Warum sollte man sich anstelle einer ausführlichen Beschäftigung mit den guten und richtigen Lehren der Heiligen Schrift über das Heil und den Heiland (Soteriologie) überhaupt mit der dunklen Seite der Irrlehren beschäftigen? Warum sollte man zumindest die größten Irrlehren bzgl. des Heils kennen?
Als Hirte und Lehrer in der Gemeinde Jesu Christi fallen mir dazu spontan zwei Argumente ein: (1) Die Heilige Schrift, Jesus Christus und die Apostel machten dies ebenso. Ihr Vorbild und ihr Befehl verpflichten: „Stellt sie bloß!“ (Epheser 5,11). (2) Alle groben Irrlehren sind trotz ihrer Verdammung und Verurteilung durch die Kirche bis heute „lebendig“ und fordern ihre Opfer! Totgesagte leben länger, Untote geistern durch die Medien, die Kirchen und Gemeinden und begegnen uns als Wiedergänger in den Traktatverteilern unserer Fußgängerzonen.
Im Folgenden werden fünf herausragende Irrlehren bzgl. des Heils und Heilandes (Retters) Jesus Christus aufgeführt und kurz erläutert, die trotz Lehrverurteilungen durch kirchliche Konzilien nie ausgestorben sind. Abschließend wird das Wesentliche in einer Tabelle übersichtlich dargestellt und dabei auch „modernere“ Vertreter genannt. In grob historischer Reihenfolge handelt es sich um folgende fünf Gruppen:
- Gesetzeslehrer (Legalisten)
- Gnostiker
- Arianer
- Pelagianer und
- Sozinianer.
Die Gesetzeslehrer – Legalismus (Gesetzlichkeit)
- Die Frage, in welcher Beziehung das Heil in Christus und das Christentum zum Gesetz Moses steht, hat die Gemeinden des Christus schon immer vor ernste Probleme gestellt. Schon zur Zeit der Apostel, während sie noch ihre Beiträge zur Heiligen Schrift verfassten, bedrohten bereits verschiedene Formen der Gesetzlichkeit, wie sie von jüdischen Gesetzeslehrern praktiziert, gelehrt und gefordert wurden, die Lehre des Neuen Testaments über das Heil. Der Kampf der Apostel gegen die Gesetzlichkeit spiegelt sich in der Apostelgeschichte und mehreren Briefen (z.B. Römer, Kolosser, Galater usw.) wider. – Auch heute gibt es noch viele Erscheinungsformen gesetzlicher Heilslehre, die wir manchmal auch richtig als „Gesetzlichkeit“ bezeichnen. (Achtung: Die Forderung des Gehorsams gegenüber Christus und Seinem Wort darf nicht mit „Gesetzlichkeit“ bezeichnet werden, sie ist es nicht. Gläubige sind nicht ohne Gesetz, sondern Christus „gesetzmäßig unterworfen“, 1Kor 9,21; Christus hast seinen Nachfolgern Gebote hinterlassen!)
- Der Standpunkt der Gesetzeslehrer war, dass Nichtjuden nach jüdischer Vorschrift beschnitten werden und alle (oder gewisse) zeremoniellen und zivilen Vorschriften des Gesetzes Moses halten mussten, wenn sie Christen werden und so das Heil in Christus empfangen wollten (deswegen wurden diese Lehrer auch „Judaisierer“ genannt). Diese Sicht lag einem orthodoxen, strengen Juden sehr nahe, war er doch von Kind auf erzogen, alle Nichtjuden als unheilig, unrein und moralisch verwerflich zu beurteilen.
- Einen frühen Höhepunkt des Streits und die erste große Niederlage der Gesetzeslehrer finden wir in Apostelgeschichte 15 dokumentiert: „Die Apostel aber und die Ältesten versammelten sich, um diese Angelegenheit zu besehen.“ (V6). Es gab eine intensive Diskussion (V7). Dann stand Petrus auf und erinnerte daran, was bei der Bekehrung des Kornelius passiert war (V7–10), verurteilt die Lehre der Gesetzeslehrer und formuliert das Heil wie Paulus (V10–11): „Nun denn, was versuchet ihr Gott, ein Joch auf den Hals der Jünger zu legen, das weder unsere Väter noch wir zu tragen vermochten? Sondern wir glauben durch die Gnade des Herrn Jesus in derselben Weise errettet zu werden wie auch jene.“
- Der entscheidende Punkt wird damit deutlich: Errettung kam und kommt allein durch die Gnade Gottes. Schon immer. Das stand und steht bei den Gesetzeslehrern auf dem Spiel. Diese erste große Kontroverse war also ein Streit um die Heilslehre (soteriologischer Streit). Es ging um das Evangelium im allgemeinen und um die Lehre der Rechtfertigung allein aus Glauben im speziellen, also um das Herzstück des Heils. Das ist der Grund, warum Paulus so ernst und kompromisslos gegen die Gesetzeslehrer predigte und schrieb. Wenn eine Person zuerst beschnitten werden musste oder sonst ein Werk tun musste, bevor sie Christ werden konnte, dann war dieser Ritus oder dieses „Gesetzeswerk“ eine Vorbedingung der Rechtfertigung und die Rechtfertigung war nicht mehr „allein aus Gnade“ und daher unmöglich!
- Die Heilige Schrift lehrt, dass wir keinerlei religiöse Zeremonien oder Werke nach dem Gesetz Moses vollbringen müssen, um von Gott gerecht erklärt zu werden. Kein Werk kann uns vor Gott bzgl. des ewigen Heils einen Vorteil oder Verdienst verschaffen. Die Rechtfertigung wird jedem erklärt (zugerechnet, d.h. rechtskräftig übertragen, sog. „Imputation“), der des Glaubens an Jesus ist: „Dem aber, der nicht wirkt, sondern an den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet. … welchem Gott Gerechtigkeit ohne Werke zurechnet“(Römer 4,5–6).
- Fazit: Gott rechnet seine Gerechtigkeit dem zu, der glaubt, dass Gott den Gottlosen (!) rechtfertigt, ohne dass dieser zuvor irgend ein „Werk“ geleistet hat. Diese Kerntatsache verleugneten und verdunkelten die verschiedenen Gesetzeslehrer. Die Apostel bekämpften diese Irrlehre daher mit aller geistlichen Kraft, die ihnen verliehen war. — Auch wir sollten jeder Verfälschung des Evangeliums entschieden entgegen treten, wenn sie für die Rechtfertigung irgendeine Vorbedingung der Form „Glaube an Jesus plus Tue Irgendetwas“ stellt, egal, was dieses Irgendetwas ist. (Beachte: Wir reden hier nicht von Nachfolge und Heiligung, die auf die Rechtfertigung folgen, sondern von Vorbedingungen der Rechtfertigung.)
In der Diskussion über den Zusammenhang zwischen AT und NT in der Heilslehre sollte man beachten:
- Kontinuität und Diskontinuität. Im Heil Gottes im AT wie im NT beobachten wir „durchlaufende Linien“, aber auch völlige Brüche, Neuanfänge. Wir sehen den selben Gott, die gleiche, völlige Verderbtheit des Menschen (Römer 1–3) und die stets notwendige Gnade Gottes zur Rettung. Andererseits sehen wir unterschiedliche Heilsangebote, Verantwortungen und Selbstoffenbarungen Gottes als Heiland (vgl. „Heilsgeschichte“).
- Immer Gnade und immer Gesetz. Noch nie gab es effektiv Heil ohne Gnade, sondern stets nur auf Basis göttlicher Gnade. Das Angebot des Lebens im Gesetz Moses erwies sich als Fluch, da unerfüllbar, daher wurde es beendet (Römer 8,2; 10,4; Galater 2,19). Andererseits: Auch in der „Gnadenzeit“ heute sind wir „nicht ohne Gesetz vor Gott, sondern Christus gesetzmäßig unterworfen“ (1Korinther 9,21 ELB; vgl. Römer 8,2; Galater 6,2)! Aber heute ist das Gesetz Gottes durch Gottes schöpferisches und gnädiges Heilshandeln in der Wiedergeburt auf die Tafeln unserer neuen, lebendig gemachten Herzen geschrieben (vgl. 2Korinther 3,3; Hesekiel 11,19; Jeremia 31,33 mit Hebräer 8,10; 10,16); vgl. den Psalmisten vorbildlich auf Jesus Christus redend: „dein Gesetz ist im Innern meines Herzens“ (Psalm 40,8). Das neue Leben will von Herzen Gottes Willen tun! Der Geist Gottes bewirkt es im Neugeborenen.
- Die Bündnisse erklären, ob und wie Gott sein Heil gibt. Nur der „Neue Bund“ gibt effektiv Heil. Warum? Weil bei ihm das Blut Jesu die Grundlage der Sündenvergebung (usw.) ist und der Bund einseitig auf Leistungen und Versprechen Gottes beruht, nicht auf vorlaufendem Gehorsam oder Werken des Menschen (vgl. Hebräer 8,10; 10,16), sondern vielmehr auf reiner Gnade. An Christus Gläubige sind „Abrahams Same und nach Verheißung Erben“ (Galater 3,29).
Die Gnostiker – Verleugnung der Menschheit Jesu
- Der Gnostizismus stellt das den Gesetzeslehrern entgegen gesetzte Ende des Spektrums der Irrlehren dar. Die Gesetzlichkeit der Gesetzeslehrer entstand aus einer Vermischung von pharisäischem Judentum mit dem Christentum. Der Gnostizismus ist eine Mischung heidnischer Philosophie mit dem Christentum. Die Judaisierer klammerten sich töricht an die/ihre Vergangenheit; die Gnostiker brachen radikal mit der Vergangenheit. So sind die Lehren der Gnostiker in verschiedener Hinsicht das genaue Gegenteil der Irrlehren der Gesetzeslehrer. Wie so oft schwang die Kirche Jesu von einem Extrem ins andere. Leider ist das Gegenteil eines Irrtums nicht automatisch die Wahrheit (C.S. Lewis). Als die falschen Lehren der Gesetzeslehrer Widerstand erfuhren, kehrte Satan das Pendel einfach um und schob es in die entgegengesetzte Richtung an. Das Ergebnis war Gnostizismus.
- Der antike Gnostizismus ist schwer zu definieren, hierin gleicht er modernen Häresien. Er offenbart sich als komplexe Erscheinung. Zentraler Gedanke ist, dass die göttliche Weisheit in einem Geheimnis verborgen sei (Esoterik), welches nur den erleuchteten (eingeweihten) Nachfolgern geoffenbart würde. Diese Idee gab dem Gnostizismus den Namen: das griech. Wort gnosis bedeutet „Kenntnis“. Der Gnostiker glaubt, dass der Schlüssel zur Rettung in einem verborgenen Wissen liegt, das jenseits der in der Heiligen Schrift geoffenbarten Wahrheit liegt (hier wird der Begiff Esoterik relevant). Gnostizismus lehrt daher, dass „Rettung“ darin besteht, dieses geheime Wissen zu besitzen. Dies ist die zentrale Idee aller Formen des Gnostizismus’. – Die Sekte Christian Science (Christliche Wissenschaft) lehrt z.B. als „Erlösung“, dass man nur wissen müsse (dies ist das „Geheimwissen“ der Sekte), dass es so etwas wie Sünde gar nicht gebe; damit gebe es auch kein Schuldproblem und keine Erlösungsbedürftigkeit, kein Bedürfnis nach Gott, Retter und Gnade. Dass dies weder christlich noch wissenschaftlich ist, sollte jedem auffallen.
- Die „christlichen“ Spielarten des Gnostizismus blühten erst im zweiten Jhdt nChr richtig auf. Gnostizismus hat die Eigenart und Fähigkeit, laufend in neue Formen zu mutieren. Wenn eine Form ihre Attraktivität verlor, kam die nächste Form ins Spiel. Deswegen hielt die Bedrohung der Gemeinde und der Heilslehre durch den Gnostizismus über viele Jahrhunderte an; sie ist bis heute nicht ausgestorben. Als der Gnostizismus die Kirche Jesu Christi das erste Mal hart angriff, konnte sie nur durch einen frontalen Gegenangriff überleben. Männer wie Irenäus, Tertullian, Ignatius und Justin, der Märtyrer waren damals bereit, für die Reinheit der Lehre zu kämpfen, manchmal mit dem Preis ihres Lebens.
- Drei Hauptirrtümer kennzeichnen fast alle Erscheinungsformen des Gnostizismus:
- Dualismus ist die Idee, dass alles im Universum auf zwei Ur-/Grundrealitäten zurückzuführen sei. Diese seien einander entgegengesetzt, bedingten aber einander (Ying-Yang, Licht-Finsternis, Gott-Satan, Materie-Geist usw.). Satan will sich so zum ebenbürtigen „Gegen-Gott“ aufplustern, aber es gibt Gott schon ewig, auch als Satan noch nicht war. Es besteht ein kategorialer Unterschied zwischen Gott und Geschöpf, sie stehen nie auf einer (dualistischen) Ebene.
- Synkretismus ist die Vermischung zweier/mehrerer unterschiedlicher Glaubenssysteme in eines. Dies dürfte die „Grundreligion“ der Menschen heute ausmachen: Eine Selektion und Mischpoke unterschiedlichster Vorstellungen aus allerlei Gedankensystemen und Religionen zum höchst privaten, eigenen und nicht angreifbaren Glaubenssystem.
- Doketismus ist die Irrlehre, dass Christus nur als Mensch erschienen, Er aber tatsächlich kein Mensch gewesen sei. Die Vorstellung, dass Gott als ewiger Geist Mensch (Fleisch, materiell) werde, lehnten sie entrüstet ab. Geist war göttlich, Fleisch/Irdisches hingegen schlecht, minderwertig und böse. Solche Gedanken bilden auch den Hintergrund für östliche Meditationstechniken, Leibfeindlichkeit im Christentum und überzogene Differenzierungen zwischen „himmlischen“ (=wertvollen, erhabenen) und „irdischen“ (=minderwertigen) Segnungen.
- Obwohl der Gnostizismus allerlei Arten von Irrtümern umfasst, auch solche bzgl. der Heilslehre, führte er erstmalig massive Irrlehren über die Person Jesu Christi in die Gemeinde ein, sog. „christologische Irrtümer“. Die Briefe des Apostels Johannes sind eine Antwort auf Frühformen des Gnostizismus’ Ende des ersten Jhdt.s, die vor allem die wahre Menschheit Jesu angriffen. Johannes greift die Irrlehre der Gnostiker vor allem auf Basis der Lehre über Christus (Christologie) an; s. z.B. 1Johannesbrief 4,3; 2Johannesbrief 1,7.
Die Arianer – Verleugnung der Gottheit Jesu
- Der Arianismus war ein offener Frontalangriff auf die Gottheit Jesu Christi. Die Arianer behaupteten, dass Jesus Christus ein geschaffenes Wesen sei, das zwar höher als „gewöhnliche Menschen“, aber niedriger als „der wahre Gott“ sei.
- Die Gnostiker hatten die Lehre über Christus vom Rand der Christenheit aus angegriffen, ihre Irrlehrer waren im allgemeinen Außenstehende, die kein Problem damit hatten, die apostolische Tradition und Lehre anzugreifen. Ihr sektiererisches Ziel war es, Menschen von der Kirche wegzuziehen und in ihre kleinen Splittergruppen hinein zu locken. – Der Arianismus ging den entgegengesetzten Weg und trug seine falsche Lehre direkt ins Herz der Kirche. Das Ziel war von Anfang an, die Kirche für sich zu gewinnen, um von ihr den Stempel der Rechtgläubigkeit auf die neuen, falschen Lehren zu erhalten.
- Arius (Arianus; 256–336) aus Alexandrien ist der Namensgeber und Proponent dieser Irrlehre über Christus. Er lieferte (auch als Vertreter der Schule von Antiochien) eine Sicht von Christus, die diesen zu einem geschaffenen Wesen machte, das weder wirklich Mensch noch wirklich wahrer Gott ist, sondern einen Mittler, der zwischen Gott und der Menschheit steht. Gemäß Arius war Christus eine Art Halbgott, der „Erstgeborene aller Schöpfung“, zwar höher als andere Engelswesen, aber trotzdem ein Geschöpf, ein geschaffenes Wesen. Arius verwendete Bibelstellen wie Lukas 2,40.52; Johannes 4,6; 19,28; 13,31; Matthäus 24,26; Johannes 14,28 um zu zeigen, dass Jesus ein Mensch war und (im Sinne seiner Irrlehre) Gott-Vater auch wesensartig untergeordnet sei. — Exakt die gleiche Vorstellung haben und lehren die Anhänger der Wachturm-Sekte bis zum heutigen Tag und verwenden dabei die gleichen Argumente wie zuvor schon Arius. Untote leben länger!
- Hin und her pendelnde Irrlehren. Arius reagierte mit seiner Irrlehre auf die Irrlehre des Sabbelianismus (=Modalismus), also die Lehre, dass es einen Gott gebe, der aber in „drei Modi“ erscheine. Der Erzbischof und Vorgesetzte von Arianus, Alexander von Alexandrien, lehrte aber dem entgegnend, dass Jesus dem Vater völlig gleich ist. Arianus lehrte im Kontrast dazu, dass Jesus Gott ähnlich, aber nicht gleich sei. Ein Konzil unter Alexander schloss Arius im Jahr 320 aus. Aber damit war die Kontroverse nicht beendet! (U.l.l.!)
- Die theologische Antwort der Kirche auf den Arianismus gipfelte im Nicänischen Bekenntnis, das auf dem Konzil zu Nicäa 325 nChr (vom Kaiser Konstantin einberufene Reichssynode) formuliert und von fast allen unterzeichnet wurde. Aber auch mit dieser klaren Verdammung der arianischen Irrlehre war kein Schlusspunkt gesetzt, sondern der Beginn einer Jahrhunderte langen Kontroverse in der Kirche markiert. Im Rückblick scheint es so, dass die Abstimmungen bei den Konzilen jener Zeit eher von kirchlichen Machtfragen als denn von Verpflichtung gegenüber der Wahrheit des Wortes Gottes gekennzeichnet waren. Die Irrlehrer und Anhänger der arianischen Irrlehre erbaten in Folge auf breiter Basis Toleranz und Offenheit für ihre Position und erhielten sie immer! Selbst die Heimatgemeinde des Arius schloss diesen nicht als Irrlehrer aus, sondern stand zu ihm. Seine Anhänger riefen sogar ihrerseits Synoden aus, stimmten dort der Lehre des Arius’ ausdrücklich zu und hoben die Verdammung des Arius auf. Die Kirche neigte sich wieder stark dem Arianismus zu. Sein größter Gegener, Athanasius (s.u.), wird noch 335 an die Grenzen des römischen Reiches nach Trier verbannt und leidet sein gesamtes Leben wegen der arianischen Frage. … Im Schutz dieser Wirrnisse konnte der Arianismus die Kirche Christi weltweit in beträchtlichem Maß durchdringen und infizieren! (NB: Wulfila, der Apostel der Goten (gestorb. 383) war selbst von einem Arianer getauft worden; über die Westgoten übernahmen die Germanen das Christentum arianischer Ausprägung. Die germanischen Nationalkirchen machten der röm.-kathol. Kirche noch bis ins 6. Jhdt schwer zu schaffen. Dann erst konnte der röm. Katholizismus missionarisch bis in die Heimatbezirke der Germanen vordringen.) Kaiser Konstantin, der über die Einheit der Kirche auch sein weltliches Reich einen wollte, wurde über den arianischen Streit sehr frustriert und mischte sich daher mit seiner Macht in diese Kirchenangelegenheit ein. Leider identifizierten er und seine Söhne sich mit den Anhängern des Arius’ und so nimmt es nicht Wunder, dass innerhalb der nächsten 50 Jahre fast alle leitenden Bischöfe Arianer wurden.
- Nur ein Mann stand klar und deutlich gegen die Irrlehren Arius’ auf: Athanasius (296–372) aus Alexandrien. Er gab den Kampf gegen diese Häresie nicht auf. Als man ihm sagte, dass doch die ganze Welt gegen ihn stünde, antwortete er, dass (auch) er gegen die ganze Welt sei. Durch Gottes Gnade und zu unserem Segen gewannen die Argumente des Athanasius schließlich, weil er die Heilige Schrift gekonnt und überzeugend einsetzte, um den Irrtum der Häresie Arianus’ aufzuzeigen. Das Nicänische Bekenntnis wurde vom Konzil zu Konstantinopel aufgenommen. Athanasius wurde 328 als Nachfolger von Alexander Erzbischof von Alexandrien. Das setzte seinem Leiden allerdings kein Ende: Während seinen 46 Jahren im Amt wurde er von Arius zugeneigten Herrschern viermal verbannt und verbrachte insgesamt 20 Jahre im Exil! Er konnte seinen Lebensabend jedoch in Frieden und weiterhin klar gegen den Arianismus schreibend begehen. Diese Episode ist ein klassischer Beleg dafür, dass die Heilige Schrift –und nicht die Mehrheitsmeinung!– für die Gemeinde Jesu Christi der erste und letzte Test jeder Lehre sein muss.
- Die Geschichte des Arianismus ist auch ein trauriger Beleg für die prophezeite Tatsache, dass Irrlehre häufig aus der Kirche Jesu Christi selbst heraus entstand. Der Arianismus verbreitete sich durch stille Infiltration und gewann seine Stärke durch die persönliche Ausstrahlungskraft seiner Lehrer. Förderlich für seine Verbreitung war ein Klima der Toleranz, so dass er massive Ausmaße und Verbreitung hatte, bevor überhaupt jemand Stellung gegen diese Irrlehre bezog. Satans beliebteste Taktik ist Selbsttarnung als „Engel des Lichts“ (2Korinther 11,13–15).
Die Pelagianer – Verleugnung der totalen Verdorbenheit des Menschen
- Die nächste große Häresie in der Kirche, der Pelagianismus, ist wieder eine Irrlehre im Bereich der Heilslehre. Augustinus (354–430) betonte in seiner Lehre die Souveränität Gottes, weil er (wohl mit Recht) annahm, dass man nur so die absolut zentrale Rolle der göttlichen Gnade in der Errettung sicherstellen kann. Pelagius, ein britischer Mönch aus dem frühen 5. Jhdt,, stieß sich an dieser Lehre, weil sie seiner Meinung nach die Bedeutung der menschlichen Verantwortung herunterspiele oder gar außer Kraft setze. Im Gegenzug behauptete und betonte er den „freien menschlichen Willen“, weil er (wohl irrtümlich) davon überzeugt war, dass nur so die menschliche Verantwortung sichergestellt werden könne. (Diesem Fehler der Philosophen folgte auch Kant u.a., leider auch viele Christen unserer Zeit.)
- Pelagius traf in Rom einen adligen Juristen namens Celestius und entwickelte mit ihm gemeinsam eine neue Heilslehre. Die Glaubenslehre war für sie nur reine Theorie, die Hauptsache der Religion war ihrer Ansicht nach die moralische Tat, das Halten der Zehn Gebote aus eigener Anstrengung. Die ethische Seite der Religion war ihnen wichtiger als die dogmatisch-theologische.
- Den Pelagianismus kann man wie folgt zusammenfassen: (1) Kein Mensch erbt von Adam die Sünde. Sünde ist eine Sache der Tat und nicht der Natur/des Wesens. (2) Jeder Mensch ist so geschaffen, dass er völlig frei das Gute oder das Böse tun kann. Ein sündloses Leben ist daher möglich. Man kann sich das Heil durch Gute Werke erwerben. (3) Babytaufe ist unnötig, da es keine Erbsünde gibt. (4) Das Heil ist zwar außerhalb des Gesetzes, des Evangeliums und der göttlichen Gnade zu finden, aber diese können natürlich beim Erwerb des Heils mithelfen. Christus hilft dabei mit seinem guten Vorbild.
- Der wohl bemerkenswerteste Aspekt des Pelagianismus ist die Leugnung der Auswirkungen des Sündenfalls auf alle Menschen seit Adam und Eva. Die Pelagianer leugneten, dass die Sünde Adams irgendeine Schuld oder irgendeine Verdorbenheit auf den Rest der menschlichen Rasse brachte, der menschliche Wille sei daher von allen Fesseln frei. Pelagius argumentierte: Wenn alle Menschen durch Geburt Sünder sind (wenn also Sünde etwas ist, das wir ererben), dann wäre es ungerecht von Gott, wenn er den einzelnen Sünder für seine Sünde verantwortlich hält. Der menschliche Wille müsse völlig frei sein, weder zum Guten noch zum Bösen geneigt, sonst könnten unsere Entscheidungen nicht frei sein, und wir folglich auch nicht für unsere Taten verantwortlich gemacht werden.
- Diese Lehren des Pelagianismus verbreiteten sich schnell in Nordafrika (einem Zentrum des Christentums damals) und führten zur Irrlehre einer Selbsterrettung durch Werke, zu einem „Werke-Evangelium“. Wenn man erst einmal die totale Verderbnis und Gefallenheit der Menschheit leugnet, erliegt man der Illusion, der Mensch könne und solle etwas zu seinem ewigen Heil beitragen. Und so landet man schließlich in der Verleugnung der heilsnotwendigen göttlichen Gnade, wie sie die Heilige Schrift lehrt.
- Augustinus erkannte das Problem des Pelagianus von Anfang an und trat den Pelagianern entgegen, indem er aus der Heiligen Schrift zeigte, dass der menschliche Wille nicht in jenem Sinne frei ist, wie sie es lehrten: Unser Wille sei vielmehr hoffnungslos unter die Sünde geknechtet (Römer 8,7–8), Sünder seien absolut hilflos, sich selbst zu verbessern, es benötige die göttliche Gnade, die erneuernd im Herzen wirke (vgl. Jeremia 13,23).
- Das Konzil zu Ephesus 431 nChr verurteilte den Pelagianismus als Irrlehre. Aber wie bei allen hier erwähnten Irrlehren war die Entscheidung des Konzils nicht das Ende der Bedrohung der Kirche durch diese gefährliche Irrlehre. Die Einflüsse des Pelagianismus’ plagten die Kirche noch viele Jahrhunderte. — Eine modifizierte Form des Pelagianismus’ entstand: der Semi-Pelagianismus, der praktisch mit dem modernen Arminianismus identisch ist; diese Irrlehre wurde vom Konzil zu Orange 529 nChr verdammt. …und lief weiter…
- Die Römisch-katholische Kirche des 16. Jhdt. bekannte sich beim Gegenreformations-Konzil zu Trient 1546 nChr zu einer Heilslehre, die im Effekt dem Semi-Pelagianismus entspricht. Daher kann man kontemporären (auch „protestantisch-evangelikalen“!) Vertretern dieser falschen Lehre vorwerfen, der „Romanisierung“ (Re-Katholisierung) Vorschub zu leisten.
- Der Konflikt zwischen Pelagius und Augustinus betraf einige Fragen, die später auch den Konflikt zwischen sog. „Calvinisten“ und „Arminianern (Remonstranten)“ ausmachten. In der protestantischen Reformation stellten sich die Reformatoren auf die Seite des Augustinus, indem sie die Souveränität Gottes, die Notwendigkeit göttlicher Gnade und die völlige Unfähigkeit des gefallenen Menschen, zu seiner eigenen Rettung etwas beizutragen, lehrten. Im Kontrast dazu verkündete die Römisch-katholische Kirche weiterhin eine verwässerte Form des Semi-Pelagianismus (ab dem II. Vaticanum lehrt sie sogar den Universalismus).
- Die Lehren des Pelagianismus’ und des Semi-Pelagianismus’ haben auch den Protestantismus stellenweise massiv beeinflusst (z.B. sichtbar bei Charles Grandison Finney (1792–1875) und dessen Nachfolgern) und beeinflussen ihn in pragmatisch-evangelistisch ausgerichteten Gemeinden und Missionswerken in steigendem Ausmaß. [1]
- NB: Die meisten Christen, die betreffs der Heilslehre zu den Ansichten des (Semi-) Pelagianismus neigen, neigen auch zu den Lehren des Arminianismus. Beispiele: Man behauptet, dass Jesus Christus für alle Menschen gestorben sei und daher auch alle Menschen gerettet werden bzw. schon gerettet sind; dass alle Menschen zwar bis zu einem gewissen Graf verderbt seien, alle aber ausreichend Gnade bekommen, um den Folgen ihrer Verderbtheit entgegenzuwirken und sich aus sich selbst heraus frei für das Heil zu entscheiden; dass derart begnadete Menschen aber auch die Freiheit und Macht haben, sich jederzeit gegen diese Gnade zu entscheiden, denn diese sei nicht unwiderstehlich; usw.
Die Sozinianer – Völlige Verwirrung
- Der Sozinianismus ist einer der Höhepunkte der Irrlehren und Verwirrungen in der Heilslehre, er ist eine Vermischung anderer Irrlehren, die der Teufel schon erfolgreich in die Kirche hineingetragen hatte. Die Irrlehre des Sozinianismus’ wurde bald nach der Protestantischen Reformation geboren. Die beiden Italiener Fausto Paulo Sozzini (Socinus, 1539–1604) aus Sienna und sein Onkel Lelio (Laelius) Sozzini gaben dieser Irrlehre den Namen. Sie hatten sich vom römischen Katholizismus abgewandt und den Reformatoren zugewandt, kamen aber unter den Einfluss von Unitarianern und gaben letztlich alle Lehren der katholischen Religion auf, einschließlich der Lehren, die bibeltreu sind. Die Folge war, dass sie letztlich alle wesentlichen Fehler in ihr Lehrgebäude aufnahmen, die die Kirche je geplagt hatten und die diese verurteilt hatte.
- Wie die Legalisten und Pelagianer lehrten sie eine Errettung aus Werken. Wie die Gnostiker und Arianer waren sie Anti-Trinitarianer (sie verleugneten die Dreieinheit Gottes). Sie verleugneten nicht nur die Gottheit Jesu, sondern jedes Wunder in der Heiligen Schrift. In diesem Zusammenhang mischten sie aus dem humanistischen Rationalismus und der Aufklärung ihre eigene tödliche Irrlehre. Schließlich nahmen sie auch noch die Lehre des Universalismus in ihr System auf. Sie schoben die Autorität der Heiligen Schrift zur Seite und erhoben die menschliche Vernunft zur obersten Autorität. Damit markierten sie den Start des Modernismus.
- Ihr schlimmster Irrtum zerstört direkt die Bedeutung der Sühnung. Das sozinianische Argument gegen das stellvertretende Opfer Jesu Christi war einfach: Sie behaupteten, dass die Ideen der Vergebung und der Sühnung sich gegenseitig ausschließen würden. Entweder werden Sünden vergeben oder es ist dafür zu bezahlen, aber nicht Beides. Sie argumentierten: Wenn ein Preis dafür bezahlt werden musste, dann wurden nicht wirklich „vergeben“. Wenn Gott andererseits bereit ist, Sünden zu vergeben, dann sei kein Sühnungspreis dafür notwendig. – Die Spitzfindigkeit ihres Arguments bringt auch heute noch viele Leute in Verlegenheit. Aber es ist einfach völlig konträr zu dem, was die Heilige Schrift über Gnade, Sühnung und göttliche Gerechtigkeit lehrt. Die Heilige Schrift zerstört das sozinianische Argument und stellt es als Irrtum bloß: „Ohne Blutvergießung gibt es keine Vergebung [der Sünden].“ (Hebräer 9,22)
Der Sozinianismus ist die zur Zeit am meisten verbreitete Irrlehre, der moderne theologische Liberalismus ist nichts anderes als eine Variante des alten Sozinianismus’.
Überblick
Endnoten und Literaturempfehlungen
Dieser Artikel wurde angeregt und adaptiert durch: Phil Johnson, Seminarmanuskript, Shepherds Conference (Sun Valley, CA, 2004).
[1] In Deutschland machte die „Bruderhand“ (Wilhelm Pahls) Werbung für die „Erweckung“ von Finney und verbreitete seine Biographie. Die Bruderhand stellt die Erfindung des „Altarrufes“ durch Finney als biblisch dar, weil Gott auch sein Volk rufe. Eine biblisch fundierte geistliche Beurteilung Finneys findet sich in: MacArthur, John F.: Wenn Salz kraftlos wird. Die Evangelikalen im Zeitalter juckender Ohren. 2. Auflage. Bielefeld, CLV, 1997, Anhang 2.
Eine empfehlenswerte Darlegung der biblischen Heilslehre ist: J. MacArthur & R. Mayhue: Biblische Lehre: Eine systematische Zusammenfassung biblischer Wahrheit. Berlin: EBTC, 2. Aufl. 11/2020. Eine Rezension finden Sie hier.
Heilsgeschichte: Arnd Bretschneider: Gott schreibt Geschichte – Ein Gang durch die biblische Heilsgeschichte. Christliche Verlagsges. Dillenburg, 2007.