Bleibe beim Text, Prediger!

In 1Timotheus 4,13 sagt Paulus zu Timotheus: »Bis ich komme, halte an mit dem Vorlesen, mit dem Ermahnen, mit dem Lehren.« Beachten Sie, dass die Worte der Heiligen Schrift laut gesprochen (»Vorlesen«) werden, die Menschen werden aufgefordert, dem Wort Gottes zu gehorchen (»Ermahnen«), und die Wahrheit des Textes wird sorgfältig und gründlich erklärt (»Lehren«). Dies sind die Kernelemente einer guten Auslegungspredigt.

Es ist bezeichnend, dass die Heilige Schrift den Predigern stets die gleichen Anweisungen gibt: Sie sollen das gewisse Wort Gottes predigen – und nichts anderes: nicht unsere Meinungen, Popkultur, politische Agenden, Träume, persönliche Visionen oder andere spekulative Vorstellungen. Sie sollen die Schrift treu verkündigen (2Timotheus 4,2), ob dies leicht oder schwer ist, ob die Menschen begeistert reagieren oder auch nicht. Die Bibel ist die einzige Botschaft, die wir im Namen Christi verkünden dürfen. Alles andere ist Verrat an der der hohen Berufung des Predigers.

Wenn man eine Predigt damit beginnt, dass man die Versammelten dazu auffordert, in ihrer Bibel ein bestimmtes Kapitel und einen bestimmten Vers aufzuschlagen, dann muss man bei diesem Abschnitt bleiben, bis man gründlich erklärt hat, was der Sinn dieses Bibeltextes ist. Der Prediger muss den Text sprechen lassen, ohne zu versuchen, ihn abzuschwächen oder dessen Autorität unter dem Deckmantel der sog. politischen Korrektheit abzuschwächen. Man sollte auch nie versuchen, die Bibel an die eigenen, mitgebrachten Vorstellungen anzupassen. Niemals sollte man eine Bibelstelle auf Kosten ihrer wahren Bedeutung »auszulegen« [oder »anzuwenden«].

Ich schäme mich, es zuzugeben, aber die erste Predigt, die ich je gehalten hatte, war ein trauriges Beispiel dafür, was man mit der Schrift nicht machen darf. Ich bin so froh, dass es davon keine Aufzeichnung gibt. Mein Text war: »Und siehe, … ein Engel des Herrn kam aus dem Himmel herab und … wälzte den Stein weg« aus Matthäus 28,2. Ich gab meiner Predigt den Titel: »Die Steine in deinem Leben wegrollen«. Ich sprach über den Stein des Zweifels, den Stein der Angst und den Stein des Zorns. Zweifel, Angst und Zorn sind alles legitime Themen, aber sie haben nichts mit diesem Vers zu tun! Ich erschaudere, wenn ich daran zurückdenke. Aber ich erschaudere auch heute noch, wenn ich höre, wie Prediger ihren Text auf ähnliche Weise behandeln. Traurigerweise ist diese Art des Predigens so üblich geworden, dass der normale Kirchgänger (Gottesdienstbesucher) inzwischen meint, dass eine Predigt genau so aussehen sollte.

Die evangelikalen [dem Wort Gottes verpflichtete] Christen haben nun jahrzehntelang solches Predigen begrüßt und gefördert. Die große Mehrheit der heutigen Predigten ist so oberflächlich, dass es den Anschein hat, der Prediger wolle wohl vermeiden, irgend etwas etwas in Frage zu stellen, was seine Zuhörer bisher glaubten. Und besonders verblüffend ist, wie schnell Prediger sich von ihrem Bibeltext abwenden und sich Geschichten und Geschichtchen, Allegorien, weit hergeholten Anwendungen und schlimmerem Unsinn zuwenden. (Das muss man natürlich tun, wenn man entschlossen ist, allen Wahrheiten der Schrift aus dem Weg zu gehen, die mit den Werten und Glaubenssystemen unserer Kultur im Widerspruch stehen könnten.)

Einer der beunruhigendsten Trends auf den Kanzeln heute ist die beliebte Praxis der Personalisierung und der Überkontextualisierung der Schrift, so dass jeder Text letztlich vom Prediger selbst handelt. Wenn er die Geschichte von David und Goliath behandelt, wird er sie veranschaulichen, indem er berichtet, wie er in seinem eigenen Leben ein Goliath-großes, bedrohliches Problem siegreich überwunden hat. Wenn er über Mose und dessen Konfrontation mit dem Pharao lehrt, wird er eine Geschichte über einen symbolischen Pharao, den er überlebt und besiegt hat, erzählen. Mein Vater pflegte zu sagen: »Hüte dich vor Predigern, die stets der Held ihrer eigenen Illustrationen sind!« Wir müssen heute vor jenen Narzissten warnen, die sich selbst zum Subjekt jedes biblischen Textes machen wollen.

Bleibe dem Text treu. Es ist schließlich das Wort Gottes und nicht ein Drehbuch für Menschen, das sie überarbeiten und mit dem sie sich amüsieren könnten. Mit Paulus gesagt: »Denn wir verfälschen nicht, wie die Vielen, das Wort Gottes, sondern als aus Lauterkeit, sondern als aus Gott, vor Gott, reden wir in Christus.« (2Kor 2,17). Das Wort, das hier mit »verfälschen« übersetzt wird, ist im Urtext das Verb kapēleuō (»verschachern«), eine Ableitung von kapēlos , dem griechischen Wort für »Krämer«. Es hat eine klare Konnotation von Unaufrichtigkeit und Betrug [aus Geldgier]. Es bezeichnet einen zwielichtigen Verkäufer von minderwertigen Waren, der nur darauf aus ist, schnellen Profit zu machen.

Kein Prediger, der Christus wirklich liebt, möchte das kirchliche Äquivalent eines Schlangenölverkäufers (Quacksalbers) sein. Aber seien wir ehrlich: Die Neigungen unseres gefallenen Fleisches machen auch uns anfällig dazu, nachlässig, oberflächlich, unaufmerksam und faul im vorbereitenden Schriftstudium zu sein. Die harten Anforderungen des Lebens und des Dienstes verleitet uns dazu, Abkürzungen zu nehmen, die wir nie nehmen sollten. Wir müssen diese Neigungen im Ansatz töten, müssen beständig fleißig bleiben und uns daran erinnern, dass wir es mit dem Wort Gottes zu tun haben. Uns bleibt keine Entschuldigung, wenn wir es nicht mit äußerster Sorgfalt behandeln.

Quelle: Auszug aus: John MacArthur: The Preacher And His Bible (Der Prediger und seine Bibel), in: Expositor Magazine, Nr. 6 (Jul/Aug 2015) vom 20.07.2015, S. 14–15. (Eigene Übersetzung)

Wie erstelle ich eine Predigt – Ein Kurzleitfaden

Dieser Kurzleitfaden führt in einer Schritt-für-Schritt-Vorgehensweise durch die gesamte Vorbereitung einer exegetischen Predigt (Auslegungspredigt). Er soll Gemeindehirten und Bibellehrer mit den grundlegenden Schritten der Exegese (Auslegung) und Predigtausarbeitung vertraut machen. Wenn hier auch hauptsächlich Grundlagen vermittelt werden, kann selbst der erfahrene Exeget und Prediger damit in seinem wichtigen Dienst ermuntert und an hilfreiche Prinzipien und Wahrheiten seines Dienstes erinnert werden.

Der Prozess der Predigterstellung wird hier in vier Hauptphasen unterteilt: 1. Präparieren, 2. Präzisieren, 3. Produzieren und 4. Präsentieren. Jede Phase ist in spezifische Schritte unterteilt, die den gesamten Prozess durchschreiten:

Phase 1: Präparieren
Schritt 1: Überlegungen zum Prediger selbst: Bin ich bereit zu predigen?
Schritt 2: Überlegungen zum Predigtzweck: Warum predige ich? Warum Auslegungspredigt?
Schritt 3: Überlegungen zum Predigttyp: Welche Art von Predigt werde ich halten?
Schritt 4: Überlegungen zu den Predigtzuhörern: Wer ist meine Zielgruppe?
Schritt 5: Überlegungen zum Predigtziel: Was beabsichtigte ich mit meiner Predigt?
Schritt 6: Überlegungen zur Passage: Über welchen Text werde ich predigen?

Phase 2: Präzisieren
Schritt 7: Erforschung: Was sagt der Text (Teil 1)?
Schritt 8: Erforschung: Was sagt der Text (Teil 2)?
Schritt 9: Erläuterung: Was bedeutet der Text?
Schritt 10: Ermahnung: Wie ist der Text heute anwendbar?

Phase 3: Produzieren
Schritt 11: Fokus (Teil 1)
Schritt 12: Fokus (Teil 2)
Schritt 13: Fluss (Teil 1)
Schritt 14: Fluss (Teil 2)
Schritt 15: Feinschliff

Phase 4: Präsentieren
Zum Ende und Weiterführendes

Quellen

Kurzleitfaden als PDF (610 kB). Übersetzt von Uwe A. Seidel.

Hinweis im Originaldokument mit dem Titel Sermon Builder: »Diese Datei darf unter den folgenden Bedingungen frei kopiert, ausgedruckt und weitergegeben werden: 1. Solange die Dankverweise, das Copyright und/oder die Quellenangaben intakt bleiben. 2. Sie nehmen keine Änderungen am Text vor. 3. Er darf nicht verkauft, sondern nur für die Förderung Ihres Dienstes oder Zeugnisses verwendet werden. Weitere Informationen über die Shepherds‘ Fellowship und wie man ihr beitreten kann, finden Sie unter: www.gracechurch.org/sfellowship/«. Diese Shepherd’s Fellowship existiert inzwischen in dieser Form nicht mehr, sondern wird in anderer Form weiterverfolgt. Von der Grace Community Church in Sunvalley (Los Angeles, CA, USA) wird jährlich eine mehrtägige Shepherd’s Conferenceveranstaltet (https://www.shepherdsconference.org), die Vorträge und Medien der Konferenz sind auf einer Website verfügbar (https://www.shepherdsconference.org/media). (A.d.Ü.)