Göttliche Unveränderlichkeit und die Lehren der Gnade

John MacArthur,
Divine Immutability and the Doctrines of Grace.
Vorwort in: Steven J. Lawson
Foundations of Grace (A Long Line of Godly Men)
Lake Mary, FL: Ligonier Ministries, 2006.
Übersetzt von grace@logikos.club, 2023.

Die Bibel unterstreicht wiederholt und unmissverständlich die Tatsache, dass Gott sich nicht ändert. In der Tat kann er sich nicht ändern, weil er sich in seiner absoluten Vollkommenheit nicht verbessern und in seiner ewig festen Natur nicht verschlechtern kann. Seine Person ändert sich nicht: »Denn ich, der Herr, ich verändere mich nicht« (Mal 3,6a). Seine Pläne ändern sich nicht: »Der Ratschluss des Herrn besteht ewig, die Gedanken seines Herzens von Geschlecht zu Geschlecht« (Ps 33,11). Seine Absichten ändern sich nicht: »Darum hat Gott, als er den Erben der Verheißung in noch stärkerem Maße beweisen wollte, wie unabänderlich sein Ratschluss ist, sich mit einem Eid verbürgt « (Hebr 6,17 SCH2000). Gott ändert seine Meinung nicht: »Und auch lügt nicht das Vertrauen Israels, und er bereut nicht; denn nicht ein Mensch ist er, um zu bereuen.« (1Sam 15,29); oder seine Worte: Der »Heilige Israels … nimmt seine Worte nicht zurück« (Jes 31,1–2); oder seine Berufung: »Denn die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unbereubar« (Röm 11,29; vgl. Hebr 13,8; Jak 1,17). Bei Gott gibt es keine Veränderungen, keine Abweichungen und keine Überraschungen (vgl. Ps 102,27).

Gott nimmt weder zu noch ab. Er wird nicht besser oder schlechter. Er ändert sich nicht aufgrund veränderter Umstände – es gibt keine unvorhergesehenen Notfälle für den Einen, der ewig allwissend ist. Seine ewigen Absichten bleiben für immer bestehen, weil er für immer besteht (Ps 33,11). Er re-agiert niemals, sondern er agiert (handelt) stets – und zwar so, wie es ihm gefällt (Ps 115,3).

Aus menschlicher Sicht hat es natürlich manchmal den Anschein, dass Gott seine Pläne oder sein Handeln aufgrund des Verhaltens der Menschen ändert. Aber aus Gottes Sicht ist das nicht der Fall. Weil er die Zukunft genau kennt und immer gekannt hat, weil er sie nach seinem unabänderlichen Willen geplant hat, handelt er immer so, wie er es von Ewigkeit her geplant hat. Während die Menschen nicht wissen, wie Gott handeln wird, und manchmal erstaunt sind, wenn sie sehen, wie sich seine souveränen Pläne entfalten, ist Gott nie überrascht. Er fährt fort, so zu handeln, wie er es immer getan hat, nach seinem ewigen Plan und Wohlgefallen (vgl. Ps 33,10–12; Jes 48,14; Dan 4,35; Kol 1,19–20).

Was die Menschheit betrifft, so hat Gott vorherbestimmt, ein Volk zu seiner eigenen Ehre zu erlösen. Nichts kann diesen Plan durchkreuzen (Joh 10,29; Röm 8,38–39). Vollkommenes Wissen, vollkommene unbeeinflusste Freiheit und vollkommene grenzenlose Macht, um alles zu vollenden, was er vollkommen gewollt hat – absolute Heiligkeit und moralische Vollkommenheit, die ihn dazu verpflichten, seinem Wort gegenüber wahrhaftig und treu zu sein – bedeuten, dass Gott das, was er vor Beginn der Zeit zu tun begonnen hat, auch tut und nach Ablauf der Zeit vollenden wird.

Diese weitreichenden, herrlichen Absichten Gottes sind in der Bibel offenbart und durch die Geschichte der Erlösten hindurch klar verstanden worden. Das Wort Gottes hat sie unmissverständlich offenbart, und seit der Vollendung des Kanons der Heiligen Schrift haben alle korrekten Ausleger der Bibel die gottverherrlichende Lehre vom souveränen, unveränderlichen göttlichen Vorsatz geglaubt und verkündet. Diese Wahrheit, die oft als Gnadenlehre (o. Lehren der Gnade) bezeichnet wird, hat ihren Ursprung in der souveränen Entscheidung Gottes in der Ewigkeit vor der Zeit.

Gott kann sich nicht ändern, sein Wort kann sich nicht ändern und sein Ziel kann sich nicht ändern. Seine Wahrheit ist dieselbe, weil Er die Wahrheit ist (vgl. Ps 119,160; Joh 17,17; Tit 1,2; Hebr 6,18). Im Gegensatz zur sogenannten Theologie der Offenheit Gottes (Open Theism), die behauptet, dass Gott die Zukunft nicht kenne und sich daher den Umständen laufend anpassen müsse, während diese sich entfalten, stellt die Bibel Gott als den allwissenden Herrscher über alle Ereignisse dar, seien sie vergangen, gegenwärtig oder zukünftig. Mit den Worten Jesajas (Jesaja 46,9–10):

Erinnert euch an das Frühere von der Urzeit her, 
dass ich Gott bin, und sonst ist keiner, 
dass ich Gott bin und gar keiner wie ich; 
der ich von Anfang an das Ende verkünde 
und von alters her, was noch nicht geschehen ist; 
der ich spreche: Mein Ratschluss soll zustande kommen, 
und all mein Wohlgefallen werde ich tun; […]
Ich habe geredet und werde es auch kommen lassen; 
ich habe entworfen und werde es auch ausführen.

Göttliche Gerechtigkeit und die Lehre von der Erwählung

Trotz der Klarheit, mit der die Heilige Schrift dieses Thema anspricht, tun sich viele bekennende Christen heute schwer damit, Gottes Souveränität anzuerkennen – vor allem, wenn es um sein Erwählungswerk in der Erlösung geht. Ihr häufigster Einwand ist natürlich, dass die Lehre von der Erwählung ungerecht sei. Doch ein solcher Einwand entspringt eher menschlichen Vorstellungen von Fairness als dem objektiven, göttlichen Verständnis von wahrer Gerechtigkeit. Um die Frage der Erwählung angemessen behandeln zu können, müssen wir alle menschlich-begrenzten Überlegungen beiseitelassen und uns direkt auf das Wesen Gottes und seinen gerechten Maßstab konzentrieren. Bei der göttlichen Gerechtigkeit muss die Diskussion beginnen.

Was ist göttliche Gerechtigkeit? Einfach ausgedrückt: Sie ist ein wesentliches Attribut Gottes, durch das er ohne Begrenzungen vollkommen und unabhängig genau das tut, was er tun will, und zwar wann und wie er es tun will. Da er der Maßstab der Gerechtigkeit ist, ist alles, was er tut, grundsätzlich (per definitionem) gerecht. Wie William Perkins vor vielen Jahren sagte: »Wir sollten niemals denken, dass Gott eine Sache tue, weil sie gut und richtig sei, sondern vielmehr, dass eine Sache gut und richtig ist, weil Gott sie will und bewirkt.«

Deshalb definiert Gott für uns, was Gerechtigkeit ist, denn er ist im Wesen gerecht und rechtschaffen. Was er tut, spiegelt dieses sein Wesen wider. Sein freier Wille – und nichts anderes – steht hinter seiner Gerechtigkeit. Das bedeutet, dass alles, was er will, gerecht ist, und zwar nicht aufgrund eines äußeren Gerechtigkeitsmaßstabes, sondern einfach, weil er es so will.

Weil die Gerechtigkeit Gottes ein Ausfluss seines Wesens ist, unterliegt sie nicht den gefallenen menschlichen Annahmen darüber, was Gerechtigkeit sein sollte. Der Schöpfer schuldet dem Geschöpf nichts, nicht einmal das, was er gnädiger Weise zu geben bereit ist. Gott handelt nicht aus Pflicht und Zwang, sondern aus seinem eigenen, unabhängigen Vorrecht heraus. Das ist es, was es bedeutet, Gott zu sein. Und weil er Gott ist, sind seine frei beschlossenen Handlungen in sich stets richtig und vollkommen.

Zu sagen, dass Erwählung ungerecht sei, ist nicht nur unzutreffend, sondern verkennt auch das eigentliche Wesen der wahren Gerechtigkeit. Was fair, richtig und gerecht ist, ist das, was Gott tun will. Wenn Gott also diejenigen auswählen will, die er retten will, dann ist es in sich gerecht (seinem Wesen entsprechend), dass er das tut. Wir können unserem Verständnis von Gottes Wirken nicht unsere eigenen Vorstellungen von Fairness aufzwingen. Stattdessen müssen wir die Heilige Schrift heranziehen, um zu sehen, wie Gott selbst in seiner vollkommenen Gerechtigkeit entscheidet, zu handeln.

Was ist die Lehre von der Erwählung?

Die Vorstellung, dass Gott tut, was er will, und dass das, was er tut, wahr und richtig ist, weil er es tut, ist grundlegend für unser Verständnis der gesamten Heiligen Schrift, einschließlich der Lehre von der Erwählung.

Im weitesten Sinne bezieht sich die Erwählung auf die Tatsache, dass Gott sich frei entscheidet (oder: erwählt), was er tut, und dieses so zu tun, wie er es für richtig hält. Wenn er handelt, tut er das nur, weil er sich willentlich und unabhängig dafür entscheidet. Gemäß Seines eigenen Wesens, seines vorherbestimmten Plans und seines Wohlgefallens entscheidet er sich, das zu tun, was er will, ohne irgendeinen Druck oder irgendwelche Schranken durch äußere Einflüsse.

Die Bibel weist immer wieder auf diesen Punkt hin. Beim Schöpfungsakt hat Gott genau das geschaffen, was er erschaffen wollte, und zwar so, wie er es erschaffen wollte (vgl. 1Mo 1,31). Und seit der Schöpfung hat er alles in der menschlichen Geschichte souverän vorgeschrieben oder zugelassen, um den Erlösungsplan zu verwirklichen, den er zuvor entworfen hatte (vgl. Jes 25,1; 46,10; 55,11; Röm 9,17; Eph 3,8–11).

Im Alten Testament wählte er aus allen Völkern der Welt ein Volk für sich aus, nämlich Israel (5Mo 7,6; 14,2; Ps 105,43; 135,4). Er wählte die Israeliten nicht deshalb aus, weil sie besser oder begehrenswerter waren als andere Völker, sondern einfach, weil er sich entschlossen hatte, sie zu erwählen. Mit den Worten von Richard Wolf: »Wie seltsam von Gott, die Juden zu erwählen!“ Das Gleiche hätte auch für jedes andere Volk gegolten, wenn Gott dieses ausgewählt hätte. Gott wählt, wen immer er wählt, aus Gründen, die ganz und gar seine sind.

Das Volk Israel war nicht der einzige Empfänger von Gottes Auserwählung in der Heiligen Schrift. Im Neuen Testament wird Jesus Christus als »mein Auserwählter« bezeichnet (Lk 9,35). Auch die heiligen Engel werden als »auserwählte Engel« bezeichnet (1Tim 5:21). Und die Gläubigen des Neuen Testaments werden »Gottes Auserwählte« genannt (Kol 3,12; vgl. 1Kor 1,27; 2 Thess. 2,13; 2Tim 2,10; Tit 1,1; 1Petr 1,1; 2,9; 5,13; Offb 17,14), was bedeutet, dass die Gemeinde Jesu eine Gemeinschaft der Erwählten oder »Auserwählten« ist (Eph 1,4).

Als Jesus zu seinen Jüngern sagte: »Ihr habt nicht mich auserwählt, sondern ich habe euch auserwählt« (Joh 15,16a), hat er diese Wahrheit unterstrichen. Und das Neue Testament bekräftigt sie an vielen Stellen. Apostelgeschichte 13,48b beschreibt die Erlösung mit diesen Worten: »[E]s glaubten, so viele zum ewigen Leben bestimmt waren.« In Epheser 1,4–6 heißt es, dass Gott »uns auserwählt hat in ihm [Christus] vor Grundlegung der Welt, dass wir heilig und untadelig seien vor ihm in Liebe; und uns zuvor bestimmt hat zur Sohnschaft durch Jesus Christus für sich selbst, nach dem Wohlgefallen seines Willens, zum Preise der Herrlichkeit seiner Gnade, womit er uns begnadigt hat in dem Geliebten«. In seinen Briefen an die Thessalonicher erinnert Paulus seine Leser daran, dass er wusste, dass Gott sie auserwählt hatte (1Thess 1,4), und dass er für sie dankbar war, dass »Gott [sie] von Anfang erwählt hat zur Errettung in Heiligung des Geistes und im Glauben an die Wahrheit« (2Thess 2,13b). Das Wort Gottes ist eindeutig und klar: Die Gläubigen sind solche, die Gott vor aller Zeit zum Heil erwählt hat.

Die »Vorkenntnis« [SCH2000: »Vorsehung«], auf die sich Petrus bezieht (1Petr 1,2), sollte nicht mit einfachem Vorherwissen verwechselt werden. Einige lehren diese Ansicht und behaupten, dass Gott in der Ewigkeit vor der Zeit in die Geschichte hineingeschaut habe, um zu sehen, wer auf seinen Ruf zum Heil antworten würde, und dann die Erlösten auf der Grundlage ihrer Antwort ausgewählt habe. Eine solche Erklärung macht Gottes Entscheidung von der Entscheidung des Menschen abhängig und verleiht dem Menschen eine Souveränität, die nur Gott zusteht. Sie macht Gott zu jemand, der passiv erwählt wird, statt zu Dem, der selbst aktiv auswählt. Und diese Auffassung missversteht auch die Art und Weise, in der Petrus den Begriff »Vorkenntnis« verwendet. In 1. Petrus 1,20 verwendet der Apostel die Verbform dieses Wortes (griech. prognosis), um sich auf Christus zu beziehen (»der zwar zuvor erkannt ist«). In diesem Fall schließt das Konzept der »Vorkenntnis« sicherlich die Idee einer bewussten Entscheidung ein. Daraus ist zu schließen, dass dasselbe gilt, wenn Petrus an anderen Stellen prognosis auf die Gläubigen anwendet (vgl. 1Petr 1,2: »auserwählt nach Vorkenntnis Gottes«).

Auch im neunten Kapitel des Römerbriefs werden die Erwählungsabsichten Gottes aufgezählt. Dort wird Gottes auserwählendes Vorrecht in Bezug auf seine rettende Liebe zu Jakob (und Jakobs Nachkommenschaft) im Gegensatz zu Esau (und Esaus Nachkommenschaft) deutlich dargestellt. Gott erwählte Jakob und nicht Esau, aber diese nicht aufgrund von etwas, das Jakob oder Esau getan hatten, sondern nach seinen eigenen freien und unbeeinflussten souveränen Absichten. Jenen, die daraufhin mit: »Das ist ungerecht!« protestieren könnten, weist Paulus in die Schranken mit der Frage: »Wer bist du denn, o Mensch, der du das Wort nimmst gegen Gott? « (Röm 9, 20).

Diese Übersicht ließe sich um viele weitere Bibelstellen ergänzen. Doch so eindeutig das Wort Gottes auch ist, die Menschen haben immer wieder Schwierigkeiten, die Lehre von der Erwählung zu akzeptieren. Nochmals: Der Grund dafür ist, dass sie zulassen, dass ihre vorgefassten Meinungen darüber, wie Gott handeln sollte (basierend auf einer menschlichen Definition von Fairness), die Wahrheit seiner Souveränität, wie sie in der Heiligen Schrift dargelegt ist, außer Kraft setzen.

Offen gesagt, der einzige Grund, an die Erwählung zu glauben, ist, dass sie ausdrücklich in Gottes Wort steht. Kein Mensch und kein Gremium von Menschen hat diese Lehre erfunden. Wie die Lehre von der ewigen Bestrafung steht sie im Widerspruch zum Diktat des fleischlichen Verstandes. Sie widerstrebt den Empfindungen des nichtwiedergeborenen Herzens. Wie die Lehre von der Dreieinheit Gottes und der wunderbaren Geburt unseres Erlösers muss die Wahrheit der Erwählung, weil sie von Gott geoffenbart wurde, mit einfältigem und bedingungslosem (zweifelfreiem) Glauben angenommen werden. Wenn man eine Bibel hat und ihr glaubt, hat man keine andere Wahl, als zu akzeptieren, was sie lehrt.

Das Wort Gottes stellt Gott als den Leiter und Lenker aller Geschöpfe dar (Dan 4,35; Jes 45,7; Lam 3,38), als den Allerhöchsten (Ps 47,2; 83,18), als den Herrscher über Himmel und Erde (1Mo 14,19; Jes 37,16) und als den, gegen den niemand bestehen kann (2Chr 20,6; Hiob 41,10; Jes 43,13). Er ist der Allmächtige, der alles nach dem Ratschluss seines Willens wirkt (Eph 1,11; vgl. Jes 14,27; Offb 19,6) und der himmlische Töpfer, der die Menschen nach seinem Wohlgefallen formt (Röm 9,18–22). Kurz gesagt, er ist der Entscheider und Bestimmer des Schicksals eines jeden Menschen und der Lenker jeder Einzelheit im Leben eines jeden (Spr 16,9; 19,21; 21,1; vgl. 2Mo 3,21–22; 14,8: Esra 1,1; Dan 1,9; Jak 4,15) – was eigentlich nur eine andere Art ist, zu sagen: »Er ist Gott«.

Warum hat Gott beschlossen, die Erlösten zu erwählen?

Obwohl sich die Lehre von der Erwählung allgemein auf alles bezieht, was Gott tut, bezieht sie sich in einem spezifischen neutestamentlichen Sinn meist auf die Erwählung von Sündern, dass diese erlöste Heilige in seiner Gemeinde werden. Die göttliche Erwählung spricht in diesem speziellen Zusammenhang von Gottes unabhängiger und vorherbestimmter Wahl derer, die er retten und in die Körperschaft des Leibes Christi aufnehmen will. Gott hat jene Sünder nicht gerettet, weil sie ihn gewählt haben, sondern weil er sie erwählt hat.

Aber warum hat Gott dies getan? Warum hat er von Ewigkeit her souverän beschlossen, einen Teil der gefallenen Menschheit zu retten, die zu einer Gemeinschaft von Erlösten würde? Um diese Frage zu beantworten, ohne fälschlicherweise unsere eigenen vorgefassten Meinungen einzubringen, müssen wir uns an das Wort Gottes wenden, denn dort hat Gott uns seine Gedanken offenbart. Natürlich werden wir als gefallene Menschen niemals in der Lage sein, die unendliche Weisheit Gottes in dieser Hinsicht vollständig zu begreifen (vgl. Röm 11,33–36). Nichtsdestotrotz gibt uns die Heilige Schrift mehrere Einblicke in die göttliche Motivation hinter der Erwählung.

Warum also hat Gott beschlossen, Sünder zu retten?

Göttliche Erwählung und die Verheißung Gottes

Die Antwort beginnt mit der Verheißung Gottes. In Titus 1,1–2 lesen wir: »Paulus, Knecht Gottes, aber Apostel Jesu Christi, nach dem Glauben der Auserwählten Gottes und nach der Erkenntnis der Wahrheit, die nach der Gottseligkeit ist, in der Hoffnung des ewigen Lebens, das Gott, der nicht lügen kann, verheißen hat vor ewigen Zeiten.« In diesen Versen definiert der Apostel Paulus kurz und bündig die Fülle des Heils und knüpft sie direkt an die ewige Verheißung Gottes.

Das Heil besteht in seiner Fülle aus drei Hauptbestandteilen: Rechtfertigung (die Errettung des Sünders im Augenblick der Bekehrung von der Strafe der Sünde durch das stellvertretende Opfer Christi), Heiligung (die fortwährende Errettung des Sünders von der Macht der Sünde in diesem Leben) und Verherrlichung (die endgültige, vollständige Errettung des Sünders von der Gegenwart der Sünde im zukünftigen Leben). Als Prediger des Evangeliums betonte Paulus jeden dieser Aspekte in seinem Dienst.

Weil er die Rechtfertigung verstand, predigte er das Evangelium »nach [kata; engl.: »for the sake of« (ESV)] dem Glauben der Auserwählten Gottes«, weil er wusste, dass Gott durch die Verkündigung der Wahrheit diejenigen rechtfertigen würde, die er zur Rettung auserwählt hatte (vgl. Röm 10,14–15). Weil er die fortschreitende Heiligung verstand, suchte Paulus diejenigen zu stärken, die die Wahrheit bereits angenommen hatten, und erbaute sie »nach der Erkenntnis der Wahrheit, die nach der Gottseligkeit ist«. Und weil er die Verherrlichung verstand, erinnerte Paulus die ihm anvertrauten Menschen leidenschaftlich an die »Hoffnung des ewigen Lebens« – den Höhepunkt und die letztliche Erfüllung ihrer Errettung in Christus.

Paulus predigte das Evangelium von Christus mit großer Klarheit, damit die Auserwählten es hören und glauben konnten. Wenn sie glaubten, lehrte er sie die Wahrheit, damit sie gottesfürchtig werden konnten; und er entfaltete für sie auch die Hoffnung auf das ewige Leben, was ihnen die Ermutigung und Motivation gab, die sie für ein treues Leben brauchten. 

Nachdem er das Heil in drei kurzen Sätzen zusammengefasst hat, beendet Paulus Vers 2 mit diesen Worten: »das [=ewige Leben] Gott, der nicht lügen kann, verheißen hat vor ewigen Zeiten«. Der Apostel will damit sagen, dass das ganze sich entfaltende Wunder der Erlösung, das im ewigen Leben gipfelt, auf dem unbedingten Versprechen unseres vertrauenswürdigen Gottes beruht. Die Tatsache, dass Gott nicht lügen kann, ist sowohl selbstverständlich als auch biblisch belegt (vgl. 4Mo 23,19; 1Sam 15,29; Joh 14,6.17; 15,26). Da Gott die Quelle und das Maß aller Wahrheit ist, ist es für Gott per definitionem »unmöglich zu lügen« (Hebr 6,18). Wenn der Teufel »die Lüge redet, so redet er aus seinem Eigenen, denn er ist ein Lügner und ihr Vater« (Joh 8,44), Lüge ist ihm wesenseigen. Entsprechend redet Gott, wann immer er spricht, die Wahrheit aus seinem eigenen Wesen heraus, denn er ist der Vater der Wahrheit.

Dieser Gott der Wahrheit, der der einzig wahre Gott ist, hat schon vor langer Zeit versprochen, dass diejenigen, die er dazu auserwählt hat, in diesem Leben gerechtfertigt und geheiligt zu werden, auch im zukünftigen Leben verherrlicht werden. Der Ausdruck »vor ewigen Zeiten« bezieht sich nicht einfach auf die bisherige menschliche Geschichte, er bedeutet vielmehr »bevor die Zeit begann«. Zwar wiederholte Gott seinen Plan des Heils und des ewigen Lebens gegenüber gottesfürchtigen Menschen wie Abraham, Mose, David und den Propheten, aber die ursprüngliche Verheißung wurde in der Ewigkeit vor der Zeit gegeben und ratifiziert (vgl. Eph 1,4–5; Hebr 13,20). Bevor die Zeit begann, erwählte er diejenigen, die den Glauben annehmen würden (Tit 1,1), und versprach, sie für alle Ewigkeit zu retten (1,2).

Aber wem gegenüber hat Gott dieses Versprechen gegeben? Wenn er es vor dem Beginn der Zeit gegeben hat, dann kann er es weder einem Menschen noch einem anderen geschaffenen Wesen gegeben haben. Vor der Erschaffung der Zeit gab es nichts außer Gott selbst. Wem also hat er dieses Versprechen gegeben?

Göttliche Erwählung und die Liebe des Vaters

In 2. Timotheus 1,9 werden wir zur Antwort geführt. Der Vers spricht von Gott und sagt, dass er »uns errettet hat und berufen mit heiligem Ruf, nicht nach unseren Werken, sondern nach seinem eigenen Vorsatz und der Gnade, die uns in Christus Jesus vor ewigen Zeiten gegeben […] worden ist«. Der Ausdruck »vor ewigen Zeiten« ist die Wiedergabe desselben griechischen Ausdrucks, der mit denselben Worten in Titus 1,2 wiedergegeben wird. Auch hier bedeutet er wörtlich »bevor die Zeit begann«. In der Ewigkeit vor der Zeit, vor Anbruch der Geschichte, traf Gott die unwiderrufliche Entscheidung, den Erlösten das Heil zu gewähren. Dies ist die Verheißung in Titus 1,2 und es ist eine Verheißung, die Gott nach seiner eigenen, unabhängigen Absicht und Gnade gegeben hat. Einfach ausgedrückt: Es war ein Versprechen, das er sich selbst gegeben hat.

Genauer gesagt handelte es sich, wie wir sehen werden, um eine Verheißung des Vaters an den Sohn. Der Plan Gottes war von Ewigkeit her, einen Teil der gefallenen Menschheit durch das Werk des Sohnes und zur Ehre des Sohnes zu erlösen (vgl. 2Tim 4,18). Es gab einen Moment in der Ewigkeit vor der Zeit (wenn wir so in unvollkommen zeitlichen Begriffen von der Ewigkeit sprechen dürfen), als der Vater seine vollkommene und unbegreifliche Liebe zum Sohn zum Ausdruck bringen wollte. Um dies zu tun, beschloss er, dem Sohn eine erlöste Menschheit als Liebesgabe zu geben – eine Schar von Männern und Frauen, deren Aufgabe es sein sollte, den Sohn während aller Äonen der Ewigkeit zu preisen und zu verherrlichen und ihm vollkommen zu dienen. Engel allein würden in dieser Hinsicht nicht ausreichen, denn es gibt Eigenschaften des Sohnes, für die Engel ihn nicht richtig preisen können, da sie die Erlösung nie erfahren haben. Aber eine erlöste Menschheit, als direkte Empfänger seiner unverdienten Gunst, würde für immer als ein ewiges Zeugnis für die unendliche Größe seiner Barmherzigkeit und Gnade stehen.

Der Vater beschloss daher, dem Sohn eine erlöste Menschheit als sichtbaren Ausdruck seiner unendlichen Liebe zu geben. Dabei wählte er alle aus, die diese erlöste Menschheit bilden sollten, und schrieb, bevor die Welt begann, ihre Namen in das Buch des Lebens (Offb  13,8; 17,8). Sein Geschenk an den Sohn besteht aus denjenigen, deren Namen in diesem Buch stehen – eine freudige Gemeinde unverdienter Heiliger, die den Sohn für immer preisen und ihm dienen werden.

Das Johannesevangelium macht diese wunderbare Realität noch deutlicher. In Johannes 6 zum Beispiel sagt Jesus ganz klar, dass die Gläubigen ein Geschenk seines Vaters an ihn sind. Er sagt seinen Zuhörern: »Alles, was mir der Vater gibt, wird zu mir kommen, und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen« (Joh 6,37). Und später: »Niemand kann zu mir kommen, wenn der Vater, der mich gesandt hat, ihn nicht zieht« (Joh 6,44). Mit anderen Worten: Der Vater zieht Sünder, um sie dem Sohn liebevoll zu präsentieren. Alle, die gezogen werden, kommen. Alle, die kommen, nimmt der Sohn auf und umarmt sie. Keiner davon wir je abgewiesen werden, denn der Sohn würde niemals diejenigen abweisen, die ein Geschenk des Vaters sind.

Das Heil kommt also nicht deswegen zu den Sündern, weil sie von Natur aus begehrenswert seien, sondern weil der Sohn in sich der Gabe des Vaters würdig ist. Der Zweck der Erlösung besteht ja darin, dass der Sohn durch die Erlösten auf ewig verherrlicht werde. Es geht dabei nicht um die Ehre des Sünders, sondern um die Ehre des Sohnes. Und als Antwort auf die Liebe des Vaters nimmt der Sohn die zum ihm Gezogenen gerne an, gänzlich deswegen, weil sie ein Geschenk des Vaters sind, den er liebt. Es ist seine vollkommene Dankbarkeit, die seine Arme öffnet, um die Verlorenen zu umarmen.

In Johannes 6,39 sagt Jesus, dass das, was vom Vater versprochen wurde, vom Sohn bewahrt wird: »Dies aber ist der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich von allem, was er mir gegeben hat, nichts verliere, sondern es auferwecke am letzten Tag.« Wenn der Sohn die vom Vater zu ihm Gezogenen aufnimmt, bewahrt er sie sicher und sorgt dafür, dass sie eines Tages zum ewigen Leben auferweckt werden (vgl. Joh 5,29). Wenn der Sohn diejenigen auferweckt, die ihn auf ewig anbeten werden, wird er den Plan erfüllen, den Gott in der vergangenen Ewigkeit gefasst hat. Wie Jesus in Johannes 6,38 sagt: »[I]ch bin vom Himmel herabgekommen, nicht um meinen Willen zu tun [irgend einen eigenen Plan auszuführen], sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.« Dieser Plan umfasst, wie der Herr in Johannes 6,39erklärt, die zukünftige Auferstehung aller, die der Vater ihm gegeben hat.

Ohne Frage ist die Lehre von der ewigen Sicherheit der Geretteten ein fester Bestandteil dieser Diskussion, weil sie in den Plan mit eingebaut ist. Christus beschützt diejenigen, die der Vater erwählt hat. Er wird nie einen von ihnen verlieren, denn sie sind Liebesgaben des Vaters an ihn. Sie sind wertvoll, nicht wegen ihrer angeborenen Lieblichkeit, sondern wegen der Lieblichkeit dessen, der sie dem Sohn gegeben hat. Deshalb bewahrt der Sohn sie in Sicherheit und deshalb wird uns »weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch Gewalten, weder Höhe noch Tiefe, noch irgendein anderes Geschöpf uns zu scheiden vermögen wird von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn« (Röm 8,38–39).

Diese tiefe Wahrheit wird in Johannes 17 wiederholt. Als das Kreuz nur noch wenige Stunden entfernt war, wusste Jesus, dass er eine Zeit der Trennung von Gott erleben würde (vgl. Mt 27,46), in der er den Zorn Gottes für die Sünde tragen würde (vgl. Jes 53,10; 2Kor 5,21). Im Bewusstsein dessen, dass er die Seinen in diesem Augenblick nicht werde beschützen können, vertraute er ihre Bewahrung demjenigen an, der sie ihm gegeben hatte. In Johannes 17,9–15 bittet Jesus seinen Vater mit diesen Worten:

Ich bitte für sie; nicht für die Welt bitte ich, sondern für die, die du mir gegeben hast, denn sie sind dein (und alles, was mein ist, ist dein, und was dein ist, mein), und ich bin in ihnen verherrlicht. Und ich bin nicht mehr in der Welt, und diese sind in der Welt, und ich komme zu dir. Heiliger Vater! Bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins seien wie wir.
Als ich bei ihnen war, bewahrte ich sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast; und ich habe sie behütet, und keiner von ihnen ist verloren gegangen – als nur der Sohn des Verderbens, damit die Schrift erfüllt würde.
Jetzt aber komme ich zu dir; und dieses rede ich in der Welt, damit sie meine Freude völlig in sich haben. Ich habe ihnen dein Wort gegeben, und die Welt hat sie gehasst, weil sie nicht von der Welt sind, wie ich nicht von der Welt bin. Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt wegnehmest, sondern dass du sie bewahrest vor dem Bösen.

In diesem Zusammenhang betet Jesus für die Seinen, die in der Welt sind. Er weiß, dass die Erlösten diejenigen sind, die der Vater ihm gegeben hat, und er wiederholt, dass er sie treu beschützt und bewahrt hat. Aber jetzt, auf dem Weg zum Kreuz, bittet er den Vater, sie in dem Moment zu beschützen, in dem er dazu nicht mehr in der Lage sein wird. In dem einen Fall in der gesamten Erlösungsgeschichte, in dem der Böse in den Plan unterbrechend eingreifen könnte, vertraut der Sohn die Erlösten der wachsamen und liebevollen Fürsorge seines Vaters an. Wie Jesus zuvor gesagt hatte: »Mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus der Hand meines Vaters rauben« (Joh 10,29). Der Sohn war zuversichtlich, dass die Seinen in dem unlösbaren Griff seines Vaters sicher sein würden.

In Johannes 17,24 betet Jesus weiter: »Vater, ich will, dass die, die du mir gegeben hast, auch bei mir seien, wo ich bin, damit sie meine Herrlichkeit schauen, die du mir gegeben hast, denn du hast mich geliebt vor Grundlegung der Welt.« Hier ist der glorreiche Sinn des Liebesgeschenks des Vaters an den Sohn unverkennbar: Die überragende Herrlichkeit des Sohnes soll von den Erlösten gepriesen und verherrlicht werden. Auch die Motivation des Vaters für diese Gabe ist klar: Er wollte die Liebe beweisen, die er zum Sohn hatte, bevor die Welt erschaffen wurde.

Es ist klar, dass die Lehre von der Erwählung weit über das hinausgeht, was wir mit unseren endlichen Fähigkeiten begreifen können. Wir stehen staunend vor diesen innertrinitarischen Liebesbekundungen, die so unergründlich und unaussprechlich sind. Und immer wieder werden wir durch kleine Einblicke in die göttliche Absicht hinter der Erwählung daran erinnert, dass es bei der Erlösung um etwas geht, das weit über unser eigenes Glück hinausgeht.

In Römer 8,29–30 erhalten wir einen weiteren inspirierten Einblick in diese unermessliche Realität. Paulus schreibt: »Denn welche er zuvor erkannt hat, die hat er auch zuvor bestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Welche er aber zuvor bestimmt hat, diese hat er auch berufen; und welche er berufen hat, diese hat er auch gerechtfertigt; welche er aber gerechtfertigt hat, diese hat er auch verherrlicht.« Obwohl man viel über diese Verse sagen könnte, sind zwei Punkte im Hinblick auf die Lehre der Erwählung von größter Bedeutung. Erstens: Als Gott uns durch seine Auserwählung vorherbestimmt hat, hat er uns nicht nur für den Anfang unseres Heils vorherbestimmt, sondern auch für dessen Ziel. Wir wurden nicht auserwählt, um nur gerechtfertigt zu werden. Wir wurden auserwählt, um verherrlicht zu werden. Wie Paulus das hier formuliert, könnte nicht deutlicher sein: Was Gott mit der Erwählung begonnen hat, setzt sich durch die Berufung und die Rechtfertigung fort und wird unweigerlich in der Verherrlichung enden. Der Prozess, der Gottes Prozess ist, ist ohne Fehler und Versagen, weil Er dahintersteht.

Zweitens rettet Gott nicht nur eine auserwählte, erlöste Menschheit, die den Sohn verherrlichen und ihm für immer dienen wird, sondern er macht sie auch dem Sohn gleich. Die Erlösten in Christus werden seinem Bild gleichgestaltet, was erst in der Verherrlichung vollständig und endgültig geschehen wird (1Joh 3,2; Phil 3,20–21). Es wurde zu Recht gesagt, dass Nachahmung die höchste Form des Lobes ist, denn dies wird die höchste Anerkennung für den Sohn sein – er wird der Erste unter vielen sein, die ihm ähnlich geworden sind. Sie werden seine Güte widerspiegeln, weil sie ihm gleich sein werden, und sie werden seine Größe verkünden, indem sie ihn ohne Unterlass in Ewigkeit anbeten.

Göttliche Erwählung und die Aufgabe des Sohnes

In 1. Korinther 15,25–28 finden wir eine bemerkenswerte Schlussfolgerung zu dieser ganzen Diskussion. Dort sagt Paulus: »Denn er [Christus] muss herrschen, bis er alle Feinde unter seine Füße gelegt hat. Als letzter Feind wird der Tod weggetan. Denn ›alles hat er seinen Füßen unterworfen‹. Wenn er aber sagt, dass alles unterworfen sei, so ist es offenbar, dass der ausgenommen ist, der ihm alles unterworfen hat. Wenn ihm aber alles unterworfen sein wird, dann wird auch der Sohn selbst dem unterworfen sein, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott alles in allem sei.«

Dieser Abschnitt bezieht sich auf das Ende des Zeitalters und offenbart, dass der Tag kommen wird, an dem Christus, der König der Könige, seinen rechtmäßigen Thron besteigen und das Universum, das ihm gehört, zurückfordern wird. Zu diesem Zeitpunkt wird ihm alles unterworfen sein, auch der Tod, und alle Erlösten werden in der Herrlichkeit versammelt sein und in der Fülle der ewigen Anbetung jubeln. Wenn das alles geschehen ist, »dann wird auch der Sohn selbst dem unterworfen sein, der [gemeint ist der Vater] ihm alles unterworfen hat, damit Gott alles in allem sei«. Mit anderen Worten: Wenn das ganze Liebesgeschenk der erlösten Menschheit Jesus Christus übergeben worden ist, dann wird er diese erlöste Menschheit nehmen und alles, einschließlich seiner selbst, dem Vater zurückgeben als Ausdruck seiner Gegenliebe gegenüber der unendlichen Liebe des Vaters. In diesem Augenblick werden die Erlösungsabsichten Gottes vollständig verwirklicht sein.

Die Lehre von der Erwählung ist also das Herzstück der Erlösungsgeschichte. Sie ist keine unbedeutende, esoterische Lehre, die trivialisiert oder auf Debatten in den Seminarräumen verwiesen werden kann. Vielmehr steht sie im Mittelpunkt unseres Verständnisses von Erlösung und der Gemeinde Jesu. Sie prägt unsere Evangelisation, unsere Verkündigung und unsere Identität als Leib Christi.

Sie hilft uns auch zu verstehen, warum Christus seine Braut, die Gemeinde, so ernst nimmt – sie ist sein Liebesgeschenk vom Vater. Die Gemeinde ist für ihn so wertvoll, dass er bereit war, große Schwierigkeiten und schließlich den Tod zu ertragen, um das Geschenk zu empfangen. »Denn ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, dass er, da er reich war, um euretwillen arm wurde, damit ihr durch seine Armut reich würdet« (2Kor 8,9; vgl. Phil 2,5–11). Er ließ unendliche geistliche Reichtümer hinter sich, damit seine Auserwählten dieselben Reichtümer erben können (vgl. Röm 8,17). Er hat die tiefste Armut auf sich genommen, die überhaupt möglich ist, indem er auf seine himmlischen Annehmlichkeiten und auf den unabhängigen Gebrauch seiner göttlichen Vollkommenheiten verzichtete und sich entschied, die Strafe der Sünde durch sein Opfer am Kreuz auf sich zu nehmen. Paulus erklärt dies so: »Den, der Sünde nicht kannte [d. h. Christus], hat er [Gott, der Vater] für uns zur Sünde gemacht, damit wir Gottes Gerechtigkeit würden in ihm« (2Kor 5,21).

Jesus war völlig unschuldig. Doch am Kreuz behandelte der Vater Ihn so, als hätte Er persönlich jede Sünde begangen, die von all den Menschen, die jemals an Ihn glauben würden, begangen wurden oder begangen werden. Obwohl er selbst makellos war, erlebte Er die volle Wucht des Zornes Gottes und ertrug die Strafe der Sünde stellvertretend für alle, die zu retten Er gekommen war. Auf diese Weise wurde der sündlose Gottessohn zum perfekten Stellvertreter für die sündigen Menschensöhne.

Aufgrund des Opfers Christi werden die Auserwählten in Ihm zur Gerechtigkeit Gottes. So wie der Vater den Sohn als Sünder behandelte, obwohl der Sohn sündlos war, so behandelt der Vater jetzt die Gläubigen als Gerechte, obwohl sie ungerecht waren. Jesus hat sein Leben für die Sünder eingetauscht, um den Auserwählungsplan Gottes zu erfüllen. Und Er tat es, damit Er am Ende dem Vater das Liebesgeschenk zurückgeben konnte, das der Vater Ihm gegeben hatte.

Wenn wir über diese Wahrheiten nachdenken, werden wir in die unermesslichen Tiefen der Pläne und Absichten Gottes geworfen. Wie Paulus in Römer 11,33–36 ausrief:

»Oh, die Tiefe des Reichtums und der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! 
Wie unergründlich sind seine Gerichte und wie unerforschlich seine Wege!«
»Denn wer kennt die Gedanken des Herrn, und wer ist sein Ratgeber gewesen?«
»Oder wer hat ihm eine Gabe gegeben, damit er sie zurückbekommt?« 
Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. 
Ihm sei die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Diejenigen, die Gott lieben, sind erstaunt und erstaunt und können nur mit aufrichtiger Anbetung und demütiger Unterwerfung reagieren. Sie müssen Ihn preisen für seine Barmherzigkeit, seine Gnade und seine herrlichen Absichten, der dies alles vor aller Zeit geplant hat. Und sie müssen sich seiner Souveränität unterwerfen, die nicht nur im ganzen großen Universum regiert, sondern auch in den kleinsten Details ihres täglichen Lebens. Das ist ihre Rolle als Teil des Liebesgeschenks des Vaters an den Sohn. Anbeten und Dienen ist das, wozu sie von Ewigkeit her bestimmt waren. Und das werden sie auch in der unaussprechlichen Freude der ewigen Herrlichkeit weiterhin vollkommen tun.

Die Realität ist also, dass die Gläubigen nur ein kleiner Teil eines viel größeren göttlichen Plans sind. Der Vater hat aufgrund seiner Liebe zum Sohn vor Beginn der Zeit beschlossen, eine erlöste Gemeinschaft zu erwählen, die den Sohn in alle Ewigkeit preisen würde. Und der Sohn nahm aus Liebe zum Vater dieses Liebesgeschenk des Vaters an und hielt es für so kostbar, dass er sein Leben dafür gab. Der Sohn beschützt diejenigen, die der Vater erwählt hat, um sie ihm zu geben, und verspricht, sie nach dem vorherbestimmten Plan Gottes zur Herrlichkeit zu führen.

Die lange Reihe gottesfürchtiger Männer

Geschichte ist die Entfaltung dieses Plans Gottes: Dass diejenigen, die er erwählt hat, durch die Person und das Werk des Sohnes berufen, gerechtfertigt und verherrlicht werden. Geschichte begann, als Gott Zeit und Raum nach seinem ewigen Erlösungsplan erschuf. Und sie wird enden, wenn alle seine Absichten für seine Schöpfung nach demselben ewigen Plan vollendet sind.

Es überrascht nicht, dass Gottes Diener im Laufe der Geschichte dies als Realität verstanden und sich zu eigen gemacht haben. Von Mose bis zur Gegenwart gibt es eine lange Reihe gottesfürchtiger Menschen, die diese Gewissheit in ihren Worten und ihrem Leben zum Ausdruck gebracht haben. Diese Diener Gottes sind unsere menschlichen Glaubenshelden. Aber es ist nicht eine ihnen angeborene Größe, der wir Beifall spenden. Vielmehr ist es die Größe und Herrlichkeit ihres souveränen Gottes, die sich in ihrem Leben und in ihren Lehren widerspiegelt, die uns so sehr beeindruckt. Das Thema dieser Buchreihe (Foundations of Grace; verdeutscht: Grundlagen der Gnade) ist der unveränderliche Charakter und die Treue Gottes in den Lehren der Gnade.

In Band eins (A Long Line of Godly Men; verdeutscht: Eine lange Reihe gottesfürchtiger Männer) liefert Steven Lawson klar und umfassend die biblische Grundlage für die Lehren der Gnade. Dieser Band liefert die biblische Basis für alles Folgende. Die Bände zwei bis fünf stehen wie Säulen auf diesem festen Fundament und zeichnen das Echo der göttlichen Offenbarung durch die Kirchengeschichte hindurch auf. Im gesamten Werk wird schnell deutlich, dass die Verfasser der Heiligen Schrift und die ihnen folgenden Schriftausleger dieselben unveränderlichen Lehren hochhielten und lehrten, die das göttliche, souveräne Heil ausmachen. Wenn man die Berichte von diesen gottesfürchtigen Männern liest, staunt man nicht über deren Talent, Fähigkeiten oder einzigartige Umstände, sondern über ihre Beständigkeit, mit der sie dieselbe göttliche Wahrheit der Lehren der Gnade praktizierten und verkündeten.Daher geht es in A Long Line of Godly Men (Eine lange Reihe gottesfürchtiger Männer) nicht in erster Linie um diese Männer, sondern um den Gott, von dem das Leben dieser Männer zeugt. Obwohl gottesfürchtige Männer kommen und gehen, wie jeder Überblick über die Geschichte deutlich macht, ändert sich der Gott, der durch diese Männer sprach, nie, und seine Botschaft auch nicht. Und das ist es, was Lawsons Werk so reich und erbaulich macht. Der Gott des Mose, der Gott des Petrus, der Gott des Chrysostomus, der Gott Luthers, der Gott Edwards, der Gott Spurgeons und der Gott, dem wir heute dienen, befiehlt uns, die unveränderlichen Wahrheiten zu verkünden, die in der Vergangenheit als Basis gelegt wurden. Die Unveränderlichkeit Gottes und die Ewigkeit seiner Wahrheiten, insbesondere die Lehre von der souveränen Erwählung, bilden den Eckpfeiler dieser Geschichte.

Textquellen

Was die „Fünf Punkte des Calvinismus“ nötig machte

Was man heute als die „Fünf Punkte des Calvinismus“ bezeichnet, gehört seit über 400 Jahren verbindlich zum reformierten Glaubensinhalt, ist aber auch Glaubensinhalt vieler anderer Christen, die sich in der Lehre – speziell in der Heilslehre – alleine auf Gottes Wort gründen. Diese „5 Punkte“ werden besser mit „Die Lehren der Gnade“ bezeichnet. Gnade und Barmherzigkeit sind zwei der Vollkommenheiten Gottes, die Er uns in besonders auffälliger Weise geoffenbart hat (2Mose 33,19; 34,6–9; Johannes 1,16 u.v.a.). Daher sind sie auch zentral wichtig für unsere Gotteserkenntnis und damit für die Anbetung Gottes.

Die „Lehren der Gnade“ sind also unverzichtbar wichtig und wertvoll. Man muss jedoch verstehen, dass der „Calvinismus“ (i.S.v. Glaubensinhalt der Reformierten) nicht (nur) aus (diesen) 5 Punkten besteht. Vielmehr sind dem reformiert Glaubenden Hunderte älterer und weiterer „Punkte“ genauso verpflichtender Glaubensinhalt. Diejenigen Nichtreformierten, die sich heute als „5-Punkte-Calvinisten“ bezeichnen, müssten zutreffender sagen, dass sie an „Die Lehren der Gnade“ glauben. Diese Lehren lassen sich (frühestens seit 1905!) mit dem Akrostichon TULIP in Erinnerung rufen (s.a.: TULIP – Wer hat’s erfunden? ). Sie wurden notwendig als Zurechtweisung formuliert, als die reformierte Kirche von Falschlehre(r)n angegriffen wurde und der Antrag gestellt wurde, diese Falschlehren in das Glaubensbekenntnis der Kirche aufzunehmen. Robert Godfrey ordnet die „5 Punkte“ so ein: „Der Calvinismus hat fünf Antworten auf die fünf Irrlehren des Arminianismus. Die Lehrregeln antworten Punkt für Punkt auf die arminianische Zusammenfassung, die 1610 vorlegt wurde.“ (Artikel: Gründe für Dordrecht, 2019)

Der damalige politische Streit war immer auch ein religiöser, da die Römische Kirche es gewohnt war, ihre Macht wie im Kirchlichen so auch in der Politik auszuüben. Romanisierungstendenzen sind als Ergebnis aktiver Gegenreformation und andererseits mangelnder Lehrfestigkeit der „Protestanten“ daher immer wieder wahrzunehmen, wie damals so auch heute (s.z.B. Gemeinsame Erklärung), wenngleich die Taktik und Methoden angepasst werden.

Die inhaltliche Beurteilung der „Fünf Punkte“ der Protestler (Arminianer)

Das Lehrsystem, das als „Calvinismus“ bekannt geworden (oder verleumdet worden) ist, behauptet, dass es eine richtige Darstellung der biblischen Heilslehre ist. Daneben gibt es verschiedene andere Lehrsysteme bzgl. der Heilslehre mit verschiedenen Graden des Unglaubens. Der „Calvinismus“ als theologisches Lehrsystem wurde natürlich nicht von der Synode von Dordrecht (Dordt) im Jahr 1619 [1] erfunden, sondern dort nur gegen Angriffe aus der Kirche verteidigt und als die in der Heiligen Schrift enthaltene Heilslehre bekräftigt. Diese Verteidigung wurde 1619 in „fünf Punkten“ (eigentlich als „Lehrregel“) formuliert, da es die Antwort auf die als unbiblisch beurteilten fünf Punkte ist, die die „Remonstranten“ („Protestler“; heute meist: „Arminianer“) der Kirche von Holland 1610 vorgelegt hatten. Die Lehren der arminianisch geprägten „Remonstranten“ wurden klar als Irrlehre bezeichnet und verurteilt.

Die Form der Beurteilung der „Fünf Punkte“ der Protestler (Arminianer)

Die Synode von Dordrecht war in der Verurteilung und Zurückweisung verbal nicht zimperlich. Sie erklärte in Reaktion auf die arminianischen und remonstrantischen Artikel und Meinungen in der „Lehrregel von Dordrecht“ (1619) [1] relativ offen und robust

  • dass Arminius und die Remonstranten „die Pelagianische Irrlehre wieder aus der Hölle hervorgebracht“ hatten.
  • Sie sagten von den Arminianern, sie „betrügen die Einfältigen“,
  • ihre arminianischen Lehren seien „eine Erdichtung des menschlichen Gehirns, ohne die Schrift ausgedacht“,
  • ein „schändlicher Irrtum“,
  • dass sie „nach der Gesinnung des Pelagius riecht“,
  • „der ganzen Schrift widerstreitet“ und „der Schrift widerspricht“,
  • ein „grober Irrtum“ sind,
  • „in Widerstreit mit der Erfahrung der Heiligen“ stehen,
  • „den klaren Zeugnissen der Schrift widerstreiten“,
  • dass sie Remonstranten „danach trachten, dem Volk das verderbliche Gift des Pelagianismus einzuflößen“,
  • „sie widersprechen dem Apostel“ und „sie widersprechen dem Heiland“,
  • ihre Lehre „verschmäht die Weisheit des Vaters und die Verdienste Jesu Christi und widerstreitet der Heiligen Schrift“,
  • sie „widerstreitet den klaren Zeugnissen der Schrift“,
  • sie „ist völlig pelagianisch und zu der ganzen Schrift im Widerspruch“.
  • Die Christen sollten wissen, dass „die alte Kirche diese Lehre schon seit langem in den Pelagianern […| verurteilt“ hat,
  • dass diese Lehre „einen deutlichen Pelagianismus offenbart“ und
  • dass „diese Meinung die Gnade, Rechtfertigung, Wiedergeburt und beständige Bewahrung Christi kraftlos macht“.

Die „Fünf Punkte“ der Protestler (Arminianer) sind Irrlehre, nicht nur Irrtum

Es wurde also nicht beschönigend von tolerierbarer „anderer Auffassung“, „anderer Erkenntnis“ o.ä. oder tolerierbar geringem Irrtum geredet (mit Entschuldigungen wie: „Wir alle irren mal“ und „Wir erkennen nur stückweise“, was natürlich Beides stimmt), sondern entlarvend von der Wiederkehr alter Irrlehren (Pelagianismus) und von Widerspruch zur Lehre der Heiligen Schrift.

Die rechtgläubigen Professoren, Theologen und Geistlichen Hollands und Englands versuchten daher beständig und aktiv, die Lehre der Arminianer zu unterdrücken und die Ausübung jenes Glaubens zu verbieten, den sie entschieden als häretisch verurteilten. Dies gelang ihnen durch die Einberufung der Synode von Dort recht wirksam. Aus diesen Gründen wurde der Arminianismus als (nichttolerierbare) Irrlehre (Häresie) – und nicht nur als (tolerierbarer) Irrtum – angesehen. Dieses Bewusstsein haben anscheinend manche „bibeltreue“ Gemeinden, Gemeinschaften und Missionswerke leider verloren.

Die Psychologisierung des Konflikts

Immer wieder gab es Versuche, die enormen lehrhaften Differenzen in diesem Konflikt herunterzuspielen und auf rein menschliche und persönliche Umstände und Lösungen abzuzielen. Wer als Theologe scheitert, versucht sich dann als Soziologe oder Psychologe? Dies ist gut zu beobachten beim bekannten Konflikt zwischen John Wesley und George Whitefield im 18. Jhdt., der in dieser Sache, insbes. in der Lehre von der Erwählung und der Heilssicherheit, tobte.[3] Whitefield schrieb in diesem Zusammenhang zurecht öffentlich an Wesley: „Die Kinder Gottes stehen in Gefahr, dem Irrtum zu verfallen. […] Oh, Sir, was ist denn das für eine Logik, oder besser: Sophistik?“ […] Sir, wie absurd argumentiert Ihr an dieser Stelle!“ (Brief vom 24.12.1740 von Bethesda, GA aus). Gleichzeitig verband er seine sachlich scharfe Kritik an der Irrlehre Wesley mit respektvollen Formulierungen gegenüber der Person des Gegners. Whitefield war nicht bereit, sein sachlich scharfes Urteil vom Ziel einer menschlichen Versöhnung trüben zu lassen, oder dem menschlichen Vertragen die Wahrheit und Gesundheit der Glaubenden zu opfern.

Es geht im Kern um nichts Geringeres als unser Gottesbild und unsere Anbetung

Gemäß der Lehren der Gnade wird das Heil durch die allmächtige Kraft des dreieinigen Gottes vollbracht: Der Vater hat ein Volk auserwählt, der Sohn ist für sie gestorben, der Heilige Geist macht den Tod Christi wirksam, indem er die Auserwählten zum Glauben und zur Umkehr bringt und sie dadurch veranlasst, dem Evangelium willig zu gehorchen (vgl. Hesekiel 36; Johannes 3, 6 u.a.).

Der Kreis der so gnädig Beschenkten wurde vor der Zeit allein durch göttliches Erwählen festgelegt und bleibt bei allen Heilswerken der Personen der Trinität (Opera ad extra) stets der selbe (s. a. Römer 8, 28–30). Diejenigen, für die der menschgewordene Sohn Gottes aus Liebe zum Vater und „den Seinigen“ (Johannes 13,1) im Opfer stirbt, sind exakt jene, die sich der Vater vor aller Zeit zum Besitz genommen hatte (Johannes 17,6b: „Dein waren sie“) und die er dann dem Sohn übergeben hatte („Mir hast du sie gegeben“, Johannes 17,6b), damit sie „die Seinigen“ seien, die er „bis aufs Äußerste“ und ewig göttlich lieben würde (Johannes 17,2.6.9.24). Wer diese Transaktion der Liebe nicht erfasst, glaubt, liebt, anbetet, verkündigt, dessen Gottesbild hat schon im Kernbereich erhebliche Mängel. Entsprechend dysfunktional wird seine Heilslehre. Würde es doch endlich begriffen: Erwählung zum Heil – und damit zur ewigen Gemeinschaft und Einheit – ist eine Liebesgeschichte! Eine Liebesgeschichte des Allmächtigen, der Licht und Liebe ist.

Der Streit zwischen der biblischen Auffassung des Heils bei den Reformatoren (und Reformierten) und bei den Gegen-Reformatoren ist im Kern immer auch ein Kampf zwischen einem gottzentrierten und einem menschzentrierten Verständnis der göttlichen Heilsveranstaltung. Die Heilige Schrift lehrt: Der gesamte Prozess, samt Erwählung, Erlösung, Wiedergeburt, ist das Werk Gottes und geschieht allein aus Gnade (Epheser 2,8–9). Auf diese Weise bestimmt Gott, und nicht der Mensch, wer die Gabe des Heils empfängt. Und Er macht das ganz gezielt so, dass Er am Ende alleine allen Dank und alle Anbetung dafür erhält (Römer 11,33–36): Soli Deo Gloria!


Anmerkungen

[1] Die Dordrechter Synode (auch Synode von Dordt) war eine nationale Versammlung der niederländischen reformierten Kirche unter Beteiligung von ausländischen reformierten Delegationen, die vom 13. November 1618 bis zum 9. Mai 1619 in Dordrecht stattfand. Siehe auch: 400 Jahre Synode in Dordrecht. Vgl. auch die Ausarbeitung Gründe für Dordrecht – Zur Entstehung und Bedeutung der Synode von Dordrecht von Robert Godfrey auf der Website von Evangelium 21 (2019) (Link).

[2] Text in Deutsch entweder online (SERK Deutschland) oder als Dokument (PDF).

[3] Sehr gute Darstellung in der Whitefield-Biografie von Benedikt Peters: George Whitefield: Der Erwecker Englands und Amerikas. 2. Aufl. (Bielefeld: CLV, 2003), leider vergriffen, und Christian Klein: George Whitefield: Das Leben des Evangelisten und sein Konflikt mit John Wesley (PDF).

Charles H. Spurgeon – Prediger der biblischen »Lehren der Gnade«

Charles Haddon Spurgeon (1834 – 1892) war einer der größten Prediger der letzten Jahrhunderte. Der Spurgeon-Biograph Lewis Drummond nannte ihn den größten Prediger, den»Fürsten unter den Predigern« (»Spurgeon: Prince of Preachers«; Kregel Publ., 1992). Viele wurden von seinen Predigten angezogen, das Metropolitan Tabernacle in London war regelmäßig mit 5.000–6.000 Zuhörern gefüllt.

Steven Lawson fasst die enorme Breite und Tiefe des Wirkens Spurgeons in Wort und Schrift wie folgt zusammen:

»Schon im Jahr 1863 waren von Spurgeons Predigten mehr als 8 Millionen Kopien verkauft worden. Bei seinem Heimgang im Jahr 1892 waren es schon 50 Millionen. Am Ende des 19. Jahrhunderts waren mehr als 100 Millionen Predigten in 23 Sprachen verkauft worden, eine Anzahl, die kein Prediger vorher oder nachher je erreicht hat.

Heute hat diese Zahl die 300 Millionen überschritten. Ein Jahrhundert nach seinem Tod liegen mehr gedruckte Werke von Spurgeon vor, als von jedem anderen englischsprachigen Autor. Spurgeon ist historisch gesehen der am häufigsten gelesene Prediger.«

Steven Lawson, The Gospel Focus of Charles Spurgeon, (Reformation Trust Publishing), S. 17.

Die unglaubliche Reichweite der Predigten Spurgeons wurde nicht durch das Verklickern eines seichten Evangeliums erreicht. Ganz im Gegenteil: man wird von der theologischen Reichhaltigkeit der Predigten Spurgeons beeindruckt. Er verschwendete seine Zeit nie mit netten, ohrenschmeichelnden Allgemeinplätzen und ging beim Predigen den schwierigeren Lehren der Heiligen Schrift nie aus dem Weg. Spurgeon ist ein Vorbild für alle, die Gottes Wort anschaulich, klar und reichhaltig verkündigen wollen.

Der Zeitgeist der »Evangelikalen« heute führt viele ins Erstaunen darüber, dass ein so begabter Evangelist wie Spurgeon in seinen Predigten immer wieder sehr begeistert jenen Schatz der Reformation verkündigte, den wir heute die »Lehren der Gnade« nennen. Seine Predigten und Schriften sind gesättigt mit den biblischen Wahrheiten, die heute einige auf »Die 5 Punkte des Calvinismus« reduzieren wollen.

Interior View of the Metropolitan Tabernacle

Bereits bald nach Eröffnung des riesigen Metropolitan Tabernacle in London Mitte März 1861 veranstaltete Spurgeon am 11. April 1861 eine Bibelkonferenz zum Thema »Die Lehren der Gnade« (»Exposition of the Doctrines of Grace«). Seiner Einleitung schlossen sich dann fünf andere Prediger an, die über jeden der sog. »Fünf Punkte« sprachen: Erwählung, menschliche Verdorbenheit, besondere Erlösung, wirksame Berufung und Ausharren der Glaubenden in Christus Jesus bis ans Ende. [1]

In seiner Autobiographie schrieb Spurgeon ausführlich über seinen festen Glauben an die biblischen »Lehren der Gnade«:

»Die alte Wahrheit, die Calvin gepredigt hat, die Wahrheit, die Augustin gepredigt hat, sie ist auch die Wahrheit, die ich heute predigen muss, sonst wäre ich unaufrichtig gegenüber meinem Gewissen und gegenüber Gott. Ich darf die Wahrheit nicht selbst gestalten; es ist mir fremd, die rauhen Kanten einer biblischen Lehre abzuschleifen. Ich habe das gleiche Evangelium, wie John Knox. Das, was durch Schottland gerauscht ist, muss auch wieder durch England rauschen.« …

»Es gibt niemand, der mehr an den Lehren der Gnade festhält, als ich. Wenn mich jemand fragte, ob ich mich schäme, ein Calvinist genannt zu werden, dann würde ich antworten: Ich möchte nichts anderes heißen, als Christ. Aber wenn du fragst, ob ich die lehrmäßigen Anschauungen von Johannes Calvin für richtig halte, dann antworte ich, dass ich sie im großen und ganzen für richtig halte. Ich bekenne dies gerne. Aber es liegt mir fern zu denken, dass Zion nur calvinistische Christen enthält, oder dass niemand gerettet würde, der nicht an diese Lehren glaubt.«

Charles H. Spurgeon, A Defense of Calvinism, in: Charles H. Spurgeon, The autobiography of Charles H. Spurgeon, Bd. 1, S. 167–178, Kap. XVI. Farbdruck hinzugefügt.

Spurgeon liefert eine sehr wichtige Klarstellung mit Blick auf den Spitznamen (heute: Schimpfnamen, Pejorativum) »Calvinist«. Er kommentierte bezüglich dieser Bezeichnung:

Jene Lehre, die nun »Calvinismus« genannt wird, entsprang nicht von Calvin. Wir glauben, dass sie von dem großen Begründer aller Wahrheit entsprang. … Wir verwenden diesen Ausdruck also nicht, weil wir der Tatsache, dass Calvin diese Lehren gelehrt hat, eine außerordentliche Bedeutung zurechnen würden. Wir wären in der Tat genauso bereit, diese Lehren mit einem anderen Namen zu bezeichnen, wenn wir denn einen solchen finden könnten, der besser verstanden werden würde und welcher insgesamt genauso mit den Tatsachen übereinstimmen würde.

Charles H. Spurgeon, Exposition of the Doctrines of Grace, (April 11, 1861) [https://www.spurgeon.org/resource-library/sermons/exposition-of-the-doctrines-of-grace/#flipbook/ abgerufen: 11JUL2020] Fettdruck hinzugefügt.

Spurgeon nannte sich also nicht »Calvinist«, weil er Johannes Calvin besonders verehrte, sondern weil er glaubte, dass die »Lehren der Gnade« direkt aus den Seiten der Heiligen Schrift stammen. Für ihn war der Begriff »Calvinismus« einfach ein Kürzel für »Evangelium Jesu Christi«. Er sah die »Lehren der Gnade« klar als biblische Lehren an und lehrte sie daher auch furchtlos von seiner Kanzel aus. Er sagte:

»Mir steigt keinesfalls die Schamesröte ins Gesicht, wenn ich euch heute die Lehre von der Souveränität Gottes predige. Was die Lehre der Auserwählung angeht, so werde nicht herumeiern, sondern sie so uneingeschränkt und offen wie möglich predigen. Ich werde keine Angst davor haben, die große Wahrheit des Ausharren der Heiligen darzulegen. Ich werde die unzweifelhafte Wahrheit der Schrift über die wirksame Berufung der Erwählten Gottes nicht zurückhalten. Ich werde mich nach Kräften und mit Gott Hilfe bemühen, vor euch, die ihr meine Herde geworden seid, nichts davon zurückzuhalten. Ich sehe ja, dass die meisten von euch inzwischen ›geschmeckt haben, dass der HErr gütig ist‹ [Psalm 34,8], und daher werde ich mir jetzt die Mühe machen, durch das gesamte System der ›Lehren der Gnade‹ zu gehen, damit die Heiligen erbaut und gefestigt werden in ihrem allerheiligsten Glauben.« [Judas 20]

Charles H. Spurgeon, Particular Redemption, (February 28, 1858), Predigt über Matthäus 20,28 [https://www.spurgeon.org/resource-library/sermons/particular-redemption–2/#flipbook/ abgerufen: 11JUL2020]

Für Spurgeon und seine Gemeinde[2] bedeutete die Vernachlässigung der Predigt der »calvinistischen Heilslehre«, dass er seiner Gemeinde etwas Wichtiges vorenthalten würde. Dazu war er aber niemals bereit, denn diese Wahrheiten werden in der Heiligen Schrift gefunden und werden gerade durch Gottes verordnetes Mittel weitergegeben: durch die Predigt des ganzen Evangeliums:

»Wie werden sie nun den anrufen, an den sie nicht geglaubt haben? Wie aber werden sie an den glauben, von dem sie nicht gehört haben? Wie aber werden sie hören ohne einen Prediger? … Also ist der Glaube aus derVerkündigung, die Verkündigung aber durch Gottes Wort.«

Römerbrief 10,14.17 (ELB03)

Endnoten

[1] Nach C. H. Spurgeon sprachen: John Bloomfield: Election; Evan Probert: Human Depravity; James A. Spurgeon (C.H. Spurgeons Bruder): Particular Redemption; James Smith: Effectual Calling, sowie William O’Neil: Final Perseverance of Believers in Christ Jesus.
[2] Die »Doctrinal Basis« (Lehrgrundlage) der Gemeinde The Metropolitan Tabernacle macht klar, dass die Gemeinde heute noch eine unabhängige reformierte Baptistengemeinde (»independent reformed Baptist church«) ist. Die zwei ersten der sieben Hauptpunkte (»key biblical policies«) lauten:
«Doctrines of grace. We teach the doctrines of grace (in the reformed faith, often summarised as the ‚five points of Calvinism‘). Our doctrinal basis is the Baptist Confession of Faith, 1689.
Free offer of the Gospel. We believe in the universal tender of salvation, also called the free offer of the Gospel, dedicating one ­service every Sunday to persuasive evangelistic preaching, and praying that God will use this for the salvation of precious souls. Evangelism is a ­foremost duty for us, embracing evangelistic Sunday Schools, youth outreach, and other measures des­cribed in these pages.«

Weitere Ressourcen

  • The Spurgeon Center for Biblical Preaching at Midwestern Seminary (Kansas City, MO, USA) – »Making visible the lifelegacy and libraryof Charles Haddon Spurgeon« (https://www.spurgeon.org/)
  • The Spurgeon Archive (http://www.romans45.org/spurgeon/mainpage.htm)
  • Spurgeon Gems (https://www.spurgeongems.org)
  • Charles H. Spurgeon, A Defense of Calvinism [Eine Verteidigung des Calvinismus] (http://www.romans45.org/spurgeon/calvinis.htm 11JUL2020)

Spurgeon: Die Wahrheit über die Sühnung durch Christus muss verkündigt werden

»We hold that Christ, when He died, had an object in view, and that object will most assuredly, and beyond a doubt, be accomplished. We measure the design of Christ’s death by the effect of it. … We cannot so belie our reason as to think that the intention of Almighty God could be frustrated, or that the design of so great a thing as the atonement, can by any way whatever, be missed of. We hold—we are not afraid to say that we believe—that Christ came into this world with the intention of saving „a multitude which no man can number;“ and we believe that as the result of this, every person for whom He died must, beyond the shadow of a doubt, be cleansed from sin, and stand, washed in blood, before the Father’s throne. We do not believe that Christ made any effectual atonement for those who are for ever damned; we dare not think that the blood of Christ was ever shed with the intention of saving those whom God foreknew never could be saved, and some of whom were even in Hell when Christ, according to some men’s account, died to save them. …

For you must bear this in mind, that some of you, perhaps, may be ready to dispute things which I assert; but you will remember that this is nothing to me; I shall at all times teach those things which I hold to be true, without let or hindrance from any man breathing.

Now, beloved, when you hear any one laughing or jeering at a limited atonement, you may tell him this. General atonement is like a great wide bridge with only half an arch; it does not go across the stream: it only professes to go half way; it does not secure the salvation of anybody. Now, I had rather put my foot upon a bridge as narrow as Hungerford[1], which went all the way across, than on a bridge that was as wide as the world, if it did not go all the way across the stream.«

Charles H. Spurgeon, Particular Redemption, Predigt am 28FEB1858 über Matthäus 20,28 [https://www.spurgeon.org/resource-library/sermons/particular-redemption–2/#flipbook/ 11JUL2020]

[1] Die Hungerford Bridge wurde 1845 als reine Fußgängerverbindung über die Themse in London eröffnet. Die enge Fußgängerbrücke hatte den Ruf, heruntergekommen und bei Nacht gefährlich zu sein. Später wurde sie mehrfach umgebaut und ist heute eine Eisenbahnbrücke zum Bahnhof Charing Cross.