Am 31. Januar 2013 luden Eric Metaxas und Socrates in the City Dr. John Lennox, Professor für Mathematik an der Universität Oxford, in den Union Club in New York City zu einem Vortrag ein. Er wollte eine Methode darlegen, wie man die ersten Kapitel der Genesis lesen und interpretieren könne, ohne weder bei der aktuellen Wissenschaft noch bei der Heiligen Schrift Abstriche machen zu müssen. Angesichts des überwiegend gott- und bibelfeindlichen Wissenschaftsumfeldes und der „wissenschaftlichen“ Entstehungsmythen klingt dies wie: Ein Mathematiker auf der Suche nach der Quadratur des Kreises. Zehn Minuten in die YouTube-Aufzeichnung des Events hinein kommt Lennox zu Wort und macht sofort klar, wes Geistes Kind er ist:
»Sokrates is one of my great intellectual heroes.«
John Lennox im Video des o.g. Events, siehe https://youtu.be/0FmO2XKMe6g, 10:12 Min.
Lennox stellt im Vortrag die Auslegung der Schöpfungstage als 24-Stunden-Tage in Frage mit dem Verweis, dass die „anerkannte“ Wissenschaft von größeren Zeiträumen ausgehe (Evolution, Alter der Erde usw.), und dass die (Römisch-Katholische) Kirche sich schon einmal geirrt habe (im Galileo Galilei-Konflikt im 17. Jhdt.), und dass man wohl dem Bibeltext treu sein, aber auch in der Wissenschaftswelt nicht als Idiot dastehen wolle. Wenn Sokrates der Held ist, dann mag das alles verständlich sein. Ist Sokrates nun der neue Inspirator der christlichen Apologeten? Oder ein alter? Braucht man ihn überhaupt?
Es geht nämlich auch anders. Professor Dr. John MacArthur, bekannter Autor, Redner und Pastor aus Kalifornien, argumentiert aufgrund des Bibeltextes für eine Erschaffung in sechs 24-Stunden-Tagen. Er glaubt an Jesus Christus als allmächtigem Schöpfer-Gott und Retter und ist überzeugt, dass die Heilige Schrift das wahre und autoritative Wort Gottes ist, dessen Text mit konsistenter Hermeneutik zu erschließen ist. Auf dieser Basis kommen er und sein Kollegenteam am The Master’s Seminary zu einem anderen Ergebnis, als Dr. Lennox. Lennox greift das literarische Argument auf, dass das Wort Tag (yom) im Buch Genesis mehrfältig gebraucht wird, und daher Freiheit für eine Interpretation dieses Wortes an dieser Stelle im Sinne „sehr lange Zeiträume“ bestünde. Aber dies ändert nichts daran, dass die Verwendung des Wortes yom bei den sechs Schöpfungstagen eine besondere ist (mit Zahlwort), und dass prinzipiell eine Wortbedeutung immer vom Kontext und nicht von der Erwartungshaltung und den Wünschen und Ängsten des Lesers bestimmt wird.
Beobachtung: Wenn man, wie Lennox, die Wissenschaft als oberstes Erkenntniskriterium verwendet (auch wenn er das als Grundsatz vielleicht abstreiten mag) und Sokrates als seinen intellektuellen Helden verehrt, kommt man zu anderen Ergebnissen, als wenn man, wie MacArthur, von der Offenbarung der Bibel herkommt und alle „wissenschaftliche“ Erkenntnis ihr im Glaubensgehorsam unterordnet.
Sokrates hat uns die Idee der Schule und ihre Methode gegeben. Aber bei supernatürlichen Ereignissen wie der Schöpfung Himmels und der Erde ex nihilo hilft alle Gelehrtheit und Wissenschaft nichts, da braucht der Mensch Offenbarung und lebendigen Glauben an den Ewigen. Die Schrift beseitigt diesbezüglich jeden Zweifel:
Durch Glauben verstehen wir, dass die Welten durch Gottes Wort bereitet worden sind, so dass das, was man sieht, nicht aus Erscheinendem geworden ist.
Die Bibel, Hebräer 11,3 (ELB03)
Die Auseinandersetzung zwischen Glauben und Bibel einerseits und griechischer Philosophie und humanistischer Wissenschaft andererseits erinnert an die beiden berühmten Kontrahenten des jahrhundertealten Streits um die Frage des „freien Willens“: den katholischen Humanisten Desiderius Erasmus und den Reformator Martin Luther. Martin Luther griff die Vollkommenheitstheorie der Röm.-Katholischen und der Griech.-Orthodoxen Kirche mit biblischen Argumenten an, weil er überzeugt war, dass diese Theorie die biblische Heilslehre verfälschte. Erasmus war stark von der griechischen Philosophie beeinflusst. Eines seiner überlieferten Gebete beginnt mit der Anrufung des Sokrates:
O heiliger Sokrates, bete für uns! (»Sancte Socrates, ora pro nobis!«).
Desiderius Erasmus, Colloquies, übers. v. Nathan Bailey, Revue. E. Johnson, Hrsg. (London: Reeves and Turner, 1878) Bd. 1, S. 186. Zitiert nach: Martin Erdmann, Siegeszug des Fortschrittsglaubens, Bd. 1, S. 137.
Interessant wäre zu wissen, wie John Lennox in der Frage des „Freien Willens“ Position bezieht. Eher bei Erasmus/Sokrates oder bei Luther/Heilige Schrift?
Der Apfel fällt nicht weit vom Birnbaum.
Literaturhinweise
- John F. MacArthur, Der Kampf um den Anfang, Bielefeld: CLV, 2003.
- Reinhard Junker, Genesis, Schöpfung und Evolution – Exegetische, hermeneutische und systematisch-theologische Studien, Holzgerlingen: SCM Hänssler, 2020.
- Walter Hilbrands, Wie lang waren die Schöpfungstage? Eine Untersuchung des hebr. jom („Tag“) in Gen 1,1-2,3, Wort-und-Wissen-Diskussionsbeitrag 3/06 mit 25 Anmerkungen mit weiteren Belegtexten. (Quelle im Web (PDF), Backup) Siehe auch: www.wort-und-wissen.de
- ICR, Creation Basics & Beyond: An In-Depth Look at Science, Origins, and Evolution, Dallas, TX, USA: Institute for Creation Research, 2013 (www.icr.org).