Die Kinder Gottes stehen in Gefahr, dem Irrtum zu verfallen. […] Oh, Sir, was ist denn das für eine Logik, oder besser: Sophistik?“ […] Sir, wie absurd argumentiert Ihr an dieser Stelle!“ (Brief vom 24.12.1740 von Bethesda, GA aus). Gleichzeitig verband er seine sachlich scharfe Kritik an der Irrlehre Wesley mit respektvollen Formulierungen gegenüber der Person des Gegners. Whitefield war nicht bereit, sein sachlich scharfes Urteil vom Ziel einer menschlichen Versöhnung trüben zu lassen, oder dem menschlichen Vertragen die Wahrheit und Gesundheit der Glaubenden zu opfern.

Es geht im Kern um nichts Geringeres als unser Gottesbild und unsere Anbetung

Gemäß der Lehren der Gnade wird das Heil durch die allmächtige Kraft des dreieinigen Gottes vollbracht: Der Vater hat ein Volk auserwählt, der Sohn ist für sie gestorben, der Heilige Geist macht den Tod Christi wirksam, indem er die Auserwählten zum Glauben und zur Umkehr bringt und sie dadurch veranlasst, dem Evangelium willig zu gehorchen (vgl. Hesekiel 36; Johannes 3, 6 u.a.).

Der Kreis der so gnädig Beschenkten wurde vor der Zeit allein durch göttliches Erwählen festgelegt und bleibt bei allen Heilswerken der Personen der Trinität (Opera ad extra) stets der selbe (s. a. Römer 8, 28–30). Diejenigen, für die der menschgewordene Sohn Gottes aus Liebe zum Vater und „den Seinigen“ (Johannes 13,1) im Opfer stirbt, sind exakt jene, die sich der Vater vor aller Zeit zum Besitz genommen hatte (Johannes 17,6b: „Dein waren sie“) und die er dann dem Sohn übergeben hatte („Mir hast du sie gegeben“, Johannes 17,6b), damit sie „die Seinigen“ seien, die er „bis aufs Äußerste“ und ewig göttlich lieben würde (Johannes 17,2.6.9.24). Wer diese Transaktion der Liebe nicht erfasst, glaubt, liebt, anbetet, verkündigt, dessen Gottesbild hat schon im Kernbereich erhebliche Mängel. Entsprechend dysfunktional wird seine Heilslehre. Würde es doch endlich begriffen: Erwählung zum Heil – und damit zur ewigen Gemeinschaft und Einheit – ist eine Liebesgeschichte! Eine Liebesgeschichte des Allmächtigen, der Licht und Liebe ist.

Der Streit zwischen der biblischen Auffassung des Heils bei den Reformatoren (und Reformierten) und bei den Gegen-Reformatoren ist im Kern immer auch ein Kampf zwischen einem gottzentrierten und einem menschzentrierten Verständnis der göttlichen Heilsveranstaltung. Die Heilige Schrift lehrt: Der gesamte Prozess, samt Erwählung, Erlösung, Wiedergeburt, ist das Werk Gottes und geschieht allein aus Gnade (Epheser 2,8–9). Auf diese Weise bestimmt Gott, und nicht der Mensch, wer die Gabe des Heils empfängt. Und Er macht das ganz gezielt so, dass Er am Ende alleine allen Dank und alle Anbetung dafür erhält (Römer 11,33–36): Soli Deo Gloria!


Anmerkungen

[1] Die Dordrechter Synode (auch Synode von Dordt) war eine nationale Versammlung der niederländischen reformierten Kirche unter Beteiligung von ausländischen reformierten Delegationen, die vom 13. November 1618 bis zum 9. Mai 1619 in Dordrecht stattfand. Siehe auch: 400 Jahre Synode in Dordrecht. Vgl. auch die Ausarbeitung Gründe für Dordrecht – Zur Entstehung und Bedeutung der Synode von Dordrecht von Robert Godfrey auf der Website von Evangelium 21 (2019) (Link).

[2] Text in Deutsch entweder online (SERK Deutschland) oder als Dokument (PDF).

[3] Sehr gute Darstellung in der Whitefield-Biografie von Benedikt Peters: George Whitefield: Der Erwecker Englands und Amerikas. 2. Aufl. (Bielefeld: CLV, 2003), leider vergriffen, und Christian Klein: George Whitefield: Das Leben des Evangelisten und sein Konflikt mit John Wesley (PDF).

Gottes Zorn – Muss das sein?

Für viele Menschen, egal, ob sie sich als Christen sehen oder nicht, ist die Aussage: »Gott ist Liebe.« Anfang und auch Ende ihrer Theologie. Für Heiligkeit, Zorn, Rache oder Strafe ist in diesem Gottesbild kein Platz. Entspricht dies aber der Selbstoffenbarung des einen, wahren Gottes in Seinem Wort, oder ist dies ein selbstgemachter „Gott“ (a.k.a. Götze)?

Bibelleser wissen, dass Gottes Zorn eine unverzichtbare Wirkung Seines heiligen Wesens und Seiner Retternatur ist. Ohne Gottes Zorn wäre seine Liebe nicht vollkommen. Und das ist undenkbar. Der amerikanische Theologe A. W. Tozer hat das im vergangenen Jahrhundert gut erfasst und beschrieben:

Da es Gott im Blick auf seine Welt in erster Linie um deren Übereinstimmung mit seiner Lebensordnung, das heißt um Heiligkeit, geht, zieht alles, was im Gegensatz dazu steht, sein ewiges Missfallen auf sich.

Um seine Schöpfung zu erhalten, muss Gott alles zunichte machen, was diese zerstören würde. Wenn er sich erhebt, um der Sünde entgegenzutreten und die Welt vor einem nicht wiedergutzumachenden Zusammenbruch zu retten, dann wird er in der Bibel als zornig beschrieben. Jedes Zorngericht in der Weltgeschichte stellt einen heiligen Akt der Erhaltung dar. Die Heiligkeit Gottes, der Zorn Gottes und das Wohl der Schöpfung sind unzertrennbar vereint. 
Gottes Zorn ist seine völlige Unduldsamkeit allem gegenüber, was verdirbt und zerstört. Er hasst die Sünde, wie eine Mutter die Krankheit hasst, die das Leben ihres Kindes bedroht.

Aiden Wilson Tozer (1897–1963), Das Wesen Gottes – Eigenschaften Gottes und ihre Bedeutung für das Glaubensleben (Neuhausen-Stuttgart: Hänssler, 1996), S. 124–125.

Der amerikanische Prediger und Theologe Steve Lawson (*1951) schreibt in seinem exzellenten Buch über die Herrlichkeit und Vollkommenheiten Gottes am Ende auch ein Kapitel über den Zorn Gottes. Hier ein Auszug:

Manche Menschen sprechen so entschuldigend vom Zorn Gottes, als ob dieser die »dunkle Seite« Gottes wäre. Aber die Bibel sagt, »dass Gott Licht ist und gar keine Finsternis in ihm ist« (1Joh 1:5). Sind wir uns also darin völlig klar: Es gibt keine dunkle Seite Gottes. Er ist ganz und völlig Licht. Jede Eigenschaft Gottes ist absolut rein und völliges Licht, einschließlich dem Zorn Gottes.

Die Heiligkeit Gottes verlangt, dass er durch die Sünde erzürnt wird. Der göttliche Zorn ist die notwendige Reaktion seiner moralischen Reinheit auf jeden und alles, was sein Gesetz bricht. Gott ist makellos, ohne jeden moralischen Makel, und er muss voll heiligen Zornes gegen jede Sünde sein. Er kann nicht gleichgültig gegenüber irgendeiner Ungerechtigkeit sein. Gott empfindet eine tiefe Empörung gegen alles Unheilige. Das gilt nicht nur für die Sünde, sondern auch für den Sünder. Der göttliche Zorn muss sich gegen alles richten, was nicht mit seiner moralischen Vollkommenheit übereinstimmt. Sonst würde Gott aufhören, vollkommen heilig zu sein.

Der Apostel Paulus schreibt: »Denn Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbart über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit besitzen [o. niederhalten, unterdrücken]« (Röm 1:18). Das Wort »Zorn« (griech. orgē ) steht für die [im Strafgericht] entflammte Wut Gottes über die Sündhaftigkeit der Menschen. Dieses griechische Wort ist als »Orgie« in unsere Sprache eingegangen und beschreibt da die hitzigen, fleischlichen Gelüste unzüchtiger, unmoralischer Partys. Der übergreifende Gedanke, den dieses Wort hier jedoch ausdrückt, ist die Leidenschaft, die intensive, »schwer atmende« Reaktion des heiligen Gottes auf die Sündhaftigkeit des Menschen. Gott ist mit brennender Leidenschaft gegen alles entflammt, was nicht mit seiner eigenen vollkommenen Heiligkeit übereinstimmt.

Paulus betont dasselbe: »Nach deinem Starrsinn und deinem unbußfertigen Herzen aber häufst du dir selbst Zorn auf am Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes« (Röm 2:5). Der »Tag des Zorns« ist eine Anspielung auf den Jüngsten Tag, an dem Gott alle offenen Rechnungen begleichen wird. Die Unbekehrten häufen Zorn auf Zorn an, der schließlich von Gott entfesselt werden wird. Sie werden an jenem Tag von einer sintflutartigen Flut des göttlichen Zorns gegen sie überrollt werden. Da Gott vollkommen gut ist, ist es von entscheidender Bedeutung, dass Er jede Verfehlung in der ewigen Hölle bestraft. Der Zorn Gottes ist das notwendige Gegenstück zu Gottes vollkommener Heiligkeit.

Lawson, Steven J., Show Me Your Glory. Understanding the Majestic Splendor of God. (Sanford, FL: Reformation Trust Publishing [Ligonier Ministries], 2020). Zitiert nach: Show Me Your Glory. Kindle-Version (Sanford, FL: Reformation Trust Publishing), Kindle-Positionen 3065-3081. (eigene Übersetzung; grace@logikos.club)

Weiterführende Literatur – Eine Leseempfehlung

Thomas Chalmers (1780–1847)

»Thomas Chalmers war Pastor in Glasgow und Theologieprofessor an der Universität Edinburgh. Er wirkte 1843 maßgeblich an der Gründung der schottischen Freikirche mit, nachdem er aus der Kirche von Schottland ausgetreten war, weil sich in der Staatskirche der Unglaube einschlich.« Er schrieb in einer seiner besten Predigten über den Zorn Gottes und wie dieser in der gegenwärtigen Zeit der Gnade noch zurückgehalten wird, um letztlich im Gericht über alle unbußfertigen Sünder ungehemmt über sie auszubrechen. Die gegenwärtige Zeit ist gekennzeichnet von der Retterliebe Gottes, die alle Menschen ohne Unterschied einlädt und auffordert, zum Retter der Welt, Jesus Christus, umzukehren (d. h. Buße zu tun im Bekennen, Lassen und Hassen der Sünde) und an Ihn zu glauben für Zeit und Ewigkeit.

Den Abdruck des hier thematisch relevanten Teils dieser Predigt finden man übersetzt in: John MacArthur, Die Liebe Gottes. Einblicke in Gottes untergründliches Wesen und Handeln (5. Aufl., Augustdorf: Betanien, 2018), Anhang 1, S. 177–196. Orig.: The God Who Loves (Nashville, TN: Word Publishing, 2001). – Das genannte Buch von MacArthur ist in Gänze lesenswert und äußerst hilfreich, um das Thema des Zornes Gottes biblisch fundiert zu verstehen und richtig einordnen zu können. Dies ist heute, wo eine verschobene, schräge und unvollständige Darstellung üblich geworden ist, um so wichtiger (s. Todd M. Brenneman, Homespun Gospel: The Triumph of Sentimentality in Contemporary American Evangelicalism (Oxford: University Press, 2013).

John F. MacArthur (*1939) und Richard L. Mayhue

John MacArthur und Richard Mayhue haben eine hervorragende systematische Theologie geschrieben, die besonders auch für Nicht-Theologen lesbar ist: Biblische Lehre: Eine systematische Zusammenfassung biblischer Wahrheit (2. Aufl., Berlin: EBTC, 2020. Rezension), 1360 Seiten. Orig.: Biblical Doctrine: A Systematic Summary of Bible Truth (Wheaton, IL: Crossway, 2017), 1024 Seiten.

Die Frage des Zornes Gottes und wie man diesem entgeht durch das im Evangelium dargestellte Heilswerk Gottes wird vertiefend in folgenden Abschnitten besprochen: »Sünde (propitiatio[n])«, S. 699–703 und »Die Hölle«, S. 1110–1115. Als Kurzdefinition wird »Zorn Gottes« so erklärt: »Gottes Missfallen und Hass gegenüber allem Bösen, zusammen mit seiner Absicht, es zu strafen.« (S. 1246). – Selbstverständlich ist es didaktisch sinnvoller, dem Text der Biblischen Lehre von Beginn an zu folgen, um die Grundlagen und Zusammenhänge besser zu erfassen.