Dünnes Brett: Streitenberger gegen Strohmänner (Rezension)

Peter Streitenberger
Die fünf Punkte des Calvinismus aus biblischer Perspektive
VTR, 2012, Pb., 67 Seiten | ISBN: 978-3941750425

Der Herausgeber, der Nürnberger Verlag für Theologie und Religionswissenschaft (VTR) veröffentlichte 2012 dieses 67-seitige Büchlein Streitenbergers in der Reihe „Zur Diskussion gestellt”. Beworben wird es hingegen nicht als Diskussionsbeitrag, sondern als Buch, das den Leser von der Bibel her überzeugen will: »Die vorliegende Abhandlung befasst sich mit dem unter Christen durchaus umstrittenen Thema der Erwählungslehre, insbesondere mit den so genannten fünf Punkten des Calvinismus und versucht, den interessierten Leser zu einer eigenen, von der Bibel her begründeten Überzeugung zu verhelfen.« (Buchrückseite).

Das Vorwort wurde von Franz Graf-Stuhlhofer, einem Historiker aus Wien, verfasst. Stuhlhofer studierte in Wien Geschichte und Naturwissenschaften und promovierte 1980 dort zum Dr. phil. mit einer Untersuchung zu Astronomie und Humanismus nach 1500. Er versucht in seinem über 6-seitigen Vorwort Gründe zu finden, warum Christen in manchen Fragen des Heils unterschiedliche Antworten vertreten. Überdies deutet er auch eigene Positionen an, die meist dem arminianischen Theologiesystem entsprechen (z. B. anonym-kollektive Erwählung) und daher gut zu der Position des Autors passen. Stuhlhofer karikiert abschließend in herabwürdigender Weise Gottes Heilswirken zusammenfassend so: »Alle jene Menschen, die sich von Gott ein JA abringen lassen, gehören zu diesem Überrest – damals wie heute.« (S. 11).

Der Autor, Peter Streitenberger (*1979), ist Diplom-Sozialpädagoge (FH). Er hat im Zweitstudium Germanistik und Philosophie studiert. Dieses kleine Buch gründet sich auf die Magisterarbeit des Verfassers, die 2010 von der Universität Eichstätt-Ingolstadt angenommen wurde. Er „recycelte” und verkürzte dabei eine längere Ausarbeitung, die schon etliche Jahre vorher in PDF-Form oder als E-Book im Internet herumgeisterte und 2007 im Christlichen Mediendienst Hünfeld (CMD) von Wilfried Plock unter dem Titel Die Fünf [sic!] Punkte des Calvinismus – Eine Antwort– 2007 herausgebracht wurde (159 Seiten, ISBN 978-3-939833-08-6; Rezension hier). Ein dort ca. 60-seitiger bibelorientierter Abschnitt zu „Umkämpfte Schriftstellen“ fehlt indessen in dem hier besprochenen, wesentlich kürzeren Werk; umso mehr befremdet der Titel dieser Magisterarbeit. Streitenberger ist auch wegen seiner anti-calvinistischen Beiträge (und deren Stil) auf der Webseite bibelkreis.ch bekannt geworden.

Zum Inhalt: Die Heilige Schrift stellt das Heilsangebot Gottes an uns Menschen in Jesus Christus überzeugend, klar und einladend vor. Streitenberger bezieht in dem Spannungsfeld zwischen der Souveränität Gottes und der Verantwortung des Menschen in der Frage der Heilsaneignung Stellung. Er geht dieser Frage indes nicht „evangelikal” nur aufgrund der Offenbarung Gottes –der Heiligen Schrift– nach (wie es der Titel vermuten lässt), sondern liefert seine persönliche Meinung, gezielt auf einen einige Jahrhunderte alten Lehrstreit zwischen sog. „Calvinisten” und „Arminianern”. Er nimmt dabei im Wesentlichen gegen die calvinistische (und hyper-calvinistische) Sicht Partei und greift „Die Fünf Punkte” eines größeren Kirchenkonzils gegen einige Protestler („Remonstranten”) in den Niederlanden an. Das ist an und für sich schon nicht sehr originell; viele haben dazu Lesbareres, Systematischeres, Biblischeres und Überzeugenderes geschrieben. Zudem besteht „der Calvinismus” nicht und bestand niemals aus nur und genau diesen fünf Punkten. Diesen historischen und dogmengeschichtlichen Irrtum sollten Vorwortschreiber und Herausgeber VTR eigentlich erkannt haben. Dem Versprechen im Titel „aus biblischer Perspektive” wird der Autor mangels sorgfältiger exegetischer Arbeit am Text der Heiligen Schrift leider nicht gerecht. Warum solches „Noch-einmal-bekannte-Argumente-aufzählen”, verkürzt entnommen aus schon längst Veröffentlichtem, die Anerkennung einer Magisterarbeit bekommen konnte, entzieht sich meiner Kenntnis.

Zum Stil: Eine Magisterarbeit muss auch in einem (zugegeben) kontroversen Thema beide Seiten sachlich richtig zitieren und ausgewogen darstellen. Sie entspricht heute einer Master-Arbeit, soll also gehobenen Ansprüchen an Form und Inhalt genügen. Wissenschaftliche Sachlichkeit und Korrektheit ist akademisches Muss. Wohltuend ist, dass Streitenberger seine öffentlichen Formulierungen, wie »das calvinistische Übergehungs- und Vergewaltigungsevangelium«, »die Sekte der Calvinisten« u. ä., in diesem Büchlein nicht wiederholt. Einige Rezensenten haben öffentlich kritisch angemerkt, dass Streitenberger unversöhnlich, reißerisch und unsachlich gegen Calvin und die reformatorische Heilslehre schreibt. Der Stil der Jesuiten der Gegenreformation findet heute wieder ein Echo in den Romanisierungsbestrebungen innerhalb des (ehemaligen ) Protestantismus. Das Werk des Autors Streitenberger hätte mit Wahl eines sachlicheren Stils und gründlicherer Erarbeitung sicher leicht Respekt gewinnen können.

Calvinismus”: Damit wird dehnbar alles das bezeichnet, was nicht in das Theologiesystem des „Arminianismus” passt und/oder in dieser Theologie verachtet wird. Leider liefert die Lektüre des Büchleins von Streitenberger keine Klärungen, die für die Diskussion fruchtbar oder für die Interessierten und die Gemeinde Gottes sachlich oder geistlich hilfreich wären. Die Bibel hat offenbar für uns auch einige unbequeme Aussagen, „links” wie „rechts”. Sie klärt auch nicht alle Spannungen, die sich dem menschlichen Intellekt und der menschlichen Erwartungshaltung angesichts des göttlichen Wesens, Entscheidens und Handelns stellen. Erschreckend ist der Mangel, Gott Gott sein zu lassen, IHN anstelle dessen lieber in die Schublade (Super-) Mensch eigener Vorstellungen zu pressen: „er” muss so klein sein, dass er in unsere Vorstellungen vom lieben Gott passt und so uns gefällt. Psalm 135,6 sagt: »Alles, was dem HERRN gefällt, tut er in den Himmeln und auf der Erde…« (ELBCSV). Ergo: Sein Wille und Sein Wohlgefallen (inkl. Vorsehung) sind der Urgrund alles Seienden und Geschehenden.

FAZIT: Ein Sozialpädagoge wünscht sich vielleicht lieber einen „menschlicheren” Gott, einen Partner auf Augenhöhe, oder –wie Stuhlhofer– einen Sanitäter, der fast verzweifelt um die Aufmerksamkeit und das zustimmende Kopfnicken des Sünders ringt, weil Ihm sonst etwas fehle. Aber Gott ist schon so, wie ER ist, absolut perfekt. Schon immer. Auch für Sein im Wort und in Christus geoffenbartes Heilshandeln gilt unumschränkt: »Denn von ihm und durch ihn und für ihn sind alle Dinge; ihm sei die Herrlichkeit in Ewigkeit! Amen.« (Römer 11,36 ELBCSV). Wer das verstanden hat, hat angefangen zu verstehen, was es bedeutet, „durch die Gnade”, also als reine Gottesgabe, errettet zu sein (vgl. Epheser 2,8–9). Gott ist –nach der Heiligen Schrift– dann Gott und nicht Ab-Gott, wenn gilt: Soli Deo Gloria.

Es gibt schon lange viel Besseres, und –leider– auch noch viel Schlechteres, als diese Magisterarbeit von Streitenberger. Das Büchlein ist die Mühe des Lesens nicht wert.