Was jeder Christ über Israel und die Palästinenser wissen sollte – 14 Thesen (W. J. Ouweneel)

Willem J. Ouweneel (Oktober 2023)

Durch den Krieg in Israel ist die Debatte über den palästinensisch-israelischen Konflikt wieder stark aufgeflammt. Progressive Abgeordnete setzen sich für Palästina ein und Theologen wenden sich mit einem Manifest gegen die ihrer Meinung nach böse Politik Israels. Und auf der anderen Seite verweisen Christen auf die biblischen Landverheißungen für das Volk Israel. Die aktuelle Debatte ist ein guter Zeitpunkt, um die Frage anhand von 14 Thesen zu klären.

[1] Das Wort »Palästinenser« bedeutet Bewohner Palästinas, gleich welcher Herkunft. Bis in die 1950er Jahre wurden daher auch die jüdischen Bewohner Palästinas als »Palästinenser« bezeichnet. Die heutigen »Araber« (innerhalb und außerhalb Palästinas) haben dagegen kaum ethnische und wenig historische Bindungen; sie haben nur eines gemeinsam: die arabische Sprache. Folglich hat es nie ein »palästinensisches Volk« als eigenständige ethnische Identität gegeben.

[2] Arabisch sprechende Menschen (Muslime wie Christen) haben jedoch seit vielen Jahrhunderten in Palästina gelebt, ebenso wie Juden, und zuweilen sogar mehr als Araber. Es ist daher falsch zu behaupten, das Land Palästina gehöre den arabischen Palästinensern (insbesondere den Muslimen).

[3] Folglich hat es in all den Jahrhunderten nie so etwas wie einen »palästinensischen Staat« gegeben; es gab nur palästinensische Juden und palästinensische Araber unter der Herrschaft der Mamelucken (bis 1517), unter türkischer Herrschaft (bis 1920), unter britischer Herrschaft (bis 1948) und unter jordanischer Herrschaft (bis 1967). Außerdem besaßen die »Palästinenser« im Gazastreifen die ägyptische und die auf den Golanhöhen die syrische Staatsangehörigkeit. Es ist historisch gesehen Unsinn zu behaupten, die Israelis hätten die Gründung eines palästinensischen Staates immer »blockiert«.

[4] Es ist ebenfalls historisch gesehen Unsinn, dass die Israelis 1967 angeblich »palästinensisches Gebiet« besetzt hätten. Was sie taten, war –im Wesentlichen zur Selbstverteidigung– das ehemals türkische/ehemals britische/ehemals jordanische Gebiet zu besetzen, in dem traditionell sowohl palästinensische Juden als auch palästinensische Araber gelebt hatten. Allerdings gab es in diesem Gebiet Landbesitz von Arabern, und die Israelis mussten diesen Landbesitz respektieren, ebenso wie die Araber den von Juden erworbenen Landbesitz respektieren mussten.

[5] Es ist historisch gesehen Unsinn zu behaupten, dass die Israelis stets die Gründung eines palästinensischen Staates »blockiert« hätten. Nach dem Beschluss der Vereinten Nationen (am 29.11.1947) hätten nicht nur die Juden, sondern auch die Araber in den ihnen zugewiesenen Gebieten sofort einen eigenen Staat gründen können, so wie es die Juden taten (Mai 1948). Unter großem Druck der umliegenden arabischen Länder (die dachten, der Staat Israel würde bald zerstört werden), taten sie dies nicht, was viele bis heute bedauern.

[6] Im Jahr 1948 verließen viele Araber das Gebiet, das seit Mai den Staat Israel bildete. Die Juden hatten hier und da ihren Anteil daran, indem sie sie verängstigten, aber es waren mindestens ebenso sehr die umliegenden Länder, die die arabischen Palästinenser verängstigten; außerdem sagten sie den arabischen Palästinensern, dass ihre Abreise nur von kurzer Dauer sein würde, da sie nach der Niederlage des Staates Israel in ihre Heimat zurückkehren könnten. Dies erwies sich als großer Fehler. Es stimmt nicht, dass die Mehrheit der arabischen Palästinenser eine Zwei-Staaten-Lösung befürworten würde.

[7] Übrigens: Während Hunderttausende von Arabern aus dem neu gegründeten Staat Israel flohen (und bis heute in Flüchtlingslagern untergebracht sind), wurden auch Hunderttausende von Juden aus den umliegenden arabischen Ländern vertrieben (und fanden im neuen Staat Israel eine neue und freie Heimat).

[8] Den Arabern im Staat Israel geht es, obwohl sie dort de facto Bürger zweiter Klasse sind, sowohl wirtschaftlich als auch politisch weitaus besser als den Palästinensern in den genannten Flüchtlingslagern (und im Übrigen sogar besser als den Arabern in den Nachbarländern).

[9] Es stimmt nicht, dass der Großteil der arabischen Palästinenser die Zwei-Staaten-Lösung befürworten würde; oder sie befürworten sie bestenfalls insofern, als es sich um eine vorübergehende Zwischenlösung handelt. Die konsequentesten Muslime (wie sie z.B. von der Hamas, der Hisbollah, dem Islamischen Dschihad und den Machthabern im Iran vertreten werden) wollen nichts anderes als die Zerstörung des Staates Israel (wenn nicht gar des israelischen Volkes). Konsequente wie auch gemäßigtere arabische Muslime haben den Staat Israel daher nie grundsätzlich anerkannt. Die tiefsten Probleme in und um den Staat Israel sind nicht historischer, politischer oder völkerrechtlicher Natur, sondern religiöser Natur.

[10] Die internationale Gemeinschaft wirft Israel »Kolonialismus« und »Imperialismus« vor. Dies ist eine absurde Verdrehung der Geschichte. Es war Israel, das 1947 einer Teilung des Landes und einem internationalen Status für Jerusalem zugestimmt hatte. Es waren die Araber, die, anstatt dem zuzustimmen, immer wieder Krieg gegen Israel geführt haben. Das einzige Mal, als es ihnen gelang, die Altstadt von Jerusalem zu erobern (1948/49), vertrieben sie sofort alle Juden.

[11] Die Stadt Jerusalem kommt im Koran überhaupt nicht vor; es wird lediglich die »äußerste« oder »am weitesten entfernte« Moschee erwähnt, die spätere muslimische Generationen in Jerusalem ansiedelten. (al-Aqsa-Moschee bedeutet »äußerste« oder »entfernteste« Moschee.) Den Muslimen wurde also nie ein (messianisches) Reich des Friedens und der Gerechtigkeit rund um Jerusalem versprochen, wie es Israel versprochen wurde (ein Versprechen Gottes, das immer noch in Kraft ist). [Muslime wollen vielmehr ein weltweites Kalifat mit geltender Scharia.]

[12] Die Siedlungspolitik Israels ist oft heftig kritisiert worden. Diese Siedlungen (a) existieren jedoch nur in der so genannten C-Zone, die (seit den Osloer Verträgen 1993–1995) die Zone ist, in der Israel (mit dem damaligen Einverständnis der Palästinenser!) die volle zivile und militärische Kontrolle hat; und (b) die fraglichen Gebiete sind nicht von »den« Palästinensern gestohlen, sondern ehrlich von den arabischen Palästinensern gekauft worden (ob das in der Praxis immer so sauber gemacht wurde, lasse ich jetzt mal dahingestellt). Eine politische oder völkerrechtliche Lösung des israelisch-palästinensischen Problems ist daher nicht denkbar. Man wartet also auf das Kommen des Messias.

[13] Das tiefste Problem in und um den Staat Israel ist nicht historischer, politischer oder völkerrechtlicher Natur, sondern religiöser Natur. Seit der Eroberung Palästinas im siebten Jahrhundert ist es für konsequente Muslime unvorstellbar, dass dort ein jüdischer Staat existieren könnte. Was »Allahs Land« [dar al-islam] geworden ist, kann nie wieder an Juden [oder andere »Ungläubige«] abgegeben werden [der Rest der Welt heißt bei den Muslimen dar al-harab = Haus des Krieges]. Umgekehrt ist es für konsequente Juden undenkbar, an einem anderen Ort als dem von Gott den Vätern verheißenen Land zu leben.

[14] Die religiöse Tiefendimension des jüdisch-palästinensischen Konflikts zeigte sich unmittelbar am 7. Oktober 2023, als Hamas-Mitglieder 1.400 Juden unter dem eindringlichen Ruf »Allahu akbar« misshandelten, vergewaltigten und ermordeten, was in diesem Fall so viel bedeutete wie: »Unser Gott Allah ist größer als der Gott Israels!« Nichts könnte deutlicher verdeutlichen, dass es hier zutiefst um einen Kampf in den himmlischen Örtern ging und geht (vgl. Epheser 6,12): einen Kampf zwischen den »Göttern« dieser Welt und dem Gott Israels.

Fazit. Eine politische oder völkerrechtliche Lösung des israelisch-palästinensischen Problems ist daher nicht denkbar. Die arabisch-muslimische Welt wird grundsätzlich niemals in der Lage und bereit sein, einen Staat Israel anzuerkennen, und die Israelis werden niemals in der Lage und bereit sein, ihre Siedlungspolitik aufzugeben oder die Hunderttausende von Flüchtlingen in arabischen Lagern zurückzunehmen. Man wartet also auf das Kommen des Messias und – von Jerusalem aus – auf die Errichtung seines Weltreichs des Friedens und der Gerechtigkeit. Wie ein arabischer Taxifahrer in Jerusalem einmal zu mir sagte: Nur Jesus kann das Problem lösen.

Autor: Prof. Dr. Willem J. Ouweneel (*1944) hat einen Doktortitel in Biologie, Philosophie und Theologie. Der Autor von über 200 Büchern und international gefragte Referent ist emeritierter Professor für Systematische Theologie (Fakultät für evangelische Theologie in Leuven, Belgien). Seine Homepage: http://www.willemouweneel.nl/.
Textquelle: Willem J. Ouweneel, Wat iedere christen zou moeten weten over Israël en de Palestijnen (Link: cvandaag.nl – 23. Oktober 2023). Übersetzt mithilfe von DEEPL; These 14 aus dem u.g. Buch entnommen.
Vertiefung: Eine Vertiefung und Erläuterung der »14 Thesen« erfolgte in einem längeren Interview, das auf YouTube angesehen werden kann (Direktlink). – Auch in einem Buch werden die 14 Thesen ausführlicher dargestellt: Wat iedere christen moet weten over Israël en de Palestijnen – In twintig stellingen. (Driebergen (NL): Aspekt, 04.11.2023); ISBN 9789464870954, 72 Seiten, auch als Kindle-eBook. Deutsche Ausgabe: Was jeder Christ über Israel und die Palästinenser wissen muss – In zwanzig Sätzen [sic!]. (Dribergen (NL): Aspekt, 2024); Taschenbuch, 102 Seiten, ISBN 978-9464871258.

Ergänzungen

Maximilian Felsch, Die Beziehungen zwischen Israelis und Palästinensern. Bundeszentrale für politische Bildung (28.05.2018); Link.

UN-Teilungsplan für Palästina 1947(Deine tägliche Dosis Politik). Bundeszentrale für politische Bildung (29.11.2023); Link. Zitat daraus: »GB hatte Palästina bereits geteilt: in Britisch-Palästina für die jüdische [Bevölkerung] und Transjordanien [ab 1950 der Jordanien, s. Karte unten] für die arabische Bevölkerung.«

Der kleine Anteil für die jüdische Bevölkerung wurde ihr dann nicht gegeben, sondern nochmals geteilt für die arabische (43%) und die jüdische (56%) Bevölkerung. Dieser Teilungsplan für zwei unabhängige Staaten wurde am 29. November 1947 in der UN-Resolution 181 (II) mehrheitlich verabschiedet. Die die jüdische Bevölkerung gründete entsprechend dieser Resolution einen souveränen Staat, die arabischsprechende Bevölkerung tat dies jedoch nicht, sondern versuchte, mit kriegerischen Mitteln und die Teilungs-Resolution missachtend alles für sich zu erobern. Dieser »Alles-oder-nichts«-Ansatz scheiterte bis heute, bleibt aber politisches Programm.

Bildquelle: https://www.geoplan-reisen.de/arabien-orient/jordanien/