Welche Gefahren entstehen, wenn wir im Verkündigungsdienst KI nutzen?

»Wir aber werden im Gebet und im Dienst des Wortes verharren« 
(Apostelgeschichte 6:4)

Kaum eine Gabe Gottes kommt ohne Gefahr. Feuer wärmt und zerstört. Sprache segnet und verflucht. Reichtum kann Gutes tun und zugleich Götzen dienen. Und nun schenkt uns Gottes Vorsehung ein neues Werkzeug: Künstliche Intelligenz (KI) – ein Werkzeug, das Texte schreibt, Bibelstellen analysiert und Ratschläge formuliert, ohne jemals zu beten. Die Frage ist also nicht, ob Prediger und Gemeindehirten KI benutzen werden, sondern ob sie die geistlichen Gefahren erkennen, die im Gebrauch von KI liegen.

Die Gefahren sind zahlreich – und sie sind nicht in erster Linie technisch, sondern geistlich. Davon wollen wir in diesem Artikel reden.

1. Die Gefahr des verdrängten Herzens

Die erste und tiefste Gefahr ist, dass ein Gemeindehirte von einer Maschine zu empfangen sucht, was er eigentlich von Gott empfangen soll. Echte Verkündigung wächst im Verborgenen – auf den Knien, nicht auf der Tastatur. Paulus sagt: »Denn ich habe es weder von einem Menschen empfangen noch erlernt, sondern durch Offenbarung Jesu Christi« (Galater 1,12).

Ein Verkündiger, der zu schnell zu KI greift, um Ideen, Gliederungen oder Beispiele zu finden, läuft Gefahr, dass sein Herz erkaltet. Das kann dann schreckliche Folgen haben. Denn die Wahrheit Gottes wird nicht durch Informationsdarbietung zur Flamme, sondern durch Ringen im Gebet und durch Gottes Geist, dessen Wort zu durchbohrten Herzen führt (Apostelgeschichte 2,37).

KI kann helfen, Einsicht vorzutäuschen, aber sie kann nicht vor der Heiligkeit Gottes zittern. Sie kann über Gnade sprechen, aber sie hat nie Gnade erlebt. Und so kann ein Prediger beginnen, fremde Worte mit geliehener Leidenschaft zu sprechen – Worte, die der Geist Gottes nie in ihm entzündet hat. Die Lippen mögen sich bewegen, Rhetorik mag aufblitzen und Anekdoten gut unterhalten, doch das Herz brennt nicht mehr dabei. Wer soll dabei warm werden? Wer soll dabei entzündet werden? (Lukas 24,32).

2. Die Gefahr einer hohlen Autorität

Predigen heißt nicht: Informationen vermitteln. Es heißt: göttliche Wahrheit mit Autorität zu bezeugen, um bei den Zuhörern Lebensveränderung auszulösen. Der Apostel Paulus wies Titus an: »Dieses rede und ermahne und überführe mit aller Machtvollkommenheit [a.ü.: mit allem Nachdruck]« (Titus 2,15a). Der Apostel Petrus lehrt: »Wenn jemand redet, so rede er als Aussprüche Gottes; wenn jemand dient, so sei es als aus der Kraft, die Gott darreicht, damit in allem Gott verherrlicht werde durch Jesus Christus« (1.Petrus 4,11). Die Autorität des Predigers ist also nicht zuerst intellektuell, sondern geistlich. Ihre Quelle ist nicht KI, sondern Gott selbst in Seinem Wort.

Wer seine Predigten zunehmend von einer Maschine schreiben lässt, steht vor seiner Gemeinde als Handwerker der Worte – nicht als Botschafter Gottes. Ton und Inhalt mögen eindrucksvoll sein, aber das geistliche Gewicht fehlt. Denn hinter den Worten steht keine persönliche Begegnung mit Christus. Die Zuhörer merken es vielleicht nicht sofort, aber mit der Zeit verliert die Predigt ihren Geschmack – das »So spricht der HErr« wird zu einem »So sagt chatGPT«.

3. Die Gefahr der schleichenden Täuschung

Ein Gemeindehirte könnte sagen: »Ich benutze KI doch nur als Hilfsmittel!« Vielleicht. Doch jedes Werkzeug prägt seinen Benutzer in dem, was er wahrnimmt, was er tut und wie er es tut. Unsere Werkzeuge prägen unsere Kultur.[1]Wenn wir uns daran gewöhnen, Maschinen das Denken zu überlassen, verlieren wir leicht das wache geistliche Unterscheidungsvermögen, das uns befähigt, Wahrheit von Täuschung zu unterscheiden (1.Könige 3,9; 1.Korinther 12:10; Hebräer 5,12–14).

Die Schlange im Garten brauchte keine neue Lüge zu erfinden – sie musste nur Gottes Wort leicht verdrehen. Ebenso muss KI nicht offensichtlich irren, um zu täuschen. Es genügt, wenn sie die Übung des geistlichen Prüfens schwächt. Denn wahres Erkennen kommt nicht aus Rechenleistung, sondern aus Erneuerung des Sinnes (Römer 12,2).

Die erste Aufgabe des Predigers ist nicht, schöne Sätze zu produzieren, sondern Wahrheit zu erkennen. Und diese Erkenntnis wächst nicht durch Maschinen, sondern durch Heiligung – durch den Heiligen Geist, der mittels der Heiligen Schrift lehrt, überführt, zurechtweist und praktisch unterweist (2.Timotheus 3,16–17).

4. Die Gefahr einer menschenzentrierten Dienstauffassung

Eine weitere Gefahr liegt im schleichenden Übergang von Gottvertrauen zu Effizienzvertrauen. KI verspricht Zeitersparnis, Stil und Relevanz. Aber Reich-Gottes-Arbeit ist nie effizient. Der Same wächst verborgen. Der Wind des Geistes weht, wo er will.

Wenn ein Gemeindehirte anfängt, Erfolg in Reichweite und Ästhetik zu messen, verliert er leicht das Ziel aus den Augen: Buße und Glaube. Paulus sagte: »[M]eine Rede und meine Predigt war nicht in überredenden Worten der Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, damit euer Glaube nicht auf Menschenweisheit beruhe, sondern auf Gottes Kraft« (1.Korinther 2,4).

Diese Kraft entsteht nicht durch Algorithmen, sondern durch Schwachheit, die Gott sucht. Ein Computer kann nicht sterben oder auferstehen, ist nicht vom Heiligen Geist bewohnt und beseelt – und darum kann er auch keine Auferstehungskraft vermitteln. Konservennahrung kann man rasch zusammenstellen und »fast« verabreichen – aber sie ist fürs Pflanzen, Reifen und Ernten völlig ungeeignet.

5. Die Gefahr eines verkümmerten Gebetslebens

Wo Technik blüht, verdorrt oft das Gebet. Wenn man in dreißig Sekunden bekommt, was früher drei Stunden Gebet und Arbeit kostete, erscheint Beten plötzlich ineffizient. Aber Beten war nie effizient – es ist Ausdruck der Abhängigkeit.

Jesus hätte Steine in Brot verwandeln können, doch Er wählte den Hunger – um dem Vater gehorsam zu bleiben. Ebenso muss ein Gemeindehirte bereit sein, Mühe und Langsamkeit zu ertragen, damit sein Herz hungrig nach Gott bleibt.

Jede Predigt, die ohne Gebet entsteht, ist ein Haus auf Sand. Worte mögen stehen, bis der Sturm kommt – dann fällt das Ganze in sich zusammen. KI kann Gliederungen liefern, aber nur der Geist kann Salbung schenken. Und die Salbung des Heiligen Geistes zerbricht Herzen – nicht clevere oder philosophisch anspruchsvolle Formulierungen.

6. Die Gefahr, die Stimme des Hirten zu verlieren

Ein Gemeindehirte (Ältester) ist nicht nur Lehrer, sondern auch Hirte (Epheser 4,11). Er muss sein Volk kennen – ihre Schmerzen, Versuchungen, Freuden. KI kann Daten auswerten, aber sie kann keine Tränen sehen. Sie kann Statistiken lesen, aber keine Herzen tragen. Sie kann Unmengen von theologischen Artikeln und Predigten lesen, wird aber kein Tröpfchen Heiligen Geist haben.

Die Stimme des Hirten hat Autorität, weil sie Wahrheit in Liebe vermittelt (Epheser 4,15). Und Liebe lässt sich nicht automatisieren. Wenn Prediger ihre Worte auslagern, wird ihre Stimme irgendwann fremd. Und Jesus sagt: »[D]ie Schafe folgen ihm, weil sie seine Stimme kennen. Einem Fremden aber werden sie nicht folgen, sondern werden vor ihm fliehen, weil sie die Stimme der Fremden nicht kennen« (Johannes 10,4–5). KI kann die Stimme eines guten Hirten nur nachäffen, sogar täuschend ähnlich (was die Schlange im Garten Eden auch konnte), aber nicht aus der Wahrheit im Herzen erzeugen.

7. Die Gefahr, das Kreuz zu vergessen

Am Ende liegt unter allen Gefahren diese: KI kann nicht bluten. Sie kann keine Last tragen. Sie kann kein Kreuz aufnehmen. Wahre Verkündigung fließt aus den Wunden des Gekreuzigten – durch die Wunden seiner Diener. »Daher wirkt der Tod in uns, das Leben aber in euch« (2.Korinther 4,12).

Wenn ein Gemeindehirte oder Prediger sich zu sehr auf KI verlässt, trennt er die Botschaft vom Kreuz von der Lebensweise des Kreuzes. Das Evangelium mag noch auf seinen Lippen liegen, aber nicht mehr in seinem Leben. Und wo das Kreuz nicht mehr Form und Inhalt unseres Lebens und Predigens prägt, verliert das Evangelium seine überzeugende Kraft (1.Thessalonicher 1,5–10; 2.Korinther 5,11).

8. Ein nachahmenswertes Vorbild

Esra hat uns ein nachahmenswertes Vorbild für alle Verkündiger hinterlassen: »Denn Esra hatte sein Herz darauf gerichtet, das Gesetz Jahwes zu erforschen und zu tun und in Israel Satzung und Recht zu lehren.« (Esra 7,10). Verkündigung fängt mit der rechten Herzenseinstellung an, geht zum Wort Gottes, um es intensiv (im Detail) und extensiv (in Gänze) zu studieren (vgl. Psalm 1,2), es dann aufs eigene Denken und Tun fruchtbringend anzuwenden und schließlich entsprechend gereift (»ergriffen«) und »begriffen« es lehrend auf die Herzen des Volkes Gottes zu legen als »Wort des Herrn«.

Darum, liebe Mitbrüder im Verkündigungsdienst:
Lasst uns die Werkzeuge unserer Zeit nicht verachten – aber lasst uns sie mit heiliger Wachsamkeit gebrauchen. Nutze sie, wenn du musst, aber gib ihnen nicht dein Herz.

Tausche niemals die Flamme göttlicher Offenbarung gegen das Flimmern digitaler Inspiration. Wenn der Geist Gottes einen Menschen erfüllt, wird sogar seine Schwachheit zur Stärke (1.Korinther 2,3–5). Aber wenn ein Mensch auf eine Maschine vertraut, wird selbst seine Stärke hohl.

Besser ein zitternder Prediger mit Bibel und Gebet – als eine gefällig-elegante Predigt ohne Seele.

Quellen & Disclaimer

Dieser Artikel wurde u.a. angeregt durch einen (englischsprachigen) Interview-Beitrag mit John Piper: Should I Use AI to Help Me Write Sermons? (24.02.2025). Onlinequelle: https://www.desiringgod.org/interviews/should-i-use-ai-to-help-me-write-sermons [10.10.2025].

Lesenswert auch der (englischsprachige) Artikel von Abner Chou, Präsident von The Master’s University and Seminary: Biblical Wisdom on Artificial Intelligence (28.10.2023). Onlinequelle: https://www.math3ma.institute/journal/jan2025-chou [10.10.2025].


[1]            Der kanadische Medientheoretiker Marshall McLuhan (1911–1980) schrieb sinngemäß: »We shape our tools and thereafter our tools shape us.« (»Wir formen unsere Werkzeuge, und danach formen unsere Werkzeuge uns.«). Neil Postman (1931–2003), ein Schüler McLuhans, hat den Gedanken weitergeführt: »Every technology carries with it a philosophy, a bias, a way of being in the world.« ((»Jede Technologie bringt eine Philosophie mit sich, eine Tendenz, eine bestimmte Art, in der Welt zu sein.«). Beide beobachteten, dass insbesondere neue, gehypte Technologien die Tendenz haben, die eigentliche Botschaft in den Hintergrund zu drängen und sich dafür selbst in den Vordergrund zu stellen: Das Medium selbst wird zur Botschaft (McLuhan, The Medium Is the Massage, 1967; das Buch wurde absichtlich mit diesem Druckfehler im Titel verkauft!).

Deus spes nostra est – Gott ist unsere Hoffnung

Gestern entdeckte ich einen alten Metallknopf, der wohl einmal an einem alpenländischen Janker hing, den ich als Kind getragen hatte. Die Mitte dieses kreisrunden Knopfes ziert ein (Reichs-)Adler, wie man ihn überall als Wappentier sehen kann. Das Besondere ist: Rings herum steht in Großbuchstaben: »DEUS SPES NOSTRA EST«. Das hat mich neugierig gemacht: Wie gerät eine solche Glaubensaussage auf einen Knopf einer einfachen Trachtenjacke?

Und siehe da: Der Knopf ist ein (reproduziertes) Relikt aus jener Zeit und Gegend, wo der christliche Glaube allgemeines, öffentliches Gut und alltägliche Selbstverständlichkeit einer Gesellschaft war. So findet man diesen Spruch (u.a.) als Hoffnungs-Wahlspruch im Schaffhausener Standeswappen. So berichtet es der Jahresbericht des Schweizerischen Landesmuseums von 1896 auf Seite 116. Es war seit dem ausgehenden Mittelalter in der Eidgenossenschaft üblich, im Stadt- und Standeswappen Glaubenssätze und Bekenntnisse des christlichen Glaubens zu zeigen, nur wenige Kantone verzichteten darauf. Auch auf Münzen fanden diese Sätze Verbreitung (s. Abb. unten) und wurden so ubiquitäres Allgemeingut. Einzig das eidgenössische Wappen wurde eingefasst mit den Worten: »Einer für Alle, Alle für Einen« in Deutsch, Französisch und Italienisch, dem inoffiziellen nationalen Motto der Schweiz, das den bundesgenossenschaftlichen Zusammenhalt ausdrückt und am Bundeshaus in Bern eingemeißelt steht. Die einzelnen Wahlsprüche der Kantone lauten:

Kanton

Wahlspruch

Übersetzung ins Deutsche

Zürich 

Domine conserva nos in pace

Herr, erhalte uns in Frieden

Bern 

Deus providebit

Gott wird sorgen

Luzern 

Dominus illuminatio mea

Der Herr ist mein Licht

Uri 

Soli Deo gloria

Allein Gott die Ehre

Schwyz 

Turris fortissima nomen Domini

Der Name des Herrn ist ein starker Turm

Obwalden 

Dilexit Dominus decorem justitiae

Der Herr liebt die Zierde der Gerechtigkeit

Nidwalden 

Pro fide et patria

Für Glaube und Vaterland

Zug 

Cum his qui oderant pacem eram pacificus

Mit denen, die Frieden hassen, war ich friedlich

Freiburg 

Esto nobis Domine turris fortitudinis a facie inimici

Sei uns, Herr, ein starker Turm gegen den Feind

Solothurn 

Cuncta per Deum

Alles durch Gott

Baselstadt 

Domine conserva nos in pace

Herr, erhalte uns in Frieden

Schaffhausen 

Deus spes nostra est

Gott ist unsere Hoffnung

Appenzell I.Rh.

Super omnia libertas

Freiheit über alles

Appenzell A.Rh.

Jedem das Seinige

 

Graubünden 

Hie alt fry Rhätia

Hier altes freies Rätien

Waadt 

Liberté et patrie

Freiheit und Vaterland

Wallis 

Soli Deo gloria

Allein Gott die Ehre

Genf 

Post tenebras lux

Nach der Dunkelheit das Licht

Der Kanton Schaffhausen trug seinen Wahlspruch ganz bewusst durch die Jahrhunderte. Der Wappenexperte (Heraldiker) Adolphe Gautier schrieb in seinem Wappenbuch der Schweizer Kantone 1878 folgendes fest: «La devise de Schaffhouse est: Deus spes nostra est. Elle est beaucoup plus usitée que toutes celles que nous avons vues jusqui’ici« (Adolphe Gautier, Les armoiries et les couleurs de la Confédération et des Cantons Suisses, Genève et Bâle, 1878, S. 82. Verdeutscht: »Der Wahlspruch von Schaffhausen lautet: Deus spes nostra est. Er wird viel häufiger verwendet als alle anderen, die wir bisher gesehen haben«.).

Auch auf Münzen wurde der schöne Denkspruch verwendet. So wird berichtet, dass er schon 1550 auf einem Thaler zu finden war, und seitdem auf beinahe allen Schaffhausener Münzen: Halb- und Viertelthaler (gleichwertig zum Viertelthaler: der Örter = ein Viertelgulden), Batzen (4 Kreuzer) und Kreuzer (1 Gulden = 60 Kreuzer). Dies war üblich bis letztmalig 1677.

Vorher war der Spruch »O rex gloriæ Christe veni cum pace« (»O König der Herrlichkeit, Christus, komm mit Frieden«) üblich gewesen, ein traditioneller liturgischer Ruf, der aber nach der Reformation nicht mehr verwendet wurde. Der neue Spruch war auf Deutsch schon in Konstanz verwendet worden auf dem sog. »Konstanzer Reformationsthaler«: »Got ist unser aller Hail und Hofnung« (1537–1541). Weil Münzen natürlich in aller Hand waren, fand der aufgeprägte Spruch weite Verbreitung und wurde im Lauf der Zeit zum offiziellen Schaffhauser Wahlspruch.

Nebst auf Münzen wurde der Wahlspruch von der Hoffnung in Gott auch auf anderen öffentlichen Gegenständen und Gebäuden angebracht, wie Glocken, öffentliche Gebäude, Deckengemälde (vor allem in Kirchen), Standarten, Schiffe (z.B. beim ersten Raddampfschiff »Stadt Schaffhausen«, das 1851–1892 fuhr) u.Ä. Auch in anderen christlichen Ländern sind noch Spuren davon zu finden. So findet man den Sinnspruch »In te Domine speravi« (»Auf Dich, o Herr, habe ich gehofft«; aus Psalm 31,2; 71,1) über den beiden Portalen des Hochtor-Tunnels auf der Scheitelstrecke der Großglockner Hochalpenstraße, auf 2.504 Metern Seehöhe, an der Grenze zwischen Salzburg und Kärnten.

Leider ist sowohl der Denkspruch als auch der lebendige christliche Glaube, der ihn zeitigte und ihn in der Lebensrealität der Menschen verankerte, verblasst und fast in Vergessenheit geraten. Nur gelegentlich wird der Denkspruch von der wahren Hoffnung des Menschen bei Reden, in Chroniken oder kirchlichen Veranstaltungen wieder hervorgeholt. Die Reformation –und mit ihr die im absolut Guten, Gott,– verankerten Güter Glaube, Wahrheit, Freiheit, Solidarität, Nächstenliebe, Erlösung und Verantwortung vor Gott– hat scheinbar die abendländische Welt längst verlassen.

Und in der Bundesrepublik Deutschland

Im (anderen) »Land der Reformation«, Deutschland, gab es in den letzten Jahren heftige Debatten um die weithin sichtbare Inschrift an der Außenseite der restaurierten Kuppel des Berliner Schlosses. Da steht in goldenen Lettern zu lesen: »Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.« Dies ist ein Text, der aus den neutestamentlichen Bibelversen Apostelgeschichte 4,12 und Philipperbrief 2,10 zusammengesetzt wurde. König Friedrich Wilhelm IV. hatte ihn für die 1845 bis 1854 durch den Architekten Friedrich August Stüler errichtete Kuppelkonstruktion über der Westfassade von Schlüters barockem Schlossbau, der preußischen Residenz in Berlin, vorgegeben. Das Haupt der Kuppel ziert ein großes goldenes Kreuz.

© dpa / Bernd von Jutrczenka

Im Schloss ist heute nach der Rekonstruktion das »Humboldt Forum« beheimatet, das einen Ort für den Dialog der Weltkulturen bieten will. Wie verträgt sich das mit den klaren, positiven Aussagen des Evangeliums Gottes? Es wundert fast nicht, dass Claudia Roth (*1955; Bündnis 90/Die Grünen), Staatsministerin beim Bundeskanzler von 2021 bis 2025 und Beauftragte der Bundesregierung der BRD für Kultur und Medien, an vorderster Front der ablehnenden Kritiker stand. Klare christliche Aussagen, sogar zentrale Inhalte der »Guten Botschaft« (Evangelium) aus berufener Quelle, den christlichen Aposteln Petrus und Paulus, dürfen nicht mehr Teil der öffentlichen Kultur der BRD sein. Zumindest müssen sie »kontextualisiert« werden, was hier offenbar bedeutet, dass die »frohe Botschaft Gottes« an alle Menschen umgedeutet und eingegrenzt wird auf die angeblich rein politische Absicht dieser Verse und deren symbolhaften, öffentlichen Anbringung durch den damaligen Monarchen. Das ist ärmlich und verarmend.

Und es ist kindisch-leugnend, wie der sprichwörtliche Vogel Strauß. Diese Inschrift gehört zur deutschen Geschichte. Definitiv. Man mag gerne die Intention des Preußenkönigs zur Anbringung dieser Bibelverse »kontextualisieren«, aber nur Dummen oder Geblendeten kann man unterjubeln, dass damit auch die ewige Rettungskraft und Wahrheit dieses Gotteswortes in Frage gestellt worden sei. Mögen der Bote und der Anlass auch zurecht kritikwürdig sein, was da nach sozialistischem Raubbau und ideologischer Selbstverherrlichung jetzt wieder steht, ist über Politik, Kultur und Zeit erhaben gültig, denn der Autor ist der Schöpfer-Gott, der sich uns Menschen in Jesus Christus als Retter-Gott nahte und noch nahe ist. (Ja, Jesus, der Gesalbte, war kein Preuße, sondern »Retter der Welt«; Johannes 4,42.) Wird dieser Retter-Gott aus Politik und Kultur (und Glaube!) der Gesellschaft verdrängt, bleiben am Ende nur noch die Heilsversprechen der Politiker, der Ideologen und der Sekten. Leugnet eine Gemeinschaft Gott, oder –gleichwertig– macht ihn beliebig, macht sich diese Gesellschaft selbst zu Gott, zum letzten Ziel, Sinn und Wert. Die Bibel bezeichnet solche selbstgewählte Verblendung krass und richtig als »Torheit« (Psalm 14). Glaubende Christen jedoch wissen um diese Problematik und beten daher inständig und anhaltend für ihr Volk und dessen Repräsentanten zu Dem, der alle Macht hat und alle Ehre gebührt (1.Timotheus 2,1–7).

Nachdem die Entfernung des Spruches als offensichtliche Geschichtsklitterung und Denkmalszerstörung zurückgewiesen wurde, befürwortete Frau StM’in Claudia Roth, die auch Vorsitzende des Stiftungsrates des Humboldt Forums ist, Kunstprojekte, die die Texte nachts in LED-Technik mit alternativen, kommentierenden und reflektierenden Laufschrifttexten (z.B. aus dem Grundgesetz oder der Menschenrechtserklärung) überstrahlen sollten. Die Stiftung Humboldt Forum distanziert sich mit Tafeln von der ursprünglichen Botschaft des Kuppeltextes: »Alle Institutionen im Humboldt Forum distanzieren sich ausdrücklich von dem Allgemeingültigkeits- und Herrschaftsanspruch des Christentums.« Als »Kunstprojekt« inszeniert sollen anstatt der »Guten Nachricht« von Gott Werte des Humanismus und des Menschen leuchtend sichtbar werden. Dies wiederum empörte etliche Rekonstruktionsbefürworter und Spender. Der Vorsitzende des »Förderverein Berliner Schloss«, der über 100 Mio. Euro Spendengelder für die rekonstruierte Barockfassade gesammelt hat, nannte die Pläne, die Inschrift abändern zu wollen, »einen kulturellen Bruch, wie wir ihn in unserer Geschichte noch nie hatten – die Herrschaft der Säkularisierung über unsere zweitausend Jahre alten Wurzeln im Christentum«. So hören wir lautstark und manchmal schrill die Stimmen der Politik, der Kultur und des Zeitgeists. Aber wo war die Stimme der Gemeinde Jesu Christi?

Der Kunsthistoriker Peter Stephan versuchte, die Rauchschwaden der oft entrüsteten und verdrehten Debatte wegzupusten. Er schrieb, dass die Schlosskuppel vielmehr der Abgrenzung gegen Cäsarenwahn und absolutistische Herrschaftsansprüche diene. König Friedrich Wilhelm IV. hätte darin zum Ausdruck bringen wollen, dass kein Herrscher und kein Staat sich als Heilsbringer betrachten solle. Die Preußen sollten nicht vor ihrem König, sondern gemeinsam mit ihm vor Gott niederfallen. Das ist durchaus bedenkenswert in einer Zeit, wo immer wieder Politiker mit Anwandlungen politischer Allmacht letztlich infrage stellen, dass nicht Cäsar, sondern Christus, das Haupt der Gemeinde Gottes und Schöpfer und Gebieter jedes Menschen ist. Auch jedes Politikers. Daher beten glaubende Christen auch explizit für sie vor Dem Höchsten. Denn dort ist allein Hoffnung zu finden für alle Fragen, deren Beantwortung und Bewältigung der Mensch offenbar nicht mächtig ist.

Fazit

Die Säkularisierung und Wendung zu Naturreligionen und zur gottlosen Zivilreligion (s. klassisch bei Jean-Jacques Rousseau, Du contrat social, 1762; vgl. kontemporär bei Robert N. Bellah, Civil Religion in America, 1967) ist weit vorangeschritten. Der Baum der Völker versucht, ohne glaubensstarke Wurzeln in Gott den globalen Stürmen zu trotzen. Er wird fallen (Daniel 4,6ff). Dauerhafter Friede wird erst dann kommen, wenn anerkannt wird, »dass die Himmel [=der Schöpfer-Gott] herrschen.« (Daniel 4,23b). Er wird kommen. Genau so, wie Er gesagt hat.

Egal, wie säkularisiert unser Denken und Glauben wird; egal, welche Machtphantasien ideologisch und pseudo-religiös verklärt mit massenmedialem Nachdruck verbreitet werden; egal, wie sehr die Nationen toben und die Völkerschaftes Eitles [=Nichtiges, Hohles, Leeres] sinnen (Psalm 2): Der Gläubige blickt wie seit Jahrtausenden auch heute auf und weiß: »Deus spes nostra est!«: »Es ist in keinem andern Heil … denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters.« »Glückselig alle, die zu ihm Zuflucht nehmen!« (Psalm 2,12).

Ich erhebe meine Augen zu den Bergen:
Woher wird meine Hilfe kommen?
Meine Hilfe kommt von dem Ewigen,
der Himmel und Erde gemacht hat.

(Psalm 121,1–2)

Thaler der Stadt Schaffhausen (1620-1624)
Auf der Rückseite ist deutlich zu lesen: “DEVS SPES NOSTRA EST”. Silbermünze, groß, mit dem doppelköpfigen Reichsadler.

Dicken der Stadt Schaffhausen (1631)
Auch diese Münze trägt auf der Rückseite “DEVS SPES NOSTRA EST”. Der »Dicken« ist eine kleinere Silbermünze (in Schaffhausen etwa 1/5 eines Thalers).

Gottes Sohn | Ein Gedichtentwurf

1. Gottes Sohn! Die Seel’ erbebet,
Schauend Deines Antlitz’ Licht;
Vaters Lieb’ es wiedergebet:
O welch heller Strahlen Sicht!
Deine Allmacht, Deine Weisheit
Preist die Schöpfung, preist der Sinn.
Himmel, Erde künden allzeit:
Du bist Jahwe, der „ICH BIN“! 
2. Gottes Sohn! Wer kann erschätzen
Deine Wonn’ im Vaterhaus,
Ew’ge Freude, nah am Herzen,
Eins mit Ihm im Lichtgebraus.
Welche Liebe, welch Erbarmen,
Dass Du rettest Abra’ms Stamm!
Wurdest Mensch, kamst zu uns Armen,
Um zu sterben, Gottes Lamm! 
3. Gottes Sohn! Wir sehn Dich liegen:
Kleines Kind im Futterstall,
Wie ein Fremdling, arm, vertrieben,
wurdest Nächster von uns all’.
Wenn wir sehn Dich in dem Garten
Blutgeschwitzt in tiefer Not,
Strahlt die Gnad, nach langem Warten,
endlich hell im Sohn, o Gott! 
4. Gottes Lamm! Wir sehn Dich hängen,
Festgenagelt an dem Holz,
Folgend Deiner Liebe Drängen
Sühntest Du für Adams Stolz.
Wurdest Opfer für die Deinen,
Gabst für sie Dein teures Blut.
Ewig Dank und Ruhm in Reimen
erschalle Dir in Liebesglut! 
5. Gottes Sohn! einst für uns sterbend,
Du wirst kommen auf die Erd’.
Alle Feinde werden bebend
Anerkennen Deinen Wert.
Dann versammelst Du die Deinen:
Neue Erde, Friedensort.
Lob wird schallen, all die Seinen
Jubeln, preisen immerfort! 

Gedichtentwurf im altem kirchlichen Stil und Metrum 8-7-8-7-8-7-8-7 von grace@logikos.club | September 2025.

Nachsatz zur Selbsterkenntnis: Das Schreiben solcher Texte sollte Menschen vorbehalten bleiben, die von Gott mit entsprechenden Gaben ausgestattet wurden. Umso mehr schätzen wir deren Werke, mit denen wir Gott in besonderer Weise unser Lob und unseren Dank zum Ausdruck bringen können. Und was wäre ein gutes Gedicht, wenn es nicht mit passender Musik veredelt die Seele vor Gott auf Schwingen des Glücks erhebe?

Die Danvers-Erklärung zum biblischen Verständnis von Mann und Frau

Die Danvers-Erklärung fasst zusammen, warum das Council on Biblical Manhood and Womanhood (CBMW) gegründet wurde und gibt einen Überblick über dessen Grundüberzeugungen. Diese Erklärung wurde von mehreren evangelikalen Führern bei einem CBMW-Treffen in Danvers, Massachusetts, im Dezember 1987 ausgearbeitet. Sie wurde erstmals im November 1988 vom CBMW in Wheaton, Illinois, in ihrer endgültigen Form veröffentlicht. – Wir (logikos@club) finden diese Erklärung hilfreich für die sachlich-biblische Erörterung des Mit- und Füreinanders der Geschlechter zur Ehre Gottes und zum Nutzen der Menschen, insbesondere unserer Kinder.

Warum es diese Erklärung gibt

Wir wurden in unserem Vorhaben durch die folgenden aktuellen Entwicklungen bewegt, die wir mit großer Sorge beobachten:

  1. Die weit verbreitete Unsicherheit und Verwirrung in unserer Kultur hinsichtlich der komplementären Unterschiede zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit;
  2. die tragischen Auswirkungen dieser Verwirrung auf die Auflösung des von Gott gewebten Gefüges der Ehe aus den schönen und vielfältigen Besonderheiten von Männlichkeit und Weiblichkeit;
  3. die zunehmende Förderung des feministischen Egalitarismus mit den damit einhergehenden Verzerrungen oder der Vernachlässigung der in der Schrift dargestellten freudigen Harmonie zwischen der liebevollen, demütigen Führung erlöster Ehemänner und der intelligenten, bereitwilligen Unterstützung dieser Führung durch erlöste Ehefrauen;
  4. die weit verbreitete Unsicherheit in der Bewertung der Mutterschaft, der Berufung als vollzeitliche Hausfrau und der vielen geistlichen Dienste, die historisch von Frauen ausgeübt wurden;
  5. die zunehmenden Forderungen nach Legitimität für sexuelle Beziehungen, die biblisch und historisch als unzulässig oder pervers angesehen wurden, und die Zunahme pornografischer Darstellungen der menschlichen Sexualität;
  6. die Zunahme körperlichen und emotionalen Missbrauchs in der Familie;
  7. das Aufkommen von Rollen für Männer und Frauen in der Gemeindeleitung, die nicht mit der biblischen Lehre übereinstimmen, sondern sich als Bumerang erweisen und das biblisch christliche Zeugnis lähmen;
  8. die zunehmende Vorherrschaft und Akzeptanz hermeneutischer Auswüchse, die dazu dienen sollen, die offensichtliche und klare Bedeutung biblischer Texte umzudeuten;
  9. die Bedrohung der Autorität der Bibel, da die Klarheit der Schrift und die Zugänglichkeit ihrer Bedeutung für normale (nicht theologisch gebildete) Christen in Frage gestellt und ihre Deutung sogenannten professionellen Theologen vorbehalten wird;
  10. und hinter all dem die offensichtliche Anpassung eines Teils der Kirche an den Zeitgeist unter Preisgabe einer gewinnenden, radikalen biblischen Authentizität, die in der Kraft des Heiligen Geistes unsere kranke Kultur reformieren und nicht sie kritiklos widerspiegeln sollte.

Der Zweck dieser Erklärung

In Anerkennung unserer eigenen verbliebenen Sündhaftigkeit und Fehlbarkeit und in Anerkennung der evangelikalen Einstellung vieler, die nicht mit allen unseren Überzeugungen übereinstimmen, aber dennoch bewegt werden von den vorstehenden Beobachtungen, sowie in der Hoffnung, dass die noble biblische Lehre der Komplementarität der Geschlechter doch noch den Verstand und das Herz der Kirche Christi gewinnen möge, verpflichten wir uns, die folgenden Ziele zu verfolgen:

  1. Die biblische Sicht der Beziehung zwischen Mann und Frau, insbesondere in der Familie und in der Gemeinde, zu studieren und darzulegen.
  2. Die Veröffentlichung von wissenschaftlichen und allgemeinverständlichen Materialien zu fördern, die diese Sichtweise vertreten.
  3. Das Vertrauen der Nichttheologen unter den Christen zu stärken, die Lehre der Schrift selbst zu studieren und zu verstehen, insbesondere in Bezug auf die Frage, wie Männer und Frauen zueinander in Beziehung stehen.
  4. Die überlegte und sensible Anwendung dieser biblischen Sichtweise in den jeweiligen Lebensbereichen zu fördern.
  5. Und dadurch
    • Heilung für Menschen und Beziehungen zu bringen, die durch ein unzureichendes Verständnis von Gottes Willen in Bezug auf Männlichkeit und Weiblichkeit verletzt wurden,
    • sowohl Männern als auch Frauen zu helfen, ihr volles Potenzial im Dienst zu entfalten, indem sie ihre von Gott gegebenen Rollen wirklich verstehen und ausüben, 
    • und die Verbreitung des Evangeliums unter allen Völkern zu fördern, indem wir eine biblische Ganzheitlichkeit in Beziehungen pflegen, die eine zerbrochene Welt anziehen wird.

    Was diese Erklärung ausdrücklich als biblisch geboten festhält

    Auf der Grundlage unseres Verständnisses der biblischen Lehre bekennen wir Folgendes:

    1. Sowohl Adam als auch Eva wurden nach Gottes Ebenbild geschaffen, sind vor Gott als Personen gleichwertig und unterscheiden sich in ihrer Männlichkeit und Weiblichkeit (1. Mose 1,26–27, 2,18). [Ontologische Gleichwertigkeit bei funktionaler Differenziertheit]
    2. Die Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Rollen sind von Gott als Teil der Schöpfungsordnung festgelegt und sollten in jedem menschlichen Herzen Widerhall finden (1. Mose  2,18, 21–24; 1. Korinther 11,7–9; 1. Timotheus 2,12–14).
    3. Adams Vorrangstellung (Hauptschaft) in der Ehe wurde von Gott vor dem Sündenfall festgelegt und war nicht eine Folge der Sünde (1. Mose 2,16–18, 21–24, 3,1–13; 1. Korinther 11,7–9).
    4. Der Sündenfall führte zu Verzerrungen in den Beziehungen zwischen Männern und Frauen (1. Mose 3,1–7, 12, 16):
      • In der Familie wird die liebevolle, demütige Vorrangstellung des Mannes oft durch Dominanz oder Passivität ersetzt; die bewusste, bereitwillige Unterordnung der Frau wird oft durch Usurpation oder sklavischer Unterwürfigkeit ersetzt.
      • In der Kirche neigt die Sünde Männer dazu, nach weltlicher Macht zu streben oder sich ihrer geistlichen Verantwortung zu entziehen, und Frauen dazu, sich gegen Einschränkungen ihrer Rolle zu wehren oder ihre Gaben in ihnen geeigneten Diensten zu vernachlässigen.
    5. Sowohl das Alte Testament als auch das Neue Testament zeigen, dass Gott den Rollen von Männern und Frauen den gleichen hohen Wert und die gleiche Würde beimisst (1. Mose 1,26–27, 2,18; Galater 3,28). Sowohl das Alte als auch das Neue Testament bekräftigen das Prinzip der männlichen Leiterschaft (Letztverantwortung) in der Familie und in der christlichen Gemeinde (1. Mose 2,18; Epheser 5,21–33; Kolosser 3,18–19; 1. Timotheus 2,11–15).
    6. Die Erlösung in Christus zielt darauf ab, die durch den Fluch verursachten Verzerrungen zu beseitigen:
      • In der Familie sollten Ehemänner schroffe oder egoistische Führungsweisen aufgeben und wachsen in Liebe und Fürsorge für ihre Frauen; Ehefrauen sollten den Widerstand gegen die Autorität ihrer Ehemänner aufgeben und wachsen in bereitwilliger, freudiger Unterordnung unter die Führung ihrer Ehemänner (Epheser 5,21–33; Kolosser 3,18–19; Titus 2,3–5; 1. Petrus 3,1–7).
      • In der christlichen Gemeinde gibt die Erlösung in Christus Männern und Frauen einen gleichen Anteil an allen Segnungen der Erlösung; dennoch sind einige Leitungs- und Lehraufgaben innerhalb der Gemeinde auf Männer beschränkt (Galater 3,28; 1. Korinther 11,2–16; 1. Timotheus 2,11–15).
    7. In allen Lebensbereichen ist Christus die höchste Autorität und der höchste Führer für Männer und Frauen, sodass keine irdische Unterordnung – sei es im häuslichen, religiösen oder zivilen Bereich – jemals die Verpflichtung beinhaltet, einer menschlichen Autorität in die Sünde zu folgen (Daniel 3,10–18; Apostelgeschichte 4,19–20, 5,27–29; 1. Petrus 3,1–2).
    8. Weder Männer noch Frauen sollte ein ggf. tief empfundenes Gefühl der Berufung zu einem christlichen Dienst dazu verführen, biblische Kriterien für bestimmte Dienste außer Acht zu lassen (1. Timotheus 2,11–15, 3,1–13; Titus 1,5–9). Vielmehr sollte die biblische Lehre die höchste Autorität sein, anhand derer wir unser subjektives Erkennen des Willens Gottes prüfen.
    9. Angesichts der Tatsache, dass die Hälfte der Weltbevölkerung nicht durch einheimische Evangelisierung erreicht werden kann und dass es auch in den Gesellschaften, die das Evangelium gehört haben, viele verlorene Menschen gibt, und angesichts der Lasten und Leiden wegen Krankheit, Unterernährung, Obdachlosigkeit, Analphabetismus, Unwissenheit, Altern, Sucht, Kriminalität, Inhaftierung, Neurosen und Einsamkeit muss kein Mann und keine Frau, die von Gott die Leidenschaft verspüren, seine Gnade in Wort und Tat bekannt zu machen, jemals ohne einen erfüllenden Dienst zur Ehre Christi und zum Wohl dieser gefallenen Welt leben (1. Korinther 12,7–21).
    10. Wir sind überzeugt, dass die Ablehnung oder Vernachlässigung dieser Prinzipien zu zunehmend zerstörerischen Folgen in unseren Familien, unseren Gemeinden und der Gesellschaftkultur insgesamt führen wird.

    Quelle und Referenz: https://cbmw.org/about/the-danvers-statement/ (eigene Übers. durch grace@logikos.club)

    Jesus Christus herrscht als König! (Psalm 2)

    Einleitung

    Weltpolitische Mächte versuchen beständig, Frieden und Sicherheit herzustellen. Der Völkerbund und dann die UN wurden gegründet, um Frieden auf Erden herzustellen und zu sichern. Doch gab es kein Jahr ihres Bestehens ohne kriegerische Auseinandersetzungen. Auch aktuell versuchen Machtmenschen, ihre Reiche zu sichern und auszubauen. Dabei scheint es ihnen egal zu sein, wie viele Menschenleben und Vermögenswerte das kostet. Andere wollen mit Macht Friedensnobelpreisträger werden. 

    Die meisten Menschen sehnen sich nach Frieden und Sicherheit. Dieses Urverlangen nutzen Machtmenschen aller Couleur unverschämt in ihrer Propaganda aus. Eines Tages wird ein »starker Mann« den Weltfrieden ausrufen. Die Heilige Schrift warnt jedoch:

    »Wenn sie sagen: Friede und Sicherheit!, dann kommt ein plötzliches Verderben über sie …« (1. Thessalonicher 5,3).

    Bibelleser wissen: Nur Jesus Christus bringt bleibenden Frieden, denn Gott hat Ihn bereits eingesetzt als den König der Könige (=der oberste König). Wohl dem, der Gotteskind – Königskind!– ist. Es lebt zur Zeit noch auf einem Kampfplatz, auf dem sein König verworfen ist, aber es hat die feste Hoffnung auf das herrliche Wiederkommen des Königs. Davon wollen wir im Folgenden anhand von Psalm 2 skizzenhaft reden.

    Die Welt der Königskinder – Ein Kampfplatz von Licht und Finsternis

    • V1–3 Die Nationen toben. Das beschreibt den finsteren Hintergrund der Weltbühne. Seit dem Sündenfall ist diese Welt ein Kampfplatz des Satans gegen Gott und die Seinen. Man will Gottes Souveränität leugnen und jedes Gebot und jede Ordnung des Höchsten samt der Schöpfungsordnung abwerfen.
    • V4–6 Gott thront. Ein harter Bruch geschieht in V4: Der Blick wendet sich abrupt von der finsteren, aufgewühlten Erde weg zum Mittelpunkt des Himmels: »Der im Himmel thront«. Gottes Souveränität als oberster Herrscher tritt vor unsere Blicke. Der Höchste muss angesichts der großartigen Pläne der Menschen lachen. Es ist so lächerlich, wenn Menschen von ihrer Souveränität reden, sich ihrer Macht und Fähigkeit brüsten, und dabei vergessen, dass nur Einer wirklich frei und unumschränkt ist. Und so redet der Allmächtige seinem ewigen Beschluss, den kein Mensch oder Engel verhindern oder ändern kann: »Habe ich doch meinen König eingesetzt auf Zion, meinem heiligen Berg!«.
    • V7–9 Der gesalbte König kommt! Weil der Beschluss Gottes feststeht, wird er sicher in Erfüllung gehen: Sein bereits gesalbter (=eingesetzter) König wird eines Tages kommen. Dann wird der Sohn Gottes herrschen. Sei Weg lief von der Krippe zum Kreuz und dann zur Krone (vgl. Philipper 2,6–11). Alle drei Stationen sind größte Wunder und stehen absolut fest im Ratschluss Gottes. Wir beten zurecht: »Dein Reich komme; dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf der Erde!« (Matthäus 6,10).
    • V10–12 Der Ruf zur Buße. Was folgt daraus für alle Menschen? Folgendes:
      • Wir sollten uns zum Recht weisen lassen! – Gott weist uns Menschen, die Rebellen, zum Recht, zum Gerechten.
      • Wir sollen Gott fürchten und dienen! – Wir sollen Gott in Ehrfurcht begegnen und Ihm allein dienen.
      • Wir sollten Gottes Sohn lieben! – Christen lieben Seine Erscheinung! (s. 2. Timotheus 4,8). »Wir erwarten die glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Heilandes Jesus Christus« (Titus 2,13).
      • »Glückselig alle, die zu ihm Zuflucht nehmen!« –Mit dieser Glückseligpreisung schließt Psalm 2 und endet damit dort, wo Psalm 1 angefangen hat. Man kann die Weisheit dieses Doppelpsalms so zusammenfassen: Gehorche dem Wort Gottes! (Psalm 1) – Gehorche dem Sohn Gottes! (Psalm 2).

    Die Hoffnung der Königskinder – Ein König der Herrlichkeit

    Psalm 24 redet viermal vom »König der Herrlichkeit« (24,7.8.9.10) – ein wahrlich passender Titel! Psalm 2 nennt hier sieben herrliche Ehrentitel unseres Königs Jesu Christi. Er ist:

    1. Der Gesalbte Gottes (V2) – Er ist der von Gott eingesetzte Christus (Messias).
    2. Der König Gottes (V 6) – Sein Reich ist wunderbar. Es kommt! Das beten wir erwartungsvoll.
    3. Der Sohn Gottes (V 7). – Der Sohn Gottes ist unvergleichlich herrlich und erhaben! Zitiert in Apg 12,33; Hebräer 1,5; 5,5. Er ist eins mit Gott-Vater (Johannes 10,30; 17,11).
    4. Der Erbe Gottes (V 8). – Gott hat Einen, Dem er alles übergeben wird: die ganze Erde mit allen Menschen. Er wird über allen und allem sein, Er wird alles unangefochten besitzen. Sein Volk wird mit ihm erben (vgl. Römer 8,17; Epheser 3,6).
    5. Der Richter Gottes (V 9). – Der Vater hat das ganze Gericht (Weltgericht) dem Sohn gegeben, »damit alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren« (Johannes 5,22–23). Unser König wird an jenem Tag auf dem »großen weißen Thron« sitzen und alle, die ohne und wider Ihn lebten, richten (vgl. Offenbarung 20,11).
    6. Der Ewige, Gott selbst (V 11). – Die Obersten, die Mächtigen der Erde, die Könige und die Richter, werden aufgefordert, dem Allerhöchsten zu dienen, also Gottesdienst und Anbetung zukommen zu lassen. Was die Glaubenden heute schon mit großer Freude tun: Ihn anzubeten und Ihm zu dienen (vgl. Psalm 100,4–5), werden eines Tages alle tun müssen.
    7. Der Versöhner (V 12) –Davids appelliert an alle: Nimm Zuflucht bei Ihm! Nur das bringt Glückseligkeit.

    Zusammenfassung und Ausblick

    Jesus Christus ist der von Gott eingesetzte König, dem alle Macht gehört. Glückselig sind die, die jetzt schon Zuflucht bei Ihm suchen!

    Dem König der Zeitalter aber, dem unvergänglichen, unsichtbaren, alleinigen Gott, sei Ehre und Herrlichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen. (1. Timotheus 1,17).

    1)   Jesus Christus herrscht als König,
    alles wird ihm untertänig,
    alles legt ihm Gott zu Fuß.

    Aller Zunge soll bekennen,
    Jesus sei der Herr zu nennen,
    dem man Ehre geben muss.

    2)   Fürstentümer und Gewalten,
    Mächte, die die Thronwacht halten,
    geben ihm die Herrlichkeit;
    alle Herrschaft, dort im Himmel,
    hier im irdischen Getümmel (and.: Gewimmel]
    ist zu seinem Dienst bereit.

    3)   Gott ist Herr, der Herr ist Einer,
    und demselben gleichet keiner,
    nur der Sohn, der ist ihm gleich;
    dessen Stuhl [=Thron] ist unumstößlich,
    dessen Leben unauflöslich,
    dessen Reich ein ewig Reich.

    11) Ich auch auf der tiefsten Stufen,
    ich will glauben, reden, rufen,
    ob ich schon noch Pilgrim bin:
    „Jesus Christus herrscht als König,
    alles sei ihm untertänig;
    ehret, liebet, lobet ihn!“

    Philipp Friedrich Hiller (1699–1769), um 1757

    Das größte Bauwerk der Welt

    [Jesus Christus spricht zu Petrus:] Aber auch ich sage dir: Du bist Petrus; und auf diesen Felsen werde ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten des Hades werden sie nicht überwältigen. (Matthäus 16,18)

    Jesus Christus ist der Architekt, Baumeister, Eigentümer, Vollender und Besitzer des größten Bauwerks der Welt: Seiner Gemeinde. Dieses „Bauprojekt“ wurde göttlich geplant, wird heute gebaut und hat ewig Bestand.

    Das Verheißungswort Christi »Ich werde meine Gemeinde bauen, und die Pforten des Hades werden sie nicht überwältigen« liefert entscheidend Wichtiges über Gottes größtes »Bauwerk«.

    Sieben Worte, die die Gemeinde Gottes kennzeichnen

    1. »Ich« – Der Architekt und Baumeister
      • Jesus ist Meister im Bauwesen: er hat die Schöpfung und den Tempel im Himmel gebaut.
      • Er allein ist befähigt, das geistliche Gebäude der Gemeinde (=Tempel) zu errichten.
    2. »werde« – Die Macht und Sicherheit
      • Was Jesus sagt, wird geschieht. Seine Worte sind sicherer als jede menschliche Planung.
      • Das Bauprojekt „Gemeinde“ braucht keinen Plan B, es wird weiter nach dem ewigen Originalplan pünktlich umgesetzt. Göttlich garantiert.
    3. »meine« – Der Eigentümer
      • Die Gemeinde gehört Christus, nicht Menschen (Älteste, Bischöfe, Papst).
      • Wir sind nur Verwalter und haben uns treu und fleißig an die göttlichen Baupläne zu halten (1. Korinther 4,1–2).
    4. »Gemeinde« – Das Bauwerk
      • Nicht ein Gebäude, kein Verein, sondern die Schar aller wahrhaft Gläubigen.
      • Sie besteht aus „lebendigen Steinen“ – echten, wiedergeborenen Christen (1. Petrus 2,4–5).
    5. »bauen« – Das Bauen
      • Fundament ist Jesus Christus (persönlich, 1. Korinther 3,11) und sein Wort (lehrmäßig, Epheser 2,20).
      • Die Gemeinde wird aktiv aufgebaut durch die Mitarbeit der Gläubigen.
      • Es braucht lebendige Steine, geistliche Einheit und göttlich eingesetzte Leiter.
    6. »die Pforten des Hades« – Der Widerstand
      • Der Bau wird angegriffen – durch Tod, Sünde, falsche Lehre und den Teufel.
      • Doch Christus hat die Macht des Todes bereits besiegt (Hebräer 2,14–15).
    7. »werden sie nicht überwältigen« – Die Vollendung
      • Die Gemeinde wird vollendet werden – ohne Verlust oder Schaden, vielmehr schön (Epheser 5,27; Offenbarung 19,7–8).
      • Christus garantiert den Sieg, das Endziel ist sicher: Ewiges Leben mit Ihm in der Herrlichkeit.

    Die Herausforderung

    • Lass Dich neu begeistern für die Mitarbeit an Gottes Bauprojekt.
    • Baue treu mit – nicht nach eigenem Geschmack, sondern nach Gottes Bauplan.
    • Wisse: Deine Arbeit an der Gemeinde hat Ewigkeitswert, baue mit Deinem besten Einsatz!

    Alle weltlichen Bauwerke werden vergehen – doch Gottes Gemeinde bleibt ewig.


    Die Gemeinde ist gegründet / auf Dich selbst, Herr Jesus Christ,
    weil Du der Behausung Gottes / Felsengrund und Eckstein bist.
    Die der Vater Dir gegeben /aus der Welt zum Eigentum,
    führst Du, trotz des Feindes Wüten, / siegreich heim zu Deinem Ruhm.

    (Dichter unbekannt)

    Schönheit – Eine biblische Besinnung

    Wir leben in einer Welt, die von Bildern, Filmen und äußerem Glanz bestimmt ist. Werbung, soziale Medien, Mode, sogar manche Kirchenveranstaltungen, folgen einem klaren Trend: Schön ist, was sichtbar beeindruckt. Wir leben in einer Augenkultur. Das Bild erschlägt das Wort (Wolfgang Zöller, 1986). Wer das Auge lenken kann, kann auch die Gedanken lenken, Gefühle erzeugen, Entscheidungen beeinflussen, Menschen manipulieren. 

    Die Frage in dieser kurzen Besinnung soll aber vor allem positiv sein: Was ist eigentlich Schönheit in Gottes AugenGibt es eine biblische Lehre von der Schönheit? Und woran orientiert sich unser eigenes Denken und Empfinden, wenn es um das Schöne geht? Es geht hier nicht um eine Abrechnung mit äußerlicher Schönheit, gar eine rein moralisierende Betrachtung. Dazu ist an anderer Stelle manches gesagt worden. Auch die Heilige Schrift hat viel Praktisches hierzu zu sagen, was Väter und Mütter ihren Söhnen und Töchtern erziehend zu vermitteln haben. Vielmehr geht es hier darum, die biblische Sicht auf Schönheit zu entdecken – eine Sicht, die tiefer geht, als das Auge reicht, und gleichzeitig für das Gotteskind erhebender ist. Wir dürfen erkennen, wie wunderbar und herrlich unser Gott ist, und wie die Gotteskinder diese wahre Schönheit widerspiegeln dürfen. Die angegebenen Bibelstellen können dem Leser als Wanderführer für eine erste Erforschung dieses Themas in der Bibel dienen.

    1 Die Quelle aller Schönheit: Gott selbst

    Leitverse: Psalm 27,4; Psalm 96,6; Jesaja 33,17; 1. Chronika 16,29

    Gott selbst ist die Quelle aller wahren Schönheit. Seine Heiligkeit, seine Majestät, seine Gnade – das alles ist von unbeschreiblicher Herrlichkeit und Schönheit. Die Bibel spricht immer wieder davon, dass Gott »herrlich« ist. Herrlichkeit und Schönheit gehören zusammen.

    Schönheit ist bei Gott keine oberflächliche Eigenschaft, sondern Ausdruck seiner Vollkommenheit. Wenn wir also nach wahrer Schönheit suchen, müssen wir bei Gott anfangen. Er ist die Quelle aller wahren Schönheit (diese Aussage ist analytisch wahr). Er ist intrinsisch schön, aber Er verkörpert Schönheit auch in seinem Sohn und in allen seinen Werken.

    2 Die Schönheit der Schöpfung – Spiegel seiner Herrlichkeit

    Leitverse: 1. Mose 1,31; Psalm 19,2; Prediger 3,11; Römer 1,20

    Die Schöpfung ist wunderschön. Vom Sternenhimmel bis zum Detail einer Blume erkennen wir etwas von Gottes kreativer Kraft. Die Bibel nennt dies »das Unsichtbare von ihm«, das »von Erschaffung der Welt an in dem Gemachten wahrgenommen« wird (Römer 1,20).

    Doch die Schönheit der Natur ist nicht Selbstzweck. Sie verweist auf den Schöpfer. Sie ruft zur Anbetung.

    Frage an uns: Welche Haltung haben wir gegenüber Kunst, Natur, Musik? Sehen wir im Schönen den Hinweis auf den Herrlichen? Führt es uns zur Anbetung Gottes? Oder bleiben wir bei der Form stehen und vergessen den Urheber?

    3 Der Mensch als Abbild Gottes: Schönheit im Ebenbild

    Leitverse: 1. Mose 1,26–27; Psalm 139,14; 1. Samuel 16,7; Sprüche 31,30

    Der Mensch wurde als Abbild Gottes geschaffen. Das heißt: Der Mensch ist Träger einer von Gott gegebenen Würde und Schönheit.

    Aber – und das ist entscheidend – Gott sieht tiefer: Er sieht ins Zentrum der Persönlichkeit, ins Herz. »Denn der Mensch sieht auf das Äußere, aber Jahwe sieht auf das Herz«. Die Quelle wahrer Schönheit ist unter der Haut.

    Innere Schönheit ist bei Gott entscheidend. Charakter, Frucht des Geistes, Heiligkeit, Gottesfurcht – das sind die Elemente wahrer Schönheit.

    Wie oft lassen wir uns von äußerer Erscheinung beeinflussen? Und wie oft vergessen wir, das Herz zu sehen?

    4 Die verzerrte Schönheit durch die Sünde

    Leitverse: Hesekiel 28,12–17; Jesaja 3,16–24; Römer 1,23-25

    Sünde hat unsere Sicht auf Schönheit pervertiert. Luzifer, vom dem letztlich in Hesekiel 28 geredet wird, war ursprünglich »vollkommen an Schönheit« (Hes 28,12), doch sein Stolz (»Dein Herz hat sich erhoben wegen deiner Schönheit«) führte zur Selbstvergottung und damit zum endgültigen Fall. Statt Schönheit als Geschenk zu bewahren, sie als Motiv zur Anbetung des Gebers dieser Schönheit zu verwenden, machte er sie zum Werkzeug der Erhebung und Verführung anderer.

    Auch wir Menschen haben die Herrlichkeit Gottes vertauscht gegen Abbilder (Götzen, Ersatzgötter, Surrogate), gegen äußeren (= hohlen, eitlen) Glanz, gegen Selbstvergottung (das ist der Kern der Ursünde).

    Wenn Schönheit zur Selbstinszenierung wird, statt zur Anbetung Gottes zu führen, wird sie zum Götzen. Da diese Perversion (Umkehrung) die Herrlichkeit Gottes herabsetzt, wird der Selbstverliebte unausweichlich zum Götzendiener, dem unerlöst ewiges Gericht seitens Gottes sicher ist. Nur in der gnädigen Erlösung durch Jesus Christus wird ein Mensch wieder wahrhaft schön.

    Herzensfrage: Wo haben wir Schönheit von Gott gelöst und ihr einen selbstsüchtigen (=sündigen!) Zweck gegeben?

    5 Die wahre Schönheit in Christus

    Leitverse: Jesaja 53,2–3; Hebräer 1,3; 2. Korinther 4,6

    Jesus war nicht äußerlich schön, er war die Ausstrahlung der Herrlichkeit Gottes. In ihm erstrahlt die höchste Schönheit, die Schönheit Gottes in Gnade, Wahrheit, Liebe, Demut, Gehorsam, Gerechtigkeit und Heiligkeit. Gott-Vater bezeugte: »Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe.« (Mt 3,17; vgl. Mt 12,18; 17,5).

    Im Kreuz Christi sehen wir hässlichste Grausamkeit und gleichzeitig höchste Herrlichkeit. Das Kreuz ist der Wendepunkt unserer Sicht: Christus macht hässlich Gewordenes und Gemeintes zum Wendepunkt und führt es zum Siegesglanz. Er macht alles neu (2Kor 5,17; Offb 21,5), er macht alles wieder schön.

    Lernen wir, wahre Schönheit in Christus zu finden und an Christus zu messen – nicht an äußeren Maßstäben.

    Schönster Herr Jesus, / Herrscher aller Enden,
    Gottes und Marien Sohn!
    Dich will ich lieben, 
    Dich will ich ehren,
    Du meiner Seele Freud und Kron!

    Alle die Schönheit / Himmels und der Erden
    ist gefasst in Dir allein. 
    Nichts soll auf Erden
    lieber mir werden,
    als Du, Herr Jesus Christe mein.

    (Autor unbekannt, aus dem 12. Jhdt.)

    6 Die Schönheit im Leben der Gläubigen

    Leitverse: 1. Petrus 3,3-4; Galater 5,22–23; Titus 2,10

    Der Heilige Geist bewirkt in uns eine Schönheit, die von innen kommt, die ganzheitlich ist, uns immer mehr durchdringt: Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Gütigkeit, Treue, Sanftmut, Selbstbeherrschung – das ist wahrlich himmlische Anziehungskraft.

    Auch eine christliche Gemeinde wird nicht durch äußeres Design von Gebäude und Einrichtung schön, sondern durch Heiligkeit, Wahrhaftigkeit, Demut und Liebe der Erlösten.

    Lasst uns nach jener Schönheit streben, die Gott gefällt. Diese bleibt.

    7 Die ewige Schönheit in Gottes neuer Welt

    Leitverse: Offenbarung 21,2.11; Psalm 50,2

    Die Gemeinde Gottes erscheint als geschmückte Braut ihres Herrn Jesus Christus. Das neue Jerusalem strahlt in unbeschreiblicher Schönheit. Alles Wertvolle und Glänzende muss zur Vermittlung des Unvergleichlichen herhalten.

    Das ist unser Ziel: Schön gemacht durch Christus, vollendet in der Herrlichkeit Gottes. Dort wird alles, was jetzt zerbricht, entstellt oder vergeht, vollkommen schön sein.

    Unsere Sehnsucht nach Schönheit findet ihre Erfüllung bei ihm.

    8 Schlussgedanken und Anwendung

    Fragen wir ganz persönlich:

    • Woran orientierst Du dein Verständnis von Schönheit?
    • Welche Schönheit strebst Du an?
    • Führt Dich Schönheit in Schöpfung und Kunst zur Anbetung Gottes?
    • Welche Schönheit realisierst Du in deiner Familie, deiner Gemeinde, deinem (Gottes-) Dienst?

    Möge Gott unsere Augen schärfen und unsere Ästhetik (Schönheitsempfinden) so verändern, dass wir Schönheit so sehen wie Er.

    9 Ideen für weitere Überlegungen

    Die Gehirnforschung hat uns vermittelt, dass jeder Mensch im Gehirn vernetzte Bereiche (vor allem orbitofrontaler und frontaler Kortex) bekommen hat , die sich dem logisch-faktischen Wahren (wahr, falsch, sowie abstrakte Regeln), dem ethisch Richtigen (richtig, verwerflich) und ästhetisch Schönen (schön, hässlich) widmen. So ist dem (gereiften) Menschen möglich, wertgeleitetet zu handeln (anstatt kurzfristigen Bedürfnisse direkt zu folgen und sie zu befriedigen, werden vielmehr langfristige Ziele verfolgt). Gott hat den Mensch »in seinem Bilde« offenbar so angelegt und begabt, dass er kein rein instinkt- oder lustgesteuertes Tier ist, sondern ein auf Gott und Gottes Schönheit ausgerichtetes Wesen ist (sein sollte). »Alles hat er schön gemacht zu seiner Zeit; auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt, ohne dass der Mensch das Werk, das Gott gewirkt hat, von Anfang bis Ende zu erfassen vermag.« (Prediger 3,11).

    Das alles hat wichtige Implikationen für Erziehung, persönliche Reifung und charakterliche Bildung, letztlich für das Menschsein. Aber es hat auch für den Glauben und das Glaubensgut wichtigste Implikationen. Die Schrift sagt viel zu diesen drei o.g. elementaren Bereichen, auch bezüglich der wahren Anbetung Gottes. Alle diese Dinge haben bei Gott ihre Quelle, sind Gottes Wesen eigen. Wir verehren Gott nur recht mit dem, das wahr, richtig und schön ist. Darauf sollten wir anhand der Offenbarung Gottes in Schöpfung und Gottes Wort sorgfältig achten.

    Aber Achtung, man kann auch hier auf beiden Seiten vom Pferd fallen. Beachten wir: Das „Äußerliche“ ist weder das Wesentliche noch das (in platonischer Verirrung) zu Vernachlässigende. Das Schöne ist weder zu vergotten noch zu verteufeln.

    John MacArthur ist heimgegangen (1939–2025)

    John Fullerton MacArthur, Jr. (* 19. Juni 1939; † 14. Juli 2025 in Los Angeles)

    Mit Trauer und Hoffnung geben die Ältesten der Grace Community Church bekannt, dass Pastor John MacArthur nach 56 Jahren treuer Dienste nun zu Gott heimgegangen ist. Letzte Woche erkrankte Pastor John unerwartet an einer Lungenentzündung, und der Herr hat ihn am Montag, dem 14. Juli, zu sich gerufen. Dr. MacArthur wurde 86 Jahre alt.

    Er hinterlässt seine Frau Patricia, mit der er 61 Jahre verheiratet war, vier Kinder, fünfzehn Enkelkinder und neun Urenkelkinder.

    Für Millionen von Menschen, die durch den Mediendienst von Grace to You erreicht wurden, war Pastor John ein Prediger des Wortes Gottes. Für Zehntausende von Studenten war er der geliebte Präsident und Kanzler von The Master’s University. Für Tausende von Absolventen des The Master’s Seminary war er ein Verfechter der biblischen Auslegung. Für zahlreiche Gemeinden und Gemeindehirten im Ausland war er durch die The Master’s Academy International ein Verfechter der Wahrheit. Für seine Gemeinde war er unser lieber Pastor – ein furchtloser Führer in schwierigen Zeiten. Für seine Familie war er ein geliebter Ehemann, Vater, Großvater und Urgroßvater.

    Im Mittelpunkt des Dienstes von Dr. MacArthur stand die unerschütterliche Verpflichtung, Gottes Wahrheit zu verkünden. Pastor John predigte das Wort zu jeder Zeit, ob gelegen oder ungelegen. Selbst in den letzten Jahren, obwohl er mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte, hielt er daran fest, zu lehren, zu führen und in die Dienste zu investieren, die der Herr ihm anvertraut hatte. Pastor John war ein Vorbild für wahre Standhaftigkeit gegenüber seinem Herrn Jesus, denn er glaubte, dass das Leben Christus ist und das Sterben Gewinn. Nachdem er den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet und den Glauben bewahrt hatte, wurde Pastor John von seinem himmlischen Meister heimgerufen. Sein Glaube ist nun Wirklichkeit geworden; er ist bei seinem Herrn und hat die Worte gehört: „Wohl, du guter und treuer Sklave!“ (Mt 25,21).

    Bitte betet mit uns für Pastor Johns Frau Patricia und seine Familie in dieser Zeit der Trauer, die mit ewiger Freude vermischt ist. Auch wenn unsere Herzen beschwert sind wegen dieses Verlustes, trauern wir nicht „wie die Übrigen, die keine Hoffnung haben“ (1Thess 4,13). Denn diejenigen, die in Christus sterben, gehören ihm, und er verliert keinen einzigen. Das ist die Hoffnung, die Pastor John in seiner letzten Predigtreihe über die Offenbarung verkündet hat: „Das würdige Lamm wird kommen und diese sündige Welt überwinden und für immer regieren. Und wir werden mit ihm regieren. Herrlichkeit über Herrlichkeit über Herrlichkeit. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich sage mit dem Apostel Johannes: ‚Ja, komm, Herr Jesus!‘“

    Textquelle

    https://gracechurch.org/news/posts/4230 (abgerufen 15.07.2025); eig. Übers. von grace@logikos.club. Bildquelle: © gracechurch.org, 2025. Alle Rechte beim Urheber.

    Weitere Nachrufe

    Nachruf seitens R. Albert Mohler Jr., Präsident des The Southern Baptist Theological Seminary SBTS in Louisville, KY (USA): A lion of the pulpit, now in Christ’s presence – The relentless expository passion of John F. MacArthur, Jr., 1939-2025 (hier).

    Nachruf seitens des Vorstandes des Europäischen Bibel Trainings Centrums (EBTC), das unter der Leitung von John MacArthur 2001 in Berlin gegründet wurde: John MacArthur 1939 – 2025 (hier).

    John N. Darby über die „Arminianer“ (Deutsch)

    Der anglo-irische Bibellehrer John N. Darby (1800–1882), einer der einflussreichsten Theologen der frühen „Brüderbewegung“ (sog. „Plymouth Brethren“), hatte in seiner Zeit wiederholt mit Vertretern der Denkschule der „Arminianer“ zu tun. Vor allem in der uralten Diskussion über den „freien Willen“ und der Zu- und Aneignung des ewigen Heils gab es zahlreiche Auseinandersetzungen, die größtenteils in seinen Collected Writings und seinen Letters erhalten geblieben sind.

    Am 9. Mai 1879 schrieb Darby aus Pau einen Brief in italienischer Sprache an G. Biava, der einen Artikel über den „freien Willen“ verfasst und wohl Darby zur Beurteilung vorgelegt hatte. Darbys Antwort ist in den Letters in englischer Sprache erhalten geblieben. Hier einige Auszüge in eigener Übersetzung ins Deutsche (englisches Original hier):

    »LIEBER BRUDER, – Der Artikel über den freien Willen hat mir sehr gefallen; ich finde nicht, dass es viel hinzuzufügen gibt. Alles hängt von der Tiefe der Überzeugung ab, die wir von unserem sündigen Zustand haben; und unsere Sicherheit und Freude hängen ebenfalls davon ab. Verlorensein oder Gerettetsein sind jene beiden Gegensätze, die unserer Stellung (Zustand) in Christus und unserer Stellung (Zustand) im alten Menschen entsprechen. Aber in der Argumentation der Arminianer gibt es einen völlig falschen Grundsatz, nämlich dass unsere Verantwortung von unserer Macht abhänge. Wenn ich jemandem 100.000 Pfund geliehen habe und er alles verschwendet hat, kann er das natürlich nicht zurückzahlen, aber ist seine Verantwortung deswegen beendet? Sicherlich nicht. Die Verantwortung hängt vom Recht desjenigen ab, der ihm das Geld geliehen hat, nicht von der Fähigkeit desjenigen, der das Geld zu Unrecht verschwendet hat. …

    Alle Menschen haben seit dem Sündenfall ein Gewissen, das Wissen um Gut und Böse; sie wissen zu unterscheiden, aber das sagt nichts über den Willen aus. Da also das Gesetz Gehorsam verlangt und das Fleisch nicht unterworfen werden kann, ist es tatsächlich unmöglich, das Gesetz anzunehmen – nicht weil Gott ihn daran hindert, wie ich bereits gesagt habe, sondern weil der Mensch es nicht will. Außerdem verbietet das Gesetz die Begierde, aber der gefallene Mensch hat Begierde in seinem Fleisch [sündigen Wesen]; und auf diese Weise erkannte der Apostel die Sünde. Der Mensch muss sein sündiges Wesen verlieren, bevor er bereit ist, dem Gesetz zu gehorchen: Es ist daher notwendig, von neuem geboren zu werden. Nun kann der Mensch sich selbst nicht göttliches und ewiges Leben geben. Warum dann das Gesetz? Damit die Übertretung überhand nehme. Durch das Gesetz wird die Sünde „überaus sündig“; „das Gesetz erwirkt“ den gerechten „Zorn“ Gottes gegen uns, es erwirkt nicht die Furcht Gottes in uns. Das Gesetz gibt kein neues Leben. Alles, was wir haben, ist Feindschaft gegen Gott. Der Mensch im Fleisch kann das Gesetz nicht in sein Herz aufnehmen. …

    Kann das Fleisch [unser sündiges Wesen] Christus empfangen – seine Freude am Sohn Gottes finden? Dann wäre es nicht mehr das Fleisch, es hätte den Geist des Vaters selbst. Wenn es im Menschen etwas anderes als Fleisch gibt, dann ist jener Mensch bereits aus Gott geboren, denn was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch. Wenn das Fleisch seine Freude an Christus finden könnte, besäße das Fleisch das Erhabenste, was es auf Erden und im Himmel gibt: es fände seine Freude dort, wo auch der Vater seine Freude findet. Dann wäre es nicht notwendig, aus Gott geboren zu sein, denn das Erhabenste, was jemand jetzt durch Gnade als Christ besitzt, besaß dieser bereits vor dem Empfang des Lebens, als er Christus empfing. Die Gewissheit der Erlösung wäre aber gleichzeitig dahin: Wenn die Erlösung die Frucht meines eigenen Willens wäre, hängte sie von meinem Willen ab. Wenn sie so leicht hervorgebracht werden könnte, könnte man nicht sagen: „Weil ich lebe, werdet auch ihr leben.“ …

    Es heißt, der Glaube sei nur die Hand, die die Erlösung empfängt, aber was veranlasst uns, die Hand auszustrecken? Es ist die Gnade, die in uns wirkt.«

    Quelle: John N. Darby, Letters, Vol. 2 (1868–1879), Nachdr., Kingston-on-Thames: Stow Hill Bible and Tract Depot, o. J., S. 501–503. Fett- und Farbdruck hinzugefügt. 
    Textquelle (englisch) online auch hier: https://www.stempublishing.com/authors/darby/letters/52346I.html

    Die pelagische Gefangenschaft der Kirche (R.C. Sproul)

    Kurz nach Beginn der Reformation, in den ersten Jahren nachdem Martin Luther die 95 Thesen an die Kirchentür in Wittenberg angeschlagen hatte, veröffentlichte er einige kurze Broschüren zu verschiedenen Themen. Eine der provokantesten trug den Titel »Die babylonische Gefangenschaft der Kirche«. In diesem Buch blickte Luther auf jene Zeit in der Geschichte des Alten Testaments zurück, als Jerusalem von den einfallenden babylonischen Armeen zerstört und die Elite des Volkes in die Gefangenschaft verschleppt wurde. Luther übertrug im 16. Jahrhundert das Bild der historischen babylonischen Gefangenschaft auf seine Zeit und sprach von der neuen babylonischen Gefangenschaft der Kirche. Er bezeichnete Rom (die Römisch-katholische Kirche) als das moderne Babylon, das das Evangelium als Geisel hielt, indem es das biblische Verständnis der Rechtfertigung ablehnte. Man kann sich vorstellen, wie heftig die Kontroverse war und wie polemisch dieser Titel in dieser Zeit war, wenn man sagt, dass die Kirche nicht einfach nur geirrt oder vom Weg abgekommen sei, sondern gefallen sei – dass sie jetzt tatsächlich babylonisch sei, dass sie jetzt in heidnischer Gefangenschaft sei.

    Ich habe mich oft gefragt, was Luther wohl sagen würde, wenn er heute leben und in unsere Kultur kommen würde und sich nicht die liberale Kirchengemeinschaften, sondern die evangelikalen Kirchen ansehen würde. Natürlich kann ich diese Frage nicht mit endgültiger Autorität beantworten, aber ich vermute Folgendes: Wenn Martin Luther heute leben und seinen Stift zur Hand nehmen würde, um zu schreiben, würde das Buch, das er in unserer Zeit schreiben würde, den Titel Die pelagische Gefangenschaft der evangelikalen Kirche tragen. Luther sah, dass die Rechtfertigungslehre durch ein viel tieferes theologisches Problem angegriffen wurde. Er schreibt ausführlich darüber in Von der Freiheit eines Christenmenschen. Wenn wir uns die Reformation ansehen und die Soli der Reformation betrachten – sola scriptura • sola fide • sola gratia • solus Christus • soli Deo gloria – war Luther davon überzeugt, dass das eigentliche Thema der Reformation die Frage der Gnade war; und dass der Lehre von sola fide, der Rechtfertigung durch den Glauben allein, die vorherige Verpflichtung zu sola gratia, dem Konzept der Rechtfertigung durch Gnade allein, zugrunde lag.

    In der Fleming-Revell-Ausgabe von »The Bondage of the Will« [orig.: De Servo Arbitrio; dtsch.: Vom unfreien Willen, oder: Über den geknechteten Willen, 1525] fügten die Übersetzer J. I. Packer und O. R. Johnston eine etwas provokative historische und theologische Einführung in das Buch selbst ein. So lautet der Schluss dieser Einführung:

    Über diese Dinge müssen Protestanten heute nachdenken. Mit welchem Recht können wir uns Kinder der Reformation nennen? Vieles im modernen Protestantismus würde von den Reformatoren der ersten Stunde weder anerkannt noch gutgeheißen werden. Das Buch Vom unfreien Willen zeigt uns ziemlich genau, was sie über die Erlösung der verlorenen Menschheit glaubten. 

    Im Lichte dessen sind wir gezwungen zu fragen, ob das protestantische Christentum zwischen Luthers Zeit und unserer Zeit nicht auf tragische Weise sein Geburtsrecht verkauft hat. Ist der Protestantismus heute nicht eher erasmisch als lutherisch geworden? Versuchen wir nicht zu oft, Lehrunterschiede zu minimieren und zu beschönigen, um des Friedens zwischen den Parteien willen? Sind wir unschuldig, was die Gleichgültigkeit gegenüber der Lehre, die Luther Erasmus vorwarf, angeht? Glauben wir immer noch, dass die biblische Lehre wichtig ist? [1]

    Historisch gesehen ist es eine einfache Tatsache, dass Luther, Calvin, Zwingli und alle führenden protestantischen Theologen der ersten Epoche der Reformation hier genau auf dem gleichen Standpunkt standen. In anderen Punkten hatten sie ihre Differenzen. Sie waren sich jedoch völlig einig, was die Hilflosigkeit des Menschen in der Sünde und die Souveränität Gottes in der Gnade betraf. Für jeden von ihnen waren diese Lehren das Herzblut des christlichen Glaubens. Ein moderner Herausgeber von Luthers Werken sagt dazu:

    Wer dieses Buch aus der Hand legt, ohne erkannt zu haben, dass die evangelische Theologie mit der Lehre von der Unfreiheit des Willens steht oder fällt, hat es vergeblich gelesen. Die Lehre von der freien Rechtfertigung allein durch den Glauben, die während der Reformationszeit zum Zentrum so vieler Kontroversen wurde, wird oft als das Herzstück der Theologie der Reformatoren angesehen, aber das ist nicht richtig. Die Wahrheit ist, dass ihr Denken sich wirklich auf die Behauptung des Paulus konzentrierte, die von Augustinus und anderen aufgegriffen wurde, dass die gesamte Erlösung des Sünders nur durch freie und souveräne Gnade geschieht, und dass die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben für sie wichtig war, weil sie das Prinzip der souveränen Gnade sicherte. Diese Souveränität der Gnade fand in ihrem Denken auf einer noch tieferen Ebene in der Lehre von der monergistischen [allein von Gott gewirkten] Wiedergeburt Ausdruck. [2]

    Das heißt, dass der Glaube, der Christus zur Rechtfertigung annimmt, selbst das freie Geschenk eines souveränen Gottes ist. Das Prinzip des sola fide wird erst dann richtig verstanden, wenn es als im umfassenderen Prinzip des sola gratia verankert betrachtet wird. Was ist die Quelle des Glaubens? Ist es das von Gott gegebene Mittel, durch das die von Gott gegebene Rechtfertigung empfangen wird, oder ist es eine Bedingung der Rechtfertigung, die der Mensch erfüllen muss? Hören Sie den Unterschied? Ich möchte es in einfachen Worten ausdrücken. Ich hörte kürzlich einen Evangelisten sagen: »Wenn Gott tausend Schritte unternimmt, um dich für deine Erlösung zu erreichen, musst du letztendlich immer noch den entscheidenden Schritt tun, um gerettet zu werden.« Denken Sie an die Aussage von Amerikas beliebtestem und führendem Evangelisten des 20. Jahrhunderts, Billy Graham, der mit großer Leidenschaft sagte: »Gott erledigt neunundneunzig Prozent, aber du musst immer noch das letzte Prozent tun.«

    Was ist Pelagianismus?

    Kommen wir nun kurz auf meinen Titel »Die pelagianische Gefangenschaft der Kirche« zurück. Worüber sprechen wir? Pelagius war ein Mönch, der im fünften Jahrhundert in Großbritannien lebte (um 350–420). Er war ein Zeitgenosse des größten Theologen des ersten Jahrtausends der Kirchengeschichte, wenn nicht aller Zeiten, Aurelius Augustinus (354–430), Bischof von Hippo in Nordafrika. Wir haben vom heiligen Augustinus gehört, von seinen großen theologischen Werken, von seinem »Gottesstaat« (De civitate Dei contra Paganos), von seinen »Bekenntnissen« (Confessiones) und so weiter, die nach wie vor zu den Klassikern der christlichen Literatur gehören.

    Augustinus war nicht nur ein herausragender Theologe und ein erstaunlicher Intellektueller, sondern auch ein Mann von tiefer Spiritualität und Gebet. In einem seiner berühmten Gebete machte Augustinus eine scheinbar harmlose und unschuldige Aussage in dem Gebet zu Gott, in dem er sagte: »O Gott, befehle, was du willst, und gewähre, was du befiehlst.« Nun, würde Sie es in Rage versetzen, wenn Sie ein solches Gebet hörten? Jedenfalls versetzte es Pelagius, diesen britischen Mönch, ordentlich in Aufruhr. Er protestierte lautstark und appellierte sogar an Rom, dieses grässliche Gebet aus der Feder des Augustinus zu verbannen. Was war der Grund seiner Empörtheit? Er sagte: »Willst du damit sagen, Augustinus, dass Gott das angeborene Recht hat, seinen Geschöpfen alles zu befehlen, was er will? Niemand wird das bestreiten. Gott hat als Schöpfer von Himmel und Erde von Natur aus das Recht, seinen Geschöpfen Verpflichtungen aufzuerlegen und zu sagen: ‚Du sollst dies tun und du sollst das nicht tun.‘ ‚Befiehl, was du willst‘ – das ist ein vollkommen legitimes Gebet.«

    Es ist der zweite Teil des Gebets, den Pelagius verabscheute, als Augustinus sagte: »und gewähre, was du befiehlst.« Er sagte: »Wovon redest du? Wenn Gott gerecht ist, wenn Gott rechtschaffen ist und Gott heilig ist und wenn Gott dem Geschöpf befiehlt, etwas zu tun, dann muss dieses Geschöpf sicherlich die Kraft in sich haben, die moralische Fähigkeit in sich haben, es auszuführen, sonst würde Gott es gar nicht erst verlangen.« Klingt logisch, oder? Pelagius wollte damit sagen, dass moralische Verantwortung immer und überall moralische Fähigkeit oder einfach moralische Befähigung impliziert. Warum sollten wir also beten müssen: »Gott, gib mir die Gabe, das zu tun, was du mir befiehlst«? Pelagius sah in dieser Aussage einen Schatten, der auf die Integrität Gottes selbst geworfen wurde, der die Menschen für etwas verantwortlich machen würde, das sie nicht tun können.

    In der anschließenden Debatte machte Augustinus deutlich, dass Gott Adam und Eva bei der Schöpfung nichts befohlen hatte, was sie nicht hätten ausführen können. Aber als die Sünde Einzug hielt und die Menschheit fiel, wurde Gottes Gesetz nicht aufgehoben, noch passte Gott seine heiligen Anforderungen nach unten an, um dem geschwächten, gefallenen Zustand seiner Schöpfung Rechnung zu tragen. Gott bestrafte seine Schöpfung, indem er das Urteil der Erbsünde über sie verhängte, sodass jeder, der nach Adam und Eva in diese Welt geboren wurde, bereits tot in Sünde geboren wurde. Die Erbsünde ist nicht die erste Sünder, sie ist das Ergebnis der ersten Sünde. Sie bezieht sich auf unsere angeborene Verderbtheit, durch die wir in Sünde geboren werden: in Sünde haben uns unsere Mütter empfangen. Wir werden nicht in einem neutralen Zustand der Unschuld geboren, sondern in einem sündigen, gefallenen Zustand. Praktisch jede Kirche im historischen Ökumenischen Rat der Kirchen artikulierte zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer Geschichte und in ihrer Bekenntnisentwicklung eine Lehre von der Erbsünde. Denn diese geht so klar aus der biblischen Offenbarung hervor, dass es einer Ablehnung der biblischen Sichtweise vom Menschen bedürfte, um die Erbsünde gänzlich zu leugnen.

    Genau darum ging es im Streit zwischen Augustinus und Pelagius im fünften Jahrhundert. Pelagius sagte, dass es so etwas wie Erbsünde nicht gebe. Adams Sünde beträfe Adam, und nur Adam. Es gebe keine Übertragung oder Weitergabe von Schuld, Sündenfall oder Verderbtheit an die Nachkommen Adams und Evas. Jeder Mensch werde in demselben Zustand der Unschuld geboren, in dem Adam erschaffen wurde. Pelagius sagte, dass es für einen Menschen durchaus möglich sei, ein Leben im Gehorsam gegenüber Gott, ein Leben in moralischer Vollkommenheit, zu führen, ohne irgendeine Hilfe von Jesus oder irgendeine Hilfe durch die Gnade Gottes dafür zu benötigen. Pelagius sagte damit, dass die Gnade – und hier liegt der entscheidende Unterschied – die Gerechtigkeit erleichtert.

    Was bedeutet aber in diesem Zusammenhang »erleichtern«? Die Gnade hilft, macht es einfacher, macht es leichter. Aber man muss diese Gnade nicht haben, man kann auch ohne Gnade vollkommen sein. Pelagius erklärte weiter, dass es für manche Menschen nicht nur theoretisch möglich sei, ein vollkommenes Leben ohne jegliche Hilfe durch göttliche Gnade zu führen, sondern dass es tatsächlich Menschen gebe, die dies tun. Augustinus reagierte darauf mit einem: »Nein, nein, nein, nein … wir sind von Natur aus bis in die Tiefen und den Kern unseres Seins von der Sünde infiziert – so sehr, dass kein Mensch die moralische Kraft hat, sich der Gnade Gottes zuzuwenden.« Der menschliche Wille hat aufgrund der Erbsünde zwar immer noch die Macht zu wählen, ist aber seinen bösen Wünschen und Neigungen verfallen. Der Zustand der gefallenen Menschheit ist einer, den Augustinus als die Unfähigkeit, nicht zu sündigen, beschreiben würde. Einfach gefasst sagte Augustinus damit, dass der Mensch durch den Sündenfall die moralische Fähigkeit verloren habe, das zu tun, was Gott will, und dass er von seinen eigenen bösen Neigungen gefangen gehalten werde.

    Im fünften Jahrhundert verurteilte die Kirche Pelagius als Ketzer. Der Pelagianismus wurde auf dem Konzil von Orange (529, ehemals Arausio genannt, in Südfrankreich) verurteilt und erneut auf dem Konzil von Florenz (1437–1447), dem Konzil von Karthago (418) und ironischerweise auch auf dem Konzil von Trient (1545–1563) im 16. Jahrhundert in den ersten drei Anathemas der Kanones der sechsten Sitzung. Die Kirche hat also den Pelagianismus durchweg in der gesamten Kirchengeschichte rundheraus und entschieden verurteilt – weil der Pelagianismus die Gefallenheit unserer Natur leugnet; er leugnet die Lehre von der Erbsünde.

    Nun war das, was man als Semi-Pelagianismus bezeichnet, wie das Präfix „semi“ andeutet, eine Art Mittelweg zwischen dem voll ausgebildeten Augustinianismus und dem voll ausgebildeten Pelagianismus. Der Semi-Pelagianismus besagt Folgendes: Ja, es gab einen Sündenfall; ja, es gibt so etwas wie Erbsünde; ja, die grundlegende Natur des Menschen wurde durch diesen Zustand der Verderbtheit verändert und alle Teile unserer Menschlichkeit wurden durch den Sündenfall erheblich geschwächt, so sehr, dass ohne die Hilfe der göttlichen Gnade niemand erlöst werden kann, sodass die Gnade nicht nur hilfreich, sondern für die Erlösung absolut notwendig ist. Wir sind zwar so tief gesunken, dass wir ohne Gnade nicht gerettet werden können, aber wir sind nicht so tief gesunken, dass wir nicht die Fähigkeit hätten, die Gnade anzunehmen oder abzulehnen, wenn sie uns angeboten wird. Der Wille ist geschwächt, aber nicht versklavt. Im Kern unseres Wesens gibt es eine Insel der Rechtschaffenheit, die vom Sündenfall unberührt bleibt. Ausgehend von dieser kleinen Insel der Rechtschaffenheit, diesem kleinen Stückchen Güte, das in der Seele oder im Willen noch intakt ist, liegt der entscheidende Unterschied zwischen Himmel und Hölle. Es ist diese kleine Insel, die genutzt werden muss, wenn Gott seine tausend Schritte unternimmt, um uns zu erreichen, aber letztendlich ist es der eine Schritt, den wir tun, der darüber entscheidet, ob wir in den Himmel oder in die Hölle kommen – ob wir diese kleine Gerechtigkeit, die im Kern unseres Wesens liegt, ausüben oder nicht. Diese kleine Insel würde Augustinus nicht einmal als Atoll im Südpazifik erkennen. Er sagte, es sei eine Insel der Phantasie (wörtlich.: »mythische Insel«), vielmehr sei der Wille versklavt und der Mensch tot in seinen Sünden und Verfehlungen.

    Ironischerweise verurteilte die Kirche den Semi-Pelagianismus genauso vehement, wie den ursprünglichen Pelagianismus. Doch als man im 16. Jahrhundert das katholische Verständnis dessen las, was bei der Erlösung geschieht, wies die Kirche im Grunde genommen das zurück, was Augustinus und auch Aquin gelehrt hatten. Die Kirche kam zu dem Schluss, dass es immer noch diese Freiheit gebe, dass etwas im menschlichen Willen noch intakt sei, und dass der Mensch mit der »vorauslaufenden« Gnade, die Gott ihm anbietet, kooperieren und ihr zustimmen müsse (und könne). Wenn wir diesen Willen ausüben, wenn wir mit den Kräften, die uns noch bleiben, kooperieren, werden wir gerettet. Und so kehrte die Kirche im 16. Jahrhundert zum Semi-Pelagianismus zurück.

    Zur Zeit der Reformation waren sich alle Reformatoren in einem Punkt einig: dass der gefallene Mensch unfähig sei, sich den Dingen Gottes zuzuwenden; dass alle Menschen, um gerettet zu werden, völlig, nicht zu neunundneunzig Prozent, sondern zu hundert Prozent von der monergistischen Arbeit der Erneuerung abhängig seien, um zum Glauben zu gelangen, und dass der (rettende) Glaube selbst ein Geschenk Gottes sei. Es ist nicht so, dass uns die Erlösung angeboten wird und wir wiedergeboren werden, wenn wir uns für den Glauben entscheiden. Wir können vielmehr nicht einmal (rettend) glauben, bis Gott in seiner Gnade und Barmherzigkeit zuerst die Neigungen unserer Seelen durch sein souveränes Werk der Erneuerung verändert. Mit anderen Worten: Die Reformatoren waren sich alle einig, dass ein Mensch, der nicht wiedergeboren ist, das Reich Gottes nicht einmal sehen kann, geschweige denn in es eintreten kann (Johannes 3,3.5). Wie Jesus im sechsten Kapitel des Johannesevangeliums sagt: »Niemand kann zu mir kommen, wenn der Vater, der mich gesandt hat, ihn nicht zieht« (6,44). Die notwendige Bedingung für den Glauben und die Erlösung eines jeden Menschen ist seine Erneuerung durch »Geburt von oben«.

    Evangelikale und Glaube

    Der moderne Evangelikalismus lehrt fast einheitlich und allgemein, dass ein Mensch, um wiedergeboren zu werden, zuerst Glauben ausüben muss. Man muss sich dafür entscheiden, wiedergeboren zu werden. Ist es nicht das, was Sie hören? In einer Umfrage von George Barna[3] äußerten mehr als siebzig Prozent der »bekennenden evangelikalen Christen« in Amerika die Überzeugung, dass der Mensch im Grunde gut ist. Und mehr als achtzig Prozent vertraten die Ansicht, dass Gott denen hilft, die sich selbst helfen. Diese Positionen – oder lassen Sie es mich negativ ausdrücken – keine dieser Positionen ist semi-pelagianisch. Sie sind beide pelagianisch. Zu sagen, dass wir im Grunde gut sind, ist die pelagianische Ansicht. Ich würde davon ausgehen, dass in mindestens dreißig Prozent der Menschen, die diesen Artikel lesen, und wahrscheinlich mehr, wenn wir ihr Denken wirklich eingehend untersuchen, wir Herzen finden würden, die für den Pelagianismus schlagen. Wir sind davon überwältigt. Wir sind davon umgeben. Wir sind darin versunken. Wir hören es jeden Tag. Wir hören es jeden Tag in der säkularen Kultur. Und wir hören es nicht nur jeden Tag in der säkularen Kultur, sondern auch jeden Tag im christlichen Fernsehen und im christlichen Radio.

    Im 19. Jahrhundert gab es einen Prediger, der in Amerika sehr populär wurde und ein Buch über Theologie schrieb, das aus seiner eigenen juristischen Ausbildung hervorging und in dem er keinen Hehl aus seinem Pelagianismus machte. Er lehnte nicht nur den Augustinianismus ab, sondern auch den Semi-Pelagianismus, und bezog klar Stellung zum vollen Pelagianismus, indem er ohne Umschweife und ohne jegliche Zweideutigkeit sagte, dass es keinen Sündenfall gab und dass es so etwas wie Erbsünde nicht gebe. Dieser Mann griff die Lehre von der stellvertretenden Sühne Christi heftig an und lehnte darüber hinaus die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben allein durch die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi so laut und deutlich wie möglich ab. Die Grundthese dieses Mannes lautete: Wir brauchen die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi nicht, weil wir aus uns selbst heraus die Fähigkeit haben, gerecht zu werden. Sein Name ist Charles Finney, einer der am meisten verehrten Evangelisten Amerikas [4]. Wenn Luther nun Recht hatte mit seiner Aussage, dass »sola fide« der Artikel ist, auf dem die Kirche steht oder fällt, und wenn die Reformatoren sagten, dass die Rechtfertigung durch den Glauben allein eine wesentliche Wahrheit des Christentums ist, die auch argumentierten, dass die stellvertretende Sühne eine wesentliche Wahrheit des Christentums ist; wenn sie mit ihrer Einschätzung, dass diese Lehren wesentliche Wahrheiten des Christentums sind, Recht haben, dann können wir nur zu dem Schluss kommen, dass Charles Finney kein Christ war. Ich habe seine Schriften gelesen und sage: »Ich verstehe nicht, wie ein Christ so etwas schreiben kann.« Und doch ist er in der Ruhmeshalle des evangelikalen Christentums in Amerika. Er ist der Schutzpatron des Evangelikalismus des 20. Jahrhunderts. Und er ist kein Semi-Pelagianer; er vertrat vielmehr ungeschminkt den Pelagianismus.

    Die Insel der Rechtschaffenen

    Eines ist klar: Man kann rein pelagianisch und trotzdem in der heutigen evangelikalen Bewegung vollkommen willkommen sein. Es ist nicht einfach so, dass das Kamel seine Nase in das Zelt steckt; es kommt nicht nur in das Zelt – es wirft den Besitzer des Zeltes hinaus. Der moderne Evangelikalismus betrachtet die reformierte Theologie, die zu einer Art drittklassigem Bürger des Evangelikalismus geworden ist, heute mit Argwohn. Jetzt sagen Sie: »Moment mal, R. C.! Wir sollten nicht alle mit dem extremen Pelagianismus in einen Topf werfen, denn schließlich sagen Billy Graham und der Rest dieser Leute, dass es einen Sündenfall gab, dass man Gnade braucht, dass es so etwas wie Erbsünde gibt und dass Semi-Pelagianer nicht mit Pelagius‘ oberflächlicher und zuversichtlicher Sichtweise der ungefallenen menschlichen Natur übereinstimmen.« Und das ist wahr, keine Frage. Aber es ist diese Behauptung von einer kleinen Insel der Rechtschaffenheit, auf der der Mensch immer noch die Fähigkeit habe, aus sich selbst heraus sich zu bekehren, zu ändern, sich zu neigen, zu entscheiden, das Angebot der Gnade anzunehmen, das offenbart, warum der Semi-Pelagianismus historisch gesehen nicht Semi-Augustinianismus, sondern Semi-Pelagianismus genannt wird.

    Ich habe gehört, wie ein Evangelist zwei Analogien verwendete, um zu beschreiben, was bei unserer Erlösung geschehe. (1) Er sagte, dass die Sünde uns so stark im Würgegriff habe, dass es wie bei einer Person sei, die nicht schwimmen kann und in einem tobenden Meer über Bord gehe. Sie gehe zum dritten Mal unter und nur noch die Fingerspitzen seien über dem Wasser zu sehen. Wenn niemand eingreift, um sie zu retten, habe sie keine Überlebenschance, ihr Tod sei gewiss. Und wenn Gott dieser Person keinen Rettungsring zuwerfe, könne sie unmöglich gerettet werden. Und Gott müsse ihm nicht nur einen Rettungsring in die ungefähre Richtung zuwerfen, in der er sich befindet, sondern dieser Rettungsring müsse ihn genau dort treffen, wo seine Finger noch aus dem Wasser ragten, und ihn so treffen, dass er ihn greifen könne. Er müsse also perfekt geworfen werden. Aber dennoch würde diese Person ertrinken, es sei denn, sie nehme ihre Finger und schließe sie um den Rettungsring. So rette Gott sie. Wenn aber diese winzige menschliche Handlung nicht ausgeführt würde, werde sie mit Sicherheit zugrunde gehen.

    (2) Die andere Analogie ist folgende: Ein Mann sei todkrank und liege mit seiner tödlichen Krankheit in seinem Krankenhausbett. Es gebe keine Möglichkeit, ihn zu heilen, es sei denn, jemand von außerhalb käme mit einem Heilmittel, einem Medikament, das diese tödliche Krankheit heilen könne. Und Gott habe dieses Heilmittel und käme in das Krankenzimmer mit diesem rettenden Medikament. Aber der Mann sei so schwach, dass er sich nicht einmal selbst das Medikament geben könne, Gott müsse es selbst auf einen Löffel gießen. Der Mann sei aber so krank, dass er fast im Koma liege. Er könne nicht einmal den Mund öffnen, Gott müsse sich vorbeugen und seinen Mund für ihn öffnen. Gott müsse den Löffel an die Lippen des Mannes bringen. Aber der Mann müsse die Medizin trotzdem schlucken.

    Wenn wir schon Analogien verwenden, dann sollten wir auch (biblisch) genau sein. Der Mann geht nicht zum dritten Mal unter, vielmehr liegt er in Leichenstarre tot auf dem Meeresgrund. Dort wart ihr einst, als ihr tot wart in Sünden und Vergehen und dem Lauf dieser Welt gefolgt seid, dem Fürsten der Macht der Luft [vgl. Epheser 2,1–3]. Und Gott hat euch mit Christus lebendig gemacht, als ihr tot wart [vgl. Epheser 2,4–8]. Gott tauchte auf den Meeresgrund und nahm diesen ertrunkenen Leichnam und hauchte ihm den Atem seines Lebens ein und erweckte ihn von den Toten. Und es ist nicht so, dass wir in einem Krankenhausbett an einer bestimmten Krankheit gestorben wären, sondern vielmehr, dass wir bei unserer Geburt tot auf die Welt kamen. Die Bibel sagt, dass wir moralisch tot geboren werden.

    Haben wir einen Willen? Ja, natürlich haben wir einen Willen. Calvin sagte, wenn man unter einem freien Willen eine Entscheidungsfähigkeit versteht, durch die man die Macht in sich hat, das zu wählen, was man sich wünscht, dann haben wir alle einen freien Willen. Wenn man unter einem freien Willen die Fähigkeit gefallener Menschen versteht, sich zu beugen und diesen Willen auszuüben, um die Dinge Gottes zu wählen, ohne das vorherige monergistische Werk der Erneuerung, dann, so Calvin, ist der freie Wille ein viel zu großartiger Begriff, um ihn auf einen Menschen anzuwenden.

    Die semi-pelagianische Doktrin des freien Willens, die heute in der evangelikalen Welt vorherrscht, ist eine heidnische Sichtweise, die die Gefangenschaft des menschlichen Herzens in der Sünde leugnet. Sie unterschätzt den Würgegriff, den die Sünde auf uns ausübt.

    Keiner von uns möchte die Dinge so schlecht sehen, wie sie wirklich sind. Die biblische Lehre von der menschlichen Verderbtheit ist düster. Wir hören den Apostel Paulus nicht sagen: »Wisst ihr, es ist traurig, dass es so etwas wie Sünde in der Welt gibt; niemand ist perfekt. Aber seid guten Mutes. Wir sind im Grunde gut.« Sehen Sie, dass selbst eine oberflächliche Lektüre der Heiligen Schrift dies leugnet?

    Nun zurück zu Luther. Was ist die Quelle und der Status des Glaubens? Ist er das von Gott gegebene Mittel, durch das die von Gott gegebene Rechtfertigung empfangen wird? Oder ist er eine Bedingung der Rechtfertigung, die wir erfüllen müssen? Ist Ihr Glaube ein Werk? Ist es das eine Werk, das Gott Ihnen zu tun überlässt? Ich hatte kürzlich eine Diskussion mit einigen Leuten in Grand Rapids, Michigan. Ich sprach über sola gratia, und ein Mann war verärgert.

    Er sagte: »Wollen Sie mir sagen, dass es letztendlich Gott ist, der ein Herz souverän erneuert oder nicht?«

    Und ich sagte: »Ja!«, und das hat ihn sehr verärgert. Ich sagte: »Lassen Sie mich Folgendes fragen: Sind Sie Christ?«

    Er sagte: »Ja.«

    Ich sagte: »Haben Sie Freunde, die keine Christen sind?«

    Er sagte: »Nun, natürlich.«

    Ich sagte: »Warum sind Sie Christ und Ihre Freunde nicht? Ist es, weil Sie rechtschaffener sind als sie?« Er war nicht dumm, darum sagte er nun nicht: »Natürlich, weil ich rechtschaffener bin. Ich habe das Richtige getan und mein Freund nicht.« Er wusste, worauf ich mit dieser Frage hinauswollte.

    So sagte er: »Oh nein, nein, nein.«

    Ich sagte: »Sagen Sie mir, warum. Ist es, weil Sie klüger sind, als Ihr Freund?«

    Er antwortete: »Nein.«

    Aber er wollte nicht zugeben, dass der entscheidende Punkt die Gnade Gottes war. Er wollte nicht darauf eingehen. Und nachdem wir fünfzehn Minuten lang darüber diskutiert hatten, sagte er: »Okay! Ich sage es: Ich bin Christ, weil ich das Richtige getan habe, ich habe die richtige Antwort gegeben, und mein Freund nicht«

    Worauf vertraute diese Person für ihre Erlösung? Nicht auf ihre Werke im Allgemeinen, sondern auf das eine Werk, das sie vollbracht hatte. Und er war Protestant, ein Evangelikaler. Aber seine Ansicht über die Erlösung unterschied sich nicht von der römisch-katholischen Ansicht.

    Gottes Souveränität in der Erlösung

    Es geht im Kern um Folgendes: Was entscheidet letztlich das Heil? Ist es Teil von Gottes Geschenk der Erlösung oder ist es unser eigener Beitrag zur Erlösung? Ist unsere Erlösung ganz und gar Gottes Werk oder hängt sie letztlich von etwas ab, das wir selbst tun? Diejenigen, die Letzteres sagen, dass sie letztlich von etwas abhängt, das wir selbst tun, leugnen damit die völlige Hilflosigkeit des Menschen in der Sünde und behaupten damit, dass eine Form des Semi-Pelagianismus doch wahr sei. 

    Es ist daher nicht verwunderlich, dass die spätere reformierte Theologie den Arminianismus im Prinzip sowohl als Rückkehr zu Rom verurteilte, weil er den Glauben in ein Verdienstwerk verwandelte, als auch als Verrat an der Reformation, weil er die Souveränität Gottes bei der Errettung von Sündern leugnete, was das tiefste religiöse und theologische Prinzip des Denkens der Reformatoren war. Der Arminianismus war in den Augen der Reformierten in der Tat eine Abkehr vom neutestamentlichen Christentum zugunsten des neutestamentlichen Judentums. Denn sich im Glauben auf sich selbst zu verlassen, ist im Prinzip nichts anders, als sich bei Werken auf sich selbst zu verlassen, und das eine ist genauso unchristlich und antichristlich wie das andere. Angesichts dessen, was Luther zu Erasmus sagt, besteht kein Zweifel daran, dass er dieses Urteil gebilligt hätte.

    Und doch ist diese Ansicht heute in bekennenden evangelikalen Kreisen die überwältigende Mehrheit. Und solange der Semi-Pelagianismus, der im Kern einfach eine kaum verhüllte Version des echten Pelagianismus ist, in der Kirche vorherrscht, weiß ich nicht, was passieren wird. Aber ich weiß, was nicht passieren wird: Es wird keine neue Reformation geben. Solange wir uns nicht demütigen und verstehen, dass kein Mensch eine Insel ist und dass kein Mensch eine Insel der Gerechtigkeit hat, dass wir für unsere Erlösung völlig von der reinen Gnade Gottes abhängig sind, werden wir nicht anfangen, uns auf die Gnade zu verlassen und uns an der Größe der Souveränität Gottes zu erfreuen, und wir werden den heidnischen Einfluss des Humanismus nicht los, der den Menschen verherrlicht und in den Mittelpunkt der Religion stellt. Solange wir uns nicht demütigen, wird es keine neue Reformation geben, denn im Mittelpunkt der reformatorischen Lehre steht die zentrale Stellung der Anbetung und Dankbarkeit gegenüber Gott und Gott allein. Soli Deo gloria, Gott allein sei die Ehre.

    Anmerkungen

    • [1] J. I. Packer und O. R. Johnston, „Introduction“ zu The Bondage of the Will (Old Tappan, NJ: Fleming Revell, 1957), S. 59–60. Deutsch: Vom unfreien Willen (orig.: De servo arbitrio, 1523). Digitalquelle: https://www.theology.de/downloads/deservoarbitrio.pdf [abgerufen 25.03.2025]. – Siehe auch: Scott Clark, Luther über die Freiheit und Knechtschaft des Willens. 6. November 2017. Digitalquelle: https://www.evangelium21.net/media/781/luther-ueber-die-freiheit-und-knechtschaft-des-willens [abgerufen 25.03.2025] .
    • [2] ders.
    • [3] George Barna (geb. 1954) ist der Gründer von The Barna Group, einem Unternehmen für Marktforschung, das sich auf die Untersuchung der religiösen Überzeugungen und Verhaltensweisen von Amerikanern sowie auf die Schnittstelle zwischen Glauben und Kultur spezialisiert hat.
    • [4] »Charles Grandison Finney (* 29. August 1792 in Warren, Litchfield County, Connecticut; † 16. August1875 in Oberlin, Ohio) war ein US-amerikanischer Jurist, evangelikaler Erweckungsprediger, Hochschullehrer und Rektor des Oberlin Collegiate Institute und wichtiger Vertreter der Heiligungsbewegung und des Oberlin Perfektionismus.« (https://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Grandison_Finney, abgerufen 14.04.2025).