Die Pflicht zum Widerstand gegen Falschlehre (J.C. Ryle)

John Charles Ryle (1816–1900)

Der ursprüngliche Artikel trägt die Überschrift Opposing False Doctrine und erschien in seiner Buchreihe Expository Thoughts on the Gospels (1869).

Und er rief die Volksmenge herzu und sprach zu ihnen: Hört und versteht! Nicht was in den Mund eingeht, verunreinigt den Menschen, sondern was aus dem Mund ausgeht, das verunreinigt den Menschen.
Dann traten seine Jünger herzu und sprachen zu ihm: Weißt du, dass die Pharisäer Anstoß genommen haben, als sie das Wort hörten?
Er aber antwortete und sprach: Jede Pflanze, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, wird ausgerissen werden. Lasst sie; sie sind blinde Leiter [der] Blinden. Wenn aber ein Blinder einen Blinden leitet, werden beide in eine Grube fallen.
Petrus aber antwortete und sprach zu ihm: Deute uns dieses Gleichnis.
Er aber sprach: Seid auch ihr noch unverständig? Begreift ihr nicht, dass alles, was in den Mund eingeht, in den Bauch geht und in [den] Abort ausgeschieden wird? Was aber aus dem Mund ausgeht, kommt aus dem Herzen hervor, und das verunreinigt den Menschen. Denn aus dem Herzen kommen hervor böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsche Zeugnisse, Lästerungen; diese Dinge sind es, die den Menschen verunreinigen, aber mit ungewaschenen Händen essen verunreinigt den Menschen nicht. (Matthäus 15,10-20)



In diesem Abschnitt gibt es zwei auffällige Aussagen des Herrn Jesus. Die eine bezieht sich auf falsche Lehre, die andere bezieht sich auf das menschliche Herz. Beide Aussagen verdienen unsere größte Aufmerksamkeit.

Falsche Lehre

In Bezug auf falsche Lehre erklärt unser Herr, dass es eine Pflicht ist, sie zu bekämpfen, dass ihre endgültige Zerstörung sicher ist und dass man sich von ihren Lehren distanzieren sollte. Er sagt: »Jede Pflanze, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, wird entwurzelt werden. Schenkt ihr keine Beachtung.«

Aus der Untersuchung des Textes geht hervor, dass die Jünger überrascht waren von den scharfen Worten unseres Herrn über die Pharisäer und ihre Traditionen. Wahrscheinlich hatten sie sich von Jugend an daran gewöhnt, sie als die weisesten und besten Menschen anzusehen. Sie waren erschrocken, als sie hörten, wie ihr Meister sie als Heuchler anprangerte und sie beschuldigte, das Gebot Gottes zu übertreten. » Weißt du,« sagten sie, »dass die Pharisäer Anstoß genommen?« Dieser Frage verdanken wir eine erklärende Aussage unseres Herrn – eine Aussage, die sonst vielleicht nie die Beachtung gefunden hätte, die sie verdient.

Die klare Bedeutung der Worte unseres Herrn ist, dass eine falsche Lehre, wie die der Pharisäer, wie eine Pflanze war, der man keine Gnade erweisen sollte. Es war eine »Pflanze, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat«, und eine Pflanze, die auszureißen die Pflicht war, was auch immer sie anrichten mochte. Es war keine Nächstenliebe, sie zu verschonen, denn sie schadete den Seelen der Menschen. Es spielte keine Rolle, dass diejenigen, die sie pflanzten, hohe Ämter innehatten oder gelehrt waren. Wenn eine Lehre dem Wort Gottes widerspricht, muss sie bekämpft, widerlegt und verworfen werden. Seine Jünger mussten daher verstehen, dass es richtig war, allen Lehren zu widerstehen, die unbiblisch waren, und alle Lehrer, die diese Lehren fortwährend brachten, unbeachtet stehen zu lassen und sich von ihnen zu distanzieren: »Lasst sie!« Früher oder später würden sie feststellen, dass alle Irrlehren völlig umgestürzt und zu Schanden gemacht werden. Nichts wird Bestand haben außer dem, was auf Gottes Wort gegründet ist.

In diesem Ausspruch unseres Herrn stecken Lektionen von tiefer Weisheit, die dazu dienen, die Pflicht manches bekennenden Christen zu beleuchten. Lasst uns diese Lektionen gut überfliegen und erkennen, was sie uns lehren. Aus dem praktischen Gehorsam gegenüber dem Ausspruch des Herrn »Lasst sie!« entstand auch die segensreiche protestantische Reformation. Diese Lektionen Lehren verdienen also unsere größte Aufmerksamkeit.

Sehen wir hier nicht, dass wir verpflichtet sind, im Widerstand gegen falsche Lehren unerschrocken zu sein? Zweifellos sehen wir diese Pflicht. Keine Angst, Anstoß zu erregen, keine Furcht vor kirchlicher Zensur sollte uns zum Schweigen bringen, wenn Gottes Wahrheit in Gefahr steht. Wenn wir wahre Nachfolger unseres Herrn sind, sollten wir freimütige, unerschrockene Zeugen gegen den Irrtum sein. »Die Wahrheit«, sagt Musculus, »darf nicht unterdrückt werden, denn die Menschen sind böse und blind.«

Sehen wir nicht erneut die Pflicht, Irrlehrer zu verlassen, wenn sie ihren Wahn nicht aufgeben wollen? Zweifellos ja. Kein falsches Feingefühl, keine falsche Demut sollten uns davor zurückschrecken lassen, die Dienste eines Geistlichen zu fliehen, der Gottes Wort widerspricht. Es ist zu unserem eigenen Verderben, wenn wir uns unbiblischer Lehre ausliefern. Und es wird ganz unsere eigene Schuld sein, wenn wir entsprechend im Glauben Schaden nehmen. Um es mit den Worten von Whitby zu sagen: »Es kann niemals richtig sein, einem Blinden in den Graben zu folgen.«

Erkennen wir, als letztem Punkt, nicht auch die Pflicht zur Geduld, wenn wir zuschauen müssen, wie falsche Lehren mehr und mehr zunehmen? Zweifellos erkennen wir diese Pflicht. Wir können uns mit dem Gedanken trösten, dass sie nicht lange Bestand haben werden. Gott selbst wird die Sache seiner Wahrheit verteidigen. Früher oder später wird jede Irrlehre »ausgerissen werden«. Wir sollen nicht mit fleischlichen Waffen kämpfen, sondern warten, predigen, protestieren und beten. Früher oder später, sagte Wycliffe, »wird die Wahrheit obsiegen«.

Das Herz des Menschen

Was das Herz des Menschen betrifft, erklärt unser Herr in diesen Versen, dass es die wahre Quelle aller Sünde und Verunreinigung ist. Die Pharisäer lehrten, dass die Heiligkeit von Speisen und Getränken von körperlichen Waschungen und Reinigungsriten abhing. Sie meinten, dass alle, die ihre Traditionen in diesen Dingen befolgten, vor Gott rein und sauber seien, und dass alle, die diese Traditionen vernachlässigten, unrein und unrein seien. Unser Herr verwarf diese elende Lehre, indem er seinen Jüngern zeigte, dass die wahre Quelle aller Verunreinigungen nicht außerhalb des Menschen liegt, sondern in seinem Inneren: »Aus dem Herzen«, sagte er, »kommen hervor böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsche Zeugnisse; diese Dinge sind es, die den Menschen verunreinigen«. Wer Gott recht dienen will, braucht etwas viel Wichtigeres als körperliche Waschungen: Er muss danach streben, »ein reines Herz« zu haben.

Was für ein schreckliches Bild des menschlichen Wesens haben wir hier vor uns! Und es wurde auch noch von jemand gezeichnet, der genau wusste, was im Menschen ist. Was für ein furchtbares Verzeichnis ist das davon, was in unserer eigenen Brust steckt! Welch traurige Liste von Samen des Bösen hat unser Herr aufgedeckt, die tief in jedem von uns liegen und jederzeit bereit sind, ins aktive Leben zu treten! Was können die Stolzen und Selbstgerechten sagen, wenn sie eine solche Stelle wie diese lesen? Hier skizziert der Herr nicht das Herzen eines Räubers oder Mörders, sondern berichtet wahr und getreu über die Herzen aller Menschen. Möge Gott uns gewähren, dass wir gut darüber nachdenken und weise werden!

Lasst es uns zu einem festen Vorsatz machen, dass der Zustand unseres Herzens die Hauptsache unseres Glaubenslebens sein soll. Möge es uns nicht genügen, in die Kirche zu gehen und die äußeren Formen der Religion einzuhalten. Lasst uns viel tiefer blicken, als nur so weit, und vielmehr danach trachten, ein »aufrichtiges Herz vor Gott« zu haben (Apostelgeschichte 8,21.) Das rechte Herz ist ein Herz, das mit dem Blut Christi besprengt, durch den Heiligen Geist erneuert und durch den Glauben gereinigt wurde. Lasst uns niemals ruhen, bis wir in uns das Zeugnis des Geistes Gottes darüber finden, dass Gott in uns ein reines Herz geschaffen und alles neu gemacht hat (Psalm 51,10. 2Korinther 5,17).

Schließlich soll es uns fester Vorsatz sein, alle Tage unseres Lebens unser »Herz mehr als alles, was zu bewahren ist« zu behüten (Sprüche 4,23.) Selbst nach der Erneuerung sind unsere Herzen schwach. Selbst nachdem wir den neuen Menschen angezogen haben, sind unsere Herzen trügerisch. Vergessen wir nie, dass unsere größte Gefahr von innen kommt. Die Welt und der Teufel zusammen können uns nicht so viel Schaden zufügen, wie unser eigenes Herz, wenn wir nicht wachen und beten. Glücklich ist, wer sich täglich an die Worte Salomos erinnert: »Wer auf sein Herz vertraut, der ist ein Tor; wer aber in Weisheit wandelt, der wird entkommen« (Sprüche 28,26).

Über den Autor

John Charles Ryle (1816–1900) war war der erste anglikanische Bischof von Liverpool. Er ist inzwischen auch in Deutschland durch seine Bücher Seid heilig (Holiness), Gedanken für junge Männer (Thoughts for young men), Mit Gott auf dem Weg (Walking with God), Die Pflichten der Eltern und Beten Sie? bekannt. Er gilt als einer der größten viktorianischen Evangelikalen. Spurgeon nannte ihn den »besten Mann der Kirche Englands« (unter Verwendung von: https://de.wikipedia.org/wiki/John_Charles_Ryle). – Übersetzt von grace@logikos.club

Literaturverweise

  • Do Not Tolerate False Teaching by J.C. Ryle (im Web hier)
  • 8 Symptoms of False Doctrine von J.C. Ryle (im Web hier)