Eine biblische Rechtfertigung für Bibelschulen und die Ausbildung an einer gemeindenahen Bibelschule lässt sich aus einer Reihe von Bibelstellen ableiten: von Matthäus 28,19 (mit der Betonung der Jüngerschaft) über 2. Timotheus 2,2 (mit Betonung der Ausbildung von Leitern) bis hin zu Titus 1,9 (mit der Betonung, dass Älteste dazu befähigt sein müssen, den Glauben zu lehren, zu verkünden und zu verteidigen).
Es gibt jedoch eine kurze Passage in der Apostelgeschichte, die auf besonders aufschlussreiche Weise einen biblischen Präzedenzfall für die Ausbildung an einer gemeindenahen Bibelschule liefert. Diese Verse, die auf den ersten Blick nicht besonders bedeutend erscheinen mögen, zeigen, wie der Apostel Paulus in der Stadt Ephesus eine theologische Ausbildungsstätte gründet. Ein Kommentator erklärt dazu: »In Ephesus gründete Paulus eine theologische Schule, um zukünftige Führungskräfte für die wachsende Kirche in der Provinz Asien auszubilden« (Simon J. Kistemaker, Acts, NTC, 684).
Es ist unwahrscheinlich, dass Paulus diese Schule »Bibelschule Ephesus« [oder »Christliches Bibel Training Center Asia« ;-)] nannte, aber im Wesentlichen war sie genau dieses.
Der Hintergrund des biblischen Berichts ist die dritte Missionsreise des Paulus (52/53–56 n. Chr.). Nachdem Paulus Antiochia verlassen und die Gemeinden in Südgalatien bereist hatte, begab er sich nach Ephesus. Dort traf er auf etwa ein Dutzend Jünger Johannes des Täufers und führte sie zu Jesus Christus, auf den Johannes hingewiesen hatte (Apg 19,1–7). Lukas nimmt die Erzählung an dieser Stelle auf und schreibt:
Er ging aber in die Synagoge und sprach freimütig drei Monate lang, indem er sich unterredete und sie von den Dingen des Reiches Gottes überzeugte. Als aber einige sich verhärteten und nicht glaubten und vor der Menge schlecht redeten von dem Weg, trennte er sich von ihnen und sonderte die Jünger ab, indem er sich täglich in der Schule des Tyrannus unterredete. Dies aber geschah zwei Jahre lang, so dass alle, die in Asien wohnten, sowohl Juden als auch Griechen, das Wort des Herrn hörten. – Apg 19,8–10 (ELBCSV)
Wie Lukas in den Versen 9–10 erklärt, traf sich Paulus zwei Jahre lang jeden Tag mit einer Gruppe von Gläubigen in einer Schule, um sich mit ihnen über Themen der Theologie zu unterreden. Das ist im Wesentlichen das Grundmodell der theologischen Ausbildung an einer Bibelschule.
Aus diesem kurzen Abschnitt lassen sich drei Merkmale der ersten gemeindenahen Bibelschule ableiten. Und obwohl wir uns davor hüten müssen, einen erzählenden Text aus der Apostelgeschichte als eine normative Vorschrift für die heutige christliche Gemeinde zu missbrauchen, bieten diese Merkmale dennoch hilfreiche Parallelen für diejenigen, die sich heute mit der Ausbildung an einer Bibelschule befassen, sei es als Studierende oder als Lehrende.
Die Verpflichtung: Ein mutiges Bekenntnis zum Evangelium (Apg 19,8–9a)
8 Er ging aber in die Synagoge und sprach freimütig drei Monate lang, indem er sich unterredete und sie von den Dingen des Reiches Gottes überzeugte. 9 Als aber einige sich verhärteten und nicht glaubten und vor der Menge schlecht redeten von dem Weg…
Apostelgeschichte 19,8 beschreibt den Inhalt der Botschaft des Paulus – eine Botschaft, die er zweifellos auch nach seinem Verlassen der Synagoge und der theologischen Unterweisung der Jünger weiter verkündete. Eine Untersuchung von Vers 8 zeigt, dass die Botschaft des Paulus kontinuierlich und anhaltend (»drei Monate lang«), mutig (»freimütig reden« parrhēsiazomai), sorgfältig (»unterredete« dialegomai), voller Überzeugung („»überzeugte« peithō) und christuszentriert (»von den Dingen des Reiches Gottes«) war. In Übereinstimmung mit seinem von Gott gegebenen Auftrag, das Evangelium zu verkünden, verkündete Paulus drei Monate lang treu die Wahrheit der Erlösung in der Synagoge von Ephesus.
Wie es für diejenigen, die der biblischen Wahrheit treu verpflichtet sind, unvermeidlich ist, stieß Paulus auf Feindseligkeit. Seine Botschaft erwies sich als umstritten (V. 9), nicht weil der Apostel streitsüchtig war, sondern weil das Wort Gottes immer polarisiert. Donald Grey Barnhouse kommentierte diesen Vers wie folgt:
Beachten Sie die Reaktion, die Paulus auf seine Predigten erhielt. Es ist immer dasselbe: Einige reagieren positiv, aber die große Mehrheit ist verhärtet und ungehorsam in ihrer Einstellung. Paulus schrieb darüber in 1. Korinther 2,14: „Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was vom Geist Gottes kommt, denn es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt werden muss.“ Das ist immer die Reaktion, die jeder Prediger des Wortes Gottes erhält. Das ist die Reaktion, die jeder Christ auf sein treues Zeugnis für die Wahrheit Gottes erhält. (Acts,S. 176)
Dass Paulus sich auch angesichts von Feindseligkeiten unerschütterlich zur Wahrheit bekannte, setzt einen mutigen Präzedenzfall für alle, die heute im Dienst stehen (sei es in einer Gemeinde oder einer Bibelschule). Viel zu viele christliche Institutionen sind schnell bereit, ihre Botschaft zu verwässern, um sich dem Mainstream anzubiedern. Aber die von Gott gegebene Aufgabe eines jeden Gemeindehirten oder Bibelschullehrers ist es, für die Wahrheit einzustehen, egal wie töricht oder unwillkommen sie der Gesellschaft um ihn herum erscheinen mag.
Die Investition: Eine planvolle Konzentration auf die Ausbildung (Apg 19,9b–10a)
… trennte er sich von ihnen und sonderte die Jünger ab, indem er sich täglich in der Schule des Tyrannus unterredete. 10 Dies aber geschah zwei Jahre lang…
Da Paulus nicht mehr in der Synagoge lehren konnte, zog er sich zurück und begann, sich mit den Jüngern in einer nahegelegenen Schule zu treffen (wahrscheinlich einem Hörsaal, der von einem lokalen Philosophen namens Tyrannus genutzt wurde). Everett F. Harrison gibt weitere Aufschlüsse über die Situation:
Paulus‘ neuer Aufenthaltsort war »die Schule des Tyrannus«. Das griechische Wort dafür ist scholē, was zunächst Freizeit bedeutet, dann Diskussion oder Vorlesung (eine beliebte Freizeitbeschäftigung der Griechen), dann eine Gruppe, die solche Vorlesungen besucht, und schließlich den Ort, an dem solche Unterweisungen erteilt wurden. Eine aufschlussreiche Ergänzung im westlichen Text [Codex Bezae[1]] an dieser Stelle besagt, dass Paulus an diesem Ort täglich von der fünften bis zur zehnten Stunde, d. h. von 11 Uhr bis 16 Uhr, tätig war. Dies war die Siesta-Zeit für die Einwohner. Es wird vermutet, dass Paulus den Saal zu einem symbolischen Preis mieten konnte, weil er zu dieser Tageszeit nicht genutzt wurde. (Acts, S. 291)
Die Tatsache, dass Paulus zwei Jahre lang täglich zusammenkam, zeigt, wie sehr er sich persönlich für die Ausbildung seiner Glaubensbrüder engagierte. Wenn der westliche Text korrekt ist, fanden die theologischen Lehrveranstaltungen des Paulus während der üblichen Mittagsruhe (Siesta) der Stadt statt (was darauf hindeutet, dass schläfrige Bibelschüler eine lange Tradition haben). Der Apostel opferte bereitwillig seine persönliche Ruhezeit, um die Jünger zu unterrichten, wahrscheinlich in Form von (Lehr-) Dialogen.
Es ist interessant zu bedenken, dass Paulus, wenn er sich sechs Tage die Woche fünf Stunden lang mit den Jüngern getroffen hat, mit ihnen in den zwei Jahren insgesamt etwa 3.000 Stunden verbracht hat. Das entspricht heute ungefähr 200 Vorlesungseinheiten (in Europa heute: Credit Points, Kreditpunkte; ein Bachelor-Studium umfasst 210 Credit Points; A.d.Ü.).
Bemerkenswert ist auch, dass Paulus sich während dieser Zeit als Zeltmacher finanziell selbst versorgte. F. F. Bruce erklärt:
Wir können uns also vorstellen, wie Paulus den frühen Morgen mit Betreiben seines Handwerks verbrachte (vgl. 20,34; 1Kor 4,12), und dann die nächsten fünf Stunden der noch anstrengenderen Aufgabe des christlichen Lehrgesprächs widmete. Seine Zuhörer müssen von seiner Begeisterung und Energie angesteckt worden sein. (Acts, S. 408)
Eine letzte Bemerkung betrifft den Namen jenes »Tyrannus«, den die meisten Kommentatoren für den Dozenten halten, von dem Paulus den Hörsaal gemietet (oder zur Nutzung überlassen bekommen) hatte. Kistemaker weist auf die Bedeutung seines Namens hin: »Wir wissen nichts weiter über Tyrannus, dessen Name Tyrann bedeutete. Wahrscheinlich war dies ein Spitzname, den ihm seine Schüler gegeben hatten« (Acts, S. 684). Wenn das stimmt, dann hat auch das Vorbild des strengen Bibellehrers eine lange Geschichte.
Auch hier gibt Paulus den heutigen Bibelschullehrern wieder ein überzeugendes Beispiel, über das sie nachdenken sollten. Der Apostel brachte große Opfer, um die nächste Generation christlicher Leiter auszubilden. Es ist unser Vorrecht, dasselbe für diejenigen zu tun, die in unseren Tagen zur Verherrlichung Christi zum christlichen Dienst berufen sind.
Die Wirkung: Ein Beitrag, der Christus in aller Welt ehrt (Apg 19,10b)
…so dass alle, die in Asien wohnten, sowohl Juden als auch Griechen, das Wort des Herrn hörten.
Lukas schließt diesen kurzen Abschnitt mit einem Kommentar zu der Wirkung, die die Ausbildungsstätte des Paulus in Ephesus hatte: »so dass alle, die in [der röm. Provinz] Asien wohnten, sowohl Juden als auch Griechen, das Wort des Herrn hörten«. Paulus konzentrierte sich ganz auf die Ausbildung und die Ergebnisse waren geradezu explosiv. Ein Kommentator merkt sogar an, dass »dieser Ort mit seinen täglichen Lehrdialogen über einen Zeitraum von zwei Jahren es Paulus ermöglichte, den bislang umfangreichsten Einfluss auszuüben, der in der Apostelgeschichte berichtet wird« (David Peterson, Acts, S. 536).
Als Ergebnis dieser Ausbildungsstätte wurden Gemeindehirten ausgebildet und christliche Gemeinden gegründet. Bruce beschreibt die Auswirkungen mit folgenden Worten:
Von da an wurde die Provinz Asien zu einem der wichtigsten Zentren des Christentums. Wahrscheinlich wurden alle sieben in der Apokalypse [Offenbarung] erwähnten Kirchen Asiens in diesen Jahren gegründet, und noch weitere. Die Gründung der Kirchen im Lykos-Tal, in Kolossä, Hierapolis und Laodizea muss in diese Zeit datiert werden: Diese Städte wurden nicht von Paulus persönlich evangelisiert, sondern von seinen Mitarbeitern. (Acts, S. 409)
Und Kistemaker fügt hinzu:
Wir gehen davon aus, dass die von Paulus ausgebildeten Bibelschulstudenten Gemeindehirten in aufstrebenden Gemeinden in Westkleinasien wurden. … Diese Jünger waren maßgeblich daran beteiligt, das Evangelium Christi, also das Wort Gottes, sowohl an die Juden als auch an die Griechen [Nichtjuden] zu verkündigen. (Acts, S. 685)
Die zweijährige Ausbildungsstätte des Paulus hatte durch Gottes Gnade einen unglaublichen Einfluss auf die Verbreitung des Evangeliums und die Sache Christi. Wie R. C. H. Lenski zu Recht hervorhebt:
Paulus nutzte Ephesus als Ausstrahlungszentrum. Während er in dieser Metropole und diesem politischen Zentrum blieb, streckte er seine Fühler mithilfe seiner Assistenten so weit wie möglich aus. Wie viele er davon beschäftigte, lässt sich nicht abschätzen. Eine Gemeinde nach der anderen wurde gegründet. (Acts, S. 790)
Auch hier liefert uns das Beispiel des Paulus ein überzeugendes Vorbild, über das wir nachdenken sollten. Wenn Bibelschulen ihrer gottgegebenen Verpflichtung treu bleiben und die ihnen anvertraute Investition sorgfältig wahrnehmen, können sie mit Freude beobachten, wie Gott ihre Arbeit segnet, indem Gott sein Wort einsetzt, segensreiche Wirkungen in dieser Welt zu zeitigen.
Nathan Busenitz
Dr. Nathan Busenitz ist Executive Vice President und Dekan der Fakultät am The Master’s Seminary. Er ist außerdem einer der Gemeindehirten von Cornerstone, einer Gemeinschaftsgruppe innerhalb der Grace Community Church in Sunvalley, CA (USA).
Endenoten
[1] Der Codex Bezae, auch Codex Bezae Cantabrigiensis, ist eine Handschrift des Neuen Testaments in griechischer und lateinischer Sprache aus dem 5. Jahrhundert. … Der Codex Bezae enthält die vier Evangelien in der Reihenfolge der westlichen Handschriften (Matthäus, Johannes, Lukas, Markus) und einen Teil der Apostelgeschichte. … Der Codex wird in der Bibliothek der Universität Cambridge aufbewahrt und hat die Signatur MS Nn.2.41. … Er war der einzige Bibeltext aus dem ersten Jahrtausend, der im 16. Jahrhundert bekannt wurde. Der Kodex ist benannt nach Theodor Beza, dem Nachfolger Johannes Calvins. Beza schenkte diesen Codex der Universität Cambridge. Gemäß Beza sei der Codex zuvor im Kloster St. Irenäus bei Lyon gewesen. (überarb. Exzerpt aus: de.wikipedia.org/wiki/Codex_Bezae)
Disclaimer
Dieser Beitrag von Nathan Busenitz im Blog des The Master’s Seminary vom 26. März 2015 wurde von Dr. Busenitz stark erweitert vorgetragen auf der Shepherd’s Conference 2025 (5.–7. März 2025 in Sunvalley, CA, USA) unter dem Titel: General Session 9: Mobilizing the Master’s Men – Paul’s Strategic Commitment to Pastoral Training (hier). – Der Kurzbeitrag hier wurde übersetzt und leicht überarbeitet von grace@logikos.club.