Sola Scriptura: Das Fundament der Reformation

Artikel von Dr. Robert E. Brunansky (29.10.2025)

Am 31. Oktober 1517 schlug Martin Luther seine 95 Thesen an die Tür der Wittenberger Kirche und löste damit die protestantische Reformation aus. Luther wollte keine politische oder spirituelle Revolution anzetteln, sondern eine Diskussion über das theologische Problem der Ablässe anstoßen. 

Der Verkauf von Ablässen in der römisch-katholischen Kirche hatte seinen Ursprung nicht in geistlichen, sondern in zivilrechtlichen Gründen. Im Mittelalter war die Kirche gleichbedeutend mit dem Staat und setzte daher nicht nur theologische, sondern auch zivilrechtliche Normen durch. Ablässe wurden also zunächst für Straftäter eingeführt, um für Vergehen gegen den Staat Buße zu zahlen, wodurch dessen Einnahmen erhöht und die Ausgaben gesenkt wurden. Ursprünglich versprach die Kirche keine geistlichen Vorteile durch den Kauf von Ablässen. 

Da Kirche und Staat jedoch vereint wirkten, verschwand diese Unterscheidung zwischen der zivilen Schuld und Vergebung und der geistlichen Schuld und Vergebung. Die Kirche erkannte, wie effektiv Ablässe bei der Erzielung von Einnahmen für kriminelle Aktivitäten waren, und begann, Ablässe für geistliche Versprechen zu verkaufen. Als Martin Luther neun Jahrhunderte später auftauchte, war der Verkauf von Ablässen für geistliche Vorteile weit verbreitet. Es überrascht nicht, dass Ablässe umso »geistlich vorteilhafter« wurden, je mehr Geld Rom benötigte.

Martin Luther verstand, dass wahre Erlösung durch die Vergebung von Sünden nicht mit vergänglichen Dingen erkauft werden konnte (1Petrus 1,18–19). Luther verurteilte daher zu Recht diesen Ablasshandel und verbreitete das Evangelium von Gottes Gnade. Dies löste einen Sturm der Entrüstung aus, da Rom seine Einnahmequelle nicht verlieren wollte.

Im Mittelpunkt der Reformation stand mit Recht das reine Evangelium. Um das Evangelium deutlich zu erklären, wurden Grundsätze entwickelt – die fünf Solas der Reformation. Das erste war sola gratia, was »allein aus Gnade« bedeutet. Wir empfangen die Erlösung, weil Gott sich frei dafür entschieden hat, sie uns zu schenken. Das zweite war sola fide, was »allein der Glaube« bedeutet. Werke können Sünder vor einem heiligen Gott nicht rechtfertigen, das Heil wird ausschließlich auf der Grundlage des Glaubens geschenkt.

Wie können wir jedoch vor einem Gesetz, das uns gebietet, bestimmte Dinge nur durch den Glauben und niemals durch Werke zu tun (oder nicht zu tun), gerecht stehen? Hier finden wir den Grundsatz von solus Christus, Christus allein. Unsere Erlösung basiert auf seinem Gehorsam, nicht auf unserem. Kein Mensch kann unsere Erlösung retten oder zunichte machen, nur Christus rettet. 

Soli deo gloria folgt dann nach Logik und gemäß der Heiligen Schrift. Wenn die Erlösung allein aus Gnade, allein durch den Glauben und allein in Christus geschieht, dann haben wir keinen Grund, uns zu rühmen. verdient Gott allein alle Ehre für unsere Erlösung (Römer 11,36). Das alles ist logisch konsistent. Aber die Reformatoren schufen damit kein philosophisches System, sondern versuchten nur zu erkennen, was die Heilige Schrift über die Erlösung lehrt. Das Grundprinzip, auf dem diese solasberuhten, war sola scriptura, allein die Heilige Schrift. Die Grundlage für die Argumente der Reformatoren waren nicht menschliche Traditionen, kirchliche Dogmen oder päpstliche Erlasse, sondern die Heilige Schrift selbst. 

Das heißt nicht, dass die Reformatoren bereits in allem Recht hatten. Die Reformatoren selbst waren sich über bestimmte Lehren uneinig, wie zum Beispiel die Taufe, die Natur der göttlichen Erwählung und das Abendmahl. Ihr Grundprinzip war jedoch, dass die Heilige Schrift für alle Fragen die letzte Autorität war. 

Das Prinzip »allein die Heilige Schrift« war damals radikal, aber es war schon immer umstritten. Das Hauptproblem mit »allein die Heilige Schrift« war nicht ihre Notwendigkeit. Alle waren sich einig, dass die Heilige Schrift notwendig war. Das Problem betraf ihre Hinlänglichkeit (Genugsamkeit). Reicht die Schrift, oder brauchen wir die Heilige Schrift plus kirchliche Traditionen, päpstliche Erlasse oder etwas anderes? Reicht es, wenn wir allein (exklusiv) die Heilige Schrift haben, um Gott, die Erlösung und ein gottgefälliges Leben zu kennen? Glauben wir an die Kraft der Heiligen Schrift, das zu tun, was sie verspricht? Und vor allem: Behauptet die Heilige Schrift selbst, für alles, was zum Leben und zur Frömmigkeit notwendig ist, ausreichend zu sein? 

Der Apostel Paulus beantwortete diese Frage seinem Schützling Timotheus (2Timotheus 3,16–17) brieflich aus dem Todestrakt eines römischen Gefängnisses heraus. Für Timotheus war dies eine beängstigende Situation. Wie sollte er ohne die Weisheit des Apostels Paulus wissen, was ferner zu tun war? Paulus gibt Timotheus eine klare Antwort. Timotheus muss sich an die Heilige Schrift halten, die ihn ausreichend für seine von Gott gegebene Aufgabe ausrüsten kann. Timotheus brauchte Paulus nicht notwendigerweise; er brauchte aber Gottes Wort. Hier liegt der springende Punkt: Die Heilige Schrift reicht völlig aus, um uns für alles auszurüsten, wozu Gott uns berufen hat. Die Hinlänglichkeit der Heiligen Schrift allein war das Argument des Paulus‘ gegenüber Timotheus, und es ist auch das Argument des Heiligen Geistes gegenüber uns. Was wir brauchen, um Gott zu gefallen und ihm zu gehorchen, sowohl individuell als auch gemeinschaftlich, ist sein Wort. Um dies zu verdeutlichen, möchte ich drei Wahrheiten über die Heilige Schrift aus diesem Abschnitt betrachten.

Erstens sollten wir die Quelle der Heiligen Schrift verstehen (Vers 16a).

Paulus sagt uns, dass die gesamte Heilige Schrift von Gott inspiriert ist. Gott ist der Verfasser der gesamten Bibel – nicht nur von Teilen davon. Die Heilige Schrift wurde von Gott eingegeben und ist das Werk des Heiligen Geistes. Die Bibel, die wir in unseren Händen halten, ist nicht aus menschlicher Genialität, Meinung, Philosophie oder Kreativität entstanden. Sie ist das Produkt des Geistes des ewigen Gottes.

Allzu leicht lassen wir uns von menschlichen Ideen, Forschungen, Gedanken und Meinungen überzeugen und vernachlässigen oder lehnen Gottes Wort ab. Dabei haben wir den Geist Gottes, der mit der Bibel redet. Die Heilige Schrift steht für sich allein als von Gott gegeben und von Gott eingegeben. Alles andere ist weit abgeschlagen.

Zweitens müssen wir die Nützlichkeit der Schrift verstehen (Vers 16b).

Gott hat uns kein esoterisches, abstraktes Buch der Metaphysik gegeben. Er hat uns ein Wort gegeben, das nützlich, praktisch und hilfreich ist. Keines seiner Worte ist unpraktisch, irrelevant, veraltet oder trivial – von 1Mose 1,1 bis Offenbarung 22,21.

Paulus skizziert vier Dinge, die die Heilige Schrift bewirkt. Zunächst sagt er, dass die Heilige Schrift für die Lehre nützlich sei. Was ein Mensch glaubt, hat einen entscheidenden Einfluss darauf, was er tut und wie er lebt. Menschen, die Irrtümer glauben, empfangen keine Wahrheit. Sie haben dann falsche Lehren, die verurteilen, zur Sünde führen und Zerstörung bringen. Christen hingegen sind im Glauben an die Wahrheit von Irrtümern befreit worden. Die Heilige Schrift ist also nützlich, um ein richtiges Verständnis von Gott, dem Menschen, der Welt, Satan, der Erlösung, dem Gericht und dem Gehorsam zu fördern. 

Außerdem sagt Paulus, dass die Schrift zur Überführung nützlich ist. Gottes Wort zeigt, was wahr ist, und beweist, was falsch ist, wo wir richtig liegen, und wo wir sündigen. Die Verfasser des Neuen Testaments verwenden die Schrift oft auf diese zweischneidige Weise und berufen sich sogar innerhalb der Bibel ständig auf die Bibel! Der dritte Verwendungszweck, den Paulus erwähnt, ist die Zurechtweisung. Die Schrift ist nützlich, um uns zu zeigen, wo unser Verhalten sündig, gottlos oder böse ist, und um dann korrigierend anzuweisen, wie wir unseren Kurs ändern müssen. Abschließend sagt Paulus, dass Gottes Wort nützlich ist für die Unterweisung in der Gerechtigkeit. Wir brauchen erziehende Unterweisung, damit wir nicht nur wissen, was zu tun ist, sondern auch dazu befähigt und willig sind, es konsequent in die Tat umzusetzen.

Für diese Dinge ist die Schrift nützlich. Gottes Wort lehrt uns, Wahrheit von Irrtum zu unterscheiden, Sünde abzulegen und zu gehorchen. Es ist äußerst nützlich und praktisch.

Schließlich müssen wir den Zweck der Schrift betrachten (Vers 17).

Der Zweck der Schrift ist es, uns vollständig zu befähigen, ein gottgefälliges Leben in einer feindseligen Welt zu führen. Die Bibel reicht aus, um uns alles zu lehren, wozu Gott uns berufen hat. Wenn wir in der Schrift verwurzelt sind, werden wir gründlich darin geschult sein, Gottes Willen zu tun.

Es gibt einen Fall, in dem die Schrift der Gemeinde oder den Gläubigen keinen Nutzen bringt, nämlich wenn Menschen sie ablehnen (Hebräer 4,2). Wenn die Schrift als irrelevant, unpraktisch oder machtlos erklärt wird oder erscheint, liegt das Problem nicht bei Gottes Wort. Die Schrift bringt nur dann keinen Nutzen, wenn Menschen nicht glauben, was sie lesen. Unglaube ist die einzige Barriere, das uns daran hindert, von der Schrift zu profitieren.

Die »Evangelikalen« sind die Erben der protestantischen Reformation. Es sollte kein Zweifel daran bestehen, dass die Heilige Schrift unsere letzte Autorität in allen Fragen der Lehre und Praxis ist und sein muss. Glauben wir also an das Wort Gottes? Ist unser Hören oder Lesen der Heiligen Schrift mit Glauben verbunden? Glauben wir, dass es uns lehren, überführen, zurechtweisen und unterweisen wird, Gottes Willen zu tun? Oder schauen wir auf die Meinungen und Ideen bloßer Menschen? 

Sola scriptura ist eine wunderbare Grundlage, aber ohne Glauben ist sie nutzlos. Lasst uns in Gottes Wort eintauchen, daran glauben und uns davon verwandeln lassen.

Über Robb Brunansky

Dr. Robert E. Brunansky ist Gemeindehirte und -lehrer in der Desert Hills Bible Church (DHBC) in Glendale, Arizona (USA). Er hat einen M. Div. von The Master’s Seminary in Sun Valley, CA (USA) und einen Ph.D. für Neues Testament vom Southern Baptist Theological Seminary in in Louisville, KY (USA). Robb uns seine Frau Randi sind seit über 20 Jahren verheiratet und haben vier Kinder, zwei Töchter und zwei Söhne.

Quelle und Disclaimer

Copyright 2025 by Robert E. Brunansky. Original (Link):
https://thecripplegate.com/sola-scriptura-the-foundation-of-the-reformation/

Eigene Übersetzung von grace@logikos.club. Erlaubnis für diese Veröffentlichung ist beim Autor angefragt.