Heinrich Bullinger: Von der Obrigkeit

1568 veröffentlichte der Schweizer Reformator Heinrich Bullinger (1504–1575, Nachfolger Ulrich Zwinglis in Zürich) sein „Haußbuch“ mit einer Reihe von Predigten. Eine dieser Predigten, die sechzehnte, beschäftigte sich im Rahmen einer Betrachtung über die Zehn Gebote mit der Obrigkeit. Der folgende Text ist dem gedruckten Predigttext entnommen und sprachlich etwas unserer Schreibweise angepasst worden.

»Was die Obrigkeit sei.

Das Wörtlein Obrigkeit heißt im Lateinischen Magistratus, und hat seinen Ursprung vom Wörtlein Magister, das heißt Meister, mit welchem angezeigt wird, dass du, wenn du zur Obrigkeit gehörst, Meister, Führer von Oberen des Volkes bist. Diese werden auch die Gewalt von Gott genannt, wegen der Gewalt, die sie von Gott empfangen haben. Die Obrigkeit wird auch eine Herrschaft genannt, wegen der Herrschaft, die ihr Gott auf Erden gegeben und zugelassen hat. Und welche also herrschen, werden Fürsten genannt, von Vorstehen, denn sie sind die vordersten unter dem Volk. Also heißen sie auch Räte von raten, und Könige von regieren, Gebieter von gebieten. Darum ist die Obrigkeit an ihr selbst ein Amt und eine Verwaltung. Aristoteles beschreibt die Obrigkeit also, dass sie eine Hüterin und Erhalterin der Gesetze sei. Und Plutarchus spricht im Büchlein, in dem er lehrt, dass ein Oberer notwendiger Weise geschickt und gelehrt sein soll, spricht unter anderem so: Die Oberen sind Diener Gottes, zum Heil und zur Fürsorge der Menschen, zum Teil, dass sie ihnen austeilen, zum Teil auch bei dem erhalten, das Gott ihnen gegeben hat. Aus der heiligen Schrift aber mag die Obrigkeit also beschrieben werden, dass sie eine Ordnung Gottes sei, dass durch Hilfe und Rat der Vornehmsten die Frommen geschützt und geschirmt, die Bösen aber gestraft, und also wahre Gottesfurcht, Gerechtigkeit, Ehrbarkeit und Ruhe, auch allgemeiner und besonderer Friede, erhalten werden. Daraus folgt dann, dass im Regiment sein, und das Amt der Obrigkeit treulich auszurichten, ein Gottesdienst ist. Denn solches gefällt Gott, und dann ist Obrigkeit ein gutes Ding, aus dem trefflich viele gute Werke entspringen, wie ich in vorgehender Predigt bereits erklärt habe.

Dreierlei Obrigkeit.

[Monarchie.] Es gibt aber dreierlei Obrigkeiten, nämlich: die Monarchie, Aristokratie und Demokratie. Die Monarchie mögen wir ein Reich nennen, in dem einer die oberste Gewalt ausübt und alle Dinge verwaltet durch gerechte und angemessene [billige] Satzungen. Wenn aber ein solcher Regent die Gerechtigkeit und Angemessenheit [Billigkeit] hintanstellt und alle Dinge nach seinem Mutwillen wider Recht und Angemessenheit [Billigkeit] tut, ist er ein Tyrann und seine Gewalt eine Tyrannei, also eine grausame [grimmige] Überwältigung. Solches Laster hängt dem Reich und der Monarchie gerne an und ist dem zuwider. Aristokratie hingegen ist eine Regierung der Vornehmsten und Besten unter dem Volk, da man die allerbesten, frömmsten [frembsten] und redlichsten einer gewissen Zahl erwählt und aussucht, die dem Volk vorstehen. Diese Regierung ist erwachsen aus der Tyrannei. Denn da man anfing zu sehen, wie misslich es wäre, einem Mann alle Gewalt zu lassen, hat man angefangen, die höchste Gewalt vielen und den Besten anzubefehlen. Wenn aber solche vornehmsten Häupter unter dem Volk mit bösen Künsten und Sünden an das Regiment kommen und ihren eigenen Nutz und Frommen suchen, anstelle des allgemeinen Nutzens und des allgemeinen Wohlstand, so ist ihre Regierung damit nicht mehr eine Artistokratie, sondern eine Oligarchie zu nennen, das heißt: eine mutwillige Gewalt weniger Leute, nicht eine gerechtfertigte [billige] Regierung der Besten und Vornehmsten. Auf diese Weise werden die Oligarchen anstelle der Optimatibus, die die Besten und Vornehmsten sind, gesetzt. Demokratie ist eine solche Regierung, wo alle Gewalt beim gewöhnlichen Mann steht. Diese Regierungsform ist aus der Oligarchie erwachsen. Denn da der gewöhnliche Mann gesehen hat, dass auch die Vornehmsten und Auserwähltesten im Volk ihre Gewalt missbrauchen und zu Oligarchen wurden, hat er sie des Amtes enthoben [entsetzt] und die Gewalt behalten und mit mehreren Händen angefangen, alle Dinge zu verwalten und zu regieren. Diese Demokratie aber bricht manchmal auch aus und gerät zu einem Aufruhr und einer Zusammenrottung, wenn sich niemand regieren lassen will, und ein jeder tun will, was ihm gefällt, weil er ja genauso viel zählt, wie jeder andere gewöhnliche Mann, bei dem alle Gewalt steht.

Welche aber von diesen Regierungen die beste sei, will ich nicht urteilen. Viele sind es, die die Monarchie für die beste gehalten haben, unter der Bedingung [hinzu gesetzt], dass der Fürst gut sei, welches aber selten der Fall ist. Die aber dieser Meinung gewesen waren, haben gewöhnlich unter den Monarchen gelebt, wider die zu reden gefährlich war. Im Volk Juda und Israel findet man wenige gute – oder zumindest mittelmäßige – Könige. Darum hat Gott auch durch Samuel dem Volk nicht ohne Ursache geraten, dass sie die Aristokratie, die unter ihnen durch die allerweisesten und vortrefflichsten Männer, Mose und Jethro, aufgerichtet war, behalten sollten. Wiewohl niemand leugnen kann, dass auch bei der Aristokratie große Gefahr und Ungebührlichkeiten [Unkömmlichkeiten] mitlaufen. Viel mehr aber bei der Demokratie. Aber es steht um uns Menschen in diesem Leben ja so, dass es nichts gibt, das nicht irgend einen Mangel hätte. Darum wird das für das Beste gehalten, das obgleich nicht ohne Fehl seiend, doch im Vergleich zu den anderen am wenigsten davon hat.

Man soll aller Obrigkeit gehorsam sein.

Sei es, wie es wolle, jedenfalls heißen uns die Apostel unseres Herrn Jesus Christus, dass wir der Obrigkeit gehorsam sein sollen, sei sie nun ein König oder ein versammelter Rat der Besten unter dem Volk. Es gilt gleich. Denn Paulus spricht in der Epistel an Titus im dritten Kapitel: Erinnere sie, dass sie den Vorgesetzten und der Gewalt untertan seien, der Obrigkeit gehorsam seien. Und zu den Römern [Röm. 13.] : Jedermann sei der Obrigkeit und der Gewalt untertan, denn es ist keine Gewalt denn von Gott, alle Gewalt ist aber von Gott verordnet. Und zu Timotheus spricht er [1. Tim. 2.]: So ermahne ich nun vor allen Dingen, dass man bete und Fürbitte einlege für die Könige und für alle Obrigkeit (usw.). Darum: Ist jemand unter einem Monarchen und König, so sei demselben gehorsam. Ist er unter einer anderen Regierung, Bürgermeistern, Gemeindevorstehern [Schultheißen], Zunftmeistern, Ratsherren, so sei er ihnen desgleichen untertan. Denn es ist besser, man gehorche der Ordnung Gottes, als dass man spitzfindig viel diskutieren wolle über den Unterschied der Regierungsformen und welche von diesen die Beste sei. Dass es aber eine Obrigkeit gibt, ist uns Menschen höchst notwendig, allein schon deswegen vonnöten, weil unsere Sachen ohne eine Obrigkeit in keinem Wohlstand sein noch bleiben mögen.

Ursachen und Ursprung der Obrigkeit. Richter 19.

Denn im Volk Israel standen die Sachen nie übler, als wo sie nach dem Tode Simsons bis auf den Heli [?] keine rechte Obrigkeit hatten, sondern ein jeder tat, was ihm wohlgefiel. Denn allen Menschen ist die Eigenliebe und das eigene Wohlgefallen so angeboren, dass ein jeder allein auf das Seine sieht, dass er an allem, was er tut, Wohlgefallen hat, und das Wort und Werk anderer Leute verachtet. Ja, unsere böse Begierde und unablässliche Eigenliebe führt uns auch dahin, dass wir selbst böse Sachen verstehen als Recht zu beschirmen und sie für recht und gut ausgeben. Wer das nicht glaubt, der weiß nicht, was Menschen sind. Siehe, das Volk Israel war erst aus Ägypten erlöst und hatte erschreckende und große Wunder gesehen, und wurde in der Wüste vom Himmel herab wunderbarlich ernährt, und sah alle Tage neue Wunderzeichen. Doch höre, was Mose, der allermildeste und sanftmütigste unter allen Menschen von diesem heiligen Volk, von dem Volk Gottes, das Gott selbst ein Eigentum nennt, redet. Er spricht also zum Volk: Wie kann ich allein solche Mühe und Last und Hader von euch ertragen? Also tat sich des Fleisches Art auch in der heiligen Gesellschaft und aller herzlichsten Gemeinschaft der ersten Apostolischen Kirchen, ja in den Wiedergeborenen selbst, hervor. Denn es erhob sich ein Gemurmel unter den Griechen wider die Hebräer, weil ihre Witwen übersehen wurden in der täglichen Handreichung. Also zankten sich auch die Korinther vor den heidnischen Richtern, wofür sie vom heiligen Apostel Paulus gar heftig gescholten wurden, der sie anweist, aus den Gläubigen Schiedsleute zu erwählen, die ihre Sachen entscheiden sollen. Deshalb kann uns in dieser Sache niemand vorwerfen, das alte Volk Israel sei ein fleischliches Volk gewesen und noch nicht wiedergeboren, weil wir sehen, dass auch in denen, die wiedergeboren sind, noch des Fleisches verbliebene Schwachheit hängt, die sich immerdar, wo ihr Luft und Anlass gegeben wird, offenbaren wird, Zank und Unruhe hervorbringt, da sie wohl zufrieden sein möchte. Ganz zu schweigen davon, dass der Großteil der Welt nicht nach dem Geist fragt, sondern nur dem Fleisch nachlebt und nachhängt. Darum, weil Gott ein Liebhaber und Gönner der Menschen ist, und ein Erhalter des menschlichen Geschlechts, alles Friedens und aller Ruhe, so hat er die Obrigkeit eingesetzt, als eine Arznei und Hilfe, um den großen Übeln der Menschen zu wehren, dass sie sich mit Angemessenheit und Gerechtigkeit zwischen die lege, die miteinander zanken, sie voneinander trenne, der bösen und unangemessenen [unbillichen] Gewalt wehre, die Unschuldigen beschirme. Darum, wer diese göttliche Ordnung brechen oder aufheben wollte (wir Menschen würden dann allesamt zu Engeln), der würde nichts anderes, als eine Konfusion und Zerstörung aller Dinge, und bewirken, dass wer es am besten vermöchte, der die frömmsten und andere alle unterdrücke und ausrottete. [Die Obrigkeit ist von Gott eingesetzt den Menschen zum Guten] Darum sehen wir aus allem, was wir bisher erzählt haben, ganz klar, dass die Obrigkeit von Gott eingesetzt ist, den Guten zu schirmen und den Bösen zu bestrafen, das heißt, zum Guten und zum Wohlstand aller Menschen. Dies wird unterstützt davon, dass wir finden, dass von Anfang der Welt an stets Obrigkeiten gewesen sind. Des weiteren [item] befestigen solches die Zeugnisse der heiligen Schrift. Als dass Moses im Gesetz die Richter Götter nennt und spricht, dass das Gericht Gottes sei. Aus welchen Worten auch Josaphat genommen hat, dass er zu den Richtern spricht [2. Chr. 19]: Sehet zu, was ihr tut. Dass ihr übet das Gericht nicht für den Menschen, sondern für den Herrn. Und er ist mit euch im Gericht, darum lasst die Furcht des Herrn bei euch sein (usw.). Entsprechend heißt St. Petrus [1. Pet. 2.], der Obrigkeit gehorsam zu sein, um des Herrn willen, von welchem die selbige verordnet ist, zur Rache der Bösen und zum Lob der Frommen. So spricht auch Paulus, der Lehrer der Heiden [Röm. 13.]: Es ist keine Gewalt, als von Gott, und die Gewalt, die da ist, ist von Gott verordnet. Und wer der Gewalt widersteht, der widersteht der Ordnung Gottes. Wer aber dieser widersteht, der wird ein Urteil über sich empfangen. Denn die Gewaltigen sind nicht denen, die Gutes tun, sondern den Bösen zur Furcht. Denn sie sind Diener Gottes, dir zum Guten, und zur Strafe dessen, der Böses tut. Deshalb, wie gesagt, ist die Obrigkeit von Gott und ihr Amt gut, heilig, gottgefällig, recht, nützlich und notwendig allen Menschen, und die so von der Obrigkeit sind, und dies Amt wohl und recht verwalten, die sind Freund, Diener und auserwählte Werkzeuge Gottes, durch die Gott das Heil und den Wohlstand der Menschen wirkt und ausrichtet. Dessen wir Exempel haben an Adam, an allen Erzvätern, an unserem Vater Noah, an Josef, an Mose, an Josua, am Gideon, Samuel, David, Josaphat, Hesekiel, Josia, Daniel, und vielen anderen. Auch die nach den Zeiten unseres Herrn Jesus Christus das Amt der Obrigkeit verwaltet haben.

Gute und böse Obrigkeit.

Es gibt aber hauptsächlich zweierlei Obrigkeit: gute und böse. Eine gute Obrigkeit ist eine, die ordentlich gewählt wurde und auch ihr Amt recht verwaltet. Eine böse Obrigkeit ist eine, die nicht durch ordentliche Mittel in das Regiment gekommen ist, und die das selbige auch nicht recht, sondern nach ihrem Mutwillen verwaltet. [Ob auch die böse Obrigkeit von Gott sei] Hier aber entsteht eine Frage: Ob die böse und tyrannische Obrigkeit auch von Gott sei? Antwort: Gott ist nicht eine Ursache des Bösen, sondern des Guten. Denn Gott ist von Natur gut, und all sein Vornehmen ist gut und dient zum Guten und zum Heil, nicht zum Schaden und Verderben des Menschen. Also ist auch die Obrigkeit, als eine gute, nützliche Ordnung, ohne allen Zweifel von GOTT, der ein Ursprung und Brunnen alles Guten ist. Da muss man aber unterscheiden zwischen der Ordnung Gottes, das ist, dem Amt an sich, und der Person, die das Amt, das an sich selbst gut ist, nicht verrichtet, wie sie sollte. Wenn also in der Obrigkeit Böses gefunden wird, und nicht das Gute, weswegen sie eingesetzt ist, so entspringt dieses Böse aus anderen Ursachen und tragen andere Schuld daran, nämlich die Personen oder Menschen, die Gott nicht folgen, und die gute Ordnung missbrauchen. Und: An Gott, oder der Ordnung Gottes, ist an sich gar keine Schuld. Denn entweder ist da ein Oberster, der in sich selbst böse und von dem Teufel verführt ist, der die Wege Gottes verletzt und diese von sich aus mutwillig übertritt, so dass er besser ein teuflischer als denn ein göttlicher Herrscher [Gewalt] genannt wird. So wie wir dies sehen bei der Obrigkeit Jerusalems, welche wohl den Anfang und Ursprung ihrer Gewalt bis auf Mose, ja auf GOTT selbst hätte zurückführen [rechnen] können, welche aber den Herrn Christum in dem Garten verhaften und binden ließen, so dass der Herr zu ihren Dienern sagte [Luk. 22]: Ihr seid wie zu einem Mörder mit Schwertern und Stangen [Kolben] ausgegangen. Ich bin täglich bei euch im Tempel gewesen und ihr habt keine Hand an mich gelegt. Aber dies ist eure Stunde und die Gewalt der Finsternis. 

Siehe, da nennt er die ordentliche Obrigkeit, die aber ihre Gewalt missbrauchte, eine Gewalt des Teufels. Was könnte Klareres geredet werden? Solches redet der Herr aber nicht betreffs des Amtes, sondern betreffs ihrer Personen. Also war wohl das Römische Reich von Gott verordnet, wie wir das aus den Gesichten des Propheten Daniels ersehen. Doch so, wie Nero regierte, tat er dies nicht aus Gott, wenn auch nicht ohne Gottes Ordnung, sondern aus dem Teufel, obschon er ein König und ein Kaiser war, weil er nicht tat, was ein guter Herr und Oberer tun soll. Denn wie anders als aus dem Teufel war es, dass er die Apostel Christi kreuzigte und enthauptete und eine blutige Verfolgung der Kirchen Christi anfing. Also muss man aufpassen, dass man eine tyrannische Gewalt nicht als eine göttliche verteidige. Denn eine tyrannische Regierung ist aus dem Teufel und nicht aus Gott, und Tyrannen sind eigentlich nicht Gottes, sondern des Teufels Diener. Oder es begibt sich, dass ein Volk wegen seines ungöttlichen, lasterhaften Lebens es verdient, einen Tyrannen als König zu haben. Aber auch hier kommt Gott keine Schuld zu, sondern den sündigenden Menschen, derentwegen Gott solches verhängte, und einen Angeber [Gleißner] zu ihrem Regenten macht. Hier ist also die böse Obrigkeit von Gott, wie auch Aufruhr, Krieg, Pestilenzen, Hagel, Frost [reyffen?] und anderen Plagen und Unglück der Menschen von Gott sind: Als Strafen der Sünden und Laster, wie auch Gott selbst spricht [Jes. 3.]: Ich will ihnen Kinder zu Fürsten geben und junge Kinder werden über sie herrschen, darum, dass ihre Reden und Ratschläge wider den Herrn sind, um das Angesicht seiner Majestät zu erzürnen. Also hat Gott wider sein Volk und Stadt die grausamen Könige der Assyrer und Babylonier erweckt: Weil sie seinem Wort nicht folgten und nicht taten, was sie sollten.

Ein getreuer Rat für alle Unterdrückten

Wie aber nun die Untertanen gegenüber solchen schrecklichen [grimmigen]und rohen Fürsten und Tyrannen gesinnt sein sollen, lernen wir aus dem Exempel Davids, Jeremias und den heiligen Aposteln. David wusste wohl, wer Saul war, nämlich ein gottloser und grausamer Totschläger, vor dem er fliehen musste[?]. Und obwohl er ein- oder zweimal die Gelegenheit hatte, dass er ihn wohl hätte umbringen können, tat er es doch nicht, sondern verschonte ihn und ehrte ihn als seinen Vater. Genauso Jeremia, der für den Jojakim und den Zedekia betete, obwohl sie beide gottlose Könige waren, und ihnen gehorsam war, solange es nicht wider Gott war. Dann auch vorher, als ich von dem Gebot der Verehrung der Eltern geredet hatte, hatte ich aus der Schrift gezeigt, dass man den Geboten der Gottlosen, die wider Gott sind, nicht gehorchen solle. Denn es ziemt keiner Obrigkeit, dass sie etwas tue und vornehme, das wider das Gesetz Gottes und der Natur ist. Wie sich auch die heiligen Apostel gegen die tyrannischen Obrigkeiten gehalten haben, bezeugen ihre Geschichten. Welche durch Tyrannei gedrängt, ja von gottlosen, lasterhaften Obrigkeiten wider alle Angemessenheit und alles Recht unterdrückt werden, die fassen diesen Rat. 

Aufs Erste bedenken sie, welch große Sünden die Abgötterei und Schnödigkeit und Unzucht vor Gott sind, mit welchen sie den Zorn und die Strafe Gottes verdient und wohl verschuldet haben. 

Danach bedenken sie auch, dass GOTT mit solcher Geißel und Ruten nicht aufhören wird, wo sie den falschen Gottesdienst nicht von sich tun und ihr Leben bessern. Darum ist es notwendig, dass man vor allen Dingen die Religion recht anrichte und reformiere und das Leben ändere und bessere. 

Danach soll man auch ernstlich und emsig beten, dass Gott die Unterdrückten erretten und aus dem Übel erlösen wolle. Denn diesen Rat gibt auch der Herr selbst den Unterdrückten in Lukas im achtzehnten Kapitel und verheißt dabei eine sichere Hilfe und Erlösung [V. 7–8a]. Was aber und wie die Unterdrückten beten sollen, davon haben wir hübsche Beispiele und Formeln in Daniels neuntem und der Apostelgeschichte viertem Kapitel. Unterdessen sollten alle Herzen, die also beschwert sind, auch dessen eingedenk sein, dass die vornehmsten Apostel Christi, sowohl Petrus wie Paulus, gelehrt haben, da jener spricht [2. Pet. 2. | 1. Kor. 10.]: Gott kann die Seinen wohl aus Trübsalen erretten, wie er auch den Lot gerettet hat. Dieser aber spricht: Gott ist treu, der die Seinen nicht wird lassen versucht werden über das hinaus, was sie ertragen mögen, sondern wird neben der Versuchung einen glückseligen Ausgang geben, damit sie es ertragen mögen. Dabei sollen sie auch des Gefängnisses des Volkes Gottes gedenken, als sie siebzig ganze Jahre in Babylonien gefangen gewesen waren. Item der schönen Tröstungen, mit denen sie getröstet worden waren, welche Jesaja in seiner Prophetie vom vierzigsten an bis zum neunundvierzigsten Kapitel beschreibt. Wir sollen eingedenk sein, dass der Herr gut, gnädig und allmächtig ist, weshalb er uns wohl zu helfen vermag. Und er kennt auch viele Mittel, uns zu helfen. Sehen wir nur zu, dass wir die Tyrannen nicht mit unserem vermessenen [schnöden] und gottlosen Leben stärken. Es mag der Herr die Herzen und Gemüter der Regenten (weil die Herzen der Könige in seiner Hand wie Wasserbäche sind, die er leiten kann, wohin er will) bald ändern, so dass die, die bisher am grausamsten gegen uns gewesen waren, von Stund an gütig und freundlich werden. Und jene, die die wahre Religion aufs grausamste verfolgt haben, werden von nun an (die ehemals Verfolgten) aufs Allerinbrünstigste lieben und mit größtem Fleiß fördern. Davon haben wir sehr hübsche und klare Zeugnisse in den Geschichtsbüchern der Könige. Item in den Büchern Esra und Nehemia, auch in der Prophezeiung Daniels. Auch bei Nebukadnezar [Nabuchodonosor], der sich erdreistete, die getreuen und tapferen Märtyrer Gottes im feurigen Ofen zu braten und zu vertilgen wegen ihres wahren Glaubens. Aber bald ward er ein anderer und lobte Gott, dass er sie im Feuer erhalten hatte, und fachte selbst durch veröffentlichtes Edikt und Mandat an, den wahren Gott und die wahre Religion zu predigen und auszubreiten. Ebenso Darius, der Sohn Assyriens, der Daniel in die Löwengrube werfen ließ. Aber Gott ändert ihn gleich dermaßen, dass er ihn wieder herauszog und alle Feinde Daniels in die selbe Grube den Löwen zum Zerreißen vorwarf. Kyrus, der allergewaltigste König der Perser, förderte ebenso die wahre Religion. Item Darius Hystaspes, der mit Beinamen Artaxerxes genannt wird, der dem Volk Gottes vortrefflich half in ihrem Vorhaben, die Stadt und den Tempel zu Jerusalem wieder aufzubauen. Darum sollen wir an der Hilfe Gottes niemals zweifeln. So plagt auch etwa GOTT die Tyrannen oder nimmt sie gar hinweg durch schnelle und grausam schreckliche Krankheiten. [Tyrann: tödte.] Wir sehen das daran, wie es dem Antiochio, dem großen Herodes und seinem Enkel Herodes Agrippa, ebenfalls dem Marentio und anderen Gottes und der Welt Feinden ergangen ist. Manchmal erweckt Gott auch Helden und tapfere Männer, die solche Tyrannen töten und das Volk Gottes erlösen. Viele Beispiele davon stehen im Buch der Richter und der Könige. Damit aber diese Beispiele nicht missbraucht werden, muss man dabei auf die Berufung Gottes sehen. Denn welcher diese nicht hat, oder vor dieser Berufung etwas anfacht, der wird mit seinem Umbringen der Tyrannen nichts schaffen noch ausrichten; vielmehr ist zu befürchten, dass er es nur noch schlimmer macht. Soweit zu diesem Thema.

Von Erwählung der Obrigkeit.

Damit ich aber wieder auf mein vorgenommenes Thema komme, ist auch etwas zu sagen von der Erwählung der Obrigkeit und dabei zum Ersten, wem es zusteht und gebührt, die Obrigkeit zu setzen und zu erwählen. Danach: Wen und was für Leute man dazu erwählen solle. Und zum letzten: Vom Einsetzen und Vorstellen derer, die erwählt wurden.

Wem zusteht, die Obrigkeit zu erwählen.

Vom ersten Stück, wem es zustehe und gebühre, die Obrigkeit zu erwählen, da sollte [mag] kein festes Gesetz noch eine Regel gegeben oder vorgeschrieben werden. Denn an etlichen Orten erwählt die Allgemeinheit [ein gange gemein] die Obrigkeit. An etlichen wählen aber die Oberen einander selbst. An etlichen Orten werden die Fürsten aus Geburt zu Oberherren. Bei diesen Ordnungen soll man bleiben und diesbezüglich keine Unruhe oder Neuerung verursachen. Denn gewöhnlicher Weise werden einem jeglichen Reich und einer jeden Stadt ihre alten Bräuche und Gewohnheiten gelassen, es sei denn, dass solche Bräuche und Gewohnheiten gar unangemessen oder unerträglich sind. Wo aber Fürsten aus einem Stamme oder Geschlecht her geboren werden, da soll man Gott stets treulich anrufen und bitten, dass er gute Fürsten geben wolle.

Was für Leute zur Obrigkeit sollen erwählt werden. Exod. 18.

Zum anderen aber: Wen oder was für Leute man dazu erwählen soll, das stellt uns Gott selbst vor mit diesen Worten: Siehe dich um unter allem Volk nach redlichen Leuten, die gottesfürchtig, wahrhaftig und des Geizes Feind sind. Die setze über sie zu Oberen über Tausend, über Hundert, über Fünfzig und über Zehn, dass sie das Volk allezeit richten. Da fordert Gott vier Dinge an einem guten Ratsherren. 

Zum ersten, dass er ein beherzter, tapferer, redlicher Mann sei, das heißt, dass er dasjenige verrichten möge, wozu er erwählt wird. Das Vermögen steht aber mehr im Gemüt, als denn in Leibeskräften und Gütern. Denn es wird hierbei gefordert, dass er nicht ein Tor sei, sondern weise und erfahren. Gleich wie auch von einem Hauptmann oder Heerführer gefordert wird, dass er eine Ordnung machen könne, und an einen Fuhrmann, dass er den Wagen leiten könne. Also auch an einen Oberen, das er das Regiment verwalten könne. Dabei wird dann auch Tapferkeit gefordert, dass er sich auch dessen annehme [des dörffe unterstehen?], das er kann und versteht. Denn dieses Amt bedarf großer Tapferkeit und Geduld.

[Eine Obrigkeit soll rechtgläubig sein.] Zum anderen wird gesetzt, das anerkanntermaßen das vornehmste und größte ist, nämlich, dass er gottesfürchtig sei, rechtgläubig, nicht abergläubisch. Keiner, der mit Abgötterei umhergeht, wird das Regiment erhalten, sondern es vielmehr verderben. Und wie Gottlose eben sind: Sie werden die Wahrheit und die Religion nicht fördern, sondern verfolgen sie und reißen sie aus. Darum sollen wir die erwählen, die der wahren Lehre anhängen und gesunden Glaubens sind, die dem Wort Gottes glauben und wissen, dass Gott stets bei den Menschen zugegen ist und einem jeden vergilt nach seinem Verdienst. Darum bekennt auch der Kaiser Justinianus in seinen Nouellis Constitut. 109. öffentlich, dass sein ganzer Schirm von Gott sei, warum es auch angemessen sei, dass alle Gesetze und Ordnung auf ihn sehen. Und gleich darauf: Es weiß ein jeder, dass die, welche vor uns das Kaisertum verwaltet haben, wie Leo seligem Gedächtnis, und der teure Fürst Justinus unser Vater, in ihren Constitutionibus und Ordnungen überall verboten haben allen Ketzern, das diese zu keinem Heerzug angenommen noch Gemeinschaft haben sollen in der Verwaltung der allgemeinen Ämter, damit sie nicht durch Anlass des Mitreisens oder durch Verwaltung allgemeinen Handels und Geschäften den Glauben und die Einigkeit der heiligen Katholischen und Apostolischen Kirchen zertrennen und verderben. Und solches haben auch wir getan. Dies schreibt gedachter Kaiser. Und zwar: Wer gottesfürchtig ist, der ruft Gott an und empfängt auch Weisheit von Gott. Und wenn die Oberen Freunde Gottes sind, und sich oft mit Gott besprechen, so ist gute Hoffnung,  dass es ein seliges Regiment sein werde. Hingegen ist nichts anderes zu erwarten als alles Unglück, wenn Feinde Gottes im Regiment sind. 

Zum Dritten wird auch erfordert vom jemand, den man zur Obrigkeit berufen und erwählen soll, dass er wahrhaftig sei, nicht ein Blender/Großmaul [gleißner], nicht ein Lügner, Betrüger, arglistig, der aus einem Munde Kaltes und Warmes blasen könnte, sondern dass er treu, einfältig, offenbar und aufrichtig [auffrecht] sei. Dass er nicht mehr verspreche, als er halte. Dass er den Eid nicht gering achte oder eidbrüchig sei.

Zum Vierten: Dieweil viele in der Obrigkeit nichts anderes suchen als Reichtum und Mehrung ihres zeitlichen Guts, so heißt Gott, dass solche abbestellt werden sollen, und er verbietet allen guten Oberen den Geiz, ja, er fordert, dass sie den Geiz hassen. Gleich wie er auch an einem anderen Ort verbietet, Gaben zu nehmen, sondern auch gebietet, dass man solche ausschlagen soll. Denn Geiz und Gabensucht sind ein Verderbnis auch der guten Obrigkeit. Wer geizig ist und Geschenke liebt, der ist käuflich [dem ist es alles feyl], Gericht und Recht, Rechtssprüche, Freiheit, Gerechtigkeit, ja das Vaterland selbst. Und obwohl Gott hier nur das allerschädlichste Laster nennt, so ist doch kein Zweifel, dass er damit auch andere dergleichen Laster und Untugenden verbietet und will, dass dieselben weit von einer guten Obrigkeit entfernt seien, als da sind: Hoffart, Missgunst, Neid, Hass, Zorn, Spielsucht, Völlerei, Trunkenheit, Hurerei, Ehebruch, und was dergleichen mehr ist.

Diese jetzt herangezogene Stelle wird auch durch andere Stellen des Gesetzes erklärt, wenn man sie gegenüber stellt. So wie Mose in Deuteronomium [5. Buch Mose] im 1. Kapitel zum Volk spricht: Schaffet her weise und verständige Leute, die unter euren Stämmen bekannt sind. In welchen Worten Mose abermals drei Dinge erfordert an denen, die man zur Obrigkeit setzen will. Zum ersten, dass sie weise seien. Der Anfang aber der Weisheit ist die Furcht Gottes. Darum soll man solche Leute anstellen [ordnen], die Gottes und der wahren Religion Freund seien, die auch weise und witzig, nicht Toren und Narren sind. Zum anderen, dass sie verständig seien, das heißt vorsichtig, wohlgeübt durch lange Erfahrung in allerlei Belangen [händeln], dass sie jede zufallende Sache nach Vermögen der Satzungen richten. Zum Dritten, dass sie bekannt seien, das ist, dass deren Frömmigkeit und Redlichkeit jedermann offenbar sei, dass von ihrem so angetriebenen und geführtem Leben und ihren Sitten im Wesentlichen nichts als Gutes bekannt und bezeugt sei. Dass sie auch großen Ansehens seien, nicht verachtet als leichtfertige, unnütze Leute.

In Numeri im 27. Kapitel spricht Mose: Der Herr, der Gott der Geister allen Fleisches, wolle einen Mann setzen über die Gemeinde, der vor ihnen aus- und eingehe und sie aus- und einführe, dass die Gemeinde des Herrn nicht sei wie Schafe, die keinen Hirten haben [V. 15–17]. Aus diesen Worten des teuren Propheten Gottes wir auch lernen, wen man zur Obrigkeit erwählen, und wie auch dasselbige geschehen solle. Moses bittet zum Herrn um einen geschickten Mann. Also sollen auch wir Gott, den Erforscher aller Herzen, bitten und anrufen, dass er solche Leute gebe, an denen kein Mangel oder Fehl sei. Denn wir werden oft an der äußeren Gestalt eines Menschen betrogen, dass wir etwa einen für einen frommen, aufrichtigen, gottesfürchtigen Mann halten, der aber nichts als ein großer Scheinheiliger [gleißner] ist. Gott allein aber kennt die Herzen, den soll man bitten, dass er uns im Erwählen nicht irren oder fehlen lasse. Keiner wird aber besser sein, als einer, welcher den heiligen Geist Gottes hat, und derselbe soll dann auch in allen Dingen und Handlungen tun und lassen sein. Faulbäuche richten und treiben nur andere Leute an und sehen darauf, dass sie nie an die Spitze gestellt werden. Es ist auch sehr unrecht und unangemessen [unbillich], wenn einer anderen Leuten viel vorschreibt, er aber niemals etwas Rechtes oder Gutes tut. Einer, der zur Obrigkeit erwählt ist soll ein Hirte sein, der Tag und Nacht wache und hüte, dass die Herde Gottes nicht in Gefahr komme oder zerstreut oder verderbt werde. Aus diesem Grunde sind nur solche dem Volk Gottes als Oberste zu setzen.

Von der Vorstellung oder Einsetzung der Obrigkeit.

Zuletzt noch, was die Vorstellung oder Einweihung der Obrigkeit betrifft, gibt es unterschiedliche Gebräuche hin und her, sei es in Städten oder Ländern. Jedes Volk aber sei frei gelassen in seinen Gewohnheiten. Doch ist das der beste Brauch, wo man am allerwenigsten äußerliches Gepränge, aber am allermeisten das Gebet braucht. Es ist aber nicht ohne Frucht, sondern nützlich, dass man die, die zur Obrigkeit erwählt sind, mit einer gewissen und ziemlichen Zeremonie einsetze und vorstelle, und dies vor dem ganzen Volk, damit ein jeder wisse, welche Väter des Volkes seien, und welchen er die Ehre schuldig sei, welchen er gehorsam sein solle und für welche er beten solle. Also ist auch unter dem Volk Gottes eine bestimmte Zeremonie gewesen, die sie gebraucht haben, um ihre Könige und die Obrigkeiten einzuweihen. Welches gewisslich von Gott nicht vergeblich, sondern nützlich und von notwendigen Ursachen wegen befohlen und eingesetzt worden ist. Was aber weiter von der Obrigkeit zu reden ist, wollen wir uns aufsparen bis morgen, jetzt aber den Herrn loben und anrufen. Ihm sei Lob und Ehre in Ewigkeit. Amen.«

Textquelle: Heinrich Bullinger (1504–1575): Haußbuch. Die Sechzehende Predig (Heidelberg: Martinum Agricolam, 1568), Doppelseiten LXXIIII–LXXVIII. Diese Predigt ist auf Doppelseite LXXI überschrieben mit: »Von dem anderen Gebot der anderen Tafel, welches in der Ordnung der Zehn Gebote das Sechste ist, nämlich: Du sollst nicht töten. Item von der Obrigkeit.« Der Drucktext wurde 2021 behutsam in verständlichere Rechtschreibung und Formulierung übertragen. Überschriften und Fettdruck hinzugefügt, Kursivschrift im Original. Marginalien im Original stehen fettgedruckt in eckigen Klammern oder wurden als Überschriften verwendet. Alle sonstigen Ergänzungen in eckigen Klammern wurden hinzugefügt. Verbesserungs- und Korrekturhinweise willkommen.